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Inhalt

 

 Link intern: (siehe Pharmainfo XXIV/4/1999

Link extern:   http://www.ema.europa.eu  

 

 

Antipsychotika, einige Fragen zu Nutzen und Risiko

Martin Bauer, Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie, Medizinische Universität Wien

In Europa leidet etwa 0,5% bis 1% der Bevölkerung an Schizophrenie (Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Störungen von Wahrnehmung, Stimmung und Antrieb), das geschlechtsspezifische Erkrankungsrisiko liegt bei 1:1,4 (Frau:Mann; 1). Bei etwa 30% der Erkrankten bilden sich alle Symptome vollständig zurück, bei ungefähr 40% kommt es zu einem phasenhaften Verlauf mit Krankheitsepisoden und bei etwa weiteren 30% der Erkrankten ergibt sich ein chronischer Verlauf (2). PatientInnen mit Schizophrenie haben eine zwei- bis dreifach erhöhte Sterblichkeit im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, was einer Reduktion der Lebensdauer um 10-25 Jahre entspricht (3).

Seit den 1950er Jahren stehen mit den Antipsychotika der ersten Generation wie Haloperidol erstmalig Medikamente zur Schizophreniebehandlung zur Verfügung. Antipsychotika sind aus pharmakologischer Sicht eine heterogene Gruppe von Verbindungen, welche durch ihre Wirkung am Dopamin-D2-Rezeptor einen antipsychotischen Effekt haben (4). Ursprünglich bezeichnete der Begriff „atypisch“ (zweite Generation, siehe Pharmainfo XVII/4/2002) jene Antipsychotika, die in Tiermodellen keine Katalepsie (Muskelstarre) hervorrufen. Gegenwärtig wird dieser Begriff verwendet, um sowohl klinische (vermindertes Auftreten von extrapyramidalen Effekten) als auch chemische Eigenschaften (Rezeptor-Profil) zu beschreiben (5). Zudem scheint der Serotonin-Rezeptor (5-HT)2A-Antagonismus und/oder 5-HT1A-Agonismus bei der therapeutischen Wirkung von atypischen Antipsychotika von Bedeutung zu sein, während Nebenwirkungen meist dosisabhängig von histaminergen, cholinergen, alpha-adrenergen und anderen Rezeptoren vermittelt werden (6,7).

 

1. Welche Antipsychotika sind in Österreich registriert?

Zu den in Österreich erhältlichen Antipsychotika der ersten Generation zählen neben Haloperidol (Haldol), Chlorprothixen (Truxal), Flupentixol (Fluanxol), Levomepromazin (Nozinan), Loxapin (Adasuve), Melperon (Buronil) und Zuclopenthixol (Cisordinol). Antipsychotika der zweiten Generation sind Asenapin (Sycrest), Aripiprazol (Generika, Abilify), Amisulprid (Solian), Clozapin (Leponex, Lanolept), Lurasidon (Latuda), Olanzapin (Generika, Zyprexa), Paliperidon (Invega), Prothipendyl (Dominal forte), Quetiapin (Generika, Seroquel), Risperidon (Generika, Risperdal), Sertindol (Serdolect), Sulpirid (Dogmatil, Meresasul), Tiaprid (Delpral) und Ziprasidon (Generika, Zeldox). Wobei Asenapin, Melperon, Prothipendyl und Tiaprid nicht zur Therapie der Schizophrenie zugelassen sind.

Österreichweit wurden im Jahr 2014 knapp 2,25 Millionen Verordnungen von Antipsychotika refundiert. Der Anteil an atypischen Antipsychotika lag bei 91,4%, jener der typischen i.e. der ersten Generation bei 8,6% (Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger).

 

2. Wie wird ihre Wirkung bestimmt?

Die Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS) wird in Klinischen Studien verwendet, um die Ausprägung von Schizophrenie-Symptomen zu bestimmen. Das ungefähr 50 Minuten dauernde klinische Interview setzt sich aus drei Teilen zusammen, welche Positiv- (z.B. Wahnideen, Halluzinationen, Erregung; 7 Items), Negativ- (z.B. Affektverflachung, emotionale Isolation, mangelnde Beziehungsfähigkeit, passiv-apathische soziale Isolation, erschwertes abstraktes Denkvermögen; 7 Items) und generelle psychopathologische Symptome (z.B. Angst, Schuldgefühle, Gespanntheit, Aufmerksamkeitsschwäche, Depression; 16 Items) umfassen (8). Als Ergebnis wird ein Wert angegeben, der von 30 - 210 Punkten reicht.

Beispiel für Daten von repräsentativen Studien

Eine Metaanalyse von Placebo-kontrollierten Studien mit 611 Schizophrenie-PatientInnen zeigte: Je schwerer krank (hoher PANSS-Wert) die PatientInnen direkt vor Therapiebeginn sind, desto größer ist der Unterschied zwischen Verum und Placebo. Nach 6-wöchiger Akut-Behandlung mit Risperidon oder Olanzapin lag die Reduktion der PANSS im Vergleich zur Placebogruppe bei 9,5 Punkten für zu Beginn der Studie leicht kranke (Ausgangs-PANSS 58), 13,7 Punkte für mäßig kranke (Ausgangs-PANSS 75), 18,8 Punkte für deutlich kranke (Ausgangs-PANSS 95) und 24,0 Punkte für schwer kranke PatientInnen (Ausgangs-PANSS 116). Bei PatientInnen mit einem Ausgangs-PANSS von 50 liegt die number needed to treat (NNT) bei 12, wohingegen bei einem Baseline-Wert von 140 eine NNT von 3 errechnet wurde (9). Generell ist die Anzahl von Studienabbrechern hoch. Lediglich 60,7% (n = 4.231/6.971) der PatientInnen aus dem Verum-Arm und 51,7% (n = 1.137/2.200) der Placebo-Kontrollen beendeten Studienwoche 6 (10).

 

3. Wie lang sollen Antipsychotika gegeben werden?

Bei einer Erstmanifestation sollte eine medikamentöse antipsychotische Behandlung, mit typischen oder atypischen Antipsychotika in niedriger Dosierung, über mindestens 12 Monate erfolgen. Nach einem ersten Rezidiv sollte eine medikamentöse Behandlung mit typischen oder atypischen Antipsychotika kontinuierlich für 2 bis 5 Jahre (und nach multiplen Rezidiven gegebenenfalls lebenslang) erfolgen (11,12).

Bei erstmaliger psychotischer Episode ist das Ansprechen auf die Therapie sehr hoch (bis zu 87%, Mediane Zeit bis zur Response 9 Wochen: 13). Im einjährigen Verlauf lag die Rückfallwahrscheinlichkeit bei placebokontrollierten Studien unter Medikation bei 27% und 64% für die Placebogruppe (14). Besonders wichtig ist die Therapieadhärenz. So erlitten 53% der PatientInnen nach Absetzen der antipsychotischen Medikation innerhalb eines Jahres einen Rückfall, im Vergleich zu 16% bei regelmäßiger Medikamenteneinnahme (15).

Doch wie ist die Situation im klinischen Alltag? Eine retrospektive Studie in 34.128 PatientInnen mit Schizophrenie zeigte, dass während des 4-jährigen Beobachtungszeitraums 18% der PatientInnen die medikamentöse Therapie gar nicht, 43% unregelmäßig und 39% regelmäßig einnahmen (16).

 

4. Gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den Substanzen?

a) Wirkungsvergleich

Hinsichtlich einer generell besseren Wirksamkeit von atypischen gegenüber typischen Antipsychotika gibt es keine stringenten Hinweise (17-21). Atypischen Antipsychotika wurde als Gruppe insbesondere eine bessere Wirksamkeit auf negative Symptome und für Lebensqualität zugesprochen. Eine Metaanalyse von 150 Studien (21) konnte dies nicht bestätigen, da auch Präparate der ersten Generation in diesem Punkte mit atypischen vergleichbare Wirkung zeigten („efficacy on negative symptoms cannot be a core component of atypicality“). In dieser Analyse (siehe auch 22) erwiesen sich die Präparate Clozapin, Amisulprid, Olanzapin und Risperidon als etwas stärker wirksam, Lurasidon und Iloperidon als schwächer als 9 weitere Präparate der ersten und zweiten Generation. Ob diese Unterschiede aber klinisch relevant sind ist zweifelhaft. Für Clozapin dürfte allerdings gelten, dass für PatientInnen mit therapierefraktärer Schizophrenie eine hochdosierte Therapie mit dieser Substanz (Cave: Agranulozytoserisiko, kumulative Inzidenz 0,78%) anderen Medikamenten überlegen sein dürfte (23,24).

b) Nebenwirkungsvergleich

Deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Substanzen bestehen hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils. Am Beginn der Markteinführung der atypischen Antipsychotika wurden geringere Nebenwirkungen insbesondere im extrapyramidalen Bereich propagiert. Es stellte sich aber dann heraus, dass diese Substanzen zusätzlich andere und auch gravierende Nebenwirkungen hatten.

Extrapyramidale Störungen: Atypische Antipsychotika zeigen tatsächlich weniger Bewegungsstörungen (Frühdyskinesien wie z.B. Blick- oder Zungenkrampf, Dystonie, Sitzunruhe; Spätdyskinesien wie beispielsweise Grimassieren, unwillkürliche Bewegungen von Zunge oder der Extremitäten). Innerhalb der Antipsychotika gibt es aber doch deutliche Unterschiede für diese Nebenwirkung (21,22). Clozapin, Sertindol und Olanzapin zeigen sich hinsichtlich extrapyramidal-motorischer Störungen als besonders günstig, im Gegensatz zu Lurasidon und Haloperidol (22).

Sedierung wurde unter Amisulprid und Paliperidon wesentlich seltener als bei Quetiapin, Ziprasidon und Clozapin berichtet (22).

Stoffwechselanomalien: Antipsychotika können Stoffwechselanomalien wie Fettleibigkeit, Hyperglykämie, Dyslipidämie und metabolisches Syndrom induzieren, die mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert sind (25). Ein Kardinalsymptom des metabolischen Syndroms ist die Gewichtszunahme, welche unter Haloperidol, Ziprasidon und Lurasidon am geringsten, mit Iloperidon, Clozapin und Olanzapin am größten war (22). So trat bei Olanzapin-Gabe für ein Jahr bei 80% der PatientInnen eine Zunahme von im Mittel mehr als 10 kg auf (26).

Hyperprolaktinämie ist eine häufige Nebenwirkung von Antipsychotika (bis zu 45% der PatientInnen: 27). Zu den durch Hyperprolaktinämie bedingten kurz- und langfristigen Beschwerden zählen Galaktorrhoe, Gynäkomastie, Menstruationsstörungen, Unfruchtbarkeit, sexuelle Dysfunktion, verminderte Knochendichte (28). Trotz des Hyperprolaktinämierisikos sollte gemäß der aktuellen Datenlage Krebs- und insbesondere Brustkrebspatientinnen eine aus klinischer Sicht notwendige antipsychotische Therapie nicht vorenthalten werden (29). Hinsichtlich der Häufigkeit einer Prolaktinerhöhung liegen Aripiprazol und Quetiapin im Bereich von Placebo, wohingegen Risperidon, dessen aktiver Metabolit Paliperidon und Haloperidol das ungünstigste Profil aufweisen (22).

Die QTc-Zeit liegt bei Gesunden im Mittel bei 420 ms (Frauen maximal 470 ms, Männer maximal 450 ms). Verlängert sich das QTc-Intervall über 500 ms, besteht ein deutlicher Risikofaktor für das Auftreten von Torsade de Pointes (30-32). Diese Sonderform der ventrikulären Tachykardie kann in ein potentiell lebensbedrohliches Kammerflimmern mit plötzlichem Herztod übergehen. Besonders die Kombination von atypischen Antipsychotika wirkt sich QTc-Zeit-verlängernd aus; dieser Effekt nimmt mit steigender Dosis zu (33). QTc-Zeit-Verlängerung ist unter Lurasidon und Aripiprazol auf Placebo-Niveau, wohingegen sie unter Ziprasidon, Amisulprid und besonders Sertindol am größten ist (22).

Therapieabbrüche

Die Anzahl der durch Nebenwirkungen bedingten Therapieabbrüche ist unter Amisulprid, Olanzapin und Clozapin am niedrigsten, bei Sertindol, Lurasidon und Haloperidol am höchsten (22).

Kritische Bemerkungen zu einzelnen Substanzen:

Sertindol: Wegen Sicherheitswarnungen wurde Sertindol vom Hersteller bereits 1998-2002 vom Markt genommen, nachdem von 36 ungeklärten Todesfällen und 13 schweren, aber nicht tödlichen Arrhythmien berichtet wurde (34), wurde dann aber als Reservemittel wieder zugelassen. Im Schnitt liegt die durch Sertindol hervorgerufene QTc-Zeit-Verlängerung bei 19 msec (35). Die number needed to harm (NNH) für eine QTc-Zeit-Verlängerung auf zumindest 500 msec liegt bei 12,8 (36). Da es genügend Alternativen gibt, ist ein Einsatz von Sertindol schwer zu vertreten.

Lurasidon: Die (mit Ziprasidon strukturell verwandte) Substanz Lurasidon wirkt antagonistisch auf D2-, 5-HT2A-, 5-HT7-, α-Adreno-Rezeptoren und als partieller Agonist auf 5-HT1A-Rezeptoren. Wegen seiner sehr geringen Affinität zu anderen Targets dürfte sich ein günstigeres Nebenwirkungsprofil hinsichtlich des Einflusses auf die QTc-Zeit und wenig sedierende Wirkung ergeben, hingegen sind die extrapyramidalen Effekte ausgeprägt (22). Insbesondere ist aber die antipsychotische Wirkung schwach (vorletzte Stelle bei 15 untersuchten Antipsychotika: 22) und einzelne, geringe Nebenwirkungen sind daher wenig relevant.

Iloperidon: Die (mit Risperidon strukturverwandte) Substanz Iloperidon wirkt als Antagonist auf die Dopamin-D2, 5-HT2A- und Adreno-Rezeptoren. Der Antrag auf Zulassung bei der EMA wurde von Seiten des Herstellers 2013 zurückgezogen (in den USA zugelassen). Wie oben angeführt hat Iloperidon von allen Antipsychotika die geringste Wirkung (im Vergleich zu Placebo: 22,37).

Asenapin: Die Datenlage für den Einsatz von Asenapin (Rezeptorprofil: antagonistisch auf D2, 5-HT2A, Histamin und α-Adrenerg) bei Schizophrenie ist spärlich. Es gibt Hinweise auf eine bessere Wirkung als Placebo hinsichtlich der Positiv-, Negativ- und depressiven Symptome (38). Eine Zulassung von Asenapin bei der Indikation Schizophrenie (derzeitige Zulassung nur für manische Episode im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung) wurde von der EMA u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass basierend auf den vorgelegten Daten die „Größe der beanspruchten Wirksamkeit von zweifelhafter klinischer Bedeutung“ sei (39: trotzdem in den USA zugelassen). Es ist zu begrüßen, dass die europäischen Behörden bei der Zulassung stringentere Kriterien als die FDA anwenden. 

Loxapin: Diese Substanz erhielt 2013 eine europäische Zulassung, sie wirkt antagonistisch am D2-, 5-HT2A-, Histamin-, α-Adreno- und Muskarin-Rezeptor. Loxapin ist als Spray zur Inhalation zur Behandlung von leichter bis mittelschwerer Agitiertheit bei PatientInnen mit Schizophrenie oder bipolarer Störung, die sich in Bezug auf die Anwendung eines Inhalators kooperativ zeigen, zugelassen. In den beiden Zulassungsstudien zeigte sich erst ab 30 Minuten nach Verabreichung eine 40%ige Abnahme des „PANSS excitement component“ Agitations-Scores bei 60% der PatientInnen mit Verum, im Vergleich zu 26% mit Placebo (40). Loxapin darf nur in einem Krankenhausumfeld und unter Aufsicht von medizinischem Fachpersonal angewendet werden. Es muss eine bronchodilatatorische Therapie mit einem kurzwirksamen Beta2-Agonisten für die Behandlung von möglichen schwerwiegenden respiratorischen Nebenwirkungen (Bronchospasmus) verfügbar sein (siehe Fachinformation). Besonders bei PatientInnen mit COPD und Asthma, für die Loxapin jetzt kontraindiziert ist, kam es in einem hohen Prozentsatz (19,2% bzw. 53,8%; siehe EPAR: 40) zu Spasmen. Hinzu kommen potentiell gefährliche QTc-Zeit-Verlängerungen durch Medikamenteninteraktionen. Die meisten Nebenwirkungen der Substanz sind mit jenen anderer Antipsychotika vergleichbar (40). Ob für dieses Präparat zur Inhalation ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis für PatientInnen besteht, ist aus derzeitiger Sicht fraglich. Inwieweit ein/e agitierte/r Patient/in kooperativ für die Inhalation ist, ist ebenfalls unklar. Alternativen sind i.m. Injektionen von Antipsychotika (Aripiprazol: Abilify Injektionslösung, Haloperidol: Haldol Injektionslösung und Zuclopenthixol acetat: Cisordinol Acutard).

 

5. Wie sind Depot-Präparate im Vergleich zu einer oralen Dauertherapie zu bewerten?

Depotpräparate zur intramuskulären Injektion von Antipsychotika werden hauptsächlich zur Erhaltungstherapie nach vorheriger oraler antipsychotischer Therapieeinstellung eingesetzt. Für die Antipsychotika der ersten Generation Haloperidol (Haldol Decanoat), Flupentixol (Fluanxol Depot) und Zuclopenthixol (Cisordinol Depot) und jene der zweiten Generation Aripiprazol (Abilify Maintena), Olanzapin (Zypadhera), Risperidon (Risperdal Consta) und Paliperidon (Trevicta Depot, Xeplion Depot) stehen Depotpräparate zur Verfügung.

Gegenüber Präparaten der ersten Generation waren jene der zweiten nicht überlegen (z.B. Paliperidon und Olanzapin versus Haloperidol: 41,42).

Ob ein Unterschied in der Wirksamkeit von oralen bzw. Depotformulierungen bei PatientInnen mit Schizophrenie besteht ist widersprüchlich. Dies mag auch daran liegen (siehe 43), dass das Studiendesign das Studienergebnis wesentlich beeinflusst. In randomisierten kontrollierten Studien wurde kein Unterschied festgestellt (siehe Metaanalysen 44,45). Cochrane-Metaanalysen zeigten z.B. keine überlegene Wirksamkeit der Depotformulierung gegenüber der oralen Einnahme für Flupenthixol (46), Haloperidol (47) und Risperidon (48). Hingegen wurde in nicht randomisierten Beobachtungsstudien eine geringere Rezidiv- und Rehospitalisierungsrate mit Depotpräparaten festgestellt (siehe 43,45). Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass in randomisierten Studien die Compliance der PatientInnen besser kontrollierbar ist, während Beobachtungsstudien mehr der „real life“ Situation entsprechen (45).

Bei der intramuskulären Verabreichung kann es zum Postinjektionssyndrom kommen (Frequenz 0,1%: 12), das durch Sedierung, Delir, Schwäche, Konfusion und Muskelspasmen gekennzeichnet ist. Es tritt vor allem in der ersten Stunde nach Injektion auf (12) mit  einem Abklingen der Symptome innerhalb von 24 – 72 Stunden nach der Injektion. Es ist möglicherweise durch Injektion in ein Gefäß oder in dessen Nähe bedingt (12).

Ein Vorteil der Depotpräparate dürfte eine bessere Compliance sein (12), Nachteile sind das Postinjektionssyndrom, die Tatsache, dass bei starken Nebenwirkungen das Präparat nicht sofort abgesetzt werden kann und natürlich auch die hohen Kosten. Diese Punkte sprechen dafür, vor allem PatientInnen mit einem Risiko für schlechte Therapieadhärenz für eine Depottherapie vorzusehen.

 

6. Hat eine Kombination von Antipsychotika Vorteile gegenüber einer Monotherapie?

Co-Medikation von 2 Antipsychotika wird aufgrund der beschränkten Wirksamkeit und Effektivität der derzeitigen Behandlungsstrategien häufig eingesetzt, z.B. in USA bei 25% der Schizophrenie-PatientInnen (49), in Deutschland bis zu 50% (50). Es herrscht aber Konsens darüber, dass die antipsychotische Monotherapie die bevorzugte Behandlung darstellt (51).

Unter Monotherapie dürfte aufgrund von weniger Nebenwirkungen die Anzahl an Therapieabbrüchen geringer sein als unter Polypharmazie (49,52). Für einen Reduktionsversuch bei PatientInnen mit starken Nebenwirkungen unter 2 Antipsychotika spricht, dass nach Umstieg auf Monotherapie bei 69-80% der PatientInnen keine Verschlechterung des psychopathologischen Zustandsbildes zu beobachten war (52,53).

Ob bei therapierefraktärem Krankheitsverlauf eine Kombinationstherapie eine bessere Wirkung erzielt ist fraglich: „there is still only limited evidence for the efficacy of combining antipsychotics“ (12), aber „in cases of severe treatment resistance a combination of 2 antipsychotics is acceptable“ (12), z.B. Clozapin plus ein weiteres Antipsychotikum (51).

 

7. Risiko bei dementen PatientInnen

Bei PatientInnen mit Demenz kommt es häufig neben dem Auftreten von Schlafstörungen (46%) zu depressiven Symptomen (57%), Wahn und Halluzinationen (41%), Agitation (51%) und aggressiven Zustandsbildern (17%: 54). Besonders das Management letzterer Symptome stellt eine Herausforderung bei der nicht-medikamentösen und medikamentösen Therapie dar (siehe Pharmainfo XXI/4/2006). Der einzige in Europa zugelassene Wirkstoff zur Kurzzeitbehandlung (bis zu 6 Wochen) von anhaltender Aggression bei PatientInnen mit mäßiger bis schwerer Alzheimer-Demenz, die auf nicht-pharmakologische Methoden nicht ansprechen und wenn ein Risiko für Eigen- und Fremdgefährdung besteht, ist Risperidon. Es ist gängige Praxis auch andere Antipsychotika Off-Label zu verabreichen. Diese Medikamente erhalten in England 10,1% der Demenz-PatientInnen im ambulanten Betreuungs-Setting und 30,2% in Pflegeheimen (55). Ein Trend hinsichtlich steigender Verschreibungszahlen wurde mehrfach berichtet (55-57). In Österreich erhielten 2000-2012 43,6% der PatientInnen zusätzlich zu einem Antidementivum auch ein Antipsychotikum (58). Unter dem Einsatz von Antipsychotika steigen die Inzidenz für Mortalität und das Risiko eines cerebrovaskulären Zwischenfalls (59,60). Diese nachteiligen Effekte dürften dosisabhängig sein (60). Im Vergleich mit PatientInnen ohne Antipsychotikum erhöhte sich das absolute Mortalitätsrisiko in 180 (!) Tagen bei Haloperidol um 3,8% (NNH von 26), gefolgt von Risperidon 3,7% (NNH von 27), Olanzapin 2,5% (NNH von 40) und Quetiapin 2,0% (NNH von 50: 59). Eine Indikation kann daher nur gegeben sein, wenn das Risiko für Selbst- oder Fremdgefährdung (siehe Fachinformation) besteht. Weiters sollte aufgrund der Erkenntnis, dass bei vielen älteren Menschen mit Alzheimer-Demenz und neuropsychiatrischen Symptomen die Erhaltungstherapie mit Antipsychotika ohne nachteilige Auswirkungen auf ihr Verhalten abgesetzt werden kann (61), die Verabreichung von Antipsychotika möglichst kurz gehalten werden.

 

Zusammenfassung

Eine Monotherapie für die von den Guidelines empfohlene Dauer ist das primäre Ziel der Therapie. Während früher die Gruppe der atypischen Antipsychotika als „die besseren Präparate“ propagiert wurden, gilt dies heute nicht mehr (siehe z.B. 12,51). Zwischen Präparaten der ersten und zweiten (atypische) Generation gibt es zwar quantitative Unterschiede bezüglich Wirkung und Nebenwirkungen, aber keinen qualitativen Gruppenunterschied. Es gibt keine Daten, die einer Gruppe oder einer Substanz entscheidende Vorteile in der Risiko/Nutzenabwägung zusprechen (Ausnahme: Clozapin; aber lediglich „third-line“ Therapie, Blutbildkontrollen vorgeschrieben).

Da die Wirkungsstärke der Antipsychotika vergleichbar ist, sollte die Auswahl einer Substanz vor allem nach dem Nebenwirkungsprofil, das deutliche Unterschiede zwischen den Substanzen zeigt, und der individuellen Ausgangssituation der PatientInnen erfolgen.

Bei dementen PatientInnen mit Agitiertheit sind Antipsychotika wegen einem erhöhten Mortalitätsrisiko nur bei strengster Indikation vertretbar.

 

Literatur:
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ASS und Krebsprophylaxe: ein Zwischenbericht

Ein rezenter Kommentar in JAMA Oncology trägt den Titel Aspirin for cancer prevention - one step closer“ (1). Sind wir wirklich so „close“? Bereits im Jahr 2012 (Pharmainfo XXVII/3) schlossen wir eine ausführliche Diskussion zur Präventionsverwendung von ASS (Acetylsalicylsäure) mit dem Satz: „Nachdem rezente Metaanalysen ein positives Nutzen/Risikoverhältnis bei der primären kardiovaskulären Prävention in Frage gestellt haben, könnte ASS als wirksame Krebsprävention das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen lassen“.

Im Jahre 2012 waren insbesondere 2 Arbeiten (2,3) einer englischen Arbeitsgruppe wesentlich, in denen über eine Reduktion der Karzinominzidenz nach mindestens 5 Jahren ASS von 37% berichtet wurde, bedingt vor allem durch gastrointestinale Tumoren, aber auch durch solche von Lungen, Prostata und Mamma. Dieselbe Arbeitsgruppe (zusammen mit weiteren internationalen AutorInnen) hat nun (4) eine Analyse von derzeit verfügbaren Case Control-, Kohorten- und RCT-Studien publiziert. Nach 10 Jahren ASS und einer Gesamtbeobachtungszeit von 15 Jahren sank die Karzinominzidenz um 10%, vor allem bedingt durch eine deutliche Senkung von gastrointestinalen Tumoren. Für Lungen-, Prostata- und Mamma-Karzinome waren die Daten der Studien inkonsistent („at most small effects are seen at these cancer sites“). Gegenüber den ursprünglichen Daten (2,3) war dies eine doch deutliche Änderung, i.e. eine geringere Reduktion der Gesamtinzidenz und nur mehr für gastrointestinale Tumoren gültig. In die gleiche Richtung geht eine Analyse (5) von zwei großen US-Kohorten-Studien (Nurses’ Health Study and Health Professional Follow up Study) mit 135.965 Personen. Nach einer laufenden Einnahme von ASS über mindestens 6 Jahre kam es zu einem sehr gering, aber signifikant reduzierten Risiko für alle Karzinome (RR 0,97; CI 0,94 – 0,99), aber zu einem deutlichen Benefit für gastrointestinale Tumoren (RR 0,85; CI 0,80 – 0,91), insbesondere Kolonkarzinome (RR 0,81; CI 0,75 – 0,88), aber zu keiner Reduktion von Brust-, Prostata- und Lungenkrebs. In einer Case-Control Studie wurde kürzlich (5a) eine 70% Reduktion von Cholangiokarzinom nach mindestens 3jähriger ASS-Einnahme beschrieben.

Eine umfassende Analyse (6) für die US Preventive Task Force kommt zu analogen Ergebnissen (Gesamtinzidenz: RR 0,98; CI 0,93 – 1,04; kolorektales Karzinom: RR 0,60; CI 0,47 – 0,76).

Inzwischen wurde auch ein Bezug zwischen ASS-Karzinomprävention und dem jeweiligen Genotyp festgestellt (7,8). Bei Personen mit dem rs 2965667-TT Genotyp (96% der Fälle) war das Risiko für Kolonkarzinome um 34% reduziert, bei denen mit TA oder AA (4% der Fälle) aber um 89% erhöht.

Welche Konsequenzen ergeben sich nun aufgrund dieser Daten für eine Langzeitprophylaxe mit ASS von Karzinomen und für die schon seit langem diskutierten kardiovaskulären Erkrankungen?

Um die komplexen Daten leichter erfassbar zu machen, wollen wir den Nutzen und das Risiko jeweils mit der NNT (Number Needed to Treat) bzw. NNH (Number Needed to Harm) für eine ASS-Prophylaxe von mindestens 10 Jahren und einer Beobachtungszeit von 15 Jahren ausdrücken. In der Pharmainfo XXV/2/2010 erhielten wir für die damaligen Daten eine NNT für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (Myokardinfarkt, Schlaganfälle) von 1.660/Jahr, auf 15 Jahre berechnet von 117. Dass dieser Nutzen natürlich vom Alter der PatientInnen, bei denen die Prophylaxe begonnen wurde, und auch dem Geschlecht abhängt, zeigt sich bei den Inzidenzraten aus einer rezenten Publikation (4: Tabelle 4). Diese ergeben einen Bereich von 77 (für Männer ab 65 Jahren) bis zu 500 (für Frauen ab 50 Jahren).

In der oben zitierten Analyse (4) werden zwar Daten für alle Karzinome angegeben (NNT 40 – 130), aber da einige AutorInnen diese als nicht ausreichend betrachteten („the evidence is still too limited“), wurde im Supplementum dieser Publikation (Table W3) die Inzidenz nur für gastrointestinale Tumoren gezeigt. Hierfür belaufen sich die NNT’s von 59 (Männer über 65 Jahre) bis zu 250 (Frauen ab 50 Jahren).

In der amerikanischen Studie (5) wurde für PatientInnen, bei denen eine Koloskopie durchgeführt wurde, eine NNT von 370 gefunden, ohne Koloskopie in der Anamnese von 200. Koloskopie reduziert also den Vorteil einer ASS-Prophylaxe.

Das Hauptrisiko für ASS sind Blutungen. In der Pharmainfo XXVII/3/2012 wurden NNH-Werte für schwere extrakraniale Blutungen zwischen 66 – 220 für 15 Jahre Prophylaxe berichtet. Werte von 122 für Männer über 65 Jahre, hingegen 630 für jüngere Frauen ab 50 Jahren zeigen, dass höheres Alter ein größeres Blutungsrisiko bedingt (4). Weitere NNH-Daten sind 83 – 660 (9) und 185 (10).

Für hämorrhagische Schlaganfälle wurden NNH’s von 660 (4) bzw. 833 (10) berichtet.

Von den schweren Blutungen und gastrointestinalen Komplikationen (Ulcera) können 5 – 10% tödlich ausgehen, daraus ergeben sich für 5% NNH-Werte von 500 – 1.660.

Schlussfolgerungen:

Die Zahlen für NNT und NNH streuen je nach Analyse über einen weiten Bereich, auch dadurch bedingt, dass insbesondere NNH von Alter und Geschlecht der Personen abhängt, höher bei Männern und steigend mit dem Alter.

Nach wie vor ist eine Primärprophylaxe mit ASS nur für kardiovaskuläre Erkrankungen aufgrund dieser Daten nicht begründbar (NNT: 77 – 500, NNH: 66 – 660).

Es sei daran erinnert, dass für die Sekundärprophylaxe (z.B. nach Herzinfarkt) eine NNT von 66 pro Jahr (!) gilt (umgerechnet auf 15 Jahre, allerdings ohne Studiendaten für diese Zeit von 4,4: siehe Pharmainfo XXVII/3/2012).

Ein ca. verdoppelter Nutzen tritt auf, wenn man die NNT für kardiovaskuläre und Karzinom-Prophylaxe zusammennimmt. Den Unterschied zu der NNH kann man dann als „Benefit“ (4,10) berechnen, aber offensichtlich mit großer Unsicherheit.

Trotzdem hat die US Prevent Services Task Force folgende Empfehlung abgegeben (11): Personen zwischen 50 – 59 Jahre mit einem 10%igen oder höheren Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und ohne hohes Blutungsrisiko sollten ASS für mindestens 10 Jahre einnehmen, zwischen 60 und 69 nur auf einer individuellen Basis („patient preferences“ – ein eher diffuser Begriff), unter 50 Jahren und über 70 sollte keine Prophylaxe erfolgen. Hingegen findet eine andere ausführliche Analyse (4) den größten Benefit bei Personen über 60 bzw. 65 und nicht zwischen 50 und 60 Jahren. Unklar ist auch, inwieweit eine breitgestreute und regelmäßige Vorsorge mit Koloskopie eine ASS-Karzinomprävention weniger relevant macht.

Derzeit ist eine generelle Empfehlung zur ASS-Prophylaxe schwer zu vertreten, aber auch die Definition von Subgruppen für eine Prophylaxe erscheint noch verfrüht (siehe auch 12 für Diskussion).

Wenn wir zu den Zitaten am Beginn dieser Analyse zurückkehren, sind wir einen step closer“ aber nicht sehr „close“ für eine Prophylaxe. Aufgrund der nun doch weniger eindrucksvollen Daten bezüglich Prophylaxe für Tumore außer denen des Gastrointestinaltraktes dürfte der „Ausschlag des Pendels“ verlangsamt, wenn nicht deutlich geringer ausfallen.

 

Literatur:
(1)     JAMA Oncol 2,770,2016
(2)     Lancet 379,1591,2012
(3)     Lancet 379,1602,2012
(4)     Ann Oncol 26,47,2015
(5)     JAMA Onc 2,762,2016
(5a)   Hepatology 64,785,2016
(6)     Ann Intern Med 164,814,2016
(7)     JAMA 313,1133,2015
(8)     JAMA 313,1111,2015
(9)     Eur J Epid 30,5,2015
(10)   Curr Colorect Canc Rep 12,27,2016
(11)   Ann Intern Med 164,836,2016
(12)   Nature Rev Cancer 16,173,2016

 

Topische und systemische Therapeutika der Psoriasis vulgaris

Gudrun Ratzinger, Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Medizinische Universität, Innsbruck

Im Jahr 2011 wurde die Therapie der Psoriasis vulgaris bereits in der Pharmainfo (XXVI/4) ausführlich besprochen, wir konzentrieren uns daher auf neue Resultate und inzwischen registrierte Substanzen.

Die topische Therapie bestehend aus indifferenter Basistherapie und wirkstoffhältigen Salben (v.a. Glukokortikosteroiden und Vitamin-D3-Derivaten) ist nach wie vor die erste Behandlungssäule. Danach können Phototherapie und klassische Systemtherapeutika wie Methotrexat (Generika) und Fumarsäure (Fumaderm, in Österreich nicht zugelassen) recht gute Erfolge bei überschaubaren Nebenwirkungen erzielen. Acitretin (Keracutan) hingegen wird wegen zu geringer Wirkung in den neuen S3-Leitlinien (1) nicht mehr zur Monotherapie bei Psoriasis vulgaris empfohlen. Es bleibt aber in der Kombination mit UV-Therapie und in der Behandlung der Psoriasis pustulosa eine effektive Option. Die Biologika haben in den letzten Jahren die Therapie der Psoriasis revolutioniert. Auf diesem Sektor hat es auch zuletzt wieder einige Neuerungen gegeben, die unser Armamentarium deutlich erweitert haben.

Die Schwere der Psoriasis vulgaris wird u.a. mit dem PASI (Psoriasis Activity and Severity Index) beurteilt. Rötung, Infiltration und Schuppung werden an verschiedenen Körperarealen beurteilt (Kopf, Rumpf, obere Extremitäten, untere Extremitäten), zusätzlich wird noch die Ausdehnung der Hauteffloreszenzen eingerechnet. Daraus ergibt sich ein Wert zwischen 0 und 72. Ab einem PASI von 10 wird eine Psoriasis als systemisch behandlungsbedürftig eingestuft. Ein zufriedenstellender Therapieerfolg wird als PASI 75 (75% Besserung) oder zuletzt auch als PASI 90 (90% Besserung) bis zu PASI 100 (100% Besserung) angegeben. Erscheinungsfreiheit wurde durch die neuen, hochpotenten Therapien für einen nicht unbeträchtlichen Teil der PatientInnen zur Realität.

 

TNFα-Antagonisten (1)

Die TNFα-Antagonisten Adalimumab (Humira), Etanercept (Enbrel) und Infliximab (Remicade) sind für erwachsene PatientInnen mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis vulgaris und Psoriasisarthritis zu empfehlen, wenn klassische Therapieformen keinen ausreichenden Therapieerfolg gezeigt haben, unverträglich oder kontraindiziert sind. Wenn eine weitgehend isolierte Psoriasisarthritis vorliegt, kommen zusätzlich Golimumab (Simponi) und Certolizumab (Cimzia) in Frage, die für die Psoriasis vulgaris aufgrund mangelnder Wirkung nicht zugelassen sind. Nach Auslaufen des Patents für Remicade im Jahr 2015 sind 2 Infliximab-Biosimilars (Remsima, Inflectra) auf den Markt gekommen. Da die Vergleichbarkeit dieser Biosimilars in der Behandlung der rheumatoiden Arthritis und der ankylosierenden Spondylitis nachgewiesen wurde, wird diese auch auf die Psoriasis vulgaris und die Psoriasisarthritis extrapoliert (2). Man kann davon ausgehen, dass die Biosimilars vergleichbar gut wirken wie die Originalpräparate. Der Vorteil liegt in der Wirtschaftlichkeit, das Ausmaß ist noch in Diskussion. Inwieweit das Umstellen oder Austauschen der Präparate empfohlen werden kann (non-medical switch), ist ebenfalls noch in Diskussion, die entsprechenden Studiendaten werden erwartet. 

In der Gruppe der TNFα-Antagonisten gibt es Unterschiede bezüglich der Wirksamkeit. Die vergleichsweise geringere Wirksamkeit von Etanercept (Enbrel) ist jedoch in Relation zu dem günstigeren Nebenwirkungsprofil zu sehen. Für Etanercept gibt es auch bereits ein Biosimilar (Benepali), weitere sind bereits angekündigt.

Gelegentlich kommt es im Therapieverlauf zur Ausbildung von neutralisierenden Anti-Drug Antibodies (ADA), die zu Wirkverlust führen. Sie sind v.a. bei Infliximab, aber auch bei Adalimumab beschrieben. Der Zusatz von niedrig-dosiertem MTX kann die Ausbildung von ADAs vermindern und somit das drug survival erhöhen (3).

Für die Therapie von Schwangeren liegen keine ausreichenden Daten vor. Deshalb wird bei Frauen laut S3-Leitlinie (1) ein Absetzen der Therapie 5 Monate vor der geplanten Konzeption empfohlen. Da allerdings monoklonale Antikörper aufgrund ihrer Größe nicht durch die Plazenta diffundieren können (1. Trimenon), besteht eigentlich erst ab dem 2. Trimenon (aktiver Transport) die Möglichkeit und Gefahr einer Akkumulation im Fetus (4).

Etanercept ist seit Jahren für die Behandlung von Kindern ab 6 Jahren (Psoriasis vulgaris, Psoriasisarthritis ab 12 Jahren) registriert. Adalimumab ist seit 2015 für die Behandlung von Kindern ab 4 Jahren (Psoriasis vulgaris) zugelassen.

Die Auswertung von großen Registerdaten hat gezeigt, dass die Behandlung mit TNFα-Antagonisten mit einem höheren Infektionsrisiko assoziiert ist, nicht aber mit Malignomen, Major Cardiovascular Events (MACE) oder erhöhter Mortalität (5). Non-Melanoma Skin Cancer tritt allerdings signifikant häufiger auf. Vorsicht (z.B. Sonnenschutz) und entsprechendes Langzeitfollow-up werden empfohlen.

 

IL-12/IL-23-Antagonist

Ustekinumab (Stelara) gehört ebenso bereits seit Jahren zu den Therapieoptionen für erwachsene PatientInnen mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis vulgaris und Psoriasisarthritis, wenn klassische Therapieformen keinen ausreichenden Therapieerfolg gezeigt haben, unverträglich oder kontraindiziert sind. Ustekinumab zeigte sich gegenüber Etanercept, dem in der Kurzzeitanwendung allerdings am schwächsten wirkenden TNFα-Antagonisten, signifikant überlegen (6). Die Langzeitsicherheitsdaten zeigen kein vermehrtes Auftreten von Infektionen, Malignomen, MACE und auch keine erhöhte Mortalität. Neutralisierende ADAs wurden beschrieben und auch mit Wirkverlust assoziiert (7), trotzdem ist nach Auswertung neuer Registerdaten das drug survival bei Ustekinumab im Vergleich mit TNFα-Blockern höher (8).

Ustekinumab ist seit 2015 zur Behandlung von Kindern ab 12 Jahren (Psoriasis vulgaris) zugelassen.

 

IL-17A-Antagonisten

Secukinumab (Cosentyx: 9)

Seit Jänner 2015 steht uns eine neue Gruppe von Biologika zur Behandlung der Psoriasis zur Verfügung – die IL-17A-Antagonisten (siehe auch Pharmainfo XXIX/1/2014). Unser Verständnis der Psoriasispathogenese wurde durch die Entdeckung der TH17-Zellen (T-Helferzellen 17) verändert. TH17-Zellen werden durch IL-23 (blockiert durch Ustekinumab) stimuliert und führen dann ihrerseits über die Freisetzung von IL-17 zu einem proinflammatorischen Signal, das in weiterer Folge zu Entzündung und Ausbildung von Psoriasisplaques führt. Neben diesem Signalweg existieren auch die bekannten TH1-Zellen (T-Helferzellen 1), welche durch IL-12 stimuliert werden und ihrerseits über TNFα und INFγ das proinflammatorische Signal setzen. Beide Signalwege sind für die Psoriasispathogenese wichtig, wobei aktuell der sog. TH17-Weg als der dominierende angesehen wird. In diesen beiden Signalwegen finden sich mit TNFα, IL-12, IL-23 und IL-17 die Targets unserer Biologika.

Secukinumab ist ein humaner monoklonaler Antikörper (IgG1), der IL-17A, ein Schlüsselzytokin der IL-17-Familie, blockiert. In einer placebokontrollierten Studie (ERASURE) wurden 738 PatientInnen randomisiert, 700 beendeten die 12-wöchige Induktionsphase (95%), 623 beendeten die 52-wöchige Erhaltungsphase. PASI 75 wurde von 82% (Secukinumab) vs. 5% (Placebo) der PatientInnen nach Woche 12 erreicht (PASI 90 59% vs. 1%; PASI 100 29% vs. 1%). Das Ansprechen konnte bis zur Woche 52 gehalten werden. Die rasche Wirkung (50% PASI-Reduktion in Woche 3) wird hervorgehoben.

Die Anzahl der PatientInnen mit mindestens einem Adverse Event (AE) war in der Secukinumab-Gruppe höher als in der Placebo-Gruppe (55% vs. 47%). Nasopharyngitis, respiratorische Infekte und Kopfschmerzen traten am häufigsten auf. Mukokutane Candidainfektionen wurden bei ca. 5% der PatientInnen in der Secukinumab-Gruppe gesehen und konnten meist durch lokale Therapiemaßnahmen unter fortlaufender Biologikatherapie behandelt werden. Sie führten nie zu einem Abbruch. Reaktionen an der Injektionsstelle sind sehr selten (0,7%). Schwere Adverse Events (SAE) und Therapieabbrüche aufgrund von AE waren in den Gruppen (Secukinumab vs. Placebo) gleich häufig zu beobachten (SAE 1,2% vs. 0,9%; Abbrüche 1,2% vs. 1,9%). Anti-drug antibodies wurden in 0,3% der PatientInnen detektiert, sie waren allerdings nicht mit Wirkverlust assoziiert. In Vergleichsstudien mit Etanercept und Ustekinumab zeigte sich Secukinumab überlegen (FIXTURE:9, CLEAR:10).

Aufgrund dieser Studienergebnisse wurde Secukinumab von der EMA im Jänner 2015 zur first-line-Therapie der Psoriasis vulgaris zugelassen. Es ist somit das erste Biologikum, das ohne vorherige klassische Systemtherapie gegeben werden könnte. In Österreich ist es aus ökonomischen Gründen, so wie die anderen Biologika, als Zweitlinientherapie vorgesehen. Secukinumab wird subkutan verabreicht, nach wöchentlichen Boostershots von 300mg bis zur Woche 4 erfolgen monatliche Gaben von 300mg. Das fixe Intervall ist der bedarfsweisen Gabe überlegen (11). Das Medikament steht in der Dosis von 150mg zur Verfügung, es müssen also jeweils 2 Injektionen verabreicht werden. Im November 2015 wurde Secukinumab auch für die Behandlung der Psoriasisarthritis zugelassen.

Ixekizumab (Taltz: 12)

Im März 2016 wurde der zweite IL-17A-Antagonist Ixekizumab zur Behandlung der Psoriasis vulgaris zugelassen, seit kurzem ist das Präparat auch verfügbar. Es handelt sich um einen humanisierten monoklonalen Antikörper (IgG4). In einer placebokontrollierten Studie (UNCOVER-2) wurden 1224 PatientInnen randomisiert (2:2:2:1, Etanercept vs. Ixekizumab alle 2 Wochen vs. Ixekizumab alle 4 Wochen vs. Placebo). 1161 (95%) beendeten die 12-wöchige Induktionsphase. PASI 75 wurde von 42% (Etanercept), 76% (Ixekizumab alle 4 Wochen), 90% (Ixekizumab alle 2 Wochen) und 2% (Placebo) der PatientInnen nach Woche 12 erreicht (PASI 90 5% vs. 60% vs. 71% vs. 1%; PASI 100 5% vs. 31% vs. 41% vs. 1%). In der Verlängerungsstudie bis Woche 60 konnten in den Ixekizumab-Gruppen PASI 75-Werte bei 80% der PatientInnen erzielt werden (13).

Die Anzahl der PatientInnen mit mindestens einem Adverse Event (AE) war in den Ixekizumab-Gruppen höher als in der Placebo-Gruppe (58% vs. 45%). Nasopharyngitis, respiratorische Infekte, Reaktionen an der Injektionsstelle (10%), Kopfschmerzen und Gelenksschmerzen traten am häufigsten auf. Mukokutane Candidainfektionen wurden häufiger in den Ixekizumab-Gruppen (3,4%) gesehen. In über 3736 PatientInnen wurden 3 Fälle von Mb. Crohn gesehen (0,1%). Schwere Adverse Events (SAE) und Therapieabbrüche aufgrund von AE waren in allen Gruppen gleich häufig zu beobachten (2%, keine Todesfälle). Anti-drug antibodies wurden in 9% der Ixekizumab-PatientInnen detektiert, ein Wirkverlust wurde bei PatientInnen mit hohen ADA-Titern gesehen (1,7%). Es konnte kein wesentlicher Wirkungsunterschied zwischen Biologika-naiven und mit Biologika vorbehandelten PatientInnen beobachtet werden. Die rasche Wirkung (50% PASI 75 in Woche 4) wird hervorgehoben. Wie die Daten zeigen, ähnelt das Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil dem des Secukinumab, direkte Vergleichsstudien zwischen Secukinumab und Ixekizumab gibt es bisher nicht. Das Präparat wird subkutan verabreicht und steht in einer Fixdosis von 80mg zur Verfügung. Nach initialem Boostershot (160mg) werden zunächst für 12 Wochen 80mg alle 2 Wochen verabreicht, anschließend 80mg alle 4 Wochen.

 

Phosphodiesterase-4-Inhibitor

Apremilast (Otezla: 14)

Im Jahr 2015 wurde mit Apremilast eine neue, orale Therapieform zur Behandlung der Psoriasis vulgaris und der Psoriasisarthritis zugelassen. Es handelt sich um ein synthetisches Präparat, das die Phosphodiesterase-4 (PDE-4) hemmt, ein Enzym, welches in Keratinozyten und Zellen des Immunsystems exprimiert wird. PDE-4 spaltet den second messenger cAMP, worauf es zur Bildung von proinflammatorischen Zytokinen, wie z.B. TNFα, IL-12, IL-23 kommt. Durch Apremilast kommt es zum intrazellulären Anstieg von cAMP und somit zu einer Reduktion proinflammatorischer Entzündungsmediatoren sowie zu einer Aufregulierung von antiinflammatorischem IL-10. Apremilast setzt demnach früher in der Entzündungskaskade an und modifiziert mehrere Mediatoren.

Die Wirkung in der Behandlung der Psoriasis vulgaris ist signifikant, aber doch deutlich unter der der Biologika. In einer placebokontrollierten Studie (ESTEEM) wurden 844 PatientInnen randomisiert (2:1, Apremilast vs. Placebo). 736 (87%) beendeten die 12-wöchige Induktionsphase. PASI 75 wurde von 32% (Apremilast) und 5% (Placebo) der PatientInnen nach Woche 16 erreicht. Auch in Nagel- und Scalppsoriasis zeigte sich Apremilast signifikant überlegen. In der Verlängerungsphase wurden jene PatientInnen, die in Woche 32 PASI 75 erreicht hatten, re-randomisiert. 61% der PatientInnen in der Apremilast-Gruppe konnten den PASI 75 bis zur Woche 52 halten.

Die Anzahl der PatientInnen mit mindestens einem Adverse Event war in der Apremilast-Gruppe höher als in der Placebo-Gruppe (69% vs. 56%). Durchfall (19% vs. 7%), Übelkeit (16% vs. 7%), Nasopharyngitis, respiratorische Infekte und Kopfschmerzen traten am häufigsten auf. Diarrhoe und Nausea waren in einem Großteil mild bis moderat, traten überwiegend in den ersten 2 Therapiewochen auf und sistierten in zwei Drittel nach einem Monat. Der mittlere Gewichtsverlust war ca. 2 kg (14,3% allerdings verlieren zwischen 5% und 10% des Gewichtes, 5,7% mehr als 10%: siehe Fachinformation) und wird einerseits einer direkten Wirkung der PDE-4-Inhibition auf das Fettgewebe und andererseits der Übelkeit/Diarrhoe zugeschrieben. In beiden Gruppen kam es in 8% zum Therapieabbruch aufgrund von AEs. Schwere Adverse Events (SAE) waren in beiden Gruppen ebenso gleich häufig zu beobachten (2-3%, je 1 Todesfall). Milde Depressionen wurden selten berichtet und führten nicht zum Therapieabbruch. Bei Gelenksbeteiligung werden insbesonders Daktylitis und Enthesitis hervorgehoben. Zu Beginn der Therapie sollten Nierenfunktionsparameter bestimmt werden, bei einer Creatininclearance von unter 30ml/min muss die Dosierung halbiert werden. Ansonsten ist kein weiteres Monitoring vorgeschrieben. Eine Schwangerschaft muss ausgeschlossen werden. Apremilast ist für erwachsene PatientInnen mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis vulgaris und Psoriasisarthritis zugelassen, wenn andere Therapieformen keinen ausreichenden Therapieerfolg gezeigt haben, unverträglich oder kontraindiziert sind.

Schlussfolgernd ist zu betonen, dass in der Behandlung der Psoriasis vulgaris ein Stufenschema eingehalten werden sollte. Für die milde bis moderate Schuppenflechte ist nach wie vor die Lokaltherapie Mittel erster Wahl. Falls damit kein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden kann, stehen Phototherapie und klassische Systemtherapeutika zur Verfügung. Bei weiterbestehender Therapieindikation stehen die kostenintensiveren Biologika und PDE-4-Inhibitoren zur Verfügung, die ohne Zweifel die Lebensqualität schwerer PsoriatikerInnen deutlich verbessert haben, aber auch volkswirtschaftlich durch Wiedereingliederung der PatientInnen in den Arbeitsprozess und Verringerung von Ko-Morbiditäten einen deutlichen Benefit bringen.

 

Literatur:
(1)   J Eur Acad Dermatol Venereol 29,2277,2015
(2)   Expert Opin Biol Ther 15,1677,2015
(3)   Br J Dermatol 170,261,2014
(4)   J Dtsch Dermatol Ges 13,277,2015
(5)   J Am Acad Dermatol 64,1035,2011
(6)   N Engl J Med 362,118,2010
(7)   J Drugs Dermatol, 14,706,2015
(8)   J Eur Acad Dermatol Venereol 30,1148,2016
(9)   N Engl J Med, 371,326,2014
(10)   J Am Acad Dermatol 73,400,2015
(11)   J Am Acad Dermatol 73,27,2015
(12)   Lancet 386,541,2015
(13)   N Engl J Med 375,345,2016
(14)   J Am Acad Dermatol 73,37,2015

 

 

Neue Antibiotika gegen resistente Gram-positive Erreger

Durch den rapiden Anstieg von Infektionen mit Methicillin-resistenten Staphylokokken (MRSA) in den vergangenen zwanzig Jahren vor allem im angloamerikanischen Raum wurden seitens der pharmazeutischen Industrie Anstrengungen unternommen, neue Antiinfektiva gegen MRSA und Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) zu entwickeln. Letztere wurden unter anderem durch den vermehrten Einsatz des Glykopeptids Vancomycin zur Behandlung von MRSA-Infektionen selektioniert und führten zu einem weltweiten Anstieg von Infektionen mit diesen Erregern (1,2). Während VRE-Infektionen auch in Mitteleuropa und Österreich im Ansteigen begriffen sind, hat die Inzidenz an MRSA-Infektionen in Österreich im Vergleich zum angloamerikanischen Raum und in Südeuropa abgenommen und derzeit finden sich bei uns MRSA-Raten zwischen 5 und 10% (3,4).

 

Glykopeptidantibiotika

Zugelassen oder im Zulassungsverfahren befinden sich einige neue Glykopeptidantibiotika-Abkömmlinge, von denen einige eine besonders lange Halbwertszeit aufweisen. Ein Hintergrund dafür ist, dass viele MRSA-Infektionen einer langen Behandlungsdauer bedürfen und sich durch die Anwendung von Antibiotika mit einer längeren Halbwertszeit die Möglichkeit einer ambulanten parenteralen antibiotischen Therapie ergibt. Interessanterweise wurden fast alle Zulassungsstudien für diese neuen Antiinfektiva ebenso wie für das noch zu besprechende Tedizolid bei Haut- und Weichgewebsinfektionen durchgeführt. Ein Grund dafür ist einerseits die Häufigkeit dieser Infektionen, die ein breites Spektrum von Krankheitsbildern unterschiedlicher Schwere umfassen, andererseits auch der Umstand, dass ein Teil dieser Infektionen allein durch adäquate lokale oder chirurgische Therapie (z.B. Phlegmone) ausheilt (5), wodurch ein hohes Ansprechen einer antibiotischen Therapie zu erwarten ist. Als Vergleichssubstanz wird in den meisten Fällen Vancomycin herangezogen, wenngleich dessen mäßige Penetration in Gewebe mitunter als Nachteil ins Treffen geführt wird (6). 

Dalbavancin (Xydalba): Im Jahre 2015 wurde in Österreich Dalbavancin (Xydalba) zugelassen. Dalbavancin ist ein semi-synthetisches Lipoglykopeptidantibiotikum, das die bakterielle Zellwandsynthese hemmt und eine sehr gute Wirksamkeit gegen Staphylokokken inklusive MRSA und multiresistente koagulasenegative Staphylokokken und Enterokokken aufweist, während VRE kaum bis nicht erfasst werden. Dalbavancin weist eine Halbwertszeit von über 150 Stunden auf und ist zur Behandlung von Haut- und Weichgewebsinfektionen zugelassen. Die Basis dazu bildeten zwei Studien („Discover 1“ und „Discover 2“), in denen für Dalbavancin eine Nichtunterlegenheit zu Vancomycin nachgewiesen werden konnte (7). Dalbavancin wird einmalig in einer Dosis von 1000mg i.v. appliziert, gefolgt von einer weiteren Dosis (500mg) nach 8 Tagen. Eine rezente klinische Studie zeigte eine vergleichbare Wirksamkeit einer Einmalgabe von 1500mg gegenüber dem zugelassenen Dosierungsregime bei Haut- und Weichgewebsinfektionen (8). Als Hauptnebenwirkungen einer Therapie mit Dalbavancin traten Übelkeit (5,5%), Kopfschmerzen (4,7%) und Diarrhoe (4,4%) auf (2,9), wobei diese meist weniger häufig beschrieben wurden als bei den verwendeten Vergleichssubstanzen, bei Vancomycinunverträglichkeit sollte dieses Medikament aber wegen des Risikos von Hypersensitivitätsreaktionen nicht gegeben werden.

Oritavancin (Orbactiv: 2,9): Dieses neue semisynthetische Glykopeptidantibiotikum erhielt eine europäische Zulassung, ist aber in Österreich noch nicht verfügbar.

Das Lipoglykopeptid Oritavancin, das eine Halbwertszeit von 100-144 Stunden aufweist,  wurde als Single-Shot Therapie (1200mg) im Vergleich zu Vancomycin (7-10 Tage) bei akuten Haut- und Weichgewebsinfektionen untersucht und konnte eine vergleichbare klinische Effizienz erzielen (Solo 1 und Solo 2: 10,11). Als Nebenwirkungen treten Übelkeit, Kopfschmerzen und Durchfall auf.

Telavancin (Vibativ): Telavancin ist ein dem Vancomycin ähnliches Glykopeptid und wurde im Vergleich zu dieser Substanz bei Haut- und Weichgewebsinfektionen sowie bei nosokomialer Pneumonie untersucht (12). Basierend auf den klinischen Ergebnissen bei insgesamt über 1500 StudienpatientInnen erhielt die Substanz 2011 die europäische Zulassung zur Behandlung der nosokomialen Pneumonie inkl. jener durch MRSA (13), ist aber in Österreich noch nicht im Handel. Aufgrund der höheren Inzidenz von Nierenversagen im Vergleich zu Vancomycin wurde eine „Second line“ Therapieempfehlung ausgesprochen (13,14). Die Nierenfunktion soll während der ersten 3 bis 5 Tage täglich kontrolliert werden.

Das Nutzen/Risiko-Verhältnis für die Behandlung komplizierter Haut- und Weichteilinfektionen wurde in London (EMA) negativ beurteilt. Telavancin darf nur bei nosokomialer Pneumonie angewandt werden.

Generell bieten Antibiotika mit einer langen Halbwertszeit (wie Dalbavancin, Oritavancin) die Möglichkeit zur ambulanten intravenösen Behandlung von Infektionen und könnten dadurch ökonomische Vorteile durch Verkürzung der Krankenhausaufenthaltsdauer bieten. Besonders interessant könnte das bei PatientInnen mit chronischen Infektionen von Implantaten (z.B. Hüfte, künstliche Herzklappen) sein, wo eine langdauernde, oft primäre intravenöse Therapie empfohlen wird. Dazu braucht es allerdings entsprechende Studien, die die Wirksamkeit und Verträglichkeit dieser Therapiealternative bei längerer Anwendung und in diesen Indikationen belegen. Weiters wird es wichtig sein zu analysieren, inwieweit die Verwendung von Antibiotika mit einer langen Halbwertszeit einen vermehrten Selektionsdruck für multiresistente Erreger im Vergleich zu kurzwirksamen Antibiotika bedingt.

 

Tedizolid (Sivextro)

Die breite und oft unreflektierte Verwendung (empirische Therapie bzw. ohne Nachweis von multiresistenten Gram-positiven Erregern) des mittlerweile auch als Generikum verfügbaren Oxazolidinones Linezolid (Generika, Zyvoxid) hat auch in Österreich zum Auftreten von Linezolid-resistenten Bakterien geführt, für die nur noch wenig Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Im Jahre 2015 wurde in Europa ein neues Oxazolidinon zugelassen, das neben einer verbesserten in vitro mikrobiellen Wirksamkeit gegenüber Gram-positiven Erregern inklusive MRSA auch Aktivität gegen Linezolid-resistente Staphylokokken aufweist (15). Tedizolid (Sivextro) könnte als „Zweitgenerations-Oxazolidinon“ bezeichnet werden. Es wirkt über eine duale Hemmung der bakteriellen Translation bakterizid (16). In zwei Phase-III-Studien (Establish 1 und 2; 17,18) war Tedizolid in einer  Einmaldosis von 200mg täglich über 6 Tage gleich effektiv wie Linezolid in einer Dosierung von täglich 2x 600mg über 10 Tage. Bei ähnlichem Nebenwirkungsprofil kam es bei mit Tedizolid behandelten PatientInnen signifikant seltener zum Auftreten von Thrombopenien (19).  

Zusammenfassend stehen derzeit in Österreich zwei neue Medikamente (Dalbavancin und Tedizolid) zur Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Gram-positiven Erregern zur Verfügung. Auch wenn es überaus erfreulich ist, dass die pharmazeutische Industrie in die Entwicklung und Zulassung neuer Antibiotika investiert, so bleibt dennoch festzuhalten dass, abgesehen von den doch beträchtlichen Kosten dieser Substanzen, diese als Reservemedikamente gelten und nur bei klarer Indikation (empfindlicher multiresistenter Erreger und ggf. Möglichkeit einer Verkürzung der Krankenhausaufenthaltsdauer) und Fehlen von adäquaten Alternativen eingesetzt werden sollen. Um eine häufige und nicht indikationskonforme Verwendung dieser Substanzen mit den sich daraus ergebenden Resistenzproblemen (wie im Falle von Linezolid) zu verhindern, sollten diese Reserveantibiotika primär nur von SpezialistInnen indiziert werden.

 

Literatur:
(1)   Antimicrob Resist Infect Control 4, 25,2015
(2)   Infect Drug Resist 24,8,2015
(3)   Lancet Infect Dis 13,409,2013
(4)   BMC Infect Dis 15,213,2015
(5)   Clin Infect Dis 15,147,2014
(6)   J Antimicrob Chemother 70,2064,2015
(7)   Drugs 75,2073,2015
(8)   Clin Infect Dis 62,545,2016
(9)   Drug Saf 39,147,2016
(10)   Antimicrob Agents Chemother 59,3365,2015
(11)   N Engl J Med 370,2180,2014
(12)   Int J Antimicrob Agents 45,213,2015
(13)   EMA/425452/2011
(14)   Ther Clin Risk Manag 11,605,2015
(15)   J Antimicrob Chemother 71,152,2016
(16)   Drugs 75,253,2015
(17)   JAMA 309,559,2013
(18)   Lancet Infect Dis 14,696,2014
(19)   Antimicrob Agents Chemother 58,7198,2014

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Montag, 12. September 2016

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