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Inhalt

 

Therapie der Enuresis

Brigitte Hackenberg: Klinik für Psychiatrie

Terminologie:

Unter Enuresis (3) verstehen wir das unwillkürliche Einnässen ohne faßbare organische Ursache nach Vollendung des 4. Lebensjahres, das in Form von Tagnässen (Enuresis diurna) oder nächtlichem Bettnässen (Enuresis nocturna) bzw. kombiniert auftreten kann. Die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Enuresis wird nach dem Vorhandensein eines trockenen Intervalls getroffen, das nach internationaler Übereinkunft mit mindestens einem Jahr bemessen wird. Neuere Arbeiten sprechen dafür, daß zwischen primärer und sekundärer Enuresis sowohl bezüglich Ursachen als auch in den therapeutischen Strategien keine grundsätzlichen Unterschiede bestehen. Lediglich bei der primären Enuresis, bei der tagsüber und nachts eingenäßt wird, muß primär an eine urologische oder neurologische Ursache (z.B. Harninkontinenz), etwa an eine kongenitale Mißbildung, gedacht werden.

 

Epidemiologie:

Um das zweite Lebensjahr erwerben Kinder die Fähigkeit zur willkürlichen Blasenkontrolle. In westlichen Ländern beträgt die Rate einnässender Kinder im 4. - 5. Lebensjahr noch 10-15%, die jährliche Remissionsrate wird um 13% angenommen. Mädchen erwerben durchschnittlich früher als Buben die Fähigkeit zur Blasenkontrolle; zwischen dem 7. und 15. Lebensjahr wächst das Geschlechterverhältnis auf 2:1 zugunsten der Buben. Nach der Pubertät sinkt die Häufigkeit des Einnässens auf 1%. Bei 75-80% aller Kinder besteht die Enuresis nur nachts, bei ca. 10% nur am Tag und bei ca. 15% tags- und nachtsüber.

 

Ätiologie:

Die Enuresis stellt nahezu einen Modellfall einer polyätiologisch entstandenen Störung dar. Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht lassen sich drei ätiologische Schwerpunkte beschreiben, die jeweils auf einer Reihe von Theorien aufbauen:

  • Psychogenetische Theorien
  • Auffassung der Enuresis als Störung der strukturellen und/oder funktionellen Reifung (Lerndefizit)
  • Theorien, welche einzelne umschriebene somatische Bedingungsfaktoren in den Vordergrund stellen.

Der Zusammenhang zu psychiatrischen Störungen besteht nur bedingt. Das Symptom Enuresis zeigt sich zwar häufig als Begleitung von kinderpsychiatrischen Störungen, jedoch zeigen nur etwa 15% der einnässenden Kinder faßbare psychiatrische Störungen. Situative Auslöser für die sekundäre Enuresis (Geburt eines Geschwisterkindes, Trennung der Eltern, Schulwechsel, Umzug etc.) sind im Zusammenhang mit vorbestehenden Dispositionen zu interpretieren. 
An somatischen Bedingungsfaktoren sind Unterschiede in der funktionalen Blasenkapazität, die Neigung zu Irritationen der Blase und Abweichungen in der Urinproduktion zu nennen. Die dänische Arbeitsgruppe um Norgaard (6) konnte zeigen, daß weder die früher vermuteten Auffälligkeiten im Schlafverhalten einnässender Kinder noch die Urodynamik dieser Kinder in einen eindeutigen Zusammenhang mit dem Symptom zu bringen ist. Ein deutlicher Zusammenhang ließ sich aber für den zirkadianen Rhythmus in der Ausschüttung des antidiuretischen Hormons mit dem Symptom Enuresis zeigen (6). Eine nächtlich verminderte ADH-Ausschüttung korreliert signifikant mit der Häufigkeit nächtlichen Einnässens. 
Auch wenn davon auszugehen ist, daß bei einem Großteil einnässender Kinder das Symptom nicht als primär psychogen aufzufassen ist, so spielt doch der psychologische Rahmen einer Enuresisbehandlung eine bedeutende Rolle. Die Therapieanbahnung in einer möglichst entspannten, angstfreien beratenden oder therapeutischen Beziehung unter Berücksichtigung psychohygienischer Gesichtspunkte kann in vielen Fällen bereits zur Spontanremission des Einnässens führen.

 

Therapie:

1. Medikamentöse Behandlungsverfahren
Für die medikamentöse Behandlung der Enuresis haben sich drei verschiedene Stoffgruppen bewährt: trizyklische Antidepressiva, Antidiuretika und Spasmolytika (2,8).

Trizyklische Antidepressiva:
Seit Mitte der 70er Jahre hat die Verschreibung von Imipramin (Tofranil) in der Behandlung der kindlichen Enuresis weltweite Verbreitung gefunden. In umfangreichen Doppelblindstudien (8) hat sich die Wirksamkeit von Imipramin gegenüber Placebo nachweisen lassen, der Wirkungsmechanismus ist nicht restlos geklärt. Anticholinerge Effekte (als Nebenwirkungen dieser Substanz bekannt) sind offensichtlich für eine Reduktion von Detrusorkontraktionen verantwortlich und führen damit zu einer Zunahme der funktionalen Blasenkapazität. Es besteht weitgehend Übereinstimmung darüber, daß weder antidepressive Effekte noch Einflüsse auf die Schlaftiefe für die Enuresisbehandlung Bedeutung haben. Imipramin führt meist schon in der ersten Behandlungswoche zu einer deutlichen Reduktion des Einnässens. Die Besserungsraten liegen zwischen 53-100%, die Rückfallsrate nach Absetzen ist hoch (2). Sowohl bei kurzer als auch bei langer Behandlungsdauer beträgt die Besserungsrate 3 - 6 Monate nach Absetzen des Imipramins nur etwa 25%. Nebenwirkungen wie starkes Schwitzen, Reizbarkeit, Übelkeit und Erbrechen sowie Blutdruckschwankungen sind im therapeutischen Bereich selten und insgesamt nicht gravierend.

Spasmolytika:
Inkonsistente Behandlungseffekte mit vereinzelt gutem Ansprechen zeigten sich in der Behandlung mit Substanzen, deren spasmolytische Wirkung an der glatten Blasenmuskulatur ansetzt. Zu nennen sei hier das Oxybutinin (Ditropan: siehe auch nächste Pharmainfo), das neben ähnlich wirksamen Substanzen in der Behandlung der Enuresis eingesetzt wird, dem Imipramin aber deutlich unterlegen ist (10).

Antidiuretika (1,4,5,6,7,9):
Ausgehend von Untersuchungen über die zirkadiane Rhythmik der Vasopressinausschüttung wurde das antidiuretische Behandlungsprinzip mit dem ADH-Analogon Desmopressin (Minirin) entwickelt. Desmopressin wird in Form eines Intranasalsprays im Dosisbereich zwischen 20 und 40ug verabreicht, es existieren auch Langzeiterfahrungen mit einer Niedrigdosierung zwischen 5 und 10ug und gleich guter Wirksamkeit. Die bisherigen Erfahrungen mit Desmopressin sprechen für eine Wirksamkeit bei 60 - 80%, die Rückfallsraten nach Absetzen der Medikation entsprechen denen der Imipraminbehandlung, sind also mit ca. 70% relativ hoch. Langzeitbehandlungen mit Desmopressin zeigten keine Beeinflussung der endogenen Vasopressinproduktion, es treten keine signifikanten Veränderungen des täglichen Urinvolumens bzw. der Osmolalität auf. Ernsthafte Nebenwirkungen wurden bis jetzt nicht bekannt. Nach klinischen Erfahrungen bewährt sich Desmopressin offensichtlich nicht nur bei Kindern mit nächtlicher Polyurie, sondern auch bei solchen mit normaler nächtlicher Reduktion in der Urinproduktion. Damit kann die Indikation für eine Desmopressinbehandlung auch bei enuretischen Kindern ohne Auffälligkeiten im zirkadianen Vasopressinrhythmus gestellt werden. Die Dauer des antidiuretischen Effektes wird mit 7-10 Stunden angenommen, damit bewährt sich eine unmittelbar symptombezogene Behandlung, auch für kurze Zeit.

2. Psychologische Behandlungsverfahren
Im Gegensatz zu allen medikamentösen Behandlungsverfahren zeigen verhaltenstherapeutische Methoden deutlich bessere Langzeiteffekte. Trainingsprogramme haben im allgemeinen eine bessere Wirksamkeit und eine höhere Sicherheit als medikamentöse Programme, weil der Aufmerksamkeitsschwerpunkt auf den zwei Schlüsselkomponenten des Toilette-Trainings liegt: den spezifischen Fähigkeiten im Ablauf der Blasenkontrolle und der individuellen Motivation, diese Fähigkeiten zu erreichen. Damit können auch individuelle psychodynamische Hemmfunktionen deutlicher erfaßt werden, als mit der medikamentösen Behandlung. Andererseits hat sich gezeigt, daß mit einer pharmakologisch induzierten Besserung des Symptoms Enuresis auch Besserungen in anderen psychischen Bereichen eintreten und nicht ein Syndromshift durch Zudecken einer Symptomatik zu befürchten ist.

An verhaltenstherapeutischen Methoden stehen folgende zur Verfügung:

  • apparative Weckhilfen zur Konditionierung der nächtlichen Miktionskontrolle
  • trainierende Verfahren (Blasentraining) mit reichlicher Flüssigkeitszufuhr und progressivem Anhalten sowie Übungen im Unterbrechen der Miktion
  • Weckprogramme und Rhythmisierung der nächtlichen Miktionen
  • Kalenderführen als Verstärkerprogramm
  • unspezifische situative Maßnahmen zur Entlastung.

 

Richtlinien zur Therapieplanung

Zur Erreichung langfristiger Resultate sind psychologische Verfahren am erfolgreichsten und daher primär vorzuziehen. Für den Einsatz apparativer oder trainierender Behandlungsverfahren ist eine familiäre Kooperation vorauszusetzen, die die ausreichende Motivation des Kindes beinhalten muß. Alle bestrafenden oder repressiven Programme, die über das Kind verfügen und seine "Behandlungspartnerschaft" außer Acht lassen, sind abzulehnen. Aufdeckende psychotherapeutische oder familientherapeutische Verfahren sollten nur dann angeboten werden, wenn die Familie Zusammenhänge zwischen dem Symptom Enuresis und psychodynamischen Gegebenheiten artikulieren kann. Es sollte auch nicht übersehen werden, daß die Entmystifikation des Symptoms allein schon einen Effekt auf die Häufigkeit des Einnässens haben kann, ebenso wie suggestive oder völlig unspezifische Interventionen in vielen Fällen zur spontanen Besserung der Symptomatik führen können.

Symptomatische bzw. medikamentöse Therapieverfahren sind sinnvoll:

  • in der Erstbehandlung von Kindern mit hohem Leidensdruck
  • in allen Fällen, bei denen eine absehbar unzureichende Kooperation aller Beteiligten vorliegt bzw.
  • bei der sekundären Enuresis, wo ein Soforteffekt aufgrund eines besonders hohen Leidensdruckes erwünscht ist.


Literatur:
(1) Arch.Dis.Child, 67,184,1992
(2) Pedriatrician 17,38,1990
(3) Kammerer E.: Enuresis, In: Remschmidt H. und Schmidt M. (Hrsg.): Kinder- und Jugendpsychiatrie in Klinik und Praxis: Stuttgart: Thieme, Bd. 3, 1985
(4) Clin.Pediatr. 3,299,1992
(5) Knoll M. and Madersbacher H: J. Urol. 145, Abstr. 360,199
(6) Urol. Res. 19,237,1991
(7) Meadow S.R.: Desmopressin in Nocturnal Enuresis. Horns Medical Publications 1989
(8) Nissen G., Eggers Ch., Martinis J.: Kinder- und jugendpsychiatrische Pharmakotherapie in Klinik und Praxis. Springer, 1984.
(9) J.Urol. 145,818,1991
(10) Pediatrician 17,38,1990

 

Neu registriert

Oxcarbazepin (Trileptal)

Oxcarbazepin ist ein in Österreich neu registriertes, aber kein neues Antiepileptikum. Oxcarbazepin ist strukturell mit Carbamazepin (Tegretol, Neurotop) nahe verwandt. Es wird nahezu vollständig durch Oxydation zu 10-Hydroxy-Carbamazepin umgewandelt (9). Das Hydroxyderivat dürfte weitgehend für die antiepileptische Wirkung verantwortlich sein. Der oxydative Stoffwechsel vermeidet das bei Carbamazepin-Gabe entstehende Epoxid, eine Substanz, die für die wesentlichen unerwünschten Nebenwirkungen dieses Standard-Antiepileptikums verantwortlich gemacht wird. Oxcarbazepin führt zu keiner Induktion der Leberenzyme (7), eine Eigenschaft, die besonders bei Dauermedikamenten wie den Antiepileptika von Vorteil ist, da Interaktionen mit anderen Substanzen und Autoinduktion (Abnahme der Serumspiegel bei gleichbleibender Tagesmenge) nicht befürchtet werden müssen. Diese Probleme komplizieren die Carbamazepin-Medikation. 
Während Oxcarbazepin eine sehr kurze Halbwertszeit hat (1,5 Stunden) und als Muttersubstanz schon deshalb für eine klinisch relevante Anfallsbehandlung nicht in Frage kommt, hat sein Hydroxymetabolit eine Halbwertszeit von 13,5 Stunden (3). Als Vorgriff auf den klinischen Teil ist allerdings anzuführen, daß die Möglichkeit einer Zwei-mal-pro-Tag-Gabe weder dadurch noch durch entsprechende klinische Untersuchungen belegt ist. 
Die mit Oxcarbazepin durchgeführten klinischen Studien weisen gegenüber anderen eine Besonderheit auf. Während die übliche klinische Prüfung mit neuen Antiepileptika an Patienten erfolgt, die gegenüber Standard-Antiepileptika therapieresistent sind, und die Prüfsubstanz eine Wirküberlegenheit aufweisen muß (siehe Besprechung von Vigabatrin, Sabril in Pharmainfo VII/4/1992), wurde Oxcarbazepin ausschließlich auf Wirkungsgleichheit mit Carbamazepin untersucht. Übereinstimmend wurde diese in allen Studien gefunden (2,4,8). Genau genommen wurde gefunden, daß zwischen der antiepileptischen Wirkung der verglichenen Substanzen kein statistisch signifikanter Unterschied besteht. Es wurde nicht positiv bewiesen, daß Oxcarbazepin gleich gut wie Carbamazepin wirkt - und schon gar nicht, daß es besser wirkt. Dieser Umstand muß bei der Diskussion, ob Oxcarbazepin das bewährte Carbamazepin ersetzen soll, sehr wohl bedacht werden. 
Die Pharmakokinetik der Substanz ließ hoffen, daß das Nebenwirkungsprofil im Vergleich mit Carbamazepin günstiger sein könnte. Dies trifft für das Auftreten Arzneimittel-induzierter Exantheme tatsächlich zu. Unter Oxcarbazepin traten zwar auch Exantheme auf, allerdings deutlich weniger häufig. In einer nicht in extenso veröffentlichten Kongreßmitteilung wird behauptet, daß es dabei zu keinen Kreuzallergien kommen soll (5). Eine ausführliche Publikation berichtete aber, daß dies sehr wohl vorkommt und Vorsicht mit Oxcarbazepin-Gabe bei Patienten angebracht ist, die auf Carbamazepin mit Hauterscheinungen reagieren (1). Das übrige Nebenwirkungsprofil zeigt keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Substanzen. Oxcarbazepin kann Hyponatriaemien verursachen, deren klinische Relevanz bisher ungeklärt ist (6).
Serumspiegelbestimmungen für den wirksamen Hydroxymetaboliten sind in einem Routinelabor nicht möglich. Zudem existieren keine Untersuchungen über therapeutische Richtwerte. Oxcarbazepin wird in der gleichen Indikation wie Carbamazepin empfohlen. In den Überlegungen, welchem Medikament der Vorzug zu geben sei, müssen mehrere Fakten bedacht werden. Zu allererst muß klar sein, daß von Oxcarbazepin keine bessere antiepileptische Wirksamkeit erwartet werden kann, höchstens eine gleichwertige. Vom Nebenwirkungsprofil und von der Pharmakokinetik weist Oxcarbazepin einige Vorteile auf. Es werden weniger Hautexantheme beobachtet, Interaktionen mit anderen Substanzen und Autoinduktion müssen nicht erwartet werden. Für Carbamazepin sprechen die gesicherte Möglichkeit der Zwei-mal-pro-Tag-Gabe bei Retardpräparaten, die leicht zugängliche Möglichkeit der Serumspiegelbestimmung und die etablierten therapeutischen Richtwerte. Vor allem aber sei an eine den Lesern der Pharmainformation bereits geläufige Maxime erinnert, bei Medikamenten solange "altmodisch" zu bleiben, bis eindeutige Vorteile der neuen Substanz gesichert sind. Für Oxcarbazepin spricht in dieser Hinsicht, daß es - wie schon eingangs erwähnt - kein neues Antiepileptikum ist, da es in skandinavischen Ländern schon seit mehreren Jahren in Gebrauch ist. Vorsichtig sollte man also schließen können, daß keine überraschenden neuen Nebenwirkungen mehr auftreten.

Literatur:
(1) Epilepsia 34,163,1993
(2) Epilepsy Res. 3,70,1989
(3) Feldman KF: Pharmacokinetics and metabolism of GP 47779, the main human metabolite of oxcarbazepine (GP 47680) in animals and healthy volunteers, In: Dam M (ed.), Advances in Epileptology, Raven Press, New York, 1981.
(4) Epilepsia 28,693,1987
(5) Jensen NO: Oxcarbazepin in patients hypertensitive to carbamazepine. 16th Epilepsy International Congress, Hamburg 1985
(6) Epilepsy Res. 1,155,1987
(7) Brit.J.Clin.Pharmacol. 31,65,1991
(8) Epilepsy Res. 1,284,1987
(9) Eur.J.Clin.Pharmacol. 22,545,1982

 

Psychotonin

Dieses Präparat stellt einen alkoholischen Auszug aus Herba Hyperici (Johanniskraut) standardisiert auf Hypericin (0.07mg/ml) dar. Die Substanz wird im Austria-Codex so definiert: 
"Pflanzliches Antidepressivum mit stimmungsaufhellenden und antriebssteigernden Eigenschaften. Hypericin wirkt experimentell als Hemmer der Monoaminoxidase". 
Als Indikation werden leichte und mittelschwere depressive Verstimmungszustände angegeben.
Die pharmakologischen Daten für diese Substanz sind unzureichend und widersprüchlich. So wird dieser Substanz aufgrund von in vitro Untersuchungen (1) eine Hemmung der Monoaminoxidase zugeschrieben. Andererseits wird am Menschen nach Gabe dieser Substanz über einen Anstieg eines Noradrenalin Metaboliten (dem 3-Methoxy-4-hydroxy-phenethylenglycol: MHPG) im Harn berichtet (2), obwohl dieser desaminierte Metabolit des Noradrenalin nach MAO-Gabe absinken müßte. Über einen möglichen Wirkungsmechanismus der Substanz liegen also keine verläßlichen Daten vor. Für tierexperimentelle Resultate liegt nur eine auswertbare Studie vor (3). Hierbei wurde bei einzelnen Parametern, wie lokomotorische Aktivität bei Mäusen, ein gering steigernder Effekt, bei Alkoholschlafzeit eine deutliche Verlängerung und bei Reserpin-induzierter Hypothermie ein Anstieg gesehen, der aber nur bei niederen Dosen zu sehen, bei höheren nicht mehr vorhanden war. Am bedenklichsten ist aber, daß diese und andere Effekte mit Dosen von 2-10mg Hypericin/kg beobachtet wurden. Dies würde am Menschen Dosen von 120 mg aufwärts pro Person entsprechen. Die klinisch empfohlenen Dosen für Hypericin erreichen aber nur 1 mg. Für eine klinisch verwendete Substanz sollten bessere Unterlagen über Wirkungsmechanismus und dosisrelevante Wirkungen vorliegen. Ein mutagenes Potential des Hypericin wurde nicht beobachtet (4).
An publizierten klinischen Studien liegen ebenfalls nur wenig auswertbare Daten vor, da viele Studien nur offen oder ohne Placebovergleich durchgeführt wurden, was keine Aussagen über eine antidepressive Wirkung erlaubt (2, 5-8). In psychometrischer Testung bewirkt Hypericin gegenüber Placebo (nicht doppelblind) keine deutlichen Veränderungen (9). In einer Studie (10: als multizentrisch bezeichnet, aber nur in zwei Praxen durchgeführt) wurden 40 Patienten aufgenommen, neun wurden nachträglich ausgeschlossen, zur Auswertung verbleiben 16 in der Hypericin - und 12 in der Placebogruppe, wie die Differenz von 3 fehlenden Patienten zu erklären ist, war nicht ersichtlich. In der Zusammenfassung sprachen die Autoren davon, daß an 40 (!) Patienten die Wirksamkeit von Hypericin objektiviert werden konnte. Eine signifikante Besserung der depressiven Verstimmung, aber keine Änderung der Ängstlichkeit wurde gefunden. In einer weiteren Studie aus dem gleichen Institut (Arbeits- und Forschungsgemeinschaft für Arzneimittelsicherheit, Köln) aber mit anderen Autoren (11) wurde hingegen gerade bei diesem Parameter der höchste statistische Unterschied gefunden, da die Ängstlichkeit in der Placebogruppe bei 23 Patienten, aber in der Verumgruppe nur bei 5 Patienten gefunden wurde. Auch hier wird über eine antidepressive Wirkung berichtet (Gesamtzahl der Patienten: 46). Ein Autor (U. Schmidt) der obigen Studie (10) war dann wieder Mitarbeiter einer weiteren multizentrischen Studie, die in sechs internistischen Praxen (12) durchgeführt wurde. Der antidepressive Effekt von Hypericin wurde in dieser Studie gleichwertig mit den klassischen Antidepressiva bezeichnet. In der Durchführung und Auswertung liegen offensichtlich Probleme vor, da z.B. von 116 Patienten 22 nicht bewertet wurden, die Daten ohne Streuungen präsentiert werden und die statistische Auswertung unvollständig ist. Eine weitere Studie (ein Autor wieder U. Schmidt) wurde in, wie es heißt, "4 in klinischer Arzneimittelprüfung erfahrenen Prüfzentren" durchgeführt, es fehlt aber die Angabe, wer damit gemeint war (13), es wird keine Institution genannt und nur eine Straße in Berlin (O-1136) als Adresse angegeben.
Wir möchten hiezu grundsätzlich feststellen, daß wir für die Bewertung der Verläßlichkeit von Studien folgende Kriterien als wichtig erachten: Die Studie sollte in oder zumindest unter Leitung einer anerkannten Institution (z.B. Universitätsklinik oder qualifizierte Krankenanstalt) durchgeführt sein. Die Resultate sollten vollständig und nachvollziehbar und in international relevanten Zeitschriften veröffentlicht werden und es sollten überzeugende Resultate vorliegen, die mehrfach unabhängig voneinander (unterschiedliche Forschergruppen) bestätigt wurden. Für die trizyklischen Antidepressiva werden diese Kriterien dutzendfach erfüllt. Für Psychotonin ist dies, wie oben diskutiert, nicht der Fall. Die vorliegenden Unterlagen reichen daher nicht aus, um die antidepressive Wirkung von Hypericin zweifelsfrei zu belegen. 
Auffällige Nebenwirkungen wurden für Hypericin nicht berichtet.
Zusammenfassung: Es liegen keine überzeugenden pharmakologischen Daten vor, die einen antidepressiven Wirkungsmechanismus von Hypericin belegen können. Klinische Studien erscheinen nicht ausreichend, um eine antidepressive Wirkung sicherzustellen. Da Patienten mit behandlungsbedürftigen Depressionen eine verläßlich wirksame Therapie benötigen, ist Psychotonin derzeit nicht zu empfehlen. Die klinische Wirkung von trizyklischen Antidepressiva ist hingegen einwandfrei belegt.

Literatur:
(1) Planta med. 50,272,1984
(2) Arzneimittelforsch. 34,918,1984
(3) Arzneimittelforsch. 37,10,1987
(4) Arzneimittelforsch. 40,851,1990
(5) Psycho. 11,3,1989
(6) Kassenarzt 27,33,1987
(7) Kassenarzt 15,64,1989
(8) Z.allgem.Med. 66,21,1990
(9) Z.allgem.Med. 66,13,1990
(10) Psycho 15,665,1985
(11) Psycho 13,440,1987
(12) TW Neurologie und Psychiatrie 5,710,1991
(13) Der Allgemeinarzt 2,97,1993

 

Vitamine: Welche Wirkungen sind gesichert?

Wir haben bereits früher (Pharmainfo V/4/1990, VIII/2/1993) versucht, über verläßliche Studien zu berichten, die einen therapeutischen Effekt von Vitaminen entweder belegen oder widerlegen. Dieses Mal sollen zwei Studien über Vitamin E diskutiert werden. Dieses Vitamin soll unter anderem freie Radikale abfangen und dadurch Schäden, die durch solche hochaktiven chemischen Verbindungen ausgelöst werden, verhindern.

 

Vitamin E bei Parkinson

Es wurde immer wieder spekuliert, daß die degenerativen Veränderungen im Bereich der nigrostriatalen Neurone auf die Bildung freier Radikale zurückgehen. Dementsprechend müßte Vitamin E bei Parkinson Patienten mit sehr frühen Symptomen das Fortschreiten der Erkrankung verhindern oder zumindest verzögern können. Dies wurde in einer großen prospektiven Studie untersucht (NEJM 328,176,1993). Je 200 Patienten erhielten entweder Placebo oder alpha-Tokopherol (Vitamin E) und zwar so lange, bis die Symptome so schwer wurden, daß eine L-Dopa-Therapie notwendig wurde. Nach 14 +/- 6 Monaten zeigte sich, daß die Gabe von Vitamin E (2000 i.E. to Tokopherol pro Tag) ohne Wirkung auf den Verlauf der Krankheit blieb. Der Monoaminoxidase B-Hemmer Selegilinium (Jumex) hingegen zeigte eine Wirkung, womit belegt war, daß diese Studie positive Effekte tatsächlich feststellen konnte. Diese Daten unterstützen nicht die Hypothese, daß freie Radikale bei der Pathogenese des Parkinson von Bedeutung sind und scheinen einen therapeutischen Nutzen von Vitamin E bei dieser Erkrankung auszuschließen.

 

Vitamin E und Koronarerkrankungen

Auch bei dieser Erkrankung, zumindest so weit die Grundkrankheit, die Atherosklerose, betroffen ist, werden freie Radikale als beteiligte Faktoren diskutiert. So soll die Oxidation von low density lipoprotein (LDL) u.a. zu cytotoxischer Wirkung auf das Endothel und vermehrter Aufnahme von LDL in Makrophagen bis zur Umwandlung in Schaumzellen führen. In einer großen Studie wurde nun versucht festzustellen, ob ein Zusammenhang zwischen der Höhe einer Vitamin E Einnahme pro Tag und Herzinfarkt besteht (New Engl.J.Med. 328,1444,1993). Im Jahre 1980 wurden 87245 Krankenschwestern bezüglich ihrer Ernährungsgewohnheiten und der Einnahme verschiedener Vitamine befragt, und dies wurde alle zwei Jahre wiederholt. Diese Daten wurden jetzt ausgewertet in Hinblick auf 437 aufgetretene Herzinfarkte und 115 Todesfälle durch Koronarerkrankung. Wenn man die Frauen in der Gruppe (oberste 20%) mit der höchsten Vitamin E-Einnahme mit der Gruppe (unterste 20%) mit der niedersten Vitamin E-Einnahme vergleicht, dann hatten erstere ein um 34% gesenktes Risiko an Herzinfarkt zu erkranken. Dieser Trend war schon bei 17 IE pro Tag zu sehen (26%), was nur relativ knapp über der normalen Einnahme durch die Nahrung (2.6. bis 7.7 IE pro Tag) liegt und war dann noch etwas stärker (34%) bei 208 IE. Die Gefahr der Interpretation einer solchen zwar prospektiven, aber nicht kontrollierten Studie kann immer daran liegen, daß Vitamin E Einnahme zufällig mit anderen günstigen Faktoren einhergeht, z.B. daß Patientinnen, die vermehrt Vitamin E einnehmen, nicht Rauchen oder vermehrt Körperbewegung machen oder häufiger Acetylsalizylsäure (siehe Kommentar in dieser Info) einnehmen. Die Autoren haben versucht, diese Zusatzfaktoren auszuschließen, aber wie schon oft in der Vergangenheit muß dies nicht immer gelingen. Diese Studie (ganz ähnliche Daten wurden auch bei Männern erhalten: NEJ Med. 328,1459,1993) zeigt daher möglicherweise einen günstigen Effekt von Vitamin E auf die Entwicklung von Koronarerkrankungen auf, der Beweis ist aber nur mit einer bereits laufenden Doppelblindstudie (Women's Health Study) zu führen. Auch bei der Parkinson Erkrankung wurde dem Vitamin E ein günstiger Effekt zugesprochen, die oben diskutierte Studie hat dies dann wiederlegt. Eine Empfehlung, Vitamin E gegen Herzerkrankungen zu nehmen, kann daher erst erfolgen (wie dies auch die Autoren der obigen Studie betonen), wenn tatsächlich der Beweis eines kausalen Zusammenhanges erfolgt ist.

 

Fremdkörpereiweiße als Medikament

Wir haben in der Vergangenheit mehrfach über Fremdeiweiße als Medikamente und ihr Risikopotential aufgrund der Auslösung allergischer Reaktionen berichtet.
Dies hat insbesondere Frischzellextrakte (Pharmainfo III/1/1988), Arteparon (Pharmainfo III/1/1988), Wobe-Mugos Präparate (Pharmainfo VI/2/1991 und VII/4/1992) und Peroxinorm (Pharmainfo VI/2/1991) betroffen. Inzwischen sind Frischzellextrakte schon seit längerem verboten (Pharmainfo III/1/1988), für Arteparon erfolgte die Marktrücknahme ebenfalls letztes Jahr (Pharmainfo VII/4/1992). Für ein weiteres Präparat (Arumalon) wurde nun ebenfalls bereits 1992 die Rücknahme der Zulassung in Deutschland angeordnet, und zwar wegen im Vergleich zum Risiko inadäquater Wirkung (Arzneitelegramm 1992, S.59). In Österreich ist dieses Präparat als Rumalon-Ampullen noch zugelassen. Es handelt sich beiRumalen um einen Extrakt aus Rinderknorpel, der bei degenerativen Erkrankungen wirksam sein soll. Aus gegebenem Anlaß (schwere Nebenwirkung in Innsbruck in Zusammenhang mit der Verabreichung dieser Substanz) möchten wir noch einmal betonen, daß die Verabreichung (insbesondere parenteral) von Fremdeiweißen geradezu zwangsläufig mit der Auslösung allergischer Reaktionen bis zum anaphylaktischen Schock belastet sein kann. Die laufenden Marktrücknahmen oder Verbote aus dem Bereich dieser Substanzgruppe bestätigen unsere früheren Warnungen und wir empfehlen auch für die derzeit noch verbleibenden Substanzen schon jetzt Zurückhaltung.

 

Hormonsubstitution im Klimakterium

(Pharmainfo VII/3/1992)

Dieses Thema hatten 1992 die Autoren C. Marth, M. Tabarelli & O. Dapunt behandelt und u.a. festgestellt: "Bei Patientinnen mit Uterus ist zur Hormonsubstitution eine kombinierte Gabe Östrogen-Gestagen indiziert. Die Gestagenzugabe ist notwendig, da diese das erhöhte Risiko des Endometriumcarzinoms durch Östrogen-Monotherapie reduziert." Unklar war damals, ob die Zugabe des Gestagens die günstige Wirkung der alleinigen Östrogengabe auf den Lipidstoffwechsel und das kardiovaskuläre System (Senkung der kardiovaskulären Mortalität) wieder aufheben würde. Inzwischen kann diese Frage zumindest teilweise beantwortet werden (Nabulsi et al., New Engl. J. Med. 328, 1069, 1993). In dieser retrospektiven Studie wurde gefunden, daß auch die Östrogen/Gestagen Kombination günstige Effekte auf die Blutlipide der Frau hat, u.a. einen höheren Spiegel von HDL-Lipoprotein und einen niedrigeren von Lipoprotein(a) bewirkt. Diese Studie dürfte die Richtigkeit der Therapie mit dem Östrogen/Gestagen Gemisch auch bezüglich günstiger Lipideffekte bestätigen. Eine abschließende Antwort wird von derzeit laufenden Studien kommen, ob dieses Gemisch nicht nur die Lipide günstig beeinflußt, sondern auch die kardiovaskuläre Morbidität senkt.

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Dienstag, 30. Jänner 1996

Pharmainformation

Kontakt:

em.Univ.Prof.Dr.
Hans Winkler 

Tel.: +43 (0)512/9003-71200
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