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Inhalt

 

Editorial

Da sich unsere Leserschaft 1990 sehr stark (auf 15.000) vergrößert hat, seien noch einmal kurz die Richtlinien der Herausgeber für die Pharmainfo skizziert. Artikel, bei denen kein Autor angeführt ist, werden von einem der Herausgeber verfaßt und dann vom Herausgeberteam nach Diskussion in eine Endfassung gebracht. Auch bei namentlich gekennzeichneten Artikeln werden diese, natürlich unter Einbeziehung des Autors, diskutiert, so daß sich das Herausgeberteam mit den Artikel identifizieren kann.
Die Pharmainfo ist unabhängig und versteht sich als kritische Publikation
. Im Rahmen der Risiko/Nutzenabwägung sollen Vor- und Nachteile von Medikamenten transparent dargestellt werden. Dies kann auch dazu führen, daß von der Verwendung mancher Pharmaka abgeraten werden muß. Solche Aussagen richten sich nicht gegen einzelne Firmen der Pharmaindustrie, und wir sind bestrebt, bei aller Unabhängigkeit und Kritik, auch Argumente und Standpunkte der Pharmaindustrie anzuhören und zu diskutieren.
Wichtig für die Unabhängigkeit unserer Publikationen erscheint auch, daß alle Herausgeber und Autoren ohne irgendwelche Honorare arbeiten und die Ärztekammer nur die Druckkosten verrechnet.
Dieses Mal (und abschließend auch das nächste Mal) diskutieren wir, einem Wunsch der Salzburger Kollegenschaft entsprechend, in Fortsetzung früherer Kapitel Fragen der Hochdrucktherapie. Da die Pharmainfo auf ältere Kapitel immer wieder zurückverweist oder Weiterentwicklungen von älteren Stellungnahmen diskutiert, möchten wir die Kollegen/innen ersuchen, die Pharmainfos, es erscheinen jeweils vier Nummern pro Jahr, zu sammeln.

 

Zur Therapie der Hypertonie

Zu diesem Thema haben wir bereits einzelne Kapitel besprochen. So wurden bereits drei wichtige Arzneimittelgruppen zur Hypertoniebehandlung charakterisiert, und zwar Betablocker (Pharmainfo I/1/1986), ACE-Hemmer (Pharmainfo IV/3/1989) und Calciumantagonisten (Pharmainfo V/1/1990). Alle diese drei Gruppen werden heute zur primären Monotherapie als geeignet angesehen, die vierte derartige Gruppe stellen die Diuretica dar. Diese Medikamente seien im folgenden kurz analysiert, bevor wir auf Entscheidungsgrundlagen zur Medikamentenauswahl eingehen. Es ist klar, daß ein so komplexes Gebiet nicht erschöpfend behandelt werden kann. Wir wollen jedoch einige Gesichtspunkte herausarbeiten, die eine kritisch-rationelle Therapie erleichtern sollten. Es dürfte kaum ein anderes Therapiegebiet geben, in dem aufgrund der vielen Wahlmöglichkeiten eine für den (die) jeweilige(n) PatientInnen optimale Therapie von der überlegten Entscheidung des Arztes bzw. der Ärztin abhängt.

 

Diuretica

Die für die Hochdruckbehandlung relevanten Diuretica sind die Benzothiadiazingruppe mit analogen Verbindungen, die kaliumsparenden Diuretica und die stark wirksamen Schleifendiuretica.

Benzothiadiazine
Diese Verbindungen hemmen die Na+- und Cl-Rückresorption im distalen Nierentubulus, so daß diese Ionen vermehrt (zusammen mit Wasser) ausgeschieden werden. Das gestiegene Na+-Angebot im Tubulus kann nach vermehrtem Austausch mit K+ zur Kaliurese und letztlich zur Hypokaliämie führen. Neben der Reduktion des Plasmavolumens soll auch die Senkung des intrazellulären Na+ in den glatten Muskeln der Gefäße (mit einer nachfolgenden Senkung der Ca+-Konzentration) zur Blutdrucksenkung beitragen. 
Die antihypertensive Wirkung der Diuretica ist durch viele Studien belegt (1).
 Die wichtigsten Nebenwirkungen sind im Bereich des Stoffwechsels eine Verminderung der Glucosetoleranz (Auftreten einer pathologischen Glucosetoleranz oder eines manifesten Diabetes), Hyperurikämie (Gichtanfälle bei disponierten Patienten) und Änderung des Lipidstoffwechsels (s.u.).
Im Bereich der Elektrolyse ist die Hypokaliämie die wichtigste Nebenwirkung. Dieser kann durch kaliumreiche Ernährung, durch Kaliumsubstitution oder durch Kombination mit kaliumsparenden Diuretica (s.u.) entgegengewirkt werden. Am wichtigsten dürfte aber die Erkenntnis sein, daß Hypokaliämie bei niedriger Dosierung seltener auftritt (2). Für die blutdrucksenkende Wirkung ist die Dosis/Wirkungskurve flach, d.h. Dosiserhöhung bringt keine deutliche Steigerung des RR-senkenden Effekts, dafür steigt aber bei Dosiserhöhung das Risiko der Hypokaliämie. Es ist daher eine niedrig dosierte Diureticatherapie zweckmäßig. Zur Wirkungssteigerung ist nicht eine Dosissteigerung, sondern nur eine Kombination mit anderen Substanzen sinnvoll. Hypokaliämie verstärkt die Toxizität von Digitalisglycosiden, ist diese Kombination notwendig, dann ist auf den Kaliumspiegel besondere Aufmerksamkeit zu richten.
Zur Verfügung stehende Präparate sind: Bendroflumethazid (nur in Kombinationen), Butizid (Saltucin), Hydrochlorothiazid (Esidrex), Chlortalidon (Hygroton), Mefrusid (nur in Kombination) Xipamid (Aquaphoril) und Clopramid (nur in Kombination). Diese Präparate unterscheiden sich nicht in der Wirkungsqualität oder in den Nebenwirkungen. Daher stellen die am längsten verwendeten Präparate wie Esidrex und Hygroton die Standardtherapie dar (4). Zur Benzothiazingruppe kann auch Indapamid (Fludex) gerechnet werden, das als entscheidende Nebenwirkung ebenfalls zur Hypokaliämie führen kann. Für die Behauptung, daß dieses Präparat sicherer als die Thiazide ist, gibt es keine überzeugenden Beweise (5).
Kombinationen von Diuretica mit den anderen Präparaten erster Wahl werden unten diskutiert. Eine klassische Kombination, nämlich Benzothiadiazin mit Reserpin (Adelphan-Esidrex: +Hydralazin; Bendigon, Brinerdin, Elfanex: + Hydralazin, Darebon, Modenol, Pressimedin, Repicin, Resaltex: + Triamteren; Supergan) ist heute nicht mehr als erste Wahl anzusehen. Reserpin wirkt über Hemmung der Aufnahme von Aminen in die Speichervesikel antisympathomimetisch (daher blutdrucksenkend), aber wahrscheinlich auch über den gleichen Mechanismus im Gehirn sedierend und depressionsauslösend (3). Diese depressive Wirkung soll zwar bei niedriger Dosis (meist 0,05 bis 0,1 mg, im Darebon allerdings 0,25 mg) geringer sein, im Rahmen einer Dauertherapie verbleibt sie aber als heute nicht mehr notwendiges Risiko, da genügend andere Substanzen erster Wahl vorliegen. Für die Zugabe des Mutterkornalkaloides Ergocristin zu den oben genannten Präparaten (Brinerdin, Pressimedin, Supergan) kann eine überzeugende Argumentation für die Zweckmäßigkeit nicht gefunden werden (4).

Stark wirksame Schleifendiuretica
Diese Substanzen greifen an der aufsteigenden Henle'schen Schleife an, bewirken dort eine Hemmung der Rückresorption von Na+, K+ und Cl- und führen damit zur Elektrolytausscheidung mit Diurese. Diese Substanzen mit sehr starker Wirkung sind besonders zur akuten Ödemausschwemmung geeignet. Zur Hypertoniebehandlung stehen primär die Benzothiazide im Vordergrund. Schleifendiuretica sind indiziert, wenn Benzothiazide zuwenig wirken, also z.B. bei Niereninsuffizienz oder wenn in der Initialbehandlung zur Entlastung eines dekompensierenden Herzens eine rasche Diurese erwünscht ist.
Ein lang bewährtes Präparat ist Furosemid (Lasix), Ethacrinsäure (Edecrin) dürfte etwas mehr Nebenwirkungen, insbesondere eine deutlichere Ototoxizität besitzen (6,8). Neuere Präparate sind Bumetanid (Burinex) und Piretanid (Arelix) mit geringerer Langzeiterfahrung. Das letztere Medikament wurde in der Pharmainfo IV/2/1989 ausführlich besprochen. Gegenüber den lange bewährten Präparaten, deren Nebenwirkungspotential gut einzustufen ist, bietet es keine Vorteile. Die generelle Indikation leichte Hypertonie, wie sie in der Fachinformation (Austria-Codex) für dieses Präparat angegeben ist, widerspricht der allgemeinen Empfehlung, daß von den Diuretica hier primär die Benzothiazinpräprate einzusetzen sind.
Eine zu brüske diuretische Therapie (insbesondere bei Schleifendiuretica) kann besonders bei älteren Menschen über Bluteindickung Thrombosen begünstigen.
Bereits oben wurde festgestellt, daß Kombinationen von Diuretica und Reserpin Terbolan: Furosemid+Reserpin) heute nicht mehr Präparate erster Wahl darstellen. Kombinationen von Furosemid mit Betablockern (Normotensin) sind nur indiziert, wenn die Kombination mit Hydrochlorothiazid (s.u.) nicht wirksam ist.

Kaliumsparende Diuretica
Substanzen mit zwei Wirkungsmechanismen gehören in diese Gruppe. Die einen (Triamteren: Jatropur; Amilorid: Midamor) greifen an den distalen Tubuli- und corticalen Sammelrohren primär an der Natriumaufnahme an und bewirken dadurch indirekt eine Hemmung der passiven K+-Sekretion (6). Die Aldosteronantagonisten (Spironolacton: Aldactone, Aldopur, Deverol, Osiren) konkurrieren mit Aldosteron um den Rezeptor und schalten dadurch die natriumretinierende und kaliumsezernierende Wirkung dieses Hormons aus.
Die Bedeutung von Triamteren und Amilorid liegt nur in der Verhinderung von Kaliumverlusten, wie sie bei benzothiazidbehandlung auftreten können. Da diese Präparate aber weniger verträglich (Nebenwirkung: Erbrechen, Wadenkrämpfe, Schwindelgefühl, Exanthem, Juckreiz, zusätzlich bei Triamteren: megaloblastische Anämie, Amilorid: Sehstörungen) als Benzothiazide sind, ist primär eine Niedrigdosistherapie dieser Substanzen mit kaliumreicher Ernährung vorzuziehen und auch oft ausreichend. Auch bei Therapie mit Kombinationen (Amilorid+Hydrochlorothiazid: Moduretic; Triamteren+Hydrochlorothiazid: Dytide H, Prestazide, Salodiur, Triamteren/Hydrochlorothiazid, Lacvosan, Turfa) ist keine Garantie gegeben, daß der Kaliumspiegel normal bleibt, es kann eine Hypokaliämie, aber auch eine Hyperkaliämie auftreten, so daß der Kaliumspiegel auch bei Gabe dieser Kombinationen zu kontrollieren ist. Bei Niereninsuffizienz, und dies gilt auch für die physiologische Nierenfunktionseinschränkung bei Patienten über 65 Jahren, sind diese Präparate kontraindiziert (4). Alle kaliumsparenden Diuretica dürfen nicht mit ACE-Hemmern kombiniert werden. 
Für Spironolacton gilt bezüglich des Kaliumspiegels das gerade Gesagte. Im Tierversuch ist Spironolacton tumorigen (1,4,7: u.a. auch monomyeloische Leukämien bei Ratten). Auch wenn die Bedeutung dieser Eigenschaft für den Menschen nicht abzuschätzen ist, ist man zur Zurückhaltung verpflichtet. Der Einsatz von Spironolacton ist daher nur dort zweckmäßig, wo dieses Mittel nicht leicht ersetzbar ist, also z.B. bei Leberzirrhose mit Ascites und bei primärem Hyperaldosteronismus oder bei cardialen Ödemen, die aufgrund eines sekundären Aldosteronismus resistent auf die Behandlung mit den anderen Diuretica werden. Im Rahmen der Therapie einer Hypertonie, die eine Dauergabe über viele Jahre, ja sogar Jahrzehnte bedingt, ist auch ein geringes Risiko einer Förderung der Tumorgenese nicht vernachlässigbar, da es eben auch genügend gute Alternativen gibt. Zur Behandlung einer unkomplizierten Hypertonie sind daher auch Kombinationspräparate von Aldactone mit Benzothiazid bzw. Schleifendiuretica (Aldactone - Saltucin, Deverol mit Thiazid, Lasilacton, Sali Aldopur, Supracid, Suprenoat: + zusätzlich Reserpin) schwer vertretbar. In England ordnete die Gesundheitsbehörde einen Stop für Spironolacton-Präparate zur Behandlung des Bluthochdrucks an (7,15). Lasilacton stellt eine Kombination von Furosemid mit Spironolacton dar. Korrekterweise, und dies sei positiv hervorgehoben, heißt es hier in der Fachinformation (Austria-Codex): zu verwenden, "wenn bisherige Therapierungsmaßnahmen nicht ausreichen".

Zusammenfassung
Benzothiazidverbindungen stellen eine wirksame und gut belegte Therapie von Hochdruck dar. Bei Niedrigdosis-Therapie ist eine Hypokaliämie weitgehend zu vermeiden (insbesondere bei kaliumreicher Ernährung), so daß Kombinationen mit kaliumsparenden Diuretica keinen routinemäßigen Vorteil bilden. Schleifendiuretica sind zu Beginn der Therapie bei Vorliegen kardialer Dekompensationszeichen günstig. Spironolacton ist bei der Therapie der unkomplizierten Hypertonie aufgrund seines tumorigen Potentials schwer vertretbar. Für weitere Auswahlkriterien siehe unten.

 

Entscheidungskriterien zur Auswahl von Medikamenten

Für die Therapie des Hochdrucks stehen heute relativ viele primär gut geeignete Mittel zur Verfügung. Es ist nicht verwunderlich, daß für dieses große Indikationsgebiet neben bewährten Präparaten viele me-too-Präparate einen Marktanteil erobern wollen. Dabei wird versucht, mit verschiedenen Argumentationen wie z.B. bessere Lebensqualität und Stoffwechselneutralität Erfolg zu haben. Wir wollen versuchen, einige Entscheidungskriterien kritisch zu analysieren. 
Eines der wichtigsten Kriterien ist die Verhinderung der durch Hypertonie ausgelösten Morbidität und Mortalität. Frühe Langzeitstudien haben sowohl für Betablocker als auch für Diuretica eindeutige Effekte belegt (siehe Pharmainfo I/3/1986). Allerdings waren nur die Resultate bei mittlerem bis schwerem Hochdruck (über 100 mm Hg diastolisch) überzeugend, bei mildem Hochdruck (bis 100 mm Hg) waren die Resultate z.T. enttäuschend. Dies hat u.a. zur Diskussion darüber beigetragen, daß Stoffwechseleffekte vor allem der Diuretica (und möglicherweise auch der Betablocker) die positiven Effekte einer Blutdrucksenkung wieder aufheben würden. Diese Diskussion (s.u.) darf aber nicht vergessen lassen, daß nur für Diuretica und Betablocker überzeugende Daten zur Senkung der von Hypertonie ausgelösten Morbidität und Mortalität in Langzeitstudien vorliegen, während dies für Calciumantagonisten und ACE-Hemmer (noch) nicht erfolgt ist.

 

Metabolische Veränderungen

Wie schon eingangs erwähnt, ist in den letzten Jahren eine rege Diskussion darüber entstanden, inwieweit metabolische Effekte der Antihypertonika eine Reduzierung der Coronar-Mortalität aufgrund der RR-Senkung wieder aufheben können. Im Vordergrund stand hier insbesondere die Beeinflussung der Lipidspiegel, da ja z.B. der Cholesterinspiegel im Blut und die cardiovaskuläre Mortalität deutlich korreliert sind. Die einzelnen Studien sind zum Teil widersprüchlich, und eine einigermaßen verläßliche Aussage kann nur aus der Bewertung vieler Studien kommen (9,10,11). So erscheint z.B. der alpha1-Blocker Prazosin (Minipress) im Gesamten günstige Effekte auf die Blutlipide zu haben. Bei ca. 20 Studien (siehe 9) schwanken aber die Änderungen der Werte der Serum-Triglyceride unter Therapie von -16 zu +15% Mittelwert: -8%), für totales Cholesterin von -12 bis +6% (Mittelwert: +4%) und für das "günstige" HDL von -16 bis +18% (Mittelwert: +8%). Dieses eine Beispiel zeigt schon, daß generelle Aussagen mit Vorsicht zu betrachten sind. Dem Prazosin ähnlich erscheint Clonidin (11). Für Calciumantagonisten sind weder günstige noch nachteilige Werte beschrieben (18 Studien: 9), und dies gilt auch für ACE-Hemmer, wobei hier allerdings nicht so viele Studien vorliegen (10), und für Methyldopa (11). Bei den Diuretica dürfte eine Tendenz zu ungünstigen Werten vorherrschen. So stiegen (bei ca. 20 Studien: 9) die Triglyceride im Mittel um 15% (-22 bis +38%) und das Gesamtcholesterin um 6% (+4 bis +13%), während das HDL praktisch gleichblieb (-2%: -30 bis +12%). Gewisse Widersprüche, ob diese Effekte nach längerer Therapie (ein Jahr und mehr) verschwinden oder persistieren (11), verbleiben immer noch. Für das Diureticum Indapamid (Fludex) wurde in einer Studie (siehe 9,12) keine Lipidveränderung gefunden. Nach all dem Gesagten ist dieses Einzelresultat offensichtlich nicht ausreichend, diese Substanz gegenüber den Thiaziden vorzuziehen (5).
Für Betablocker ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Substanzen mit intrinsischer sympathischer Aktivität erscheinen lipidneutral, zumindest als Monotherapie (9,11), während unspezifische Betablocker ohne intrinsische Aktivität zu einer Erhöhung der Triglyceride (+38%) und einem Absinken von HDL (-19%) bei Gleichbleiben des totalen Cholesterins führen, wobei diese Effekte bei cardioselektiven Blockern geringer sein sollen (9).
Welche Konsequenzen sind nun aus diesen Daten zu ziehen? Sind die auf die Lipide eher "negativ" wirkenden Diuretica und Betablocker "schlechtere" Hochdruckmittel? Hierzu ist erstens festzustellen, daß nur für diese beiden Gruppen eine Senkung der Mortalität im Rahmen der Hochdruckbehandlung in Langzeitstudien sichergestellt wurde. Man kann aber argumentieren (jedoch ohne beweisende Daten), daß Mortalität noch weiter zu reduzieren wäre, wenn diese ungünstigen Veränderungen des Lipidstoffwechsels nicht vorhanden wären. Andererseits sollten die oben angeführten Daten gezeigt haben, daß die Veränderungen weit streuen und im Mittel gering sind. So wie wir das für alle Auswahlkriterien argumentieren werden, können solche Mittelwert-Daten nicht zur prinzipiellen Medikamentenauswahl für alle Patienten dienen. Einem(r) Patienten(in) mit einem deutlich ungünstigen Lipidstatus (also z.B. mit erhöhtem Cholesterin) wird man eher nicht Thiazid Diuretica oder spezifische Betablocker ohne intrinsische Aktivität geben, außer es sprechen andere Gründe dafür. Bei den anderen Patienten sind diese Präparate noch immer die bestbewährten und man wird fallweise einen Lipidstatus machen, um allfällige negative Veränderungen rechtzeitig abfangen zu können. Die Frage kann oft nicht lauten, welche Medikamentengruppe ist generell die bessere oder prinzipiell vorzuziehen, sondern welches Medikament ist für einen bestimmten Patienten das richtige. Auf weitere Stoffwechselveränderungen wie die Hypokaliämie, Hyperglykämie und Hyperurikämie durch Diuretica sind wir bereits oben eingegangen.

 

Lebensqualität

Die wichtige Frage der Lebensqualität im Rahmen einer Therapie wurde durch eine Studie im Jahr 1986 aktualisiert, in der der ACE-Hemmer Captopril mit alpha-Methyldopa und dem Betablocker Propranolol verglichen wurde (13). Diese Studie wird meist (vor allem aus Werbegründen) so zitiert, daß ACE-Hemmer den Patienten die "angenehmste" und damit auch akzeptabelste Therapie garantieren. Eine solche generalisierende Feststellung überbewertet aber die erhobenen Daten. Zum ersten waren die deutlichsten Unterschiede zwischen Captopril und alpha-Methyldopa zu sehen, von dem seit langem bekannt ist, daß es aufgrund einer relativ häufigen Sedierung und von Mundtrockenheit die Patienten subjektiv belastet. Dementsprechend brachen 20% der Patienten in der Methyldopagruppe die Therapie ab (die größte Zahl wegen dieser Symptome), was sich signifikant von der Captoprilgruppe (8%) unterschied. Die Betablockergruppe (13%, Hauptabbruchgründe Müdigkeit und Bradykardie) war aber von Captopril nicht signifikant unterschieden. Ein Abbruch wegen sexueller Dysfunktionen erfolgte bei ca. 5 bzw. 6 von jeweils 200 Patienten aller drei Gruppen. Bei einzelnen Parametern waren auch signifikante Unterschiede (z.B. generelles Wohlfühlen, physikalische Symptome) zwischen Captopril und Betablockern vorhanden., bei anderen wieder nicht (Arbeitsleistung, Schlafstörungen, Lebenszufriedenheit, soziale Teilnahme). Also ergab sich ein sehr wenig einheitliches Ergebnis, vor allem darf man aber nicht vergessen, daß hier Signifikanzen zwischen Mittelwerten berechnet werden, so ändert sich der "score" für general well being bei Captopril positiv von 103,4+/-1,0 auf 105,6+/-1,1, bei Betablockern von 104,0+/-1,1 auf 103,7+/-1,1. Dies kann der Statistiker zwar signifikant finden, was aber bedeuten diese Daten klinisch oder für den einzelnen Patienten? Kann man daraus schließen, daß ACE-Hemmer für die Patienten generell besser sind? Das Absurde eines solchen Schlusses sei mit einem Beispiel skizziert. ACE-Hemmer machen bei ca. 1% der Patienten (siehe Pharmainfo IV/3) einen lästigen Reizhusten, der zum Wechsel des Präparates z.B. auf einen Betablocker zwingen kann. Für diese Patienten sind die oben angeführten Mittelwerte völlig irrelevant. Der Begriff Lebensqualität ist also kritisch zu verwenden. Sicherlich gibt es Arzneimittelgruppen, die aufgrund ihrer Nebenwirkungen eine relativ höhere Abbruchrate (oder eine schlechtere Compliance) haben. Dies gilt am ehesten für Arzneimittelgruppen, die bei der Hochdrucktherapie erst in zweiter oder fernerer Wahl (s.u.) eingesetzt werden. Sogar bei alpha-Methyldopa sind zwar für viele Patienten Mundtrockenheit und Sedierung ein Problem, und diese machen daher tatsächlich dieses Mittel zu einem Präparat zweiter Wahl, aber es gibt auch viele Patienten, die mit dieser Substanz subjektiv zufrieden sind. Für Betablocker hat z.B. eine andere Studie gezeigt, daß im Vergleich zu Placebo bei diesen Substanzen Müdigkeit und schlechteres Abschneiden bei Tests nicht häufiger waren (23). 
Bei den für die primäre Monotherapie in Frage kommenden Substanzen (Diuretika, Betablocker, Calciumantagonisten und ACE-Hemmer) sollte dieser Begriff daher nicht aufgrund der Überbewertung von kleinen Mittelwertunterschieden zur generellen Bevorzugung einer Gruppe führen. Die vorliegenden Daten rechtfertigen ein solches Vorgehen nicht. Vielmehr sollten nach primärer Wahl eines Medikaments nach anderen Kriterien (s.u.) aufgetretene Nebenwirkungen einschließlich eines reduzierten Wohlbefindens (auch Störungen der Sexualfunktion: die allerdings auch schon oft vor der Therapie bestehen können) durch gezieltes Befragen des Patienten erkannt werden. Bei Weiterbestehen dieser negativen Effekte sollte versucht werden, ob dieser Zustand durch Wechsel des Medikaments verbessert werden kann. Der Begriff der Lebensqualität, die Berücksichtigung dieses Parameters sollte also nicht primär eine Medikamentengruppe diskreditieren, sondern im Rahmen einer auf das Individuum hin maßgeschneiderten Therapie berücksichtigt werden. Dies dürfte auch dazu beitragen, daß die Compliance des Hochdruckpatienten für die lebensverlängernde Therapie möglichst hoch wird.

 

Cardioprotektive Wirkung

Eine cardioprotektive Wirkung kann man ehestens darin sehen, wenn eine Substanz bei Gabe nach akutem Herzinfarkt die frühe Mortalität und die Reinfarktrate (mit Mortalität) senkt. Für Betablocker (siehe Pharmainfo I/1/1986) ist dies eindeutig belegt, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nur für solche ohne intrinsische Aktivität (16). Für Calciumantagonisten hingegen ist festzustellen (Pharmainfo V/1/1986), daß eine solche Wirkung nicht vorliegen dürfte, während für andere Antihypertensiva hiezu keine Daten vorliegen.
Patienten, die einen Herzinfarkt durchgemacht haben, haben eine relativ hohe Mortalität, so daß eine positive Wirkung von Medikamenten bei relativ kleinen Studienzahlen feststellbar ist. Wenn man eine cardioprotektive Wirkung im Rahmen einer Hochdrucktherapie sicherstellen will, ist dies viel schwieriger und braucht sehr große Studien. Frühere Studien haben insgesamt für mittleren und schweren Hochdruck gezeigt, daß die klassische Therapie (vor allem Diuretica, Reserpin, Betablocker) die Morbidität und Mortalität eindeutig reduzierte, insbesondere die durch Herz- und Nierenversagen und Schlaganfälle. Für die Folgekrankheit Coronarerkrankung war eine Reduktion, und dies gilt besonders für milde Hochdruckformen, gering bis nicht vorhanden (siehe Pharmainfo I/1 und 17). Wie schon oben angedeutet, wurden hiefür mögliche negative Effekte von Diuretica und Betablockern auf den Stoffwechsel diskutiert. In neueren Studien wird aber eine cardioprotektive Wirkung von Betablockern bei Hochdruckpatienten wahrscheinlich gemacht. In einer Studie von über 3.000 Patienten, die über vier Jahre mit einem Diureticum oder einem Betablocker (Metoprolol) behandelt wurden (17), war die cardiovaskuläre Mortalität in der Betablocker-Gruppe 5,2 per 1.000 Patienten versus 7,1 bei den Diuretica. Interessanterweise war dieser Effekt nur beutlich bei Rauchern, die an sich eine erhöhte cardiovasculäre Mortalität haben. Ähnlich positive Effekte wurden in zwei retrospektiven Studien gezeigt (18,19). In früheren Studien war dieser "Vorteil" von Betablockern gegenüber Diuretica allerdings nicht in dieser Weise feststellbar (siehe 17, Pharmainfo I/3/1986). Auf jeden Fall bleibt die Frage offen, ob Betablocker ihren möglichen günstigen Effekt über eine cardioprotektive Wirkung entfalten oder nur über die RR-Senkung. Im letzteren Fall würde dies bedeuten, daß die ebenfalls blutdrucksenkenden Diuretica aufgrund irgendeines zusätzlichen Effektes sich zwar günstig auf die Gesamtmortalität, aber eher negativ auf Herzerkrankungen auswirken.
Eine endgültige Antwort ist zur Zeit nicht möglich. Derzeit laufen vergleichende Langzeitstudien, die auch Calciumantagonisten und ACE-Hemmer einbeziehen. Es kann nur noch einmal betont werden, daß sowohl für Diuretica als auch Betablocker, aber nicht für die neuen Substanzen Daten vorliegen, die eine Senkung der Morbidität bei Hochdruckkranken belegen. Darüber hinaus gibt es Hinweise, daß unter Betablocker-Therapie (vor allem bei Rauchern) im Vergleich zu Diuretica noch zusätzlich die cardiovaskuläre Mortalität reduziert wird.
Schluß (mit Literatur) folgt in der nächsten Pharmainfo.

 

Zillertal Emulsion

Herr Dr. W. Geschwandtner hat uns über den Fall einer Patientin berichtet, die das typische Bild einer perioralen Dermatitis zeigte, wie sie nach fluorierten Steroiden (siehe Pharmainfo II/4/1987) zu beobachten ist. Entsprechende Recherchen durch den Kollegen ergaben, daß diese Patientin längere Zeit die "Original Zillertal-Emulsion" angewandt hat und daß es sich bei diesem so heimatlich klingenden Präparat um eine Emulsion handelt, in der Flubenisolon D4 (Betamethason) enthalten ist. Bei einer Verdünnung von D4 laut Rezeptur der herstellenden Apotheke dürften 1 mg Betamethason in 100 ml der Lösung enthalten sein. Dies ist zwar deutlich niederer als in den registrierten Salben (Diproderm, Diprotop mit Betamethason 1 mg auf 2 g), aber bei häufiger und konzentrierter Anwendung sind Nebenwirkungen wie periorale Dermatitis nicht auszuschließen. Wir berichten dies als ein Beispiel dafür, daß bei harmlos klingenden Namen (Zillertal!) oder auch für homöopathische Präparate (wie z.B. zur Rheumatherapie) immer wieder Fälle bekannt werden, wo wirksame Mengen von Glucocorticoiden entweder deklariert oder auch nicht ersichtlich in diesen Präparaten enthalten sind. Daran sollte immer gedacht werden.

 

Neu zugelassen: Erythropoetin (Erypo)

Dieses Präparat sei als Beispiel für gentechnologisch hergestellte Medikamente besprochen. Das Hormon Erythropoetin wird in der Niere vermehrt gebildet, wenn es zu Hypoxie, z.B. durch Aufenthalt in Höhenlagen, kommt. 1977 mußten zur Reinigung von 10 mg 2.550 l Urin von Patienten mit aplastischer Anämie extrahiert werden (siehe 1). Durch eine teilweise Aufklärung der Aminosäuresequenz konnte dann mit molekularbiologischen Verfahren die Gesamtsequenz erhalten und das Gen isoliert werden. Die Einführung dieses Gens in tierische Wirtszellen in Kultur (Ovarzellen des chinesischen Hamsters) ermöglicht die gentechnologische Herstellung von großen Mengen dieses Hormons. In ähnlicher Weise werden heute Humaninsulin, das menschliche Wachstumshormon (Genotropin-, Humatrope-, Saizen-Trockenstechampullen), Interferone (Berofor, Introna), Interleukine und GM-CSF (Granulocyte/Macrophage Colony Stimulating Factor) hergestellt.
Chronische Niereninsuffizienz führt häufig zu normochromer Anämie, die auf einem Erythropoetin-Mangel beruht, wodurch das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit des Patienten reduziert werden. Ein Großteil der Hämodialysepatienten braucht daher Bluttransfusionen. Diese Anämie kann durch Erythropoetin zumindest partiell korrigiert werden. Bei 10-20% der Patienten, insbesondere solchen mit Hochdruckneigung, kann es unter Therapie zur Blutsteigerung kommen. Auch die Thromboseneigung wird erhöht.
Derzeit scheint Erythropoetin das Mittel der Wahl zur Behandlung der Anämie niereninsuffizienter Patienten zu sein. Für Anämien anderer Genese wird derzeit die Indikation für Erythropoetin untersucht. Dieses neue Medikament ist ein gutes Beispiel dafür, wie Grundlagenforschung über ein Hormon in Kombination mit molekularbiologischen Methoden zu einem relevanten Therapiefortschritt führen kann.

Literatur:
(1) Deutsche med. Wschrift 114, 9, 59, 1989

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Freitag, 15. November 1996

Pharmainformation

Kontakt:

em.Univ.Prof.Dr.
Hans Winkler 

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