search_icon 

close_icon

search_icon  

search_icon  

info27-3.jpg

Inhalt

 

Neue orale Antikoagulantien beim Vorhofflimmern – ein Update

Ansgar Weltermann (Krankenhaus der Elisabethinen, Linz)

Basierend auf dem CHA2DS2VASc-Score (siehe Eur. Soc. Card 2012) benötigen mehr als 98% der PatientInnen mit nicht valvulärem Vorhofflimmern eine Schlaganfallprävention mit Antikoagulantien (1). Neben den bewährten Vitamin K Antagonisten (VKA) wurden 2011 von der European Medicines Agency (EMA) zwei neue Medikamente in dieser Indikation zugelassen, Dabigatran (Pradaxa) und Rivaroxaban (Xarelto). Zu Dabigatran wurde bereits im September 2011 berichtet (Pharmainfo XXVI/3/2011). Für eine dritte Substanz, Apixaban (Eliquis), wurde aufgrund rezent publizierter Daten ebenfalls eine Zulassung beantragt. Gegenstand der folgenden Analyse ist ein Update der Datenlage zu den drei Substanzen inklusive einer ersten behördlichen Stellungnahme zu Dabigatran seit Marktzulassung.

Thrombininhibitor Dabigatran

Über die pharmakologischen und -kinetischen Eigenschaften des oralen Thrombininhibitors Dabigatran sowie die klinischen Studienergebnisse der Randomized Evaluation of Long-Term Anticoagulation Therapy-Studie (RE-LY Studie) wurde bereits berichtet (Pharmainfo XXVI/3/2011 sowie XXIV/2/2009). Im August 2011 erfolgte eine Zulassung zur Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Thromboembolien bei erwachsenen Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern und mindestens einem zusätzlichen Risikofaktor. Basierend auf den Studiendaten wird in der Fachinformation die zweimal täglich einzunehmende Dosierung von 150 mg Dabigatranetexilat als Standardtherapie empfohlen (gegenüber VKA zeigte sich eine absolute Risikoreduktion eines hämorrhagischen oder ischämischen Insultes oder einer systemischen Thromboembolie von 0,6% pro Jahr bei vergleichbarem Blutungsrisiko). Der Benefit war unabhängig von der Art des Vorhofflimmerns (paroxysmal, permanent, persistierend) gegeben (2). Wegen eines erhöhten Blutungsrisikos unter Dabigatran sollten folgende PatientInnengruppen a priori mit einer niedrigeren Dosierung von zweimal täglich 110 mg Dabigatranetexilat behandelt werden: PatientInnen ab dem 80. Lebensjahr; PatientInnen mit Gastritis, Ösophagitis, oder gastro-ösophagealem Reflux; PatientInnen mit höherem Blutungsrisiko sowie PatientInnen, die gleichzeitig eine Therapie mit Verapamil erhalten. 
Bereits im November 2011 gab die EMA ein Update zur Sicherheit von Dabigatran heraus, nachdem es in Japan zu mehreren fatalen Blutungen gekommen war (3). Einige dieser Blutungen waren nachweislich bei PatientInnen aufgetreten, die per se eine Kontraindikation für die Substanz aufwiesen (Kreatinin-Clearance <30 ml/min). Insgesamt gab es 256 Berichte über fatale Blutungen unter Dabigatrantherapie in der EudraVigilance Datenbank, von diesen waren 21 in der EU aufgetreten. Die EMA merkt an, dass derzeit die Zahl der Ereignisse im Zusammenhang mit der weltweit rasch zunehmenden Verordnung von Dabigatran und der hohen Aufmerksamkeit gegenüber potentiellen Nebenwirkungen bei Zulassung einer neuen Substanz zu sehen ist. Die Ergänzung der Fachinformation zu Dabigatran sieht nun eine Nierenfunktionskontrolle bei allen PatientInnen vor Therapiebeginn vor. Darüber hinaus soll bei PatientInnen ab dem 75. Lebensjahr eine jährliche Nierenfunktionskontrolle durchgeführt werden sowie in Situationen getestet werden, in denen eine potentielle Verschlechterung zu vermuten ist (Dehydratation, etc.). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine Subanalyse der RE-LY Studie, die ein grenzwertig signifikant höheres extrakranielles Blutungsrisiko unter Dabigatran bei PatientInnen ab dem 75. Lebensjahr gezeigt hatte (5.10% versus 4.37%; p=0.07; Number needed to harm (NNH) pro Jahr 137: 4). Jedoch bleibt der Vorteil von Dabigatran in Bezug auf eine niedrigere Rate an intrakraniellen Blutungen unabhängig vom Alter erhalten (5). Beachtenswert ist, dass - trotz Fehlen eines Antidots für Dabigatran - die Mortalitätsrate intrazerebraler Blutungen bei PatientInnen unter Warfarin nicht niedriger war.
Anfang dieses Jahres wurde in die Fachinformation auch die Information aufgenommen, dass Dabigatran bei PatientInnen nach vorausgegangenem Myokardinfarkt, bei PatientInnen ab dem 65. Lebensjahr mit Diabetes oder koronarer Herzerkrankung, bei PatientInnen mit einer linksventrikulären Auswurffraktion <40% sowie bei PatientInnen mit mäßig beeinträchtigter Nierenfunktion mit Vorsicht angewendet werden soll: unter Dabigatran war unabhängig von der Dosierung eine höhere Myokardinfarktrate zu verzeichnen (Anstieg 0,2-0,27% pro Jahr; NNH pro Jahr >370: 3,6). Das erhöhte Risiko war auch bei PatientInnen zu beobachten, die gleichzeitig Acetylsalicylsäure und Clopidogrel oder Clopidogrel allein einnahmen, so dass in dieser PatientInnengruppe der Vorteil von Dabigatran bzgl. Schlaganfallprävention teilweise durch ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufgehoben wird.

Faktor Xa Inhibitor Rivaroxaban

Auch über die pharmakologischen und -kinetischen Eigenschaften des direkten Faktor Xa-Inhibitors Rivaroxaban wurde bereits berichtet (Pharmainfo XXIV/2/2009). Im September 2011 erfolgte die Zulassung von Rivaroxaban zur Antikoagulation bei erwachsenen Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern und mindestens einem Risikofaktor für einen Schlaganfall bzw. eine systemische Thromboembolie. Grundlage des Antrags waren die Daten der ROCKET-AF Studie (7). In diese prospektive Phase III Studie wurden 14.264 PatientInnen aus 45 Ländern zu Rivaroxaban 20 mg einmal täglich oder VKA (INR Zielbereich 2-3) randomisiert. PatientInnen mit einer Kreatinin-Clearance unter 30-49 ml/min erhielten eine reduzierte Dosis (15 mg Rivaroxaban einmal täglich). Die Studie war primär als Nicht-Unterlegenheitsstudie angelegt. Im Gegensatz zur RE-LY Studie wurde die Studie doppelblind und in double-dummy Technik durchgeführt. Weiters wurden nur PatientInnen mit nicht valvulärem Vorhofflimmern in die Studie inkludiert, die mindestens 2 (maximal 10% der Studienpopulation) bzw. 3 CHADS2-Risikofaktoren für einen Schlaganfall aufwiesen oder bereits einen Schlaganfall/TIA in der Anamnese aufwiesen. Im Vergleich zur RE-LY Studie lag daher der mittlere CHADS2-Score der PatientInnen in der ROCKET Studie deutlich höher (3,5 versus 2,1) und ein deutlich höherer Anteil der PatientInnen hatte bereits einen vorangegangenen Schlaganfall/TIA oder systemische Embolie erlitten (55% versus 20% in der RE-LY Studie). Das mittlere Alter der PatientInnen in der ROCKET Studie lag bei 73 Jahren, die mittlere Beobachtungszeit betrug annähernd zwei Jahre. 
Primär zeigte sich eine Nichtunterlegenheit für Rivaroxaban: das Risiko eines hämorrhagischen oder ischämischen Insultes oder systemischer Thromboembolie betrug 2,2% pro Jahr unter VKA und 1,7% pro Jahr unter Rivaroxaban (Hazard Ratio 0,8; p<0,001 für Nicht-Unterlegenheit). In der vordefinierten Überlegenheitsanalyse (intention-to-treat analysis; ITT) zeigte sich jedoch kein signifikanter Vorteil für Rivaroxaban (2,1% pro Jahr versus 2,4% pro Jahr für VKA, p=0,12). Berücksichtigt man nur die PatientInnen, die zum Zeitpunkt des Ereignisses eines primären Endpunktes tatsächlich eines der beiden Studienmedikamente erhalten haben (on-treatment analysis), so war der Unterschied signifikant: Rivaroxaban (1,7% pro Jahr) und VKA (2,2% pro Jahr, p=0,02; NNT pro Jahr 200). Auch der kombinierte sekundäre Endpunkt bestehend aus dem primären Endpunkt und Tod durch ein vaskuläres Ereignis zeigt einen Vorteil zugunsten von Rivaroxaban (3,1% pro Jahr) im Vergleich mit VKA (3,6% pro Jahr, p= 0,03; NNT pro Jahr 200). Der Unterschied zwischen den Ergebnissen der ITT-Population und der On-Treatment Analyse ist Gegenstand anhaltender Diskussion: Ursache ist eine hohe Zahl an vaskulären Ereignissen 2 bis 30 Tage nach Beendigung der Studienmedikation (31 im Rivaroxaban-Arm versus 12 Ereignisse im VKA-Arm). Gleichzeitig waren in dieser Phase auch die Myokardinfarkte und Anzahl der PatientInnen, die verstarben, höher. Eine Ursache ist, dass nur wenige PatientInnen beim Wechsel von Rivaroxaban auf eine konventionelle VKA-Therapie eine überlappende Therapie mit niedermolekularem Heparin erhielten und dass 30 Tage nach Beendigung der Rivaroxaban-Therapie nur die Hälfte der PatientInnen eine INR im therapeutischen Bereich aufwies (8).
Diskutiert wird auch die Qualität der VKA-Therapie, die in der ROCKET Studie schlechter war als in der RE-LY Studie (Dabigatran): im Mittel lagen 55% der gemessenen Werte im therapeutischen INR-Zielbereich von 2-3 (Time in Therapeutic Range, TTR), in der RE-LY Studie waren es 64% gewesen. Eine bessere Einstellungsqualität hätte eventuell zu einem geringer ausgeprägten positiven Ergebnis von Rivaroxaban gegenüber VKA geführt (8). Analog zur RE-LY Studie wurde jedoch gezeigt, dass sich die Ergebnisse nicht durch eine unterschiedliche Qualität der INR-Einstellung an den einzelnen Zentren erklären lassen. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Population in der ROCKET-AF Studie aus PatientInnen mit höherem Risiko bestand und aufgrund der Komorbiditäten schwerer einzustellen war. Per se war die Einstellung nicht schlechter, als sie in Ländern mit guter INR Einstellung erzielt wird. 
Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die einmal tägliche Applikationsform. Steady-State-Konzentrationsmessungen haben gezeigt, dass durch die einmal tägliche Gabe bei einer Halbwertszeit von etwa 10 Stunden ein fünffacher Konzentrationsunterschied zwischen dem maximalen Wirkspiegel (3 Stunden nach Einnahme) und dem minimalen Spiegel (vor der nächsten Einnahme) besteht (8).
Das Risiko einer schweren Blutung (primärer Sicherheitsendpunkt) war zwischen Rivaroxaban (3,6% pro Jahr) und VKA (3,5% pro Jahr) nicht unterschiedlich. Anzumerken ist jedoch, dass unter Rivaroxaban kritische Organblutungen und intrakranielle Blutungen signifikant seltener auftraten als unter einer VKA-Therapie. Analog zu Dabigatran fanden sich auch für Rivaroxaban signifikant weniger intrazerebrale Blutungen: 0,5% versus 0,7% pro Jahr (p=0,02; NNT pro Jahr 500: 7). Dagegen war die Rate an gastrointestinalen Blutungen unter Rivaroxaban mit 3,2% höher als unter VKA (2,2%, p<0,001; NNH pro Jahr 100). Die Rate schwerer unerwünschter Nebenwirkungen, die zur Beendigung der Antikoagulation führte, war in beiden Studienarmen gleich (15%). Auch in Bezug auf andere mögliche Nebenwirkungen zeigten sich keine Unterschiede zwischen Rivaroxaban und VKA.
Jede/r fünfte Studienteilnehmer/in wies eine moderate Einschränkung der Nierenfunktion auf (Kreatinin-Clearance <30-49 ml/min) und erhielt daher protokollgemäß eine reduzierte Dosis von 15 mg Rivaroxaban einmal täglich (9). Analog zur Gesamtkohorte war der primäre Studienendpunkt (Risiko eines hämorrhagischen oder ischämischen Insultes oder systemische Thromboembolie) in dieser Rivaroxabansubgruppe (2,3%/Jahr) niedriger als unter Warfarin (2,8%/Jahr), wobei das Ergebnis nicht signifikant war. Die Rate schwerwiegender Blutungen sowie die Rate intrazerebraler Blutungen waren nicht unterschiedlich, jedoch traten unter Rivaroxaban signifikant weniger fatale Blutungen auf als unter Warfarin (0,28 vs. 0,74% pro 100 PatientInnenjahre; p = 0,047; NNT pro Jahr 217). Eine weitere Auswertung der ROCKET-Studie zeigte, dass das Studienergebnis nicht abhängig davon war, ob PatientInnen Rivaroxaban als Primärprophylaxe (48% der PatientInnen) oder nach einem thromboembolischen Ereignis (Sekundärprophylaxe) eingenommen hatten (10).

Faktor Xa Inhibitor Apixaban

Apixaban (Eliquis) ist ein neuer, direkter Faktor Xa-Inhibitor, der seit Mai 2011 in der Indikation Venöse Thromboembolieprophylaxe nach elektivem Knie- und Hüftgelenksersatzzugelassen ist. Die Absorption nach oraler Einnahme erfolgt nahrungsunabhängig (Bioverfügbarkeit 52%), zwei bis drei Stunden nach oraler Gabe ist der maximale Wirkspiegel erreicht. Die Plasmaeiweißbindung liegt über 90%, die Halbwertszeit beträgt 13 Stunden (11,12). Die Elimination der Substanz erfolgt über verschiedene Metaboliten, biliäre und renale Ausscheidung und vermutlich sogar über direkte intestinale Sekretion (12). Da nur 25% der aktiven Substanz über die Niere ausgeschieden werden (11), besteht eine geringe Akkumulationsgefahr bei PatientInnen mit reduzierter Nierenfunktion. Wie bei Rivaroxaban besteht die Gefahr einer Konzentrationssteigerung bzw. -minderung bei gleichzeitiger Anwendung von Medikamenten, die CYP3A4/5 bzw. den Effluxtransporter P-Glykoprotein hemmen bzw. induzieren. Azol-Antimykotika (wie Ketoconazol, Itraconazol und Voriconazol) sowie HIV Protease Inhibitoren können zu einem zweifachen Konzentrationsanstieg führen; Rifampicin, Phenytoin, Carbamazepin oder Johanniskraut können die Apixaban-Konzentration um die Hälfte reduzieren.
Neben Studien mit orthopädischer Indikation wurden 2 Phase III-Studien bei erwachsenen PatientInnen mit nicht valvulärem Vorhofflimmern und mindestens einem Risikofaktor für einen Schlaganfall bzw. eine systemische Embolie durchgeführt. 
In der zuerst publizierten Phase III-Studie namens AVERROES wurde zweimal täglich 5 mg Apixaban mit Acetylsalicylsäure (ASS, 81-324 mg täglich) verglichen (13). Die Studie war als Überlegenheitsstudie geplant, der primäre Endpunkt war ein Schlaganfall bzw. eine systemische Thromboembolie. In diese Studie wurden PatientInnen inkludiert, bei denen eine Therapie mit VKA ungeeignet erschien. Der Begriff „ungeeignet“ war vordefiniert, in der Vollpublikation waren folgende Gründe und Häufigkeiten als Einschlussgrund (Mehrfachnennung möglich) angeführt: (a) INR-Einstellung nicht optimal (17%); (b) Abstände für notwendige INR Kontrollen sind nicht einzuhalten (43%); (c) fehlende Möglichkeit einer Kontaktaufnahme im Falle notwendiger Dosiskorrekturen (11%); (d) Verständnisproblem, die richtigen Dosierungsanweisungen zu befolgen (16%); (e) CHADS2-Score von 1 und ärztliche Empfehlung gegen eine VKA Therapie (11%); (f) PatientIn möchte keine VKA-Therapie als alleiniger Grund (15%). Insgesamt wurden 5599 PatientInnen in die Studie inkludiert, von denen 40% der PatientInnen vor Studienbeginn eine VKA Therapie erhielten. Der mittlere CHADS2-Score betrug 2,1 (vergleichbar mit RE-LY Studie).
Die Studie wurde aufgrund der Überlegenheit von Apixaban gegenüber ASS vorzeitig geschlossen: Der primäre Endpunkt war unter Aspirin in 3,7% der PatientInnen pro Jahr aufgetreten, bei PatientInnen mit Apixaban in 1,6% pro Jahr (HR 0,45; 95% Konfidenzintervall 0,32 – 0,62; p<0,001; NNT pro Jahr 48). Dieser positive Effekt war über wichtige Subgruppen hinweg konstant nachweisbar. Bemerkenswert ist, dass dieser günstige Effekt in der Intention-to-treat-Analyse nicht mit einem höheren Risiko schwerer Blutungen (primärer Sicherheitsendpunkt) erkauft wurde: 1,4% pro Jahr im Apixabanarm und 1,2% pro Jahr in der ASS-Gruppe. Dabei ist anzumerken, dass über 95% der PatientInnen eine ASS-Dosierung von 162 mg oder weniger erhielten. Der tatsächliche Unterschied im Blutungsrisiko war jedoch größer, wenn man nur die PatientInnen inkludierte, die zum Zeitpunkt der Blutung tatsächlich noch eines der beiden Studienpräparate erhielten (On-Treatment): 1,4% pro Jahr im Apixabanarm und 0,9% pro Jahr in der ASS-Gruppe (p=0,07). Die Rate unerwünschter Nebenwirkungen, die zur Beendigung der Prophylaxe führten, war für Apixaban und ASS gleich hoch. Auch in Bezug auf andere mögliche Nebenwirkungen wie zum Beispiel Anstieg der Transaminasen zeigten sich keine Unterschiede zwischen beiden Studienarmen.
Die zweite Studie (ARISTOTLE-Studie) wurde analog zur RE-LY und ROCKET Studie mit VKA als Referenzsubstanz durchgeführt (14). In diese prospektive Phase III Studie wurden 18.201 PatientInnen mit Vorhofflimmern und mindestens einem Risikofaktor zu entweder oraler Antikoagulation (Warfarin, INR 2,0-3,0) oder Apixaban (2 x 5 mg pro Tag) randomisiert. Eine niedrigere Dosierung (2 x 2,5 mg pro Tag)  erhielten PatientInnen, bei denen mindestens zwei der drei folgenden Kriterien vorlagen: Alter  ≥ 80 Jahre, Körpergewicht ≤ 60 kg, Kreatinin ≥ 1,5 mg/dL. Die Studie wurde doppelblind und in double-dummy Technik durchgeführt. Die Studie war als Nicht-Unterlegenheitsstudie angelegt, bei Nachweis war eine Überlegenheitsanalyse vordefiniert. Das mediane Alter der PatientInnen betrug 70 Jahre, die Gruppen waren in Bezug auf Basisparameter sowie den mittleren CHADS2-Score (2,1) homogen verteilt. Die Qualität der INR Kontrolle (TTR) war im Warfarinstudienarm mit 66% (Mittelwert) besser als in der ROCKET-Studie (55%) und vergleichbar gut zur RE-LY Studie (64%). 
Unter VKA Therapie betrug das Risiko für den primären Endpunkt (hämorrhagischer oder ischämischer Insult, systemische Thromboembolie) 1,7% pro Jahr. Zweimal täglich 5 mg Apixaban führte zu einer signifikanten Risikoreduktion (1,3% pro Jahr, p<0,001 für Nichtunterlegenheit, p=0,01 für Überlegenheit; NNT pro Jahr 250). Der Vorteil war in den verschiedenen Subgruppen konstant gegeben (Alter, Geschlecht, Nierenfunktion, Art des Vorhofflimmerns, gleichzeitige Aspiringabe). Analog zu den beiden anderen neuen Antikoagulantien war die Rate hämorrhagischer Insulte deutlich vermindert (0,24% vs. 0,47% pro Jahr, p<0,001; NNT pro Jahr 435).
Gleichzeitig war die Inzidenz schwerer Blutungen bei PatientInnen unter Apixaban um 30% niedriger: 2,1% vs. 3,1%, p<0,001; NNT pro Jahr 100). Anders als in der RE-LY Studie und in der ROCKET-Studie konnte in dieser Studie erstmals ein signifikanter Überlebensvorteil eines neuen Antikoagulans gegenüber Vitamin K Antagonisten gezeigt werden: die Sterblichkeit (unabhängig von der Todesursache) betrug 3,5% bzw. 3,9% pro Jahr für PatientInnen mit Apixaban bzw. Warfarin (NNT pro Jahr 250). Die Rate schwerwiegender Nebenwirkungen war mit Vitamin K Antagonisten vergleichbar. Vor allem im Vergleich zu Dabigatran fällt positiv auf, dass die Anzahl der PatientInnen, die die Therapie vorzeitig beendeten, unter Apixaban signifikant niedriger als unter Warfarin war.

Bewertung

Die Ergebnisse der Phase III Studien belegen, dass in der Indikation „Prävention eines Schlaganfalls oder einer systemischen Thromboembolie bei Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern und mindestens einem zusätzlichen Risikofaktor“ Dabigatran, Rivaroxaban wie auch Apixaban nicht schlechter sind als VKA (INR-Zielbereich 2-3). Die bei den Studien vordefinierte Überlegenheits-Analyse zeigte für Dabigatran und Apixaban einen Vorteil in der Intention To Treat Analyse, der bei Rivaroxaban nur in der On-Treatment Analyse gegeben war. Apixaban ist die einzige Substanz, die einen signifikanten Überlebensvorteil gegenüber VKA gezeigt hat (HR 0,89; 95% CI 0,80–0,998), wobei für beide anderen Substanzen ähnlich günstige Effektgrößen nachweisbar waren (Dabigatran: 0,88; 95% CI 0,77-1,00; Rivaroxaban: 0,85; 95% CI 0,70-1,02). Ein wesentlicher Vorteil für alle drei neuen Substanzen besteht in einer signifikant niedrigeren Inzidenz intrazerebraler Blutungen, während die Gesamtrate schwerer Blutungen nur unter Apixaban vermindert war. 
In einer rezenten Metaanalyse wurden die neuen Substanzen erstmals gemeinsam gegenüber VKA bewertet (15). Eine Überlegenheit für eine der drei Substanzen lässt sich derzeit aus den drei Studien nicht ableiten, da die getesteten Studienkohorten unter anderem in Bezug auf das zugrundeliegende Schlaganfallrisiko nicht miteinander vergleichbar waren. Die fehlende Notwendigkeit regelmäßiger Laborkontrollen und ein niedrigeres Risiko intrazerebraler Blutungen sind für PatientInnen und ÄrztInnen vermutlich die ausschlaggebenden Vorteile der neuen Substanzen gegenüber VKA. Die Nachteile gegenüber VKA sind für alle Substanzen gleich: (a) es fehlen Routine-Gerinnungstests, mit denen die Wirkung der Substanzen erfasst werden kann; (b) es fehlen spezifische Antidots, um die antikoagulatorische Wirkung bei Bedarf aufzuheben, und (c) es liegen keine Daten zu Langzeitnebenwirkungen vor. Die fehlende Notwendigkeit von Laborkontrollen kann möglicherweise einen langfristig negativen Effekt auf die Medikamentenadhärenz haben. Es ist leicht kalkulierbar, dass der Benefit für die neuen Substanzen schwindet, wenn die Compliance niedriger ist als unter Vitamin K Antagonisten. Zieht man die Ergebnisse der Metaanalyse als Berechnungsgrundlage heran (VKA 3,48% pro Jahr; neue Antikoagulantien 2,76% pro Jahr: 15), ist bei einer Compliance von 70% unter Vitamin K Antagonisten und 50% unter den neuen Antikoagulantien der Vorteil in Bezug auf die Rate systemischer Embolien bzw. Insulte nicht mehr gegeben (Annahme: Embolierate 5,3% pro Jahr ohne Antikoagulation). Wichtig ist daher, dass neben einem Augenmerk auf eine anhaltend gute Compliance der PatientInnen weitere prospektive Studien, insbesondere in Phase IV, erfolgen.

Literatur:
(1)       European Heart Journal 31,2369,2010
(2)       J Am Coll Cardiology 59,855,2012
(3)       http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Press_release/ 2011/11/WC500117818.pdf
(4)       Circulation 123,2363,2011
(5)       Stroke 43,1511,2012
(6)       Arch Intern Med 172,397,2012
(7)       N Engl J Med 365,883,2011
(8)       http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/CommitteesMeeting Materials/Drugs/CardiovascularandRenalDrugsAdvisoryCommittee/UCM270796.pdf 
(9)       European Heart Journal 32,2387,2011
(10)    Lancet Neurol 11,315,2012
(11)    Drug Metabolism and Disposition 37,74,2009
(12)    EPAR (Eliquis), EMA London
(13)    N Engl J Med 364,806,2011
(14)    N Engl J Med 365,981,2011
(15)    Am J Cardiol 110,453,2012

 

Prucaloprid (Resolor) und Laxantien Update

Wir haben 1997 (Pharmainfo XII/3) Laxantien besprochen, wobei es in der Zwischenzeit kaum zu wesentlichen Veränderungen oder gar zu Durchbrüchen gekommen ist.
Nach wie vor gilt: eine chronische Obstipation sollte vor allem durch eine Änderung der Essgewohnheiten (Ballaststoffe wie Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und Flüssigkeit) und durch vermehrte physische Aktivität verbessert werden. Eine Dauergabe von Laxantien wird auch heute nicht empfohlen, nicht so sehr, weil ein Risiko schwerer Nebenwirkungen gegeben ist, sondern um PatientInnen von einer chronischen Fixierung auf eine Krankheit, die einer medikamentösen Therapie bedarf, abzubringen.
In der Zwischenzeit sind mehrere obsolete (z.B. Phenolphthalein) bzw. Präparate mit unzuverlässiger Wirkung (z.B. Stuhlweichmacher: Dokusatnatrium: 2-4) in Österreich nicht mehr registriert.

Quellmittel: Diese Mittel schwellen im Darm durch Wasseraufnahme und erhöhen dadurch das Volumen des Darminhaltes und damit die Peristaltik. Sie wirken daher ähnlich wie Ballaststoffe bzw. auch osmotische Laxantien. Im Vergleich zu Ballaststoffen, von denen man nicht unbegrenzt essen kann, können sie in effektiveren Mengen zugeführt werden. Sie sind aber nicht so wirksam (daher sind auch die Studienergebnisse inkonsistent : 1-3) wie osmotische Laxantien. Am besten untersucht erscheinen Flohsamenpräparate (Plantago ovata: 1,4), die jetzt auch die einzigen registrierten Medikamente (Agiocur, Plantaben, Pascomucil) darstellen.

Antiresorptiva/Stimulantien: Diese Substanzen wirken sowohl antiresorptiv als auch sekretorisch (auch dadurch Volumen vermehrend) und direkt muskelstimulierend. Ihr Hauptwirkort ist das Colon, sodass die Wirkung nach 6 – 8 Stunden eintritt. In diesem Sinne wirksame Anthrachinone sind in mehreren Pflanzen enthalten, bei registrierten Medikamenten stehen Senna Präparate (Bekunis, Colonorm, Darmol und einige Tees) im Vordergrund.

Weiters stehen noch Diphenylmethanderivate (Natriumpicosulfat: Agaffin, Guttalax, Laxasan, Bisacodyl: Dulcolax, Laxbene) zur Verfügung. Während für die Anthrachinone nur ältere Studien vorliegen, wurden für die letzteren Präparate zwei rezente Studien (5,6) zum Wirkungsnachweis durchgeführt.
Das für Sennaglykoside diskutierte Karzinomrisiko bei Dauergebrauch (siehe Pharmainfo XII/3/1997) dürfte nicht bestehen (7).

Osmotische Laxantien: Diese Stoffe werden im Darm schlecht resorbiert und halten durch ihren osmotischen Druck Wasser im Darm zurück. Neben den früher viel verwendeten Magnesiumsalzen (insbesondere Sulphate) stehen heute vor allem Laktulose (Bifiteral, Duphalac, Lactulose Generika, Laevolac), Lactitol (Importal) und Polyäthylenglycolpräparate (PEG, Macrogol 3350: Molaxole, Movicol, Osmolax; Macrogol 4000: Forlax) im Vordergrund.
Sowohl für Laktulose als auch insbesondere für den Spätkommer PEG belegen mehrere gute Studien die vergleichbare Wirksamkeit (1-4), dies gilt auch für Kinder (8). Für PEG liegt auch eine Langzeitstudie vor (über 6 Monate), die neben der Wirkung auch eine gute Verträglichkeit belegt (9). 
Da die Dosis dieser Laxantien letztlich linear das Volumen des Darminhalts bestimmt, sind diese Mittel gut geeignet die laxative Wirkung zu titrieren (bis hin zur Darmreinigung vor Coloskopie).

Nebenwirkungen von Laxantien:
Besonders bei Überdosierung können Bauchschmerzen und Flatulenz, zusätzlich auch Diarrhoe auftreten. Elektrolytstörung (insbesondere Hypokaliämie) ist nur nach längerem Gebrauch, bzw. wohl eher Missbrauch, zu befürchten.

Serotoninagonisten

Serotonin (5-Hydroxytryptamin: 5-HT) findet sich in hoher Konzentration im Darm und ist u.a. für die Darmmotilität von Bedeutung. Aktivierung des 5-HT Rezeptors führt zur Steigerung der Peristaltik. Agonisten dieses Rezeptors, und zwar Cisaprid (früher Prepulsid) und Tegaserod reagierten aber auch mit dem hERG-Kalium Kanal im Herzen und konnten so zu QT-Verlängerung und Arrhythmien führen. Cisaprid wurde wegen kardialer Todesfälle im Jahr 2000 vom Markt genommen, Tegaserod wurde in Europa nie registriert und in den USA nach der Zulassung wieder zurückgezogen (siehe 1,2).

Prucaloprid (Resolor): Diese Substanz ist ein Agonist des 5-HT4 Rezeptors, hat aber eine deutlich höhere Selektivität als die oben genannten Substanzen (1,2). Es erhielt eine europäische Zulassung (siehe EPAR, EMA) für die Behandlung der schweren chronischen Verstopfung bei Frauen, bei denen Abführmittel keine ausreichende Wirkung gezeigt haben. Es fördert die Magenentleerung und die „transit time“ in Dünndarm und Dickdarm. 
In den 3 Zulassungsstudien (siehe EPAR und z.B. 10) wurden nahezu 2.000 PatientInnen (mehr als 85% Frauen) doppelblind mit 2 und 4 mg Prucaloprid über 12 Wochen behandelt. PatientInnen wurden in die Studie aufgenommen, wenn sie an chronischer Obstipation (> 6 Monate) mit weniger als zwei Darmentleerungen pro Woche, hartem Stuhl und starkem Pressen beim Stuhlgang litten. Eine (10) der drei Studien mit ähnlichen Resultaten sei besprochen. Mehr als 80% (siehe 10) der PatientInnen dieser Studie betrachteten die vorausgehende Behandlung als nicht adäquat, es wird aber nicht angeführt, ob eine intensive und überwachte Laxantientherapie durchgeführt wurde. Der Primärparameter, i.e. mehr als drei spontane Entleerungen pro Woche, wurde für die Dosis von 2 mg (ähnlich 4 mg) von 30,9% (in den anderen beiden Studien 11,12: 19,5% und 24%) der PatientInnen erreicht, ein signifikant höherer Wert als für Placebo (12,6%; in den anderen beiden Studien: 9,6% und 12%). Auch die anderen Symptome der Obstipation besserten sich. In der subjektiven Bewertung fanden 33,3% versus 17% der PatientInnen die Behandlung „quite effective or extremely effective“.
Als „rescue“ Medikation war Bisacodyl erlaubt, unter Placebo blieb die Tablettenanzahl während der Studie bei ca. 2/Woche, während unter Prucaloprid nur 1 eingenommen wurde. Eine Studie an älteren PatientInnen (über 63 Jahre) erbrachte ähnliche Resultate (siehe EPAR), allerdings zeigte schon eine Dosis von 1 mg eine vergleichbare Wirkung wie 2 mg.
PatientInnen der 3 Zulassungsstudien wurden in einer open label phase bis zu 18 Monate weiterbehandelt, wobei laut einer subjektiven Bewertung durch die PatientInnen die Zufriedenheit mit der Behandlung über diesen Zeitraum erhalten blieb.
An Nebenwirkungen standen Übelkeit, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Durchfälle im Vordergrund, wobei diese Symptome nach einigen Tagen meist abnahmen. Herzklopfen (Palpitationen) traten in den ersten Tagen etwas häufiger auf (1,0 versus 0,7% in der Placebogruppe). Für kardiovaskuläre Probleme (Ischämie, QT-Verlängerung) konnten keine Signale gefunden werden (siehe auch 13). All diese drei Faktoren sollen aber im Pharmakovigilanzplan nach der Zulassung überwacht werden.
Da es in den klinischen Studien zu Spontanaborten bei Schwangeren kam (Zusammenhang mit Medikation unklar), ist Prucaloprid während der Schwangerschaft nicht empfohlen, und Frauen sollten dieses Präparat nur unter Antikonzeption erhalten. 
Zusammenfassend: Prucaloprid ist bei chronischer Obstipation wirksam, auch wenn nur ca. 30% der PatientInnen (gegenüber 12% mit Placebo) eine gute Wirkung (mehr als 3 Stuhlentleerungen pro Woche) erzielten. Nicht untersucht ist, ob andere Laxantien vergleichbar oder auch besser wirken. Höhere Erfolgsraten für die Erreichung von mehr als 3 Darmentleerungen pro Woche wurden z.B. für Macrogol (9: 52%) und Picosulphat (5: 51,1%) erhalten. Das Präparat ist nur für Frauen (aber nicht in der Schwangerschaft, Antikonzeption notwendig) zugelassen und zwar nur für diejenigen, bei denen andere Laxantien nicht ausreichend wirken. Es wurde allerdings nicht untersucht, ob eine intensive und überwachte Laxantientherapie mit anderen möglicherweise besser wirksamen Präparaten nur wenige PatientInnen für die Behandlung mit Prucaloprid in Frage kommen lässt.

Zusammenfassung:

Wenn bei chronischer Obstipation veränderte Ernährungsgewohnheiten (mehr Ballaststoffe) und erhöhte physische Aktivität nicht ausreichen, können Quellmittel als Verstärker der Ballaststoffe eingesetzt werden. Bei den Laxantien sind die bestuntersuchten Laktulose und Macrogole. Als Mittel weiterer Wahl können Diphenylmethane herangezogen werden. Für das noch wenig bewährte und keine spezifischen Vorteile bietende Prucaloprid (Resolor) ist derzeit nur eine Reserveposition zu sehen.

Literatur:
(1)       Neurogastroenterol Motil 23,697,2011
(2)       Ther Adv Gastroenterol 4,37,2011
(3)       Am J Gastroent 100,51,2011
(4)       Am J Gastroent 100,936,2005
(5)       Am J Gastroent 105,897,2010
(6)       Gastroent 138 (Suppl1),S228,2010
(7)       J Tox 2009,287247,2009
(8)       J Ped Gastroent Nutr 41,625,2005
(9)       Am J Gastroent 102,1436,2007
(10)    N Engl J Med 358,2344,2008
(11)    Gut 58,357,2009
(12)    Aliment Pharm Ther 29,315,2009
(13)    BJ Clin Pharm 73,203,2011

 

Primärprävention von kardiovaskulären Ereignissen und Karzinomen mit Acetylsalicylsäure (ASS)

Wir haben berichtet (Pharmainfo XXV/2/2010), dass laut einer Metaanalyse (1) eine Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse bei Gesunden mit ASS keine positive Bilanz ergibt. Ca. 280 PatientInnen (NNT: number needed to treat) müssen für 6 Jahre behandelt werden, um einen kardiovaskulären Event zu verhindern, dem steht eine NNH (number needed to harm) von 170 – 550 gegenüber (schwere Blutungen). Eine neue große Metaanalyse von 9 Studien mit über 100.000 PatientInnen (2: Cochrane Library) fand nun relativ gesehen ähnliche Werte: und zwar eine NNT von 120 (für 6 Jahre, vor allem Reduktion nicht-tödlicher Herzinfarkte, aber keine Änderung der kardiovaskulären Mortalität), dafür aber einen Anstieg von signifikanten Blutungen (NNH: 73). Eine weitere Metaanalyse fand für 7 Jahre eine NNT von 253 und eine NNH von 261 (3). 
Inwieweit eine medikamentöse Gastroprotektion die NNH reduziert, wurde in diesen Metaanalysen nicht untersucht. Diese wird für RisikopatientInnen empfohlen (4). Tatsächlich nehmen, zumindest laut einer spanischen Studie (5), mehr als 75% der PatientInnen (einschließlich no-risk PatientInnen) gastroprotektive Medikamente (vor allem Protonenpumpenblocker) zusammen mit ASS ein. Auch wenn die NNH dann absinkt, ändert dies nichts am relativ geringem Nutzen, da 120 – 280 PatientInnen für 6 bis 7 Jahre behandelt werden müssen, um einen Fall (vor allem nicht-tödliche Herzinfarkte) zu verhindern.

Eine generelle Primärprophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen bei Gesunden wurde in der Vergangenheit zwar diskutiert und auch, vor allem in den USA, von vielen durchgeführt. Tatsächlich haben aber Guidelines eine Primärprophylaxe nur bei vorhandenem Risiko empfohlen. Die American Heart Association sah eine Indikation nur, wenn ein kardiovaskuläres Risiko bewertet mit dem Framingham risk score (siehe 6) von mehr als 10% für die folgenden 10 Jahre gegeben war (7). Für Frauen wurde dann ein Update (8) publiziert, in dem Frauen über 65 Jahren „at risk“ (definiert durch das Vorliegen zumindest von 2 Risikofaktoren wie Rauchen, Hochdruck, Metabolisches Syndrom, hohes Cholesterin) eine ASS-Prophylaxe empfohlen wurde.
Eine andere Guideline (US preventive service task force: 9) differenzierte zwischen Alter, Geschlecht und Risikofaktoren (ASS für Männer mit 45 – 59 Jahren, mit einem Framingham risk score von mehr als 4% für Herzinfarkte, 60 – 69 Jahre ab 9%, 70 – 79 Jahre ab 12%; bei Frauen: 55 – 59 Jahre ab 3% risk score für Schlaganfall, 60 - 69 Jahre ab 8%, ab 79 Jahren ab 11%).
Für die Karzinommortalität wurde in der oben zitierten Metaanalyse (2) nur eine numerische Senkung von 7% gesehen. Rezente Studien haben aber die Frage der Krebsprävention durch ASS neu fokussiert. Die Follow-up Daten von fünf randomisierten Studien zur Primär- und Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse wurden in einer Metaanalyse bezüglich Colonkarzinomen untersucht (10).

Wenn die PatientInnen für mehr als 5 Jahre ASS erhielten, begann in den folgenden Jahren die Inzidenz und Mortalität für Colonkarzinome (insbesondere im proximalen Teil) zu sinken und erreichte nach 20 Jahren eine HR (Hazard ratio) von 0,62 bzw. 0,48 und damit eine absolute Risikoreduktion von 1,55% bzw. 1,76% (NNT 65 bzw. 57). Dieser Effekt war unabhängig von einer Dosis zwischen 75 – 300 mg, hingegen waren 30 mg weniger effektiv. Da die PatientInnen in der Follow-up Periode (nach im Mittel 6 Jahren in der eigentlichen Studie) nicht mehr als ASS-Gruppe versus Placebo geführt wurden, könnte der präventive Effekt bei einer konsequent durchgeführten ASS-Gabe über 20 Jahre noch größer sein.
In Übereinstimmung mit diesen Daten haben frühere Studien (siehe 10) gezeigt, dass ASS die Inzidenz von Colonadenomen, also mögliche Karzinomvorstufen, reduzieren kann. Andererseits haben zwei große Studien (Women’s Health Study und Physician Health Study: 22.000 TeilnehmerInnen: 11,12) mit einer Beobachtungsdauer von 10 bzw. 5 Jahren keinen Effekt von ASS auf Colon- bzw. Gesamtkarzinome ergeben. Da in diesen Studien ASS (100 mg bzw. 325 mg) nur jeden zweiten Tag gegeben wurde, könnte dies die Ursache einer mangelnden Karzinomprävention sein. Follow-up Daten dieser Studien werden jetzt analysiert. Unterstützung für einen Präventionseffekt kommt von einer prospektiven Studie mit PatientInnen mit hereditären Colonkarzinomen (Lynch Syndrom), die 600 mg ASS erhielten (13). Auch hier zeigte sich schon nach 3 – 4 Jahren eine Prävention für Colonkarzinome. Nach 5 Jahren war eine Senkung der bei diesem Syndrom hohen Inzidenz von 6,9% auf 4,4% gegeben. Allerdings brauchen auch diese Daten eine Bestätigung, da es sich um eine Subgruppenanalyse handelt.
In einer weiteren Metaanalyse (14) wurde von der obigen (siehe 10) Forschergruppe der Einfluss von ASS auf mehrere Karzinome untersucht. Es wurden 8 Studien ausgewertet und zwar für Ereignisse während der Studiendauer bis zu 10 Jahren (25.570 PatientInnen, 674 Karzinomtote) und während der nachfolgenden (follow-up) Jahre (3 Studien: 12.139 PatientInnen, 1.634 Karzinomtodesfälle), wobei in diesen follow-up Perioden ASS zum Teil von den PatientInnen abgesetzt bzw. von der Placebogruppe neu eingenommen wurde. Während der ersten 5 Jahre der Versuchsperiode sank die Krebsmortalität für einzelne Tumore (z.B. colorektal) in der ASS-Gruppe etwas ab, aber nicht signifikant (HR: 0,88). Innerhalb von 10 Jahren war aber die Krebsmortalität signifikant um 38% gesunken (HR: 0,62), vor allem bedingt durch die Reduktion von Adenokarzinomen im Bereich des Magen-Darm-Traktes (Colon, Oesophagus), aber auch in der Lunge und Prostata. Todesfälle aufgrund hämatologischer Tumore blieben unverändert. Da relativ wenige Frauen in dieser Studie waren, sind Daten für diese bzw. frauenspezifische Tumore nicht zu etablieren. Auch nach 20 Jahren war die Reduktion der Karzinom Todesfälle gegeben (HR: 0,78), wobei die absolute Risikoreduktion 3,49% betrug (NNT: 28).
Diese war entsprechend des im Alter steigenden Tumorrisikos deutlich altersabhängig: 1,41% für 55 Jahre, 4,53% für 55 – 64 Jahre und 7,08% (NNT: 14) über 65 Jahre.
Die selbe Forschergruppe hat dann 2012 noch zwei weitere wesentliche Arbeiten publiziert (15,16). In einer Analyse von 51 Studien (47.549 PatientInnen) wurde die Inzidenz von Karzinomen und Gesamttodesfällen, insbesondere auch in Studien zur Primärprävention mit ASS analysiert. In Bestätigung der obigen Analyse wurden Karzinomtodesfälle nach 5 Jahren um 37% (relative Risikoreduktion) reduziert, dementsprechend wurde auch die Krebsinzidenz schon ab 3 Jahren reduziert und zwar bei Männern um 23% und bei Frauen um 25%, wobei es zu einer signifikanten Reduktion von frauenspezifischen Tumoren kam. Besonders interessant sind die Analysen der Studien zur Primärprävention. Die Krebsinzidenz wurde in den ersten 3 Jahren nicht, aber bereits nach 3 bis 5 Jahren reduziert (Absolute Risiko Reduktion ARR für ein Jahr 0,22%, NNT pro Jahr 454) und nach 5 Jahren noch stärker (ARR: 0,48%, NNT: 208). Schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse waren bereits in den ersten 3 Jahren (ARR: 0,2%, NNT pro Jahr 500) gesenkt, in den folgenden Jahren nicht mehr. Starke extrakraniale Blutungen waren in den ersten 3 Jahren signifikant erhöht (NNH pro Jahr 770). Das Gleichgewicht zwischen der Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse und der erhöhten Blutungsrate entspricht den eingangs zitierten Werten bei Primärprophylaxe. Es überrascht aber, dass nach 3 Jahren diese beiden Parameter sich nicht mehr von der Placebogruppe unterscheiden. Mögliche Erklärungen sind ein frühzeitiges Ausscheiden von PatientInnen mit Magenbeschwerden unter ASS, die sonst später gastrointestinale Blutungen gehabt hätten, bzw. die Gabe von ASS für PatientInnen aus der Placebogruppe, die geringfügige kardiovaskuläre Probleme hatten. In einer weiteren Metaanalyse (16) wurde der Effekt von ASS auf die Metastasierung von Tumoren in 5 Studien (17.285) PatientInnen untersucht. Während der Studiendauer von 6,5 Jahren reduzierte ASS Tumore mit Fernmetastasen (insbesondere Adenokarzinome) um 36%. Dies könnte zumindest einen Teil der oben berichteten reduzierten Karzinommortalität erklären, die Reduktion der Inzidenz von Karzinomen spricht aber auch für einen direkten Effekt von ASS auf die Karzinombildung. 
Die rezenteste Studie (August 2012: 16a) eine „observational cohort study“ aus den USA (n = 100.139) fand, ebenfalls eine Reduktion der Krebsmortalität (insbesondere Colonkarzinom), allerdings je nach Berechnung nur um 8%, bzw. 16% und unabhängig davon, ob ASS für weniger oder mehr als 5 Jahre verwendet wurde.

Schlussfolgerungen: Rezente Metaanalysen machen wahrscheinlich, dass ASS mit der Mindestdosis von 75 mg die Inzidenz und Mortalität von mehreren Karzinomen, insbesondere Adenokarzinomen senken kann, vermutlich sowohl über eine Hemmung der Karzinogenese als auch der Metastasierung. Hingegen konnten zwei frühere große Studien (11,12), allerdings mit ASS nur alle zwei Tage gegeben, diesen Effekt nicht zeigen, sodass derzeit keine endgültige Klarheit herrscht (siehe auch Kommentare: 17 - 21). 
Können wir derzeit trotzdem einige Schlüsse ziehen? Für die essentielle Sekundärprophylaxe nach Infarkten und Schlaganfällen mit ASS dürften diese neuen Daten zur Karzinomprophylaxe einen zusätzlichen Nutzen belegen. Dies gilt auch für die Prophylaxe bei PatientInnen mit einem klaren kardiovaskulären Risiko (Angina pectoris, Vorhofflimmern, peripheren Durchblutungsstörungen). Für letztere Erkrankungen hat eine Studie für Clopidogrel (Plavix, Clopidogrel Generika) einen etwas besseren Nutzen gefunden (siehe Pharmainfo XXV/3/2010). Die neuen Daten zur Krebsprävention sprechen doch dafür, auch bei peripheren Durchblutungsstörungen ASS vorzuziehen
Für eine generelle Primärprophylaxe von kardiovaskulären Komplikationen ist in der letzten Zeit ein Gleichgewicht zwischen Nutzen und Schaden betont worden. Guidelines haben auch schon bisher eine Primärprophylaxe nur bei erhöhtem kardiovaskulären Risiko empfohlen. Die neuen Daten zur Krebsprävention könnten nun dafür sprechen, zumindest schon bei geringerem kardiovaskulären Risiko ASS einzusetzen. Solche PatientInnen sind in der Altersgruppe über 55 Jahre häufiger, wobei im Alter von 55 – 64 Jahren der Nutzen der Krebsprävention nach 20 Jahren schon eine absolute Risikoreduktion von 4,53% erreicht (NNT: 22), über 65 Jahre dann 7,08% (NNT: 14). Laut der obigen Metaanalyse waren hingegen erhöhte Blutungsraten nur in den ersten 3 Jahren gegeben (NNH: 257 für 3 Jahre). 
Auf jeden Fall sind weitere Studien notwendig. Laufende Studien (z.B. AspECT: Kombination von ASS und Protonenpumpenblockern, ASPREE: Nutzen und Risiko von ASS über 70 Jahren: siehe 20) sind dafür relevant. Eine rezente Guideline (American College of Chest Physicians) hat bereits in Kenntnis der ersten Publikation (4,8) zur Karzinomprävention eine ASS-Gabe für alle über 50 Jahren empfohlen (6). Die Diskussion hat aber erst begonnen (z.B. 21-23); auf jeden Fall ist folgendes abzusehen: Nachdem rezente Metaanalysen ein positives Nutzen/Risikoverhältnis bei der primären kardiovaskulären Prävention in Frage gestellt haben, könnte ASS als wirksame Krebsprävention das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen lassen.

Literatur:
(1)       Lancet 373,1849,2009
(2)       Arch Int Med 172,209,2012
(3)       Am Heart J 162,115,2011
(4)       Gastroenterol Hepatol 35,1,2012
(5)       J Amer Coll Cardiol 52,1502,2008
(6)       Chest 141, (Suppl), e6375,2012
(7)       Circulation 106,388,2002
(8)       Circulation 123,1243,2011
(9)       Ann Int Med 150,396,2009
(10)    Lancet 376,1741,2010
(11)    JAMA 294,47,2005
(12)    Ann Int Med 128,713,1998
(13)    Lancet, 378,2081,2011
(14)    Lancet, 377,31,2011
(15)    Lancet 379,1602,2012
(16)    Lancet 379,1591,2012
(16a)  J Nat Canc Inst 104,1208,2012
(17)    Arch Int Med 172,217,2012
(18)    Lancet 376,1713,2010
(19)    Lancet 378,2051,2011
(20)    J Nat Canc Inst 104,172,2012
(21)    Lancet online 21. März, 2012 – Chan
(22)    BMJ 344,e2480,2012
(23)    Nature Rev 9,259,2012

 

Alzheimer - Wie lange soll man eine Therapie fortsetzen?

Wir haben dazu im Einvernehmen mit einer deutschen Leitlinie festgestellt (siehe Pharmainfo XXV/2/2010), dass bei der Behandlung mit Cholinesterasehemmern (Donepezil: Aricept,Rivastigmin: Exelon, Galantamin: Reminyl, Galantamin Generika und Memantin: Axura, Ebixa) Absetzversuche zweckmäßig sein können, wenn Zweifel an einem günstigen Nutzen- zu Nebenwirkungs-Verhältnis auftreten.
Wie eine rezente Befragung von kanadischen ExpertInnen zeigt (1), ist dies aber eine kontroverse Problematik, da zwar Einigkeit darüber herrscht, dass bei Vorliegen belastender Nebenwirkungen die Therapie eher zu unterbrechen ist. Inwieweit aber der Wirkungserfolg oder Misserfolg zu bewerten sei, verblieb ohne Konsens.
Zu dieser wichtigen Frage ist nun eine neue Arbeit (2) erschienen (siehe auch Editorial: 2a und 3). Bei 295 PatientInnen mit mittelschwerer bis schwerer Erkrankung, die mindestens 3 Monate (im Durchschnitt 2 – 3 Jahre: siehe 2a) Donepezil erhalten hatten, wurde diese Therapie unterbrochen und in 4 Studienarmen (Placebo, Donepezil, Memantin und beide Medikamente) für ein Jahr fortgesetzt. Untersucht wurden der SMMSE Parameter (Standard Mini-Mental State Examination) für kognitive Fähigkeiten und der BALD (Bristol Activities of Daily Living Scale). In allen 4 Gruppen verschlechterten sich diese Parameter. In der Donepezil Gruppe war der Abfall im Vergleich zu Placebo für SMMSE um 1,9 Punkte geringer (auf einer 10 Punkte Skala: ein Unterschied von 1,5 wird als klinisch relevant angesehen), für BALDS um 3 Punkte verbessert (auf einer 60 Punkte Skala: 3,5 klinisch relevant), für Memantin waren die entsprechenden Werte 1,2 bzw. 1,5. Für Donepezil entsprach dieser verlangsamte Abfall der kognitiven Fähigkeiten einem zeitlichen Gewinn gegenüber der Placebogruppe um 4 Monate (3). Die Kombination der beiden Substanzen erbrachte keinen Vorteil gegenüber den Einzelsubstanzen. 
Was belegt diese Studie (i): Wie bereits in früheren Studien gezeigt (siehe Pharmainfo XXV/2/2010) kann die Wirkung der Cholinesterasehemmer gerade noch als klinisch relevant angesehen werden, für Memantin in dieser Studie nicht mehr. Für Memantin hat ein Cochrane Review (4) einen „small beneficial effect“ für moderaten bis schweren Alzheimer gesehen, für leichtere Alzheimer Formen war nur mehr ein marginaler positiver Effekt auf kognitive Fähigkeiten, aber nicht auf andere Parameter wie „daily living“ zu sehen.
(ii) Für die Kombination Memantin mit Donepezil haben wir (Pharmainfo XXV/2/2010) in Übereinstimmung mit der deutschen Guideline positive Belege (siehe 5) gesehen, die englische Bewertungsagentur NICE hat hingegen diese Kombination „because of lack of evidence of additional clinical efficacy“ nicht empfohlen (siehe NICE Guideline, März 2012, für Alzheimer). Diese Empfehlung wird durch die vorliegende Studie bestätigt. Sollte diese Therapie trotzdem eingesetzt werden, ist sie besonders kritisch nach den in Punkt (iii) angeführten Kriterien zu hinterfragen (siehe auch 2a).
(iii) Zu unserer im Titel gestellten Frage lässt diese Studie konkretere Antworten zu: Eine längere Fortsetzung der Therapie mit Donepezil ist für einzelne PatientInnen zweckmäßig, wenn diese bei vertretbaren Nebenwirkungen unter der Therapie eine Verbesserung oder keine Verschlechterung erfahren. Die grundsätzliche Entscheidung bezüglich Wirkung muss aber gegenüber dem Grad der Nebenwirkungen, die Übelkeit, Durchfälle, Bradykardie, Muskelkrämpfe und Harninkontinenz einschließen, abgewogen werden. Auch Synkopen (verbunden mit kurzem Bewusstseinsverlust und Sturzgefahr) wurden beobachtet (siehe 6: 31,5 versus 18,6 pro 1.000 Personenjahren bei Demenzkranken mit oder ohne Cholinesterasetherapie; Oberschenkelfrakturen: 22,4 versus 19,8).
Letztlich ist zu überlegen, inwieweit eine Verschiebung des Abfalls der kognitiven Fähigkeiten um 4 Monate nicht durch belastende Nebenwirkungen neutralisiert oder ins Negative verkehrt wird. Hierzu gibt auch diese Studie nur Eckpunkte, am Ende verbleibt die individuelle ärztliche Entscheidung im Einvernehmen mit den Angehörigen und wenn möglich mit den PatientInnen, ob die Nutzen/Nebenwirkungsabwägung positiv ist.

Literatur:
(1)       Int Psychoger 23,539,2011
(2)       N Engl J Med 366,893,2012
(2a)     N Engl J Med 366,957,2012
(3)       BMJ 344,e1718,2012
(4)       Cochrane Library 2009: issue 1
(5)       JAMA 291,317,2004
(6)       Arch Int Med 169,867,2009

 

Azithromycin und kardiovaskulärer Tod

Bereits im Jahre 2004 wurde eine Assoziation von Makrolid-Therapie und plötzlichem kardiovaskulären Tod publiziert (1). Damals wurde gezeigt, dass die Einnahme von Erythromycin  (Erythrocin und Generika) zu einer Verdoppelung plötzlicher kardiovaskulärer Todesfälle führte, während die Einnahme eines Betalaktam-Antibiotikums (Amoxicillin) keinen Einfluss auf das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko hatte. Das Mortalitätsrisiko unter Erythromycintherapie wurde gar auf das 5,4-fache gesteigert, wenn die PatientInnen gleichzeitig Medikamente einnahmen, die Cytochrom –P450 3A (CYP3A) – ein Erythromycin-abbauendes Enzym der Leber (2) - blockierten oder mit diesem interagierten, wobei einschränkend vermerkt werden muß, dass diese Analyse mit nur 194 PatientInnen durchgeführt wurde (1). Demgegenüber war bei gleichzeitiger Einnahme von CYP3A Inhibitoren und Amoxicillin (Ospamox und Generika) das Risiko für plötzlichen Herztod nicht erhöht (1). Die am häufigsten verwendeten CYP3A Inhibitoren in dieser Studie waren Verapamil(Isoptin und Generika) und Diltiazem (Dilzem und Generika). Der zur erhöhten Mortalität führende Mechanismus bleibt unklar, es wurde jedoch diskutiert, dass Calciumantagonisten den Abbau von Erythromycin blockieren und über Steigerung der Erythromycinspiegel zu einer QT-Verlängerung führten (3), umgekehrt kann aber auch Erythromycin den Abbau der Calciumantagonisten hemmen und deren Serumkonzentrationen erhöhen, was mit Bradykardie und Asystolie assoziiert sein kann (1, 4). Rezent publizierte klinische Beobachtungen zeigen nun auch, dass während der Einnahme von Azithromycin (Zithromax und Generika) ebenfalls ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko beobachtet wurde (5). In einer Kohortenstudie wurde das Risiko für kardiovaskulären Tod bei 348.000 PatientInnen, die über 5 Tage Azithromycin  genommen haben, im Vergleich zu Personen ohne Antibiotika-Therapie (ca. 1,4 Millionen), PatientInnen, die Amoxicillin genommen haben (1,4 Millionen), sowie PatientInnen unter Chinolon-Therapie (Ciprofloxacin bzw. Levofloxacin, zusammen ca. 450.000) analysiert. Dabei fanden die AutorInnen, dass die fünftägige Einnahme von Azithromycin das Risiko für kardiovaskulären Tod um das 2,88-fache und Tod aus anderen Ursachen um das 1,85-fache im Vergleich zu PatientInnen erhöhte, die keine Antibiotika einnahmen (5). Demgegenüber hatten PatientInnen, die Amoxicillin einnahmen kein erhöhtes Sterberisiko. Im Vergleich zu Amoxicillin führte die Einnahme von Azithromycin zu 47 zusätzlichen Todesfällen bei 1 Million Verschreibungen, bei PatientInnen mit einer weit fortgeschrittenen kardiovaskulären Erkrankung erhöhte sich das Risiko sogar auf 245 zusätzliche Todesfälle pro 1 Million Verschreibungen. Beim Vergleich mit  Chinolonen zeigte sich ein signifikant höheres Mortalitätsrisiko von Azithromycin versus Ciprofloxacin (Ciproxin und Generika), während das Risiko für kardiovaskulären Tod zwischen Azithromycin und Levofloxacin (Tavanic und Generika) nicht signifikant unterschiedlich war (5). 
Bei diesen Beobachtungen dürfte es sich um einen Gruppeneffekt von Makroliden handeln, da auch die kurzzeitige Gabe von Clarithromycin (Klacid und Generika) mit einem signifikant erhöhten Risiko (2,61–fach) für plötzlichen Herztod assoziiert waren, interessanterweise trat dieses Ereignis bei gleichzeitiger Einnahme von Statinen nicht auf (6).
Diese Studien betonen einmal mehr die Bedeutung von weiterführender Beobachtung und Dokumentation von unerwünschten Nebenwirkungen nach Zulassungen von Medikamenten, um potentiell lebensbedrohliche Arzneimittelinteraktionen zu identifizieren, und untermauert die Wichtigkeit von pharmakologischem, aber auch von fachspezifischem Wissen in der Behandlung chronisch Kranker mit Infektionen. 
Konsequenzen: Insbesonders ist die Indikation zur Gabe von Makroliden bei PatientInnen mit kardiovaskulären Erkrankungen und/oder laufender Therapie mit CYP3A Inhibitoren kritisch zu stellen. Das gilt insbesonders auch für die Langzeitadministration von Makroliden, z.B. zur Prävention von akuten Exazerbationen einer COPD (7), wo einer Reduktion der Exacerbationsfrequenz die potentielle Erhöhung der kardiovaskulären Mortalität gegenübersteht.

Literatur:
(1)       New Engl J Med 351,1089,2004
(2)       Clin Pharm Therap 72,524,2002,
(3)       Pharmacotherapy 16,663,1996,
(4)       Am J Med 95,431,1993,
(5)       New Engl J Med 366,1881,2012,
(6)       Cardiology,118,63,2011,
(7)       New Engl J Med,365,689,2011

 

Fampridin (Fampyra)

Fampridin ist eine neu formulierte retardierte Form des 4-Aminopyridin (4-AP). 4-AP ist ein Blocker von spannungsabhängigen Kaliumkanälen, 4-AP soll insbesondere auf demyelinisierte Axone wirken und die Aktionspotentialbildung verbessern.
Fampridin ist zur Verbesserung der Gehfähigkeit von erwachsenen PatientInnen mit Multipler Sklerose (MS) mit Gehbehinderung (EDSS 4-7) zugelassen (in den USA als Ampyra).
In drei Zulassungsstudien (9-14 Wochen, doppelblind) wurden insgesamt 540 PatientInnen mit MS (Krankheitsdauer 10,8 - 12,7 Jahre) auf eine Verbesserung der Gehfähigkeit untersucht (siehe EPAR, EMA): Primärparameter war die Anspruchrate im T25FW Test (Timed-25 Foot Walk Test: Zeit um 7,6 m zu gehen). Ein Responder war gegeben, wenn er in 3 von 4 Messungen eine höhere Geh-Geschwindigkeit zeigte. Diese lag für Placebo bei 8,3 - 9,3%, für Fampridin zwischen 34,8 - 42,9%. Ein Responder kann man schon mit sehr kleinen Unterschieden sein, die tatsächliche Geschwindigkeit zwischen den 2 Gruppen zeigte hingegen nur geringe Unterschiede: 10,5 - 13,6 Sekunden für Placebo versus 10,2 - 10,8 für Fampridin. Mit einer anderen Responderrate kann man zumindest zeigen, dass ein Teil der PatientInnen etwas besser reagiert. 31% in der Fampridingruppe und 13% in der Placebogruppe zeigten eine zumindest 20%ige Reduktion in der Zeit. 
Die Bewertung dieser Studien durch die europäische Zulassungsbehörde (CHMP) war sehr kritisch (siehe EPAR): „The clinical relevance of the effect observed is highly uncertain“. Es ist z.B. zweifelhaft, ob eine Verbesserung der Geschwindigkeit über ein paar Meter etwas über Gehqualität, Gehfähigkeit und Koordination im Allgemeinen aussagt.
In Sekundenparametern wurde bewertet, ob der/die UntersucherIn oder der/die PatientIn selbst (SGI: subject global impression, CGI: clinical global impression) einen Behandlungserfolg sehen: Es wurde kein Unterschied im klinischen Bild zwischen den zwei Gruppen berichtet.
An Nebenwirkungen wurden Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Parästhesien und Tremor beobachtet. Harnwegsinfekte waren häufiger als in der Placebogruppe. Auch Krämpfe wurden registriert, insbesondere bei Dosen, die knapp (geringe therapeutische Breite) über der empfohlenen Dosis lagen (bei 10mg: 0,4/100 PatientInnenjahren, NNH 250; bei 15 mg: 1,7/100: NNH 59: Medical Letter 52,73,2010). 
Vor allem auf Grund der zweifelhaften Wirkung wurde eine Zulassung vom CHMP abgelehnt. Eine Firma hat aber das Recht, eine Revision zu verlangen, und diese wird mit 2 neuen Rapporteuren im CHMP durchgeführt. Letztlich erfolgte dann eine positive Mehrheitsentscheidung insbesondere im Hinblick darauf, dass zumindest ein Teil der PatientInnen eine bessere (über 20%) Wirkung zeigt und weil ein „medical need“ (keine andere vergleichbare Therapie) gegeben ist. 
Offensichtlich gibt es auch bei wissenschaftlichen Bewertungen einen Graubereich, wo Mehrheitsentscheidungen so wie in anderen „menschlichen“ Bereichen variieren können. 
Die Unsicherheit bei dieser Entscheidung drückt sich auch durch eine „konditionale“ Zulassung aus: diese ist der Ausdruck einer noch unvollständigen Datenlage (daher Verpflichtung zu weiteren Studien) und ist jährlich zu erneuern. 
In einer rezenten, unveröffentlichten Studie (von der FDA angeordnet, n = 430) zeigte Fampridin in der 5 mg, aber auch der 10 mg Dosis keinen Effekt auf die Gehgeschwindigkeit bei MS PatientInnen (DIA daily, 14. Aug. 2012). 
In der Fachinformation wurde vorgeschrieben: Erstverschreibung auf 2 Wochen begrenzen. Wenn keine Verbesserung beobachtet wird, bzw. wenn PatientInnen keine positive Wirkung berichten (Gehtest durchführen), Fampridin absetzen. Auch im weiteren Verlauf wiederholte Beurteilung und gegebenenfalls Absetzen.
Bei dieser Datenlage (fragliche Wirkung, Risiko von Krampfanfällen) ist eine Verschreibung dieses Mittels schwer vertretbar. 

 

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Montag, 8. Oktober 2012

Pharmainformation

Kontakt:

em.Univ.Prof.Dr.
Hans Winkler 

Tel.: +43 (0)512/9003-71200
Fax: +43 (0)512/9003-73200  

E-Mail: hans.winkler@i-med.ac.at

Peter-Mayr-Straße 1a
A-6020 Innbruck

Sie finden uns hier.

Kontakt:

em.Univ.Prof.Dr.
Hans Winkler 

Tel.: +43 (0)512/9003-71200
Fax: +43 (0)512/9003-73200  

E-Mail: hans.winkler@i-med.ac.at

Peter-Mayr-Straße 1a
A-6020 Innbruck

Sie finden uns hier.