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Inhalt

 

Update: Therapie der Psoriasis vulgaris

Gudrun Ratzinger, Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Medizinische Universität, Innsbruck

Nach früheren Beiträgen zur Therapie der Psoriasis vulgaris in Pharmainfo XXVI/4/2011 und XXXI/3/2016) folgt hier ein Update, das vor allem neue Optionen in der systemischen Psoriasistherapie erfasst (1).

In der topischen Therapie bestehend aus indifferenter Basistherapie und wirkstoffhältigen Salben (v.a. Glukokortikosteroide und Vitamin-D3-Derivate bzw. Kombinationspräparate), die nach wie vor die erste Behandlungssäule darstellt, haben keine wesentlichen Neuzulassungen stattgefunden. Zu erwähnen ist jedoch ein Kombinationspräparat aus dem Vitamin-D3-Derivat Calcipotriol und dem Glukokortikosteroid Betamethason (Enstilar), welches durch die Veränderung der Grundlage, nämlich die Verpackung der Wirkstoffe in einen Schaum (Aerosol), bessere Penetrationseigenschaften in die Haut aufweist und somit höhere Ansprechraten als das Lipidgel (Daivobet) erzielt (2). Weiterhin sollte die Phototherapie, eine effektive und bei richtiger Anwendung sichere Behandlungsoption, als zweite Behandlungssäule nicht vergessen werden.

Als klassische Systemtherapeutika stehen nach wie vor Methotrexat und Fumarsäure als dritte Behandlungssäule zur Verfügung. Als Neuerung ist die erstmalige Zulassung eines Fumarsäureesters in Österreich (Skilarence, Zulassung Juni 2017) zu erwähnen. Bisher wurde ein Kombinationspräparat aus Dimethylfumarat und Monoethylfumarat (Fumaderm) verwendet, welches in Österreich allerdings nicht zugelassen war. Studien haben gezeigt, dass das Kombinationspräparat und das Monopräparat in Wirkung und Nebenwirkung vergleichbar waren (3). Deshalb kann bei Indikation zur Therapie mit Fumarsäureestern nun auf das zugelassene Monopräparat zurückgegriffen werden, auch Umstellungen sind laut Literatur (3) problemlos möglich. Methotrexat und der Phosphodiesterasehemmer Apremilast wurden bereits besprochen (Pharmainfo XXXI/3/2016).

Auf dem Gebiet der Biologika, unserer vierten Behandlungssäule, hat sich in den letzten drei Jahren am meisten bewegt. Einerseits erhielten wir dazu jeweils ein weiteres Präparat in den schon bekannten Gruppen der TNF-alpha-Inhibitoren (Certolizumab – Cimzia, 4) sowie der IL-17-Inhibitoren (Brodalumab – Kyntheum, 5). Andererseits hat sich eine neue Gruppe etabliert, die IL-23-p19-Blocker. Hier gibt es bereits zwei zugelassene Präparate, weitere werden in Kürze erwartet. Durch Ablauf der Patente kommen zunehmend Biosimilars auf den Markt, die zu einer deutlichen Preisreduktion führen. Der IL-12/23-Blocker Ustekinumab wurde bereits besprochen (Pharmainfo XXXI/3/2016).

Die Schwere der Psoriasis vulgaris wird u.a. mit dem PASI (Psoriasis Activity and Severity Index) beurteilt. Rötung, Infiltration und Schuppung werden an verschiedenen Körperarealen beurteilt (Kopf, Rumpf, obere Extremitäten, untere Extremitäten), zusätzlich wird noch die Ausdehnung der Hauteffloreszenzen eingerechnet. Daraus ergibt sich ein Wert zwischen 0 bis 72. Ab einem PASI von 10 wird eine Psoriasis als systemisch behandlungsbedürftig eingestuft. Ein zufriedenstellender Therapieerfolg wird als PASI 75 (75% Besserung) oder zuletzt auch als PASI 90 (90% Besserung) bis zu PASI 100 (100% Besserung) angegeben. Erscheinungsfreiheit wurde durch die neuen, hochpotenten Therapien für einen nicht unbeträchtlichen Teil der PatientInnen zur Realität.

TNF-alpha-Inhibitoren

Die TNF-alpha-Inhibitoren Adalimumab, Etanercept und Infliximab sind für erwachsene PatientInnen mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis vulgaris und Psoriasis-Arthritis zugelassen, wenn klassische Therapieformen keinen ausreichenden Therapieerfolg gezeigt haben, unverträglich oder kontraindiziert sind (4). Mittlerweile sind die Patente aller drei Originalpräparate ausgelaufen, und es kommen laufend Biosimilars dieser Substanzen auf den Markt. Nach Auslaufen des Patents für Infliximab (Originalpräparat Remicade) wurden Biosimilars (Flixabi, Inflectra, Remsima, Zessly) zugelassen, ebenso für Etanercept (Benepali, Erelzi; Originalpräparat Enbrel) und Adalimumab (Amgevita, Imraldi, Hulio, Hyrimoz; Originalpräparat Humira). Es kann als belegt gelten (aufgrund des bei der Zulassung notwendigen Nachweises der klinischen Äquivalenz und von Switching Studien, 6,6a), dass Biosimilars in Wirkung und Nebenwirkung den Originalpräparaten entsprechen. Der Vorteil liegt in der Wirtschaftlichkeit. Besonderes Augenmerk ist jedoch auf die Selbstapplikation der Substanzen zu richten. PatientInnen sind üblicherweise auf die ursprünglich gewählte Fertigspritze bzw. auf einen bestimmten Fertigpen geschult. Bei Umstellung auf ein Biosimilar muss diese Schulung spezifisch wiederholt werden, da die Applikatoren unterschiedlich sein können. Deshalb ist von einer Umstellung ohne Einbeziehung des/r behandelnden Arztes/Ärztin abzuraten.

Certolizumab (Cimzia) war bisher nur für die Psoriasis-Arthritis zugelassen, seit Juli 2018 besteht auch eine Zulassung für die chronische Plaque-Psoriasis. Das Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum von Certolizumab liegt im Bereich der TNF-alpha-Inhibitoren Etanercept und Adalimumab. Der Vorteil oder der Mehrwert zu anderen Biologika liegt im Verhalten in der Schwangerschaft. Monoklonale Antikörper können aufgrund ihrer Größe grundsätzlich nicht durch die Plazenta diffundieren (1. Trimenon). Ab dem 2. Trimenon kommt es jedoch zu aktivem Transport über den neonatalen Fc-Rezeptor, und somit besteht die Möglichkeit und Gefahr einer Akkumulation im Fetus. Bei Certolizumab liegt diesbezüglich eine günstigere Situation vor. Da es kein Fc-Fragment aufweist, kann es den neonatalen Fc-Rezeptor nicht binden, es gibt also kaum diaplazentaren Transport zum Fetus. Obwohl es auch hier keine dezidierte Zulassung für die Anwendung in der Schwangerschaft gibt, wird in der Fachinformation darauf hingewiesen, dass bei 500 prospektiv erfassten Patientinnen keine negativen Effekte auf die Feten zu beobachten waren. Bei eingetretener Schwangerschaft ist jedoch weiterhin eine Therapiepause zu empfehlen. Certolizumab ist zur Behandlung mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis bei Erwachsenen indiziert, die KandidatInnen für eine systemische Therapie sind. Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 400 mg (verabreicht in 2 subkutanen Injektionen zu je 200 mg) in Woche 0, 2 und 4, die empfohlene Erhaltungsdosis beträgt 200 mg alle 2 Wochen.

IL-17-Inhibitoren

Bei den schon in den Jahren 2015/16 zugelassenen und schon in der letzten Pharmainfo beschriebenen IL-17A-Inhibitoren Secukinumab (Cosentyx) und Ixekizumab (Taltz) handelt es sich um monoklonale Antikörper, die das Zytokin IL-17A blockieren. Die Neuzulassung Brodalumab (Kyntheum, Zulassung Juni 2017) unterscheidet sich dahingehend, dass es nicht an das Zytokin selbst, sondern an den IL-17-Rezeptor bindet und damit auch die Bindung von anderen Mitgliedern der IL-17-Familie blockiert. In den multinationalen, randomisierten, doppelblinden Placebo-kontrollierten klinischen Phase-III-Studien (AMAGINE 2 und 3) wurden Wirksamkeit und Sicherheit unterschiedlicher Dosierungen von Brodalumab bei über 4.000 erwachsenen PatientInnen mit Plaque-Psoriasis untersucht (5). PASI 75 wurde von 86% der PatientInnen versus 8% mit Placebo nach Woche 12 erreicht (PASI 100: 44% versus 1% Placebo). Das Ansprechen konnte bis zur Woche 52 gehalten werden. Die rasche Wirkung (50% der PatientInnen erreichen PASI 75 in Woche 4) wird hervorgehoben. Die Anzahl der PatientInnen mit mindestens einem Adverse Event (AE) war in der Brodalumab-Gruppe nur gering höher als in der Placebo-Gruppe (58% versus 54%). Nasopharyngitis, respiratorische Infekte, Arthralgien und Kopfschmerzen traten am häufigsten auf. Mukokutane Candidainfektionen wurden bei ca. 1,6% der PatientInnen in der Brodalumab-Gruppe gesehen und konnten immer durch lokale Therapiemaßnahmen unter fortlaufender Biologikatherapie behandelt werden. Reaktionen an der Injektionsstelle sind sehr selten (1,5% vs. 1% Placebo). Schwere Adverse Events (SAE) und Therapieabbrüche aufgrund von AE waren in den Gruppen (Brodalumab vs Placebo) ungefähr gleich häufig zu beobachten (SAE 2,1% vs 2,6%, Abbrüche 1,3% vs 0%). Anti-drug antibodies wurden in ca. 2% der PatientInnen detektiert, sie waren allerdings nicht mit Wirkverlust assoziiert. Im Vergleich zu Ustekinumab zeigte sich Brodalumab überlegen (5). Brodalumab ist angezeigt für die Behandlung von mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis bei erwachsenen PatientInnen, für die eine systemische Therapie in Frage kommt. Die empfohlene Dosis beträgt 210 mg und wird als subkutane Injektion in Woche 0, 1 und 2, gefolgt von 210 mg alle 2 Wochen, verabreicht.

IL-23-Inhibitoren

Seit November 2017 steht uns eine neue Gruppe von Biologika zur Behandlung der mittelschweren bis schweren Psoriasis vulgaris zur Verfügung – die IL-23-Inhibitoren. IL-23 ist das zentrale Zytokin, welches über TH-17-Zellen (T-Helferzellen-17) und die Freisetzung von IL-17 zu Entzündung und zur Ausbildung von Psoriasis-Plaques führt. Im Gegensatz zu IL-12/IL-23-Inhibitoren, wie Ustekinumab (Stelara, Pharmainfo XXXI/3/2016), einem therapeutischen Antikörper, der gegen die beiden Interleukinen gemeinsame p40-Untereinheit gerichtet ist, binden IL-23-Inhibitoren nur an die IL-23-spezifische p19-Untereinheit. Interessanterweise ist die Blockade von IL-23 alleine effektiver als jene in Kombination mit der Blockade von IL-12. Dazu spekuliert man, dass bei dualer IL-12/IL-23-Blockade die zusätzliche Hemmung von IL-12 eher stabilisierend auf die Psoriasis-Plaques wirkt und der Abheilung entgegenwirkt. Für drei, Guselkumab, Tildrakizumab und Risankizumab, liegen Effektivitätsdaten vor.

Guselkumab (Tremfya, 7) hemmt spezifisch IL-23 und somit die Signalkette, die für die terminale Differenzierung und das Überleben von TH-17-Zellen nötig ist. In einer Placebo-kontrollierten Studie (VOYAGE-1) zum Vergleich von Guselkumab, dem TNF-alpha-Inhibitor Adalimumab und Placebo wurden 837 PatientInnen randomisiert, 745 beendeten die 48-wöchige Erhaltungsphase. PASI 75 wurde von 91% (Guselkumab) vs 73% (Adalimumab) vs. 6% (Placebo) der PatientInnen nach Woche 16 erreicht (PASI 90: 73% vs 50% vs 3%; PASI 100: 37% vs 17% vs 1%). Das Ansprechen konnte auch in Woche 48 erzielt werden. Die Anzahl der PatientInnen mit mindestens einem AE war in allen drei Gruppen vergleichbar (52% vs. 51% vs. 49%). Nasopharyngitis und respiratorische Infekte traten am häufigsten auf. Therapieabbrüche traten bis Woche 48 in 7% (Placebo), 8% (Guselkumab) bzw. 15% (Adalimumab) der PatientInnen auf. Guselkumab war auch im Vergleich zu Ustekinumab überlegen (8). Das Dosierungsintervall von 8 Wochen in der Erhaltungsphase wird von den PatientInnen als sehr angenehm empfunden. Guselkumab wird für die Behandlung erwachsener PatientInnen mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis angewendet, die für eine systemische Therapie in Frage kommen. Die empfohlene Dosis sind 100 mg als subkutane Injektion in den Wochen 0 und 4, gefolgt von einer Erhaltungsdosis alle 8 Wochen.

Tildrakizumab (Ilumetri, 9,10): Für Tildrakizumab existieren gepoolte Studiendaten von über 2.000 PatientInnen, die in drei Phase-2 bzw. Phase-3-Studien mit Tildrakizumab, Etanercept oder Placebo behandelt wurden. PASI 75 wurde von 62% (Tildrakizumab) vs 48% (Etanercept) vs. 6% (Placebo) der PatientInnen nach Woche 12 erreicht (PASI 90: 36% vs 21% vs 2%; PASI 100: 13% vs 5% vs 1%). Die Ansprechraten konnten bis Woche 28 noch zulegen (PASI 75: 77% Tildrakizumab vs 56% Etanercept; PASI 90: 54% vs 31%; PASI 100: 23% vs 11%). AE traten unter Tildrakizumab sogar seltener als in der Placebo-Gruppe auf bzw. gleich oft wie in der Etanercept-Gruppe. Therapieabbrüche lagen mit 4% sehr niedrig und waren über alle Gruppen gleichmäßig verteilt. Die empfohlene Dosis von Tildrakizumab beträgt 100 mg mittels subkutaner Injektion und wird in den Wochen 0 und 4 sowie danach alle 12 Wochen verabreicht. Bei PatientInnen mit bestimmten Merkmalen (z.B. hohe Krankheitslast, Körpergewicht ≥ 90 kg) könnten 200 mg eine höhere Wirksamkeit aufweisen.

Risankizumab (Skyrizi, Zulassungsempfehlung durch CHMP, 11): Zwei Phase-3-Studien im Vergleich gegen Ustekinumab und Placebo (UltIMMa-1 und UltIMMa-2) dokumentieren die hohe Effektivität und Sicherheit. PASI 75 wurde von 87% (Risankizumab) vs 70% (Ustekinumab) vs. 10% (Placebo) der PatientInnen nach Woche 12 erreicht (Woche 52: PASI 90: 82% Risankizumab vs 44% Ustekinumab; PASI 100: 56% vs 21%). AE traten in der Risankizumab-Gruppe gleich häufig auf wie in der Ustekinumab- und in der Placebo-Gruppe. Therapieabbrüche lagen mit maximal 4% sehr niedrig und über die Gruppen gleichmäßig verteilt.

Wenn man die Substanzgruppen bezüglich ihres Wirkungsspektrums vergleicht (siehe rezente Network-Metaanalyse:12), kommt man derzeit zu dem Schluss, dass IL-17- und IL-23-Inhibitoren den TNF-alpha- und IL-12/IL-23-Inhibitoren überlegen sind. Allerdings punkten TNF-alpha-Inhibitoren durch die große Erfahrung und die zahlreichen Langzeitdaten (vor allem auch in Hinblick auf Infektionsrisiken), die hohe Anzahl an zugelassenen Indikationen, die teilweise Zulassung auch bei Kindern und die niedrigen Preise, die seit Auslaufen der Patente sowohl bei Biosimilars als auch bei den entsprechenden Originalpräparaten zu finden sind.

Schlussfolgernd ist zu betonen, dass in der Behandlung der Psoriasis vulgaris ein Stufenschema eingehalten werden sollte. Für die milde bis moderate Schuppenflechte ist nach wie vor die Lokaltherapie Mittel erster Wahl. Falls damit kein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden kann, stehen Phototherapie und klassische Systemtherapeutika zur Verfügung. Bei weiterbestehender Therapieindikation kommen als wirksamste Substanzen Biologika an die Reihe, die ohne Zweifel die Lebensqualität schwerer PsoriasispatientInnen revolutioniert haben.

Literatur
(1) Nast A et al, J Dtsch Dermatol Ges 16, 645, 2018
(2) Frieder J et al, Ther Deliv 8, 737, 2017
(3) Falkvoll S et al, J Dtsch Dermatol Ges 13749, Jan 15, 2019
(4) Blauvelt A et al, J Eur Acad Dermatol Venereol 33, 546, 2019
(5) Lebwohl M et al, N Engl J Med 373, 1318, 2015
(6) Nikiphorou E et al, Expert Opin Biol Ther 15, 1677, 2015
(6a) Blauvelt A et al, Br J Dermatol 179, 623, 2018
(7) Blauvelt A et al, J Am Acad Dermatol 76, 405, 2017
(8) Langley RG et al, Br J Dermatol 178, 114, 2018
(9) Papp KA et al, J Eur Acad Dermatol Venereol 15400, Mar 5, 2019
(10) Blauvelt A et al, Br J Dermatol 179, 615, 2018
(11) Gordon KB et al, Lancet 392, 650, 2018
(12) Sbidian E et al, Cochrane Database Syst Rev, 12:CD011535, 2017

 

Update: Antibiotikatherapie von Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen

Wir haben in der Pharmainfo (XXX/2/2015) ausführlich die Therapie von Harnwegsinfektionen behandelt. Aufgrund einer geänderten Resistenzlage, neu erschienener Empfehlungen und publizierter Nebenwirkungen und Warnungen einige Antiinfektiva betreffend (sh. auch Pharmainfo XXXIV/1/2019), erfolgt hier zu diesem Thema ein kurzes Update.

Bakterielle Infektionen der ableitenden Harnwege, Harnwegsinfektionen, gehören nach wie vor zu den häufigsten Krankheitsbildern in der niedergelassenen Praxis. Eine antibiotische Behandlung ist bei PatientInnen mit systemischen Krankheitssymptomen oder bei spezifischen Risikogruppen angezeigt (u.a. Schwangere, immunsupprimierte PatientInnen, DiabetikerInnen), leichtere Infektionen, wie eine Zystitis, heilen oft ohne spezifische Therapie oder mit rein symptomatischer Therapie aus. Die zunehmende Resistenzentwicklung gegen früher häufig verwendete Antibiotika wie Aminopenicilline, Chinolone oder Sulfonamide, aber auch Meldungen über schwerwiegende Nebenwirkungen v.a. im Zusammenhang mit Chinolonen haben zur Modifikation von Therapieempfehlungen geführt (1-3). Darüber hinaus werden neuerdings auch Effekte von Antibiotika auf das Mikrobiom oder deren Risiko für die Triggerung einer Clostridium difficile - assoziierten Diarrhoe bei der Auswahl der antimikrobiellen Therapie mit einbezogen (3). Nach wie vor spielen auch Extended Spektrum-Betalaktamase (ESBL)-bildende Bakterien eine Rolle, wenngleich es in den vergangenen Jahren in Österreich zu keiner weiteren Zunahme des Anteils an Infektionen mit diesen Erregern gekommen ist (4). PatientInnen, die an Infektionen mit resistenten Erregern leiden, haben meist ein spezifisches Risikoprofil, wie ein Alter über 65 Jahren, funktionelle Störungen in den ableitenden Harnwegen, einen rezenten Krankenhausaufenthalt oder die wiederholte Applikation von Antibiotika.

Basierend auf der Epidemiologie und dem Nutzen-Risikoprofil werden für die ungezielte, empirische Behandlung von unkomplizierten Harnwegsinfekten nunmehr primär Pivmecillinam (Selexid), Nitrofurantoin (Furadantin, Generika), oder Fosfomycin-trometamol (Monuril, Generika) empfohlen, während Fluorochinolone, Cephalosporine und Cotrimoxazol nicht mehr als Mittel der ersten Wahl gelten (1-3). Auf mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen von Nitrofurantoin wurde bereits in der Pharmainfo (XXX/2/2015) hingewiesen. Für PatientInnen mit milder Symptomatik sollte unbedingt auch die Möglichkeit einer nicht-antibiotischen symptomatischen Therapie z.B. mit nichtsteroidalen Antirheumatika in Erwägung gezogen werden.

Bei der milden, unkomplizierten Pyelonephritis sollte immer eine Kultur angestrebt und ein mechanisches Problem mittels Sonographie ausgeschlossen werden. Als therapeutische Optionen für die ambulante Behandlung werden hier trotz meist schlechter Resorption orale Cephalosporine der 3. Generation (Cefpodoxim, Ceftibuten) oder besser bioverfügbare Chinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin), in einigen Richtlinien aber auch Amoxicillin/Clavulansäure empfohlen (1-3).

Literatur
(1) Arznei und Vernunft. Antiinfektiva: Einsatz in Therapie und Prophylaxe www.arzneiundvernunft.at/DE/Thema/Antiinfektiva+-+Behandlung+von+Infektionen.aspx, S 40-42, 2019
(2) Interdisziplinäre S3 Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention unkomplizierter erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen, AWMF-Register-Nr. 043/044, 2017
(3) Krantz J et al, Urol Int 100, 271, 2018
(4) AURES-Resistenzbericht Österreich: www.ages.at/themen/ages-schwerpunkte/antibiotika-resistenzen/resistenzberichte

 

PCSK-9-Inhibitoren: Alirocumab (Praluent) und Evolocumab (Repatha)

Wir haben diese Substanzen bereits 2016 (Pharmainfo XXXI/2/2016) besprochen. Diese humanen monoklonalen Antikörper führen durch Bindung an das PCSK-9-Protein zu einer erhöhten Verfügbarkeit von LDL-Rezeptoren an der Leberzellenoberfläche, wodurch es zu einer vermehrten hepatischen Aufnahme von LDL-Partikeln und zu einer Senkung des Serumcholesterinspiegels kommt. Unklar war bisher, ob dieser Effekt einen günstigen Einfluss auf kardiovaskuläre Endpunkte hat.

Zwei große Doppelblindstudien haben dies nun geklärt. In der Odyssey Outcomes Studie (n=18.924 StudienteilnehmerInnen, 1) wurde Alirocumab bis zu 4 Jahre subkutan (medianer follow-up 2,8 Jahre) verabreicht. Die PatientInnen hatten bis zu 12 Monate davor ein akutes Koronarsyndrom (83% einen Herzinfarkt) erlitten und wurden bereits mit einer hohen oder der höchsten verträglichen Dosis von Atorvastatin (40-80 mg) oder Rosuvastatin (20-40 mg) behandelt. Eine zusätzliche Gabe von Ezetimib erhielten nur wenige der PatientInnen. Beim Eintritt in die Studie mussten die PatientInnen einen LDL-Cholesterinspiegel (LDL-C) von über 70 mg/dl haben (Durchschnitt 92 ± 13 mg/dl). Nach 4 Monaten fiel der mittlere Spiegel auf 40 mg/dl, nach 12 Monaten auf 48 mg/dl, wobei er nach 48 Monaten wieder auf 66 mg/dl anstieg. Der kombinierte primäre Endpunkt (Tod durch koronare Herzerkrankung, nicht tödlicher Herzinfarkt, Schlaganfall oder instabile Angina mit Spitalaufnahme) sank signifikant von 11,1% auf 9,5% (HR 0,85; 95% CI 0,78-0,93) vor allem durch weniger Herzinfarkte (NNT=63 für 2,8 Jahre, 1). Die kardiovaskuläre und Gesamtmortalität wurden nicht signifikant gesenkt. Die höchsten Atorvastatin- (80 mg) und Rosuvastatin- (40 mg) Dosen erhielten nur 27% der PatientInnen (Ezetimib nur 2,8%). Es wird nicht berichtet, ob dies durch eine Unverträglichkeit für Statine oder auf eine nicht maximale Ausnützung der Statintherapie zurückzuführen war.

Bei PatientInnen mit einem Ausgangswert des LDL-C von über 100 mg/dl (ca. ein Drittel der PatientInnen) war die Senkung des Primärparameters am stärksten ausgeprägt (HR 0,76; CI 0,65-0,87; NNT: 29) und geringer bei Ausgangswerten von 80-100 mg/dl (HR 0,96; CI 0,82-1,14) oder <80 mg/dl (HR 0,86; CI 0,74-1,01). Nur bei Ausgangswerten über 100 mg/dl waren auch die kardiovaskuläre (HR 0,69; CI 0,52-0,92) und die Gesamtmortalität (HR 0,71; CI 0,56-0,90) deutlich gesenkt.

Diese Abhängigkeit der Wirkung von der Höhe des LDL-C wurde auch in einer Studie (Spire, 2) mit Bococizumab beobachtet (eines u.a. wegen vermehrter Bildung neutralisierender Antikörper nicht registrierten Präparates). Bei PatientInnen mit einem LDL-C von 70-100 mg/dl kam es durch Bococizumab zu keiner Senkung der kardiovaskulären Endpunkte, bei über 100 mg/dl aber schon. Da diese Studie aber vorzeitig (medianer follow-up 10 Monate) abgebrochen wurde und sich auch die Länge der Behandlung und das basale Risiko zwischen den Gruppen unterschieden, sind diese Daten nicht verlässlich.

In der Fourier-Studie (n=27.564, 3) wurde Evolocumab s.c. für bis zu 3 Jahre (medianer follow-up 2,2 Jahre) verabreicht. Aufgenommen wurden PatientInnen mit hohem kardiovaskulärem Risiko (81,1% nach Herzinfarkt) und einem LDC-C von über 70 mg/dl unter einer bestehenden optimierten Statintherapie. 69,3% der PatientInnen erhielten hoch-intensive Statintherapie (40 mg Atorvastatin, 20 mg Rosuvastatin), 5% zusätzlich Ezetimib. Nach 48 Wochen sank LDL-C von 92 mg/dl um 59%. Der primäre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Hospitalisierung mit instabiler Angina oder Koronarrevaskularisierung) wurde durch die Therapie von 11,3% auf 9,8% gesenkt (HR 0,85; CI 0,79-0,92; NNT: 67 für 2,2 Jahre). Dies wurde vor allem durch eine signifikante Senkung der Notwendigkeit einer Koronarrevaskularisation (häufigster Event) und durch weniger Myokardinfarkte und Schlaganfälle verursacht. Keine Abnahme erfolgte für die kardiovaskuläre und Gesamtmortalität. Diese Effekte waren unabhängig vom Ausgangswert des LDL-C. 62% der PatientInnen stammten aus Europa. Für diese Subgruppe wurde allerdings ein geringerer (und nicht signifikanter) Nutzen sowohl für den Primär- (HR 0,91; CI 0,83-1,00) als auch Sekundärparameter (HR 0,90; CI 0,80-1,01) festgestellt.

Diskussion dieser Studien: PCSK-9-Inhibitoren senken in der Sekundärprophylaxe kardiovaskuläre Endpunkte wie Reinfarkte und koronare Revaskularisationen relativ um ca. 15% (NNT>60 für 2 bis 3 Jahre), allerdings haben sie keinen Einfluss auf die kardiovaskuläre Mortalität. In diesen Studien wurden als Basisbehandlung Statine verabreicht, wobei anscheinend nicht die maximal möglichen Statindosen ausgeschöpft wurden (insbesondere in 3). Nur bei sehr wenigen PatientInnen wurde zusätzlich Ezetimib gegeben und ein beträchtlicher Teil der PatientInnen hatte noch ein Ausgangs-LDL-C von über 100 mg/dl. Widersprüchlich blieb, ob gerade bei diesem höheren Ausgangswert der Primärparameter stärker gesenkt wurde als bei solchen mit niedrigerem Spiegel.

Eine rezente Metaanalyse (4) von 34 großen Lipidsenkerstudien (n=136.299, davon 5 Studien mit Statinen kombiniert mit PCSK-9-Hemmern) bringt nun eine gewisse Klärung. Positive Effekte der Lipidsenkung waren abhängig vom Ausgangswert des LDL-C. Für kardiovaskuläre und Gesamtmortalität wurden bei einem Ausgangsspiegel von über 100 mg/dl signifikante Senkungen gesehen, nicht jedoch unter 100 mg/dl. Für Herzinfarkte war die Senkung über 100 mg/dl deutlicher, aber auch noch unter 100 mg/dl zu sehen (HR 0,84). Leider wurden keine Daten für LDL-C-Spiegel unter 80 oder 90 mg/dl präsentiert. Wenn man allerdings die in dieser Arbeit (4) berechneten Metaregressions-Analysedaten (Abbildung 6) bis 80 mg/dl Cholesterin extrapoliert, verbleibt ein sehr geringer positiver Effekt auf das Herzinfarktrisiko.

Diese Daten unterstützen die Resultate jener großen Studien (1,2), in denen für die Senkung der Mortalität unter 100 mg/dl keine Reduktion und bei der Herzinfarktrate geringere Effekte zu sehen waren.

Nur weitere Analysen und Studien können für diese „Grauzone“ zwischen 70 und 100 mg/dl LDL-C verlässliche Daten bringen (siehe auch Editorial, 5).

Schlussfolgerungen (siehe auch rezenten Review, 6): Im Rahmen einer Sekundärprophylaxe sind zur Indikationsstellung für PCSK-9-Hemmer die limitierte Wirksamkeit auf kardiovaskuläre Endpunkte und der extrem hohe Preis zu bedenken. In jedem Fall sollte eine Sekundärprophylaxe mit Statinen begonnen werden, um einen Cholesterinspiegel von 70 mg/dl zu erreichen. Dafür bieten sich die potenteren Statine Atorvastatin und Rosuvastatin an, wenn möglich, bis zu den maximalen Tagesdosen von 80 bzw. 40 mg. Wenn diese nicht ausreichen, ist die zusätzliche Gabe von Ezetimib (10 mg) angezeigt. Nebenwirkungen der Statine, insbesondere Myalgien, können ein Problem darstellen. Allerdings sind Myopathien (signifikante Erhöhung der CK) mit ca. 1 von 1000 selten und Rhabdomyolysen noch viel seltener (ca. 1 zu 10.000; siehe Pharmainfo XXXI/2/2016). Muskelschmerzen (auch ohne CK-Erhöhungen) werden allerdings häufiger angegeben, sind aber auch ohne Statine ein weit verbreitetes Symptom. Da PatientInnen von dieser Nebenwirkung oft gehört haben, kann eine Tendenz gegeben sein, diese vermehrt zu berichten. So zeigen Studien, dass bei Absetzen der Statine diese oft nicht verschwinden, also nicht Statin-bedingt sind (siehe Pharminfo XXXI/2/2016 und 7). PatientInnen sollten über den großen erwiesenen Nutzen der Statine aufgeklärt werden, um eventuelle Muskelschmerzen „erträglicher“ zu machen. Ein pragmatischer Ansatz (unter kontinuierlicher LDL-C-Kontrolle) besteht weiters in Auslassversuchen, um Statin-bedingte Symptome zu belegen, Wechsel auf Statine mit möglicherweise geringerem Myopathie-Potential (Fluvastatin, Pravastatin), Erhöhung des Dosierungsintervalls (z.B. auf Gabe nur jeden zweiten Tag, 8) und Korrektur niedriger Vitamin-D-Spiegel (9). Wenn eine Statin/Ezetimib-Therapie nachweislich unverträglich ist und/oder der Cholesterinspiegel über 100 mg/dl verbleibt, ist eine PCSK-9-Hemmer-Therapie zu erwägen, da hierdurch Endpunkte wie Mortalität und Herzinfarktrisiko gesenkt werden.

Für den Nutzen dieser Substanzen unter einem Cholesterinspiegel von 100 mg/dl ist die Datenlage widersprüchlich. Daher erscheint es derzeit angebracht, den Einsatz von PCSK-9-Hemmern, wenn sich die Werte 70 oder auch 80 mg nähern, insbesondere vom individuellen kardiovaskulären Risiko der PatientInnen abhängig zu machen und nur bei besonders hohem Risiko eine Therapie zu erwägen (für eine detaillierte Diskussion der Risikoabwägung insbesondere auch bezüglich des Alters über oder unter 75 Jahre siehe 6 und ACC/AHA-Guideline, 10).

Schlussendlich ist festzustellen: Der hohe Preis der PCSK-9-Hemmer (ca. das Fünfzigfache der Statine) scheint mit dem limitierten Nutzen für die PatientInnen bei der Sekundärprophylaxe (unter 100 mg/dl von fraglichem Nutzen) im Vergleich zu den Statinen (NNT: 10 für 5 Jahre, auch Senkung der kardiovaskulären Mortalität, siehe 11 und Pharmainfo XXXII/4/2017) nicht begründbar zu sein.

Literatur
(1) Schwartz GG et al, NEJM 379,2097,2018
(2) Ridker PM et al, NEJM 376,1527,2017
(3) Sabatine MS et al, NEJM 376,1713,2017
(4) Navarese EP et al, JAMA 319,1566,2018
(5) Navar AM et al, JAMA 319,1549,2018
(6) Wilson PWF et al, J Am Coll Cardiol pii: S0735-1097(18)39035-1,2018
(7) Banach et al, Arch Med Sci 11,1,2015
(8) Awad K et al, Cardiovasc Drugs Ther 31,419,2017
(9) Kang et al, J Pharm Pract 30,521,2017
(10) Grundy SM et al, J Am Coll Cardiol pii: S0735-1097(18)39034-X,2018
(11) Collins R et al, Lancet 388,2532,2016

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Montag, 3. Juni 2019