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Inhalt

 

Das Inkretinsystem als Basis für neue Therapieformen bei Typ 2 Diabetes mellitus

M. Lechleitner (Landeskrankenhaus Hochzirl)

Eine Verbesserung der glykämischen Kontrolle reduziert das Risiko diabetischer Spätkomplikationen (UKPDS), jedoch nur geschätzte 50% aller Typ 2 Diabetiker/innen erreichen die von den internationalen und nationalen Fachgesellschaften vorgegebenen HbA1c-Zielwerte. Aufgrund der kontinuierlichen Zunahme der Insulinresistenz und durch die Abnahme der beta-Zell-Reserve im Rahmen des progredienten Verlaufs des Typ 2 Diabetes wird die Stabilisierung der Blutzuckerkontrolle erschwert, und erfordert eine stufenweise Erweiterung der Therapie. Antidiabetika, die in Bezug auf die Pathophysiologie des Typ 2 Diabetes auch beta-Zell protektive Effekte aufweisen, wären deshalb von einem entscheidenden Vorteil für den Krankheitsverlauf. Neben Metformin (Diabetex, Glucophage, Metformin Generika, Meglucon Sandoz) und den Sulfonylharnstoffderivaten (zahlreiche Präparate), sowie Disaccharidasehemmern (Acarbose: Glucobay), kommen seit einigen Jahren auch Glitazone als Antidiabetika zur Anwendung. Der Einsatz der Glitazone wird in letzter Zeit im Hinblick auf das erhöhte Risiko der Entwicklung einer Herzinsuffizienz, vermehrter distaler Knochenfrakturen bei älteren Frauen, und die mögliche Zunahme koronarischämischer Ereignisse unter Rosiglitazon kritisch diskutiert (siehe Pharmainformation XXII/4/2007). Diese Erfahrungen aus der Glitazontherapie zeigen, dass in der Diabetestherapie Langzeitstudien mit kardiovaskulären Endpunkten von entscheidender Bedeutung zur umfassenden Beurteilung der Sicherheit antidiabetischer Therapieformen sind.

Wegen des progredienten Krankheitsverlauf des Typ 2 Diabetes, und der Kontraindikationen und Einschränkungen für die zugelassenen oralen Antidiabetika, ergibt sich somit ein Bedarf für neue Therapieformen. Für neue Substanzklassen wird jedoch zunehmend die Notwendigkeit betont, dass nicht nur eine Bestätigung der Effektivität in der Verbesserung der glykämischen Kontrolle, sondern auch eine weitergehende Beurteilung der Sicherheitsaspekte die Voraussetzung für den klinischen Einsatz darstellen sollten.

Das sogenannte Inkretinsystem bietet in Bezug auf die Pathophysiologie des Typ 2 Diabetes einen neuen Therapieansatz. Inkretine sind insulinotrope Hormone, die nach Stimulation durch die Nahrung aus dem Intestinum freigesetzt werden und eine Steigerung der Insulinsekretion bewirken (1). Diese gastrointestinalen Hormone sind dafür verantwortlich, dass oral zugeführte Glukose zu einer stärkeren Insulinfreisetzung führt, als intravenös verabreichte. Als erstesdieser gastrointestinalen Hormone wurdedasGlucose dependent insulinotropic peptide GIP identifiziert, gefolgt von Glucagon-like Peptide (GLP-1). GLP-1 bewirkt eine Steigerung der Insulin- und eine Hemmung der Glucagonsekretion, verzögert die Magenentleerung und stimuliert über das Zentralnervensystem ein Sättigungsgefühl. Der Plasmaspiegel von GLP-1 ist im Nüchternzustand niedrig und steigt unmittelbar postprandial an. GLP-1 wird innerhalb weniger Minuten über das Enzym Dipeptidylpeptidase (DPP-4) metabolisiert, zur Therapie müsste natives GLP-1 deshalb kontinuierlich infundiert werden. Für einen einfacheren therapeutischen Einsatz wurden Inkretinmimetika und Hemmer der DPP-4 entwickelt, die damit auch neue Therapieformen für den Typ 2 Diabetes darstellen. Sowohl für Inkretinmimetika, wie auch für DPP-4-Inhibitoren, konnte in tierexperimentellen Untersuchungen eine Stimulation der beta-Zell-Regeneration und eine verminderte beta-Zell-Apoptose beschrieben werden, dementsprechend wird ein beta-Zell-protektiver Effekt postuliert (1).

 

Exenatid (Byetta)

Inkretinmimetika sind exogene Substanzen mit Inkretinwirkung. Als erstes Inkretinmimetikum wurde Exenatid (Byetta) 2005 in den USA und im November 2006 in der EU zur Behandlung des Typ 2 Diabetes bei übergewichtigen Patienten/innen, die unter Metformin oder einem Sulfonylharnstoffderivat oder einer Kombination aus beiden keine adäquate Blutzuckerkontrolle erreichen, zugelassen. Exenatid (Exendin-4) entspricht dem Speichelprotein einer Echse (GILA-Echse). Es weist eine 50%ige Homologie zu humanem GLP und eine hohe Affinität zum GLP-1 Rezeptor auf. Die Unterschiede in der Proteinstruktur machen Exenatid resistent gegenüber der Metabolisierung durch die DPP-4. Exenatid, das subkutan verabreicht werden muß, stimuliert die pankreatische Insulinsekretion, jedoch nur bei einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels. Die Hypoglykämieneigung ist dementsprechend deutlich geringer als unter Sulfonylharnstoffderivaten (1). Die mediane Plasmaspitzenkonzentration wird nach ca. 2 Stunden erreicht, die Wirkdauer beträgt 4-6 Stunden. Bei Patienten/innen mit Typ 2 Diabetes reduziert Exenatid die Nüchtern- und postprandialen Blutzuckerwerte.

Exenatid wird vor allem über proteolytische Spaltung und glomeruläre Filtration abgebaut und eliminiert, bei schwerer Niereninsuffizienz sollte Exenatid deshalb nicht angewandt werden.

Im Vergleich zu Placebo bewirkt Exenatid bei Patienten/innen im Sekundärversagen einer Therapie mit oralen Antidiabetika (Metformin und Sulfonylharnstoffderivate) eine HbA1c-Reduktion von 0,8-1,0% (2,3,4). Parallel zur glykämischen Verbesserung war in den Studien eine Gewichtsreduktion zu beobachten. Die Gewichtsreduktion wird zum Teil auf die gastrointestinalen Nebenwirkungen von Exenatid zurückgeführt, längerdauernde Studien beschreiben eine Gewichtsabnahme auch nach Sistieren der gastrointestinalen Nebenwirkungen. Während in der Kombination von Exenatid mit Metformin keine Zunahme der Hypoglykämierate beobachtet wurde (2), steigt bei Kombination mit Sulfonylharnstoffderivaten das Risiko von Hypoglykämien von 3% im Placeboarm auf  bis 36% (3).

Die Nebenwirkungen von Exenatid umfassen vorwiegend gastrointestinale Beschwerden mit Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe und Schwindel bei bis zu 50% der behandelten Patienten/innen. Diese Symptome nehmen bei längerer Therapiedauer ab. Über seltene Fälle von Pankreatitis (auch mit tödlichem Ausgang) und eine Verschlechterung der Nierenfunktion wurde berichtet (siehe EMEA 13/12/2007).

40-60% der Patienten/innen entwickeln unter Therapie mit Exenatid Antikörper, die jedoch in den publizierten Studien die antiglykämische Wirksamkeit nicht beeinflusst haben.

In einer Vergleichsstudie zwischen Exenatid und Insulin Glargin als Therapieerweiterung bei Sekundärversagen, zeigte sich eine stärkere Reduktion der Nüchternglucose durch Insulin Glargin, jedoch eine günstigere Beeinflussung postprandialer Glucosewerte durch Exenatid.

Unter Exenatid kam es zu einer Gewichtsreduktion von 2,3 kg, unter Insulin Glargin zu einer Gewichtszunahme von 1,8 kg. Die HbA1c-Senkung war jedoch ident und betrug innerhalb von 26 Wochen unter beiden Therapiemodalitäten 1,1% (5).

Die Wirkung von Exenatid ist an das Vorhandensein einer ausreichenden Insulinsekretion gebunden. Im Fall eines Sekundärversagens von oralen Antidiabetika ist damit grundsätzlich eine Therapieerweiterung mit Insulin angezeigt. In Erwägung gezogen werden kann eine Therapie mit Exenatid insbesondere bei übergewichtigen und adipösen Patienten/innen mit Typ 2 Diabetes. Derzeit nicht verfügbar sind Daten zur Sicherheit von Exenatid in der Langzeittherapie bzw. über die Effekte einer Therapie mit Exenatid auf die diabetische Spätkomplikationsrate, einschließlich kardiovaskulärer Erkrankungen.

 

DPP-4 Inhibitoren

Als erster DPP-4 Inhibitor wurde im November 2007 Sitagliptin (Januvia) für die Therapie bei übergewichtigen Typ 2 Diabetikern/innen - mit ungenügender glykämischer Kontrolle unter Metformin bzw. einem Glitazon – zugelassen. DPP-4 ist ein ubiquitär vorkommendes Enzym und findet sich an der Zelloberfläche von Darmepithel, Lunge, Leber, Niere, Lymphozyten und Endothelzellen, sowie in nicht-membrangebundener löslicher Form im Serum. Als transmembranöses Protein zeigt DPP-4 Rezeptorfunktion, insbesondere an T-Lymphozyten (CD 26). Zu den natürlichen Substraten des Enzyms DPP-4 zählen Chemokine, Zytokine, Neuropeptide und fast alle Peptide der Glucagonpeptidfamilie (1). Es ist derzeit nicht abzusehen, welche Langzeitauswirkungen auf das Immunsystem die Hemmung des Abbaus dieser Peptide haben könnte.

Der Einsatz von DPP-4-Inhibitoren stellt eine weitere Möglichkeit dar, den antidiabetischen Effekt von GLP-1 zu nutzen. DPP-4-Inhibitoren, die als orale Medikation verabreicht werden, reduzieren die Enzymaktivität um über 80%, mit einer Wirkdauer bis zu 24 Stunden, und bewirken so eine Zunahme des endogenen GLP-1-Spiegels (6).

Studienergebnisse zeigen, dass Sitagliptin in einer Monotherapie, wie auch in Kombination, gegenüber Placebo zu einer HbA1c-Reduktion von etwa 0,6% führt, die damit geringer als unter Therapie mit herkömmlichen oralen Antidiabetika ist. Die Reduktion der postprandialen Blutzuckerwerte betrug 50 mg/dL. Das Hypoglykämierisiko unter Sitagliptin war gering und entsprach dem in der Placebogruppe (7,8).

Sitagliptin wird bei oraler Gabe rasch resorbiert. Da Sitagliptin großteils in einer unveränderten Form renal eliminiert wird, sollte es bei Patienten/innen mit stark eingeschränkter Nierenfunktion nicht zur Anwendung kommen. Auch bei einer schweren Hepatopathie wird der Einsatz von Sitagliptin nicht empfohlen.

Aus den Zulassungsstudien geht hervor, dass DPP-4-Inhibitoren gewichtsneutral sind, keinen Einfluß auf die Magenentleerung zeigen, und deshalb nicht so häufig zu Übelkeit und anderen gastrointestinalen Nebenwirkungen führen. Entsprechend den Daten einer rezenten Meta-Analyse zeigten Patienten/innen unter Therapie mit DPP-4-Inhibitoren ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Harnwegsinfekten, Nasopharyngitis und Kopfschmerzen (9).

Ob die letzten beiden Nebenwirkungen auf eine Abbauhemmung pro-inflammatorischer Substanzen zurückzuführen sind, wie klinisch spekuliert wurde (9,10), oder auf einer gestörten Immunitätslage beruhen, kann derzeit nicht belegt werden. Die in Studien beobachteten vereinzelten Fälle von Depressionen (11), sowie die in Kombination mit Glitazonen erhöhte Neigung zu Ödemen (4% zu 2,8%), sind für die EMEA Anlass zu gezielten Postmarketing-Überwachungen.

Vildagliptin (Galvus, in Kombination mit Metformin: Eucreas), wurde von der EU als weiterer DPP-4-Hemmer in der Kombination mit Metformin, Sulfonylharnstoffderivaten oder Glitazonen zugelassen. Derzeit sind hinsichtlich der Wirkung keine wesentlichen Unterschiede zu Sitagliptin bekannt (9). Berichte über Leberschäden (Transaminaseanstieg) unter Vildagliptin in der Dosis von 100 mg pro Tag haben bald nach der Zulassung dazu geführt, dass die 100 mg Tablette zurückgezogen und durch eine 50 mg Tablette ersetzt wurde.

DPP-4-Inhibitoren sind in Europa nicht für die Erstlinientherapie zugelassen, sondern in Ergänzung zu Metformin oder Glitazonen. Seit 2008 besteht auch die Zulassung für die Kombination mit Sulfonylharnstoffderivaten, dabei ist jedoch in Bezug auf eine Einflussnahme beider Substanzklassen auf die pankreatische Insulinsekretion das potentiell erhöhte Hypoglykämierisiko unbedingt zu beachten. Die in der Kombination von Vildagliptin mit Pioglitazon beobachtete vermehrte Ödemneigung (7% versus 2,5%) wird derzeit von der EMEA weiter analysiert.

Ein Vorteil der DPP-4-Inhibitoren im Vergleich zu Exenatid ist die orale Verfügbarkeit. Die Langzeitsicherheit der DPP-4-Inhibitoren ist schwieriger zu beurteilen als von Exenatid, da DPP-4 ein ubiquitär vorkommendes Enzym ist, zu dessen natürlichen Substraten Chemokine, Zytokine, Neuropeptide und fast alle Peptide der Glucagonpeptidfamilie zählen.

Auf die Notwendigkeit von Daten zur Langzeitsicherheit der DPP-4-Inhibitoren im Hinblick auf immunologische Effekte weist auch eine kürzlich publizierte Cochrane Analyse über den Stellenwert von DPP-4-Inhibitoren in der Therapie des Typ 2 Diabetes hin (12).

Literatur:
(1) Lancet 368,1696,2006
(2) Diabetes Care 28,1092,2005
(3) Diabetes Care 27,2628,2004
(4) Diabetes Care 28,1083,2005
(5) Ann Intern Med 143,559,2005
(6) J Clin Endocrinol Metab 89,2078,2004
(7) Diabetologia 49,2564,2006
(8) Diabetes Care 29,2638,2006
(9) JAMA 298,194,2007
(10) Diabetes 54,2988,2005
(11) Prescrire Int 17,12,2008
(12) Cochrane Database Syst Rev 16,CD006739,2008

 

Analgetika bei Osteoarthrose, Gelenk- und Kreuzschmerzen: Paracetamol, NSAR, Cox II-Hemmer, Opioide, oder weitere Medikamente

Aufgrund von Erfahrungen mit den Cox II-Hemmern wurde die medikamentöse Therapie der Osteoarthrose bzw. von Knochen-, Gelenk- und Rückenschmerzen, in den letzten Jahren sehr kontroversiell diskutiert (Pharmainfo XVI/4/2001XIX/4/2004XX/2/2005). Inzwischen ist eine gewisse Klärung eingetreten und wir wollen im Folgenden versuchen, konkrete Vorschläge zu machen.

 

Paracetamol (zahlreiche Präparate)

Diese Substanz scheint in Österreich für diese Indikation im Vergleich zu NSAR (nicht steroidale Antirheumatika) relativ wenig verwendet zu werden, während sie z.B. im angelsächsischen Bereich immer als Mittel erster Wahl eingestuft wird. Paracetamol hat im Gegensatz zu NSAR keine antiphlogistische Wirkung, bei der Osteoarthrose ist aber primär der analgetische Effekt entscheidend. Tatsächlich hat Paracetamol eine Wirkung, die nur etwas schwächer bis vergleichbar mit der von NSAR ist (1,2,2a). Ein entscheidender Vorteil von Paracetamol gegenüber NSAR ist das wohl weitgehende Fehlen von gastrointestinalen Nebenwirkungen (2b). Für eine Erhöhung kardiovaskulärer Nebenwirkungen, offensichtlich in Folge der unten diskutierten Problematik mit NSAR, wurde ein Hinweis publiziert, eine verlässliche Bewertung ist derzeit nicht möglich (2a,2c). Paracetamol hat eine dosisabhängige Lebertoxizität, und schon Dosen von ca. 8,0 g können zu akutem Leberversagen führen (3). Zusätzlicher Alkoholabusus verstärkt die Toxizität von Paracetamol. Zumindest in England sind bei tödlichen Paracetamolvergiftungen über 90% suicidal (4), in den USA hingegen fast die Hälfte durch unbeabsichtigte Überdosierung bedingt (3). Pro Jahr sollen in den USA laut Schätzung der FDA bis zu 450 Todesfälle auftreten (3). Für unsere Diskussion ist aber entscheidend, dass wir diese Zahl in Relation zur Schätzung von Todesfällen (insbesondere Magen-Darmblutung) nach NSAR Therapie sehen, diese liegen in den USA bei 18000 pro Jahr und dies vor allem als Folge therapeutischer Dosen von NSAR (5). Es ist daher nachzuvollziehen, dass Paracetamol nicht nur in amerikanischen, sondern auch in europäischen Studien, Reviews und Richtlinien als Mittel erster Wahl gilt (1,2,6-9). In Österreich ist für orale Paracetamolpräparate eine Tagesmaximaldosis von 2,0 g vorgesehen, während in anderen Ländern (einschließlich Deutschland) diese 4,0 g beträgt. Dies dürfte auch erklären, warum bei uns diese Therapie wegen der wohl bei 2,0 g meist zu geringen Wirkung nicht sehr genützt wird. Wenn man aber die Nachteile der NSAR bedenkt, erscheint bei uns eine Therapie mit Tagesdosen bis zu 3,0 und 4,0 g berechtigt, allerdings nur bei Patienten/innen mit gastrointestinalem Risiko und mit entsprechender Information des/der Patienten/in, genauer Warnung vor Überdosierung und nicht zusammen mit Alkoholkonsum. Nach einer in Deutschland derzeit geführten Diskussion zur Paracetamol-Toxizität hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Tageshöchstdosen von 4 g insofern bestätigt, dass jetzt 60 mg/kg als präzisere Angabe, vorgegeben wird (9a). Auch für Paracetamol zur intravenösen Verabreichung (Perfalgan) ist in Österreich eine Tagesmaximaldosis von 4 g vorgesehen.

 

NSAR und Cox II-Hemmer

Seit langem sind für NSAR gastrointestinale Nebenwirkungen bis hin zu tödlichen Magen-Darmblutungen bekannt. Diese sollen zu 18000 Todesfällen pro Jahr allein in den USA führen (5). Die Entwicklung von selektiven Cox II-Hemmern, für die eine reduzierte gastrointestinale Toxizität erwartet und im Großen und Ganzen auch bestätigt wurde, erschien daher als wichtiger Fortschritt und führte zur weitverbreiteten Verwendung dieser Mittel (Pharmainfo XVI/4/2001). Es zeigte sich aber, dass der Cox II-Hemmer Rofecoxib das kardiovaskuläre Risiko (insbesondere Herzinfarkte) gegenüber Placebo, aber auch gegenüber Naproxen erhöht und dies führte, nachdem die zuständige Firma lange Zeit versucht hatte, diese Konsequenz zu vermeiden (10,11), 2004 zur Marktrücknahme von Rofecoxib (Vioxx) und 2005 auch von Valdecoxib (12). Im Weiteren stellte sich heraus, dass diese negativen kardiovaskulären Effekte (vor allem eine Erhöhung des Herzinfarktrisikos auf ca. das Doppelte mit ca. 3 Extrafällen pro 1000 Patienten/innen im Jahr) einen Klasseneffekt für Cox II-Hemmer darstellen und daher für alle in Österreich registrierten Präparate dieser Gruppe gelten dürften (Celecoxib: Celebrex; Etoricoxib: Arcoxia;13-16). Dies war pharmakologisch gesehen nicht so überraschend, weil eine Cox II-Hemmung die Synthese von Prostacyclin, das die Thrombozytenaggregation reduziert, vermindert, hingegen die Synthese von Thromboxan, das diese fördert, aber nicht beeinflusst. Als man dann auch für die unspezifischen Cox-Hemmer, also die klassischen NSAR, Hinweise auf eine kardiovaskuläre Toxizität erhielt, war dies allerdings überraschend, wenn man bedenkt, wie lange diese Mittel schon verwendet wurden.

Leider liegen hier nur für wenige Substanzen verlässliche Daten vor. Diclofenac (zahlreiche Präparate) und dies ist gut belegt (siehe auch EMEA, Opinion vom 26. Oktober 2007) hat ein den Cox II-Hemmern vergleichbar erhöhtes kardiovaskuläres Risiko (2a,14,15,17) und dies gilt auch, allerdings weniger gut belegt, für Meloxicam (zahlreiche Präparate) oder Indomethacin (Indobene, Indocid:11). Naproxen (Aleve, Miranax, Naprobene, Naproxen Generika, Proxen),und dies ist wieder gut untersucht, hat kein erhöhtes Risiko, aber auch keine protektiven kardiovaskulären Eigenschaften (2a,14,15,17,17a,17b), für Ibuprofen (zahlreiche Präparate) dürfte ein erhöhtes Risiko nur bei höheren Dosen auftreten (14,15,17,17a,17b). Für die weiteren NSAR liegen keine verlässlichen Daten vor, nicht endgültig geklärt ist auch, ob die negativen Effekte nur nach längerer Therapiedauer und höheren Dosen auftreten, dies erscheint aber zumindest wahrscheinlich.

Gastrointestinale Nebenwirkungen sind nach Cox II-Hemmern, verglichen mit unselektiven NSAR reduziert, obwohl schon die erste Studie, z.B. für Celecoxib gezeigt hat, dass dieser Effekt keineswegs dramatisch, bzw. auch nicht immer statistisch signifikant war (siehe Pharmainfo XVI/4/2001). Wird zum Cox II-Hemmer zusätzlich Acetylsalizylsäure (zahlreiche Präparate) für eine kardiovaskuläre Indikation gegeben, ist dieser Vorteil von Cox II-Hemmern zumindest geringer (Pharmainfo XVI/4/2001; 2a,16,18).

Eine Kombination von Diclofenac mit dem Protonenpumpenblocker Omeprazol hat bei Risikopatienten/innen eine mit Cox II-Hemmern vergleichbare Rate an Ulcusblutungen (19). Wenn ein Cox II-Hemmer mit einem Protonenpumpenblocker kombiniert wurde, konnte bei Hochrisikopatienten/innen die Ulcusblutung von 8,9% auf 0% gesenkt werden (20). Da kein Vergleich mit einer unspezifischen NSAR Kombination durchgeführt wurde, ist nicht sicher, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, dass diese ähnlich gut abschneiden würde.

 

Opioide

Diese Medikamente (z.B. Tramadol: zahlreiche Präparate; Dihydrocodein: Dehace retard, Codidol retard) sind bei entsprechend starken Schmerzen in die Überlegungen einzubeziehen, wenn Paracetamol nicht ausreichend wirkt. Dann können sie als Alternative oder zusätzlich (als Kombination erhältlich: Tramadol/Paracetamol: Zaldiar) gegeben werden (1,2,6,7). Die Kombination von Dextropropoxyphen und Paracetamol (APA, Sigmalin B1-forte) ist wegen "safety concerns" derzeit in Begutachtung durch die EMEA (Press release 24. Jänner 2008).

Die Gabe von Opioiden ist insbesondere dann relevant, wenn kardiovaskuläre oder gastrointestinale Risiken vorliegen, die eine NSAR-Verabreichung einschränken. Das Abhängigkeitspotential der Opioide ist bei längerer Therapie zu beachten. Stark wirksame Opioide sind deshalb nur bei sonst nicht beherrschbarem Schmerz vertretbar.

 

Weitere Medikamente

Für Glukosamin (Flexove) haben wir kürzlich berichtet, dass eine Wirkung bei Osteoarthrose keineswegs ausreichend belegt ist wobei die Daten besonders eindeutig für Glukosamin Chlorid und weniger klar für Glukosamin Sulphat waren (Pharmainfo XXII/4/2007; 2,21). Eine neue Studie (21a) zeigt aber auch für Glukosamin Sulphat bei Hüftgelenksarthrose keine positive Wirkung.

Auch für Chondroitinsulfat (CondrosulfPharmainfo X/3/1995; "effect minimal or non existent": 22,23) und für intraartikuläre Hyaluronsäure (Artzal, Hyalgan: 2,6,24) ist eine Wirkung nicht belegt.

Diacerein (Verboril) haben wir in der Pharmainfo XX/2/2005 ausführlich besprochen und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Wirkung bei Osteoarthrose nicht belegt ist. Inzwischen ist eine firmengesponserte Studie mit positiven Daten (25) erschienen und eine Metaanalyse (26) von 23 Studien fand positive symptomatische Effekte. Diese Daten sind aber nicht ausreichend, um eine große und unabhängige Studie (z.B. 24) zu widerlegen, die bei einer Therapie über ein Jahr weder symptomatische noch strukturelle Effekte für Diacerein, verglichen mit Placebo, finden konnte.

 

Konkrete Vorgangsweise (siehe auch 27)

Als Mittel erster Wahl bei osteoarthritischen Schmerzen ist Paracetamol (in Österreich Tagesmaximaldosis 2 g, bei entsprechender Indikation bis zu 4 g täglich, wie international üblich, vertretbar) anzusehen (cave akzidentelle Überdosierung und Gabe in Zusammenhang mit Alkoholabusus). Ist diese Therapie nicht ausreichend, dann ist bei Patienten/innen ohne gastrointestinales und kardiovaskuläres Risiko zusätzlich oder alternativ ein NSAR wie Ibuprofen, Diclofenac oder Naproxen zweckmäßig, wobei die Auswahl nach dem Preis erfolgen kann (für Opioide siehe unten). Bei kardiovaskulärem Risiko (und dies dürfte vor allem bei älteren Patienten/innen viele betreffen) ist Naproxen Mittel der Wahl.

Liegt auch ein gastrointestinales Risiko vor, ist Naproxen zusammen mit einem Protonenpumpenblocker, hingegen Celecoxib nur, wenn kein kardiovaskuläres Risiko vorliegt, indiziert. Es ist allerdings für Patienten/innen mit diesem Risiko zu bedenken, dass diese meist Acetylsalizylsäure einnehmen, was den Vorteil der Cox II-Hemmer bezüglich gastrointestinaler Nebenwirkungen zumindest reduziert. Bei sehr hohem gastrointestinalen Risiko (z.B. blutendes Ulcus in der Anamnese) und wenn Paracetamol nicht ausreicht ist Celecoxib plus Protonenpumpenblocker indiziert, allerdings ist dann das erhöhte kardiovaskuläre Risiko zu bedenken.

Bei mangelnder Wirkung von Paracetamol können auch zusätzlich oder alternativ Opioide verwendet werden, dies ist insbesondere bei Patienten/innen zu überlegen, bei denen kardiovaskuläre und gastrointestinale Probleme die Gabe von NSAR erschweren.

Acetylsalizylsäure in niederen Dosen (70 - 100 mg) kann, wenn es zur Reduktion kardiovaskulärer Probleme indiziert ist, zusätzlich gegeben werden.

Literatur:
(1) Clin Rheumatol 25 (suppl 1): S22,2006
(2) NEJM 354,841,2006
(2a) Semin Arthritis Rheum Laine et al., in press
(2b) Drug Safety 28,227,2005
(2c) Circulation 113,1578,2006
(3) Hepatology 42,1364,2005
(4) Hepatology 42,1252,2005
(5) Amer J Gastroent 100,1685,2005
(6) BMJ 332,639,2006
(7) BMJ 336,502,2008
(8) Lancet 369,726,2007
(9) AVP: Arzneimittelkommission d. deutschen Ärzteschaft: Kreuzschmerzen: 3. Auflage, 2007)
(9a) DAZ 148,67,2008
(10) NEJM 351,1707,2004
(11) JAMA 296,1653,2006
(12) NEJM 356,328,2007
(13) NEJM 357,360,2007
(14)BMJ 332,1302,2006
(15) Circulation 113,1950,2006
(16) Lancet 370,2138,2007
(17) JAMA 296,1633,2006
(17a) Ann Rheum Dis, van der Linden et al., in press
(17b) J Cardiovasc Pharm Ther 13,41,2008
(18) Art Res & Ther 7 (Suppl 4) S23,2005
(19) NEJM 347,2104,2002
(20) Lancet 369,1621,2007
(21) J Rheumatol 34,1787,2007
(21a) Ann Int Med 148,268,2008
(22) Ann Int Med 146,580,2007
(23) Ann Rheum Dis 66,639,2007
(24) Ann Rheum Dis 63,1611,2004
(25) Arthr & Rheum 56,4055,2007
(26) Arch Int Med 166,1899,2006
(27) Lancet 369,1580,2007

 

Cinacalcet (Mimpara)

Knochenveränderungen aufgrund eines sekundären Hyperparathyreoidismus (Hyper-PTH) sind ein gravierendes Problem bei Patienten/innen mit chronischer Niereninsuffizienz.Etwa 40% aller Dialysepatienten/innen haben erhöhte PTH Spiegel.

Zur Therapie des Hyper-PTH werden seit mehreren Jahren Phosphatbinder (Antiphosphat-Gry Filmtabletten, Dreisacarb, Renagel, Fosrenol, Phos-Ex) sowie Vit-D (Rocaltrol, Calcijex Ampullen) eingesetzt. Nach Gabe dieser Substanzen kommt es allerdings meist zu keiner vollständigen Normalisierung des Hyper-PTH. Darüberhinaus kommt es auch häufig zu einer Erhöhung des Kalzium/Phosphatproduktes, welches mit vaskulären und extravaskulären Kalzifikationen und einer Erhöhung der kardiovaskulären Mortalität assoziiert ist (1). 

Seit 2004 ist in der EU Cinacalcet zur Therapie des Hyper-PTH und zur Therapie bei Nebenschilddrüsenkarzinom zugelassen. Cinacalcet ist ein sogenanntes Kalzimimetikum, d.h. ein aktivierender Modulator des “calcium-sensing” Rezeptors der Nebenschilddrüse (2). Durch Aktivierung des Kalzium-Sensors kommt es zu einer verminderten Ausschüttung von PTH. Unter Cinacalcet als add-on Therapie erreichten deutlich mehr Patienten/innen einen PTH Zielbereich von <250pg/ml als unter Placebo (3). Auch das Kalzium/Phosphatprodukt lag öfter als bei Therapie mit Phosphatbindern sowie Vit-D im Zielbereich (4). Unter Cinacalcet kam es häufiger zum Auftreten von Nausea, Hypokalziämie (und epileptischen Anfällen) sowie einer Erniedrigung des Testosteronspiegels (EPAR).

Ob es unter Cinacalcet zu einer Verhinderung von klinisch relevanten Endpunkten wie z.B. Frakturrate, Kalzifizierungen oder Mortalität kommt, ist derzeit Gegenstand großer klinischer Studien (5).

Literatur:
(1) Am J Kidney Dis 31,607,1998
(2) Nat Rev Mol Cell Biol 4,530,2003
(3) New Engl J Med 350,1516,2004
(4) Clin J Am Soc Nephrol 3,36,2008
(5) Clin J Am Soc Nephrol 2,898,2007

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Montag, 6. Oktober 2008

Pharmainformation

Kontakt:

em.Univ.Prof.Dr.
Hans Winkler 

Tel.: +43 (0)512/9003-71200
Fax: +43 (0)512/9003-73200  

E-Mail: hans.winkler@i-med.ac.at

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