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Inhalt

 

Editorial

In dieser Pharmainfo werden vor allem neu zugelassene Medikamente besprochen und eine Kurzübersicht über die bisher besprochenen neuen Medikamente gegeben. Bei der Bewertung all dieser neuen Präparate überwiegen und überwogen kritische und negative Bemerkungen. Dies hat vor allem zwei Gründe: (1) Es gibt schon zahlreiche gute Medikamente, die bei vielen Indikationen wirksam sind. Wesentliche neue Entwicklungen, wie z.B. das Virostaticum Aciclovir (Zovirax) oder das Malariamittel Mefloquin (Lariam) sind selten. (2) Bei neuen Präparaten kann man erst nach einigen Jahren das gesamte Nebenwirkungspotential übersehen. Wenn diese Präparate gegenüber altbewährten keine entscheidenden Vorteile bieten, ist ihre Verwendung nur selten, höchstens als Mittel zweiter Wahl, vertretbar.
In der nächsten Pharmainfo werden wir wieder umfassender über wichtige Substanzgruppen (orale Antidiabetika und die bereits länger versprochenen ACE-Hemmer) berichten.

 

Neu zugelassen: Piretanid (Arelix)

P. König, Innere Medizin

Arelix ist ein neues Schleifendiuretikum, das u.a. zur Behandlung der milden Hypertonie empfohlen wird. Schleifendiuretika sind Substanzen, die eine Steigerung der Diurese bewirken, indem sie nach glomerulärer Filtration vom Tubuluslumen aus die Na- und Cl-Reabsorption im aufsteigenden Schenkel der Henleschen Schleife hemmen. In der Folge kann das große intratubuläre Na-Angebot im distalen Tubulus durch die Steigerung der Austauschrate von Na gegen K zu einer Hypokaliämie führen, die, wenn sie massiv ist, ohne entsprechende Substitution zum plötzlichen Tod infolge Kammerflimmern führen kann. Sie zeichnen sich im übrigen durch einen raschen Wirkungseintritt und eine kurze Halbwertszeit aus, wodurch eine gute Steuerbarkeit garantiert ist.
Der Einsatz von Schleifendiuretika ist bei Ascites in Kombination mit Spironolactonen, bei Ödemen renaler und kardialer Genese zusammen mit entsprechender Überwachungder Serumkaliumspiegel zweckmäßig, nicht jedoch als Basistherapie der milden Hypertonie (1). Hiefür stehen Thiazide (z.B. Esidrex, Saltucin und ähnliche Präparate wie Chlortalidon (Hygroton), die auf den distalen Nierentubulus wirken, im Vordergrund. Die von der Firma generelle Empfehlung von Piretanid zur Behandlung der milden Hypertonie ist daher nicht verständlich. Hochwirksame Schleifenduiretika sollten nur dann vorübergehend auch bei milden Hypertonieformen zum Einsatz kommen, wenn zugleich eine rasch einsetzende Diurese erforderlich ist, wie das im Rahmen einer beginnenden kardialen Dekompensation der Fall sein kann.

Wirkung auf die Diurese: Jan Kitzen (2) zeigte, daß Piretanid in niedriger Dosierung verglichen mit anderen Schleifendiuretika wie Lasix (Furosemid) und Edecrin (Ethacrinsäure) ein schnelleres Ansprechen der Diurese und damit der Natriurese, aber auch der Kaliurese bewirkt. Unter einer Dosis von 16 mg ist die Kaliurese geringer ausgeprägt, jedoch auch die diuretische Wirkung nimmt entsprechend ab. Obwohl in zahlreichen Arbeiten auf die schonende Kaliurese (möglicher Mechanismus unbekannt) hingewiesen wird, fordert K.J. Fehske (3) ab einer Dosierung von 6 mg eine regelmäßige Kaliumkontrolle. Bei 1,6% eines von ihm untersuchten Patientenkollektives, das 2315 Probanden umfaßt, wurde eine bedrohliche Hypokaliämie beobachtet.
Wirkungen auf das venöse Pooling
: Die Effekte des Piretanid sind mit Furosemid vergleichbar, wobei keine vergleichbaren Meßdaten an ein- und derselben Patientengruppe vorliegen. 
Nebenwirkungen
: In den uns zur Verfügung stehenden Unterlagen wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen angegeben, es wird jedoch immer wieder auf zu kurze Beobachtungszeiträume hingewiesen, sodaß eine endgültige Stellungnahme noch nicht möglich ist. In einer Studie von J.D. Marsh (4) wurden Patienten mit mäßiger bis schwerer congestiver Cardiomyopathie in zwei Gruppen zu je 10 Patienten im einen Fall mit Piretanid, im anderen Fall mit Furosemid behandelt. Dabei mußten zwei Patienten (20%) aus der Studie genommen werden, weil einmal schwere Stenocardien, ein anderes mal eine zu geringe Diurese einen Therapieabbruch notwendig machten. Beide Therapieversager gehörten der Piretanidgruppe an. In dieser Studie wurde auch ein signifikant höherer Harnstoff-Stickstoffanstieg in der Piretanidgruppe dokumentiert. W. Dols (5) berichtet von allergischen Reaktionen bei 2 von 40 Patienten (5 Prozent), die einen Therapieabbruch notwendig machten. Vor kurzem wurde über vereinzelte Fälle von Blutbildveränderungen (Anämie, Leukämie, Thrombocytopenie und Agranulozytose) berichtet (Bundesgesundheitsblatt, April 1989).

Zusammenfassung: Im Drug and Therapeutic Bulletin (6) wird der therapeutische Einsatz von Piretanid als teure und unnotwendige Ergänzung zu den bereits bewährten und erprobten Diuretika klassifiziert. Dieser Meinung mîchten wir uns anschließen und beim Einsatz einer neuen Substanz, deren Risken verglichen mit dem therapeutischen Nutzen noch nicht ausreichend dokumentiert wurden, Zurückhaltung empfehlen, zumal ausreichend erprobte Substanzen, die dasselbe therapeutische Ziel ermöglichen, zur Verfügung stehen.
Dieses prinzipielle Problem ist sehr gut bei der Substanz Muzolimin (Edrul), einem chemisch völlig anderen Schleifendiuretikum, dokumentiert, das bald nach der Registrierung in der BRD wegen schwerer Nebenwirkungen aus dem Handel gezogen werden mußte (7).

Literatur:
(1) Goodman and Gilman, 7.Auflage, 1985
(2) Cardiovasc.Drugs 3, 21, 1985
(3) Med. Klin. Prax., Sondernummer 1, 39, 1983
(4) J. Cardiovascular Pharmacol. 4, 949, 1982
(5) J. Int. Med. Res. 13, 31, 1985
(6) Drug and Therapeutic Bulletin 23, 43, 1985
(7) Arzneitelegramm 1987, S.62

 

Buspiron (Buspar):

Diese Substanz zeigt anxiolytische Wirkung, die den klassischen Tranquilizern, den Benzodiazepinen, vergleichbar ist, unterscheidet sich aber pharmakologisch deutlich. Buspiron wirkt nicht auf die Benzodiazepin-Bindungsstelle am GABA Rezeptor, einem Chlorid Kanal, der über Hyperpolarisierung der Zellmembran zur Hemmung von Neuronen führt (1,2). Buspiron hat hingegen Wirkungen auf Serotoninrezeptoren und beeinflußt auch in komplexer Weise das dopaminerge System (1), ein genauer Angriffspunkt für die anxiolytische Wirkung ist aber nicht definiert.
Buspiron wirkt am Menschen anxiolytisch, wobei in Doppelblindstudien die Wirkung der von Diazepam (Valium, Umbrium) und anderen Benzodiazepinen vergleichbar war (1), allerdings tritt die Wirkung von Buspiron verzögert ein (erst nach 2 Wochen und mehr). Im Gegensatz zu den Benzodiazepinen ist Buspiron kaum sedierend, hat keine muskelrelaxierenden Eigenschaften und die sedierende Wirkung von Alkohol wird nicht potenziert (1). An Nebenwirkungen von Buspiron sind bis jetzt Kopfschmerz (häufiger als bei Benzodiazepinen), Schwindel und Parästhesien bekannt. Es handelt sich also offenbar bei Buspiron um ein neuartiges und bereits theoretisch interessantes Anxiolyticum. Wie ist aber nun die therapeutische Verwendung zu bewerten (siehe auch 3, 7)? Inzwischen ist allgemein bekannt, daß bei Dauergabe die Benzodiazepine verglichen mit Alkohol oder Barbituraten zwar ein geringeres, aber deutliches Abhängigkeitspotential haben (siehe Pharmainfo 3,4,1988). Bei längerer Gabe (Monate) kommt es bei ca. der Hälfte der Patient(inn)en zu Entzugserscheinungen, die bis zu epileptischen Anfällen gehen können. Buspiron, und dies belegt auch sein anderer Wirkungsmechanismus, kann diese Entzugssymptome von Tranquilizern nicht blockieren. Bis jetzt sind für Buspiron keine Hinweise auf ein Abhängigkeitspotential erhalten worden (1). Es muß aber ausdrücklich davor gewarnt werden, dies als endgültige Antwort zu betrachten. Erinnern wir uns daran, wie lange den Benzodiazepin-Tranquilizern ein echtes Suchtpotential abgesprochen wurde. Buspiron soll also nicht als "suchtfreier" Tranquilizer für die Therapie angesehen werden. Eine Verwendung erscheint derzeit überlegenswert, wenn Patient(inn)en eine anxiolytische Therapie benötigen, aber durch die sedierenden Eigenschaften der Tranquilizer, z.B. bei der Berufsausübung, Probleme haben. Allerdings kann eine gewisse Sedierung auch einen Teil der Therapie darstellen und vor allem bei Patienten, die einer schnell wirksamen und starken Anxiolyse bedürfen, ist Buspiron auf Grund seines langsamen Wirkungseintrittes unbrauchbar (3). 
Inwieweit Buspiron für eine längere anxiolytische Therapie geeignet ist, ist derzeit noch unklar. So gaben in einer Studie (4) 15 von 21 Patienten die Therapie wegen mangelnder Effektivität auf (siehe auch 3). Ein Umstellen von Patienten, die chronisch Benzodiazepine einnehmen, auf Buspiron ist nicht zweckmäßig, da wie oben festgestellt, dadurch Entzugssymptome nicht verhindert werden können.
Unklar ist die Gefahr extrapyramidal motorischer Störungen nach Buspiron, wie sie nach Neuroleptika gesehen werden. Diese Substanzen unterscheiden sich zwar in einigen Tests, beide zeigen aber eine Interaktion mit Dopamin, und auch nach Buspiron ist ein Anstieg von Prolactin so wie nach Neuroleptika beschrieben worden (1); auch extrapyramidale Störungen sind nach Buspiron in Einzelfällen bereits beobachtet worden (5). Ob bei Langzeittherapie diese vermehrt auftreten, ist derzeit nicht auszuschließen (siehe auch 6).
Zusammenfassend
 können wir feststellen, daß Buspiron eine neuartige anxiolytische Substanz darstellt, die verglichen mit den klassischen Tranquilizern kaum sedierend wirkt. Buspiron kann eine Alternative zu diesen Substanzen darstellen, die Wirkung tritt allerdings erst verzögert ein, die Verläßlichkeit einer Wirkung bei Langzeittherapie ist umstrittenoder zumindest unklar. Dies gilt auch für Fragen des Abhängigkeitspotentials und für zentrale Nebenwirkungen im extrapyramidalen System. Buspiron sollte wie dies für viele zentral wirksame Substanzen gilt, insbesondere beim derzeitigen Wissensstand nur mit Zurückhaltung und, wenn gegeben, nur kurzzeitig eingesetzt werden.

Literatur:
(1) Drugs 32, 114,1 986
(2) Am. J. Med. 80, suppl.38, 1988
(3) Pharma-Kritik 11, 5, 1989
(4) Current Ther. Res. 43, 1042, 1988
(5) Bundesgesundheitsbl. 31, 107, 1988
(6) Arzneitelegramm 1988, S.22
(7) Drug & Ther. Bull. 27, 27, 1989.

 

L-Tryptophan (L-Tryptophan "Leopold")

K. Bohr, Neurologie

In der Werbung und in der Fachinformation wird diese Substanz als physiologisches ("natürliches") Schlafmittel angepriesen. Im Vergleich zu den herkömmlichen schlaffördernden Substanzen werden die gute Verträglichkeit, die geringen Nebenwirkungen, die fehlende Suchtpotenz sowie das Fehlen des bekannten "hang-over-Effekts" mit Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit am folgenden Morgen hervorgehoben. 
Welche Tatsachen über die Neuroanatomie und die Neurochemie des Schlafes sind gesichert?
 Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Bedeutung des Hirnstammes für die Regulation des Schlafes erkannt. Im Verlauf der von Economo 1929 beschriebenen viralen Encephalitis kam es als wichtigstes klinisches Symptom zu Schlafstörungen, sowohl in Form von Insomnie wie auch Hypersomnie. Letztere führte zu der allgemeinen Bezeichnung Schlafkrankheit. Sorgfältige pathologische Untersuchungen der erkrankten Gehirne zeigten strukturelle Läsionen besonders im Hypothalamus, im Mesencephalon und im Hirnstamm. Die Hypothese, der Schlaf sei ein passiver Prozeß infolge fehlender Stimulation durch das aufsteigende retikulär aktivierende System (ARAS), wurde bereits 1929 von Hess in Frage gestellt. Später gelang es, mit neuen fluoreszenz-histochemischen Methoden die Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin in unterschiedlichen Konzentrationen in verschiedenen Hirnregionen nachzuweisen. Damit wurde die Hypothese der aktiven, neurohormonalen Regulation des Schlafes erhärtet. Die Formatio Reticularis des Hirnstammes und der Locus coeruleus in der Brücke zeigten einen besonders hohen Gehalt an Rezeptoren für Noradrenalin. In der Raphekern-Gruppe im unteren Mittelhirn und der oberen Brücke ließen sich vermehrt Serotoninrezeptoren nachweisen. Diese Kerngruppe gilt als schlafinduzierend und -erhaltend, ihre Zerstörung führt, je nach Ausmaß der Läsion, zu Hypo- bis Insomnie (1). 
Tryptophan (TP) ist eine essentielle, da vom Organismus nicht selbst synthetisierbare Aminosäure, die u.a. als Precursor für Serotonin dient. Mit der normalen Nahrung werden täglich ca. 0,5-2 g TP aufgenommen, was ausreicht, um den Tagesbedarf eines Erwachsenen (0,25 g) zu decken. Besonders reich an TP sind Nüsse, Milchprodukte und Fleisch. 
Per os gegeben wird TP gut aus dem Darm resorbiert und erreicht seine maximale Plasmakonzentration nach 40-60 Minuten. Nach der Resorption wird die Substanz zu ca. 90% an Plasmaalbumin gebunden. Sämtliche, die Proteinbindung beeinflussende Faktoren können den Anteil des ungebundenen TPs verändern. Erst hohe Dosen zusätzlich gegebenen TPs (1-5 g) bewirken eine Zunahme nicht nur des gebundenen sondern auch des freien Anteils. Zu 98% wird das aufgenommene TP in der Leber metabolisiert, nur 2% werden im ZNS verstoffwechselt. Das ungebundene TP passiert, wie auch andere große neutrale Aminosäuren, über einen aktiven Transportmechanismus die Blut-Hirn-Schranke. Die Kompetition von Aminosäuren um diesen Transportmechanismus ins ZNS macht die ungünstige bzw. günstige Beeinflussung der cerebralen TP Konzentration durch verschiedene Diäten verständlich. Im ZNS entsteht aus TP über 5-Hydroxy-TP Serotonin. Da das Enzym TP-Hydroxylase nicht voll gesättigt ist, kann durch eine Erhöhung der cerebralen TP-Konzentration nachweislich eine Erhöhung der Syntheserate für Serotonin erzielt werden. Ob jedoch das vermehrt gebildete Serotonin auch vermehrt aus den Nervenendigungen freigesetzt wird, ist derzeit nicht gesichert. Damit ist es fraglich, ob die Wirkungen von TP auf das ZNS auf eine direkte Serotonineinwirkung zurückzuführen sind. Nach neueren Untersuchungen ist es wahrscheinlich, daß TP zusätzlich über neurohumorale (Wachstumshormon, Prolaktin), nicht serotonerge Mechanismen wirkt (2).
Seit 1962 erstmals die schläfrigmachende Wirkung des TPs beschrieben wurde, ist die Substanz in zahlreichen Studien hinsichtlich der Wirkung als Schlafmittel untersucht worden. Aufgrund der Vielfalt der Veröffentlichungen zu diesem Thema kann hier nur auf weiterführende Übersichtsarbeiten (2,3), einzelne vorliegende kritische Analysen und kontroversielle Diskussionen (4-7) hingewiesen werden. Insgesamt zeigt ein Vergleich der einzelnen Untersuchungen aufgrund verschiedener Studiendesigns eine hohe Varianz der folgenden Parameter: Probandenkollektiv, Dosierung, Verabreichungsmodus und Bewertungskriterien. Die verschiedenen Probandenkollektive zeigten große Unterschiede in der Zahl der Versuchspersonen (6-40) und der klinischen Diagnose. Der größte Teil der Studien wurde an jungen Männern, vornehmlich Studenten, durchgeführt. Personen mit chronischer Insomnie, von denen ein Großteil psychische Auffälligkeiten (Psychosen, Neurosen) aufwies, bildeten ein weiteres, durchschnittlich älteres, gemischtes Kollektiv. Der Verabreichungsmodus war in den meisten Fällen p.o., meist 20 Minuten vor dem Schlafengehen, unabhängig von der individuellen Einschlaflatenz. Nur in wenigen Studien wurden mögliche Einflüsse der Diät berücksichtigt. In manchen Studien erhielt der Proband TP und Plazebo, in manchen Fällen wurde eine Dosis, in anderen Studien wurden steigende Dosierungen (0,25-19,8 g) verwendet. Bei der sogenannten Intervallbehandlung wechselten mehrtägige Behandlungszyklen mit medikamentfreien Intervallen. 
Die größten Unterschiede bestanden in den Methoden, anhand derer die Wirkung von TP auf den Schlaf beurteilt wurde. Diese reichten von einfachen Fragebögen zur subjektiven Bewertung bis zu polysomnographischen Registrierungen.
Eine sichere Wirkung von TP auf die Schlaflatenz und die Schlafdauer konnte nicht belegt werden
. Sogar in Doppelblindstudien, in denen bis zu 6 g verabreicht wurden, war TP nicht wirksamer als ein Placebo. Für die vom Hersteller empfohlene Dosis von 2 x 500 mg ist eine sicher schlafmachende Wirkung derzeit nicht sicher belegt (2,3,4,5). 
Auch bei Insomnien im Rahmen anderer Erkrankungen wurde TP zur Induktion eines "natürlichen" Schlafes erprobt. Die wenigen bei Parkinson-Patienten durchgeführten Studien konnten keine Verbesserung der Schlafstruktur durch TP verifizieren. Ebenso liegen für die bei depressiven Patienten häufigen Insomnien keine verläßlichen Studien vor.
Für TP wird auch eine antidepressive Wirkung postuliert. Der pathophysiologische Mechanismus der Depression ist noch immer weitgehend im unklaren, auch der Wirkungsmechanismus der gut wirksamen trizyklischen Antidepressiva ist umstritten (8). Ob ein durch TP geänderter Serotoninspiegel für die Depressionsbehandlung wichtig ist, ist daher unklar. Klinische Studien über eine antidepressive Wirkung sind kontroversiell (4,5). In einigen Studien wurde TP als gleich wirksam wie trizyklische Antidepressiva befunden, in anderen im Vergleich zu Placebo sogar als weniger wirksam. Insgesamt reicht der Kenntnisstand für eine Bewertung dieser Wirkung nicht aus.
Als ebenfalls diskutierte und versuchte Anwendungsgebiete seien Dopa-Psychosen, die Migräne-Prophylaxe sowie der Einsatz bei Myoklonien und therapieresistenten Epilepsien erwähnt. Auch für diese Anwendungsbereiche fehlen Modell und Nachweis der Wirksamkeit.
Als Nebenwirkungen wurden ab einer Dosis von 3g Nausea, Schwindel und Kopfschmerz registriert. Andersartige Nebenwirkungen wie Benommenheit, alkoholähnliche Rauschzustände, motorische und seelische Unruhe wurden häufiger bei psychiatrischen Patienten mit einer agitierten Depression oder einer Behandlung mit MAO-Hemmern oder Neuroleptika beobachtet. Wechselwirkungen mit anderen, häufig eingenommenen Substanzen sind derzeit noch kaum untersucht. Welche Bedeutung dem TP als Auslöser oder Cofaktor bei der Entstehung von Katarakten und Blasenkarzinomen zukommt, ist ebenfalls noch nicht endgültig gesichert (9,10).
Zusammenfassend ist festzustellen, daß für sämtliche empfohlenen Anwendungsbereiche (Schlafstörungen, Depressionen, Migräne und Anfallsleiden) eindeutige und überzeugende Untersuchungsergebnisse fehlen.
 Zur besseren Einschätzung der möglichen Anwendungsbereiche sowie der tatsächlichen Gefahren durch Neben- und Wechselwirkungen sind weitere sorgfältige Untersuchungen notwendig. Deshalb muß der therapeutische Nutzen von L-Tryptophan als fraglich betrachtet werden.

Literatur:
(1) Mendelson, Gillin, Wyatt, Plenum Press 1977
(2) Schweiz. Rundschau Med. 26, 785-791, 1986
(3) Hartmann, Greenwald, Walter de Gryter, 1984
(4) Pharma-Kritik 7, 33, 1985
(5) Arzneitelegramm 1987, S.35
(6) Schw. Ärztez. 67, 1477, 1986
(7) Schw. Ärztez. 67, 2167, 1986
(8) Goodman & Gilman 1985, 7. Auflage
(9) Mendelewics, Van Prag, Karger, 1983
(10) Progress in Tryptpophan Research, Walter de Gryter, 1984

 

Naturheilmittel: Zintona

Zintona enthält gemahlene Ingwerwurzeln und soll als Vorbeugung bei Reisekrankheit (Kinetose) wie Schwindel, Übelkeit und Erbrechen wirken. Über einen definierten Wirkstoff in dieser Wurzel, der dafür verantwortlich sein soll, ist offensichtlich nichts bekannt. An Unterlagen, die diese Wirkung des Präparates belegen sollen, liegen vier Studien vor, davon sind 3 offensichtlich unveröffentlicht. Eine Studie ist in einer führenden Zeitschrift publiziert (1). In ihr wurde Ingwer mit dem Antihistaminikum Dimenhydrinat (Emedyl, Travel-Gum, Vertirosan) verglichen. Als Test wurde die Auslösung von Kinetose-Symptomen auf einem rotierenden Sessel bestimmt. Hier erwies sich Ingwer dem Antihistaminikum überlegen, allerdings wurden beide Substanzen erst 20-25 Minuten vor dem Test eingenommen, was wohl für das zentral wirkende Antihistaminikum ein zu kurzer Zeitraum ist, um resorbiert zu werden. Ingwer soll direkt im Magen wirken, vielleicht über eine Steigerung der Magenmobilität. Diese Studie ist sonst korrekt ausgeführt, inwieweit aber ein 6-Minuten-Test über eine anti-Kinetose Wirkung für die Prophylaxe von langdauernden See- und Reisekrankheiten relevant ist, muß fraglich scheinen. Dafür sind andere Studien, z.B. auf Schiffsreisen, notwendig. Eine unveröffentlichte Studie (L. Borzone) vergleicht Dimenhydrinat versus Ingwer auf einer Schiffsreise im Doppelblindtest an 60 Personen. Für beide Substanzen wurde ein deutlich positiver Effekt gefunden. Die See soll rauh gewesen sein, allerdings trat nur bei 3 von 30 Personen vor Ingwereinnahme bereits Erbrechen auf, nach der Behandlung kam es nur bei einer Person zu allerdings starkem Erbrechen. In der Antihistamingruppe wurde bei 5 Personen vor der Behandlung und nur bei einer Person nachher Erbrechen beschrieben. Bei ausgeprägter Seekrankheit kommt es häufig zu Erbrechen, offensichtlich waren in dieser obigen Studie nur leichte Kinetosen zu verzeichnen, bei denen ein Mittel, das auf den Magen direkt einwirkt, eher günstige Effekte entfalten kann. Eine weitere unveröffentlichte Studie wurde an Kindern doppelblind bei Autoreisekrankheit durchgeführt. Ingwer erschien wirksamer als Dimenhydrinat, allerdings waren die Symptome vor der Medikation in der Antihistaminika-Gruppe bereits stärker. Letztlich liegt noch eine weitere Studie vor, die aber, da sie unkontrolliert war, keine Aussage erlaubt, aber zeigt, daß Ingwer gerne eingenommen wird, da die durchschnittliche Kapselzahl bei 42 Stück (!) pro Person lag. Offensichtlich sind Nebenwirkungen von Ingwer nicht aufgetreten und dies ist durch die Studien gut belegt, während z.B. Antihistaminika den bekannt (2) sedierenden Effekt zeigen.
Die vorliegenden Studien reichen sicher nicht aus, um zu belegen, daß Kinetose-empfindliche Personen, wenn sie einer schweren Belastung ausgesetzt werden, die normalerweise bei ihnen zum Erbrechen führt, mit Ingwer eine wirksame Prophylaxe erhalten. Für solche Kinetosen sind die bewährten Antihistaminika belegterweise wirksam. Bei zu erwartender mittlerer Belastung kann Ingwer vermutlich wohl aufgrund einer lokalen Wirkung im Magen-Darm-Bereich, offensichtlich eine prophylaktische Wirkung mit dem Vorteil der fehlenden Sedierung entfalten. Auch die Frage, ob die Einnahme von Dutzenden von Kapseln letztlich nicht doch auch Nebenwirkungen haben kann, ist allerdings heute noch nicht zu beantworten. Wer eine belegt wirksame Prophylaxe gegen Kinetoseformen mit Erbrechen braucht, sollte sich weiterhin auf Antihistaminika (Cyclizin: Echnatol,Fortravel, Dimenhydrinat: Emedyl, Travel-Gum, Vertirosan) verlassen.
Zintona kann bei leichten Kinetosen versucht werden.

Literatur:
(1) Lancet I, 655, 1982
(2) Goodman & Gilman, 7. Auflage, 1985.

 

Zusammenfassung über neu registrierte Präparate:

Da nicht alle Bezieher der Pharmainfo diese seit Beginn erhalten haben, sei hier noch einmal in Kürze die frühere Bewertung neu registrierter Präparate (Jahrgang I-III) zusammengefaßt. Gleichzeitig diskutieren wir neue Entwicklungen, die die damalige Bewertung ergänzen. Bei diesen Bewertungen haben damals neben den Herausgebern mitgearbeitet: W. Poewe & E. Schmutzhard (Neurologie); P. König (Innere Medizin); G. Sperk (Pharmakologie).

Thrombosantin (Info 1,2): Diese Kombination von Acetylsalicylsäure (ASS) mit Dipyridamol zur Thrombozytenaggregationshemmung dürfte keinen Vorteil gegenüber der alleinigen Gabe von ASS bieten. ASS allein ist belegt wirksam bei transitorisch ischämischen Attacken, bei Präinfarkt-Angina und zur Verhinderung von Reinfarkten.

Nitroderm Depotpflaster (Info 1,2): Diese gegenüber der oralen Nitrattherapie teurere Form der transdermalen Therapie ist bei Angina pectoris belegt wirksam. Die Toleranzentwicklung bei Nitroderm wird noch immer kontroversiell beurteilt (wir werden darüber noch ausführlich berichten).

Astemizol (Hismanal) und Terfenadine (Triludan: Info 1,3): Diese H1-Blocker, die bei allergischen Geschehen indiziert sind, haben gegenüber den klassischen Vertretern den Vorteil geringerer Sedierung. Inzwischen sind allerdings beim häufigen Gebrauch dieser Mittel doch auch zentralnervöse Nebenwirkungen beobachtet worden. So wird nach Terfenadin über Schwindel, Übelkeit, Schlafstörungen, Alpträume und Geschmacks-beeinträchtigungen , bei Astemizol über Müdigkeit, Kopfschmerzen und NervositÑt berichtet (BGA-Pressedienst vom 14. Nov. 1988; Arzneitelegramm 1988, S.107). Vor allem bei Autofahrern dürfte auch bei diesen Substanzen eine gewisse Vorsicht angebracht sein.

Lisurid (Dopergin, Prolacam: Info 2,1): Dieser Dopaminrezeptoragonist ist bei Parkinson und Hyperprolaktinämie wirksam. Gegenüber dem länger eingeführten Bromocriptin (Parlodel, Umprel) hat diese Substanz keinen entscheidenden Vorteil.

Aciclovir (Zovirax: Info 2,2): Aciclovir (ACV) hat als Virostaticum große Bedeutung bei der Behandlung schwerer Herpesvirusinfektionen (Herpes simplex-, Varicella-Zoster Virus) erlangt. In der ausführlichen Besprechung in der Pharmainfo 2,2 hatten wir auf die Problematik einer Resistenzentwicklung hingewiesen, obzwar ACV-resistente Viren zum damaligen Zeitpunkt klinisch noch wenig bedeutsam erschienen.
Jüngste Berichte (Editorial mit Literaturzitaten im New Engl.J.Med. Vol.320, Nr.5, Seite 313-314, Feb.2.,1989) lassen nun vermuten, daß die Resistenz gegen ACV ein ernstes klinisches Problem zu werden droht. Bei immunsupprimierten (AIDS) Patienten traten schwere ulzeröse, durch HSV-2 bedingte Läsionen auf, die trotz hochdosierter ACV Therapie nicht abheilten bzw. sogar fortschritten. Restriktions-Endonuklease Analyse ließ vermuten, daß ein initial sensitiver Virusstamm unter ACV Therapie resistent geworden war. Zudem zeigte sich, daß ACV-resistente Viren entgegen bisheriger Erfahrung im Mäusemodell neurovirulent sein können. Eine Übertragung solcher resistenter Stämme auf andere Personen ist noch nicht nachgewiesen, aber zu befürchten. Es kündigt sich also eine Entwicklung an, wie sie bei den Antibiotika - anfangs ebenfalls unerwartet - bereits eingetreten ist, nur wird es sehr viel schwieriger sein, alternative Medikamente gegen Viren zu entwickeln. Für die klinische Praxis ergeben sich derzeit 2 Folgerungen: 1) Das wertvolle Medikament ACV nicht bei banalen Herpesviruserkrankungen einzusetzen, 2) bei fehlendem Ansprechen - derzeit bei Immunsupprimierten aktuell - an eine ACV-Resistenz denken.

Nimodipin (Nimotop: Info 2,3): Diese Substanz wurde zur Verhinderung von Vasospasmen nach einer Subarachnoidalblutung als indiziert angesehen, wobei günstige Effekte bei dieser Indikation inwzischen bestätigt wurden (Br.Med.J. 298,636,1989). Der therapeutische Wert von Nimodipin, aber auch von anderen Calciumantagonisten, bei einer weiteren Indikation, dem akutem Schlaganfall ist noch immer umstritten (Arzneimittelbrief 23,S.17,1989). In einer niederländischen Doppelblindstudie (New Engl.J.Med. 318,203,1988) konnte allerdings durch Nimodipin-Therapie (begonnen innerhalb von 24 h) die 4-Wochen-Mortalität von 20,4 auf 8,6% reduziert werden, dieser Effekt war aber überraschenderweise ausschließlich auf Männer beschränkt. Nach 6 Monaten war in der Nimodipingruppe ein geringeres neurologisches Defizit zu beobachten. Weitere Studien müssen zeigen, ob Nimodipin und andere Calciumantagonisten einen festen Platz in der Schlaganfalltherapie gewinnen können.

Mefloquin (Lariam: Info 3,1): Diese Substanz stellt einen wichtigen Fortschritt dar, um resistente Malariaerreger beeinflussen zu können. Die jeweiligen Länder, wo diese Substanz verwendet werden soll, sind beim Institut für Tropenmedizin in Wien (0222/431595) zu erfahren. In Einzelberichten wurde jetzt das Auftreten von Krämpfen nach Mefloquin mitgeteilt (Bundesgesundheitsblatt, April 1989). Bei kurativen Dosen treten bei etwa 1% der Patienen paranoide bis schizoide Attacken auf, die voll reversibel sind.

Minoxidil (Loniten: Info 3,1): Dieses Mittel stellt eine Reserve dar, um den Blutdruck von Patienten, bei denen Mehrfachkombinationen versagen, zu senken. Es hat allerdings zahlreiche Nebenwirkungen (Natrium-H2O Retention, EKG-Veränderungen, Hypertrichose).
Über die Verwendung von Minoxidil-Lösung zur Förderung des Haarwuchses wurde festgestellt, daß diese höchstens bei 10% der Männer einen guten und bei 30% einen gewissen Erfolg bringt, der allerdings eine Dauertherapie benötigt. Die Möglichkeit, daß es bei Verwendung dieser Salbe (z.B. Überapplikation bei fehlender Wirkung?) zu schweren systemischen Blutdruckreaktionen kommt, ist noch immer nicht auszuschließen (Arzneitelegramm 1988: 10,92)

Somatostatin Linz, Serono (Info 3,2): Die Wirkung dieser teuren Somatostatin-Infusion ist nicht völlig unumstritten, am ehesten ergibt sich eine Indikation bei akuten, venösen Sickerblutungen bei Magenulcera.

Tizanidin (Sirdalud: Info 3,4) : Die antispastische Aktivität dieser Substanz ist belegt. Gegenüber dem länger eingeführten Baclofen (Lioresal) bedeutet sie keinen entscheidenden Vorteil.

Tenoxicam (Liman Kali, Tilcotil: Info 3,4): Dieses nicht steroidale Antiphlogisticum (NSA) ist bei rheumatischen Erkrankungen belegt wirksam. Auf Grund seiner extrem langen Halbwertszeit (70 h) dürfte die Gefahr von schweren Nebenwirkungen (Ulcusperforation und Nierenschädigung) höher sein als bei kürzer wirksamen Verbindungen. Da ein Präparat mit extrem langer Halbwertszeit kaum einmal erforderlich sein dürfte, sind andere bewährte und kürzer wirksame NSA vorzuziehen.

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Mittwoch, 13. November 1996

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