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Ethik in der Medizin – noch wichtiger in Krisenzeiten

G. Werner-Felmayer, B. Friesenecker, G. Gasser und E. Kircher (studentische Mitarbeiterin Ethiklehre Bilder: G. Werner-Felmayer, B. Friesenecker, G. Gasser und E. Kircher (studentische Mitarbeiterin Ethiklehre)

Als Corona Anfang März auch Österreich erreichte, waren die Auswirkungen und Veränderungen, die es in kürzester Zeit zu bewältigen galt, nicht vorstellbar. Sehr schnell wurde klar, dass die drohende Ressourcenverknappung sowohl im Bereich der Krankenversorgung, als auch beim Schutz anderer Menschen vor der Infektion (Stichwort: Schutzausrüstung) die in „normalen“ Zeiten gültigen ethischen Prinzipien auf eine harte Probe stellen würde. Die zentralen ethischen Werte der Menschenwürde, der Solidarität und sozialen Gerechtigkeit, sowie die medizinethischen Instrumentarien für eine reflektierte Entscheidungsfindung in schwierigen klinischen Situationen rückten sehr deutlich in den Fokus: Wie sollen Ressourcen verteilt werden, wenn nicht mehr ausreichend intensivmedizinische Betten/Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen? Wann ist eine Intensivtherapie nicht mehr indiziert? Welche Aspekte sind zu beachten, damit es nicht zu Diskriminierung bestimmter Patient*innengruppen kommt? Ist ein umfassender Lockdown, der große und langanhaltende sozio-ökonomische Folgen mit sich bringt, überhaupt verhältnismäßig?

Vor dem Hintergrund solcher und ähnlicher Fragen boten Barbara Friesenecker, Georg Gasser und Gabriele Werner-Felmayer, die seit einiger Zeit gemeinsam mit ethisch interessierten Lehrenden der MUI an der Einführung und Ausweitung der Pflichtlehre zu Ethik im Humanmedizin-Studium in Innsbruck arbeiten, den Studierenden der MUI spontan ein Wahlfach mit ethischem Schwerpunkt zum Thema „Corona – Medizin in der Krise: Solidarität, Gerechtigkeit und Triage“ an. Auf Grund der großen Nachfrage wurde dieser Kurs im Juni schließlich für zwei Gruppen abgehalten, sodass insgesamt mehr als hundert Studierende über eine digitale Plattform an der Lehrveranstaltung teilnehmen konnten.

Barbara Friesenecker, Intensivmedizinerin und Vorsitzende der ARGE Ethik der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), stellte aktuelle Dokumente zu Allokationsentscheidungen vor, sowie die neu erarbeitete SOP/Checkliste für klinisch tätige Kolleg*innen zur Triage, deren Erstellung sie initiiert und begleitet hat (https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/744559.html). Darüber hinaus diskutierte sie das „Präventions-Paradoxon“, sowie die mehr oder weniger spürbaren Schäden, die die massiven Maßnahmen des Lockdown gerade auch aus medizinischer Sicht bewirkten. Georg Gasser, Professor für Philosophie in Augsburg und externer Lehrender für Medizinethik an der MUI, führte die Studierenden in die Grundlagen der Medizinethik ein und beleuchtete den Begriff der Verhältnismäßigkeit und das Prinzip der Gerechtigkeit an Hand aktueller Beispiele und im Rahmen schwieriger Allokationsentscheidungen. Gabriele Werner-Felmayer vom Institut für Biologische Chemie, die das Bioethik Netzwerk ethucation (https://www.i-med.ac.at/ethucation/) leitet, widmete sich dem Thema Solidarität, die gerade in Zeiten einer Pandemie eine besondere Rolle spielt. Im Zusammenhang mit der Entwicklung von Impfstoffen, sowie der Anwendung von digitalen Werkzeugen zur Klärung von Infektionsketten (Contact Tracing Apps) und bei der Umsetzung von teilweise sehr einschränkenden Maßnahmen im Rahmen der Pandemie-Eindämmung ist Solidarität ebenso gefordert wie auch eine kritische Reflexion der diversen ethischen Fragen, die mit diesen Themen verbunden sind. An jeweils drei Nachmittagen wurde ausführlich und interdisziplinär mit den Studierenden diskutiert und die Vorteile des gemeinsamen Unterrichtens aus verschiedenen Perspektiven bestätigten sich einmal mehr. Für das nächste Studienjahr ist der weitere Ausbau der Ethiklehre geplant und die Hoffnung ist groß, diese dann wieder im Hörsaal und im direkten Austausch mit den Studierenden durchführen zu können.

(23.06.2020; Text: G. Werner-Felmayer, B. Friesenecker, G. Gasser)

Weitere Informationen:

Wenn's hart auf hart kommt, Medizin und Ethik in Pandemiezeiten, Aufzeichnung online Diskussion WuV (17.6.2020) 

COVID-19 und Triage im Falle von Ressourcen-Mangel: "Alter ist nicht das alleinige Kriterium" (Mypoint 7.4.2020) 

Allokation intensivmedizinischer Ressourcen aus Anlass der Covid-19-Pandemie (ÖGARI 17.3.2020) 

ICU –Triage im Falle von Ressourcen-Mangel (ÖGARI 26.3.2020) 

Checkliste: ICU-Triage im Falle von Ressourcen-Mangel (ÖGARI 26.3.2020) 

Covid-19: Intensivmediziner ziehen Zwischenbilanz über Behandlungserfahrungen (ÖGARI 6.4.2020) 

Zum Umgang mit knappen Ressourcen in der Gesundheitsversorgung im Kontext der Covid-19-Pandemie (Stellungnahme der Bioethikkommission vom 31.3.2020) 

Weitere Stellungnahmen der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt zu „Impfen gegen Erkrankungen, für die es zugelassene Impfstoffe gibt, in Zeiten der COVID-19-Pandemie“ und zu „Contact Tracing in der COVID-19 Pandemie“ (Juni 2020) erscheinen demnächst unter: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/bioethikkommission/publikationen-bioethik.html 

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