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ExpertInnen-Interview zum Weltdiabetestag am 14. November

„Diabetes ist eine ernst zu nehmende, aber gut behandelbare Erkrankung“

Die Zahl der Menschen mit Diabetes in Österreich lässt sich bislang nur schätzen. Was fehlt, ist ein österreichweites Diabetes-Register. Das Defizit einer strukturierten Datenlage hat sich gerade in der Pandemie gezeigt. Das betont auch die Innsbrucker Diabetes-Expertin Susanne Kaser, die wir im Hinblick auf den bevorstehenden Weltdiabetestag am 14. November zum Interview gebeten haben.

Pressebild zum Download:

Bild: Diabetes-Expertin Susanne Kaser, (c)MUI/Bullock

Innsbruck, am 10.11.2021:

Frau Kaser, Sie sind Forscherin und Ärztin und überblicken auch als Präsidentin der Österreichischen Diabetesgesellschaft ÖDG die Lage: Wie ist es den Menschen mit Diabetes in dieser Pandemie bisher ergangen?

Susanne Kaser: Während des ersten Lockdowns war unsere Diabetesambulanz hier in Innsbruck nur wenige Tage für Vor-Ort Besuche geschlossen, eine telefonische Beratung war durchgehend möglich, das haben unsere Patientinnen und Patienten durchaus geschätzt, auch danach haben sich nur wenige von ihren Kontrollterminen abhalten lassen. Nun läuft längst wieder alles im Normalbetrieb. Wir haben auch beobachtet, dass vor allem Menschen mit Typ 1 Diabetes besser auf ihre Diät und ihre Blutzuckereinstellung geschaut haben, einige von ihnen konnten die Zeit im Lockdown für die Erkrankung nützen. Auf der anderen Seite gab es aber auch jene, die sich aufgrund der Restriktionen weniger bewegt und dadurch Gewicht zugelegt haben, was gerade im Rahmen von Diabetes Typ 2 problematisch zu sehen ist. Leider hat die Pandemie auch eindrucksvoll gezeigt, dass Diabetes – unabhängig von der Diabetesart - eine sehr ernst zu nehmende Erkrankung ist,

Waren vorwiegend PatientInnen mit Typ 2 Diabetes von schweren COVID-19-Verläufen betroffen?

Kaser: Die COVID-19-Daten aus dem ÖDG COVID-19 Register zeigen ebenso wie zahlreiche internationale Studien, dass neben dem Alter nicht der HbA1c-Wert als Ausdruck der Blutzuckereinstellung, sondern begleitende Erkrankungen wie Niereninsuffizienz, Fettlebererkrankung oder periphere arterielle Verschlusserkrankung die größten Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf darstellen. Der Diabetestyp spielt für das Risiko wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle. Grundsätzlich ist das Infektionsrisiko bei Menschen mit Diabetes erhöht, das gilt speziell für respiratorische oder urogenitale Infektionen.

Ein nationales Diabetesregister, wie es schon seit vielen Jahren von der ÖDG gefordert wird, wäre sicherlich sehr hilfreich gewesen, um abschätzen zu können, wie viele Menschen aufgrund ihrer Erkrankung ein besonders hohes Risiko für schwere oder gar tödliche COVID-19 Krankheitsverläufe aufweisen, vor allem für die Impfpriorisierung wären diese Daten sehr wichtig gewesen. Das war auch der Grund für die ÖDG, kurzerhand ein Diabetes COVID-19 Register ins Leben zu rufen.

Bis wann wird sich das österreichische Diabetes-Register realisieren lassen?

Kaser: Dies ist leider momentan nicht abschätzbar, als Fachgesellschaft werden wir aber nicht müde, auf die Notwendigkeit eines nationalen Diabetes-Registers hinzuweisen. Um kurzfristig valide Daten zu Prävalenz, Versorgung und Komorbiditäten von Menschen mit Typ 2 Diabetes zu erhalten, hat die ÖDG eine Stichprobenerhebung im allgemeinmedizinischen niedergelassenen Bereich über das ganze Land verteilt gestartet. Ziel ist einerseits die Prävalenz von Prädiabetes und die Dunkelziffer von Typ 2 Diabetes zu erfassen, gleichzeitig soll der Gesundheitszustand von Menschen mit Typ 2 Diabetes erhoben werden, insgesamt werden dafür die Daten von 2.500 Personen erhoben werden. Die ersten Ergebnisse dieser Untersuchung erwarten wir für das Frühjahr 2022.  

Von welchen Zahlen kann man in Österreich ausgehen?

Kaser: Nach den Schätzungen der Internationalen Diabetesföderation leben in Österreich rund 800.000 Menschen mit Diabetes, davon sind rund 700.000 dem Typ 2 zuzuordnen.  Etwa ein Viertel bis ein Drittel der Patientinnen und Patienten ist undiagnostiziert, d.h. sie wissen nichts von der Erkrankung. Dazu kommen ca. 350.000 Menschen mit Prädiabetes in Österreich. Der Typ 1 Diabetes macht den kleinsten Anteil aller Diabetesarten aus, leider steigt gleich wie beim Typ 2 auch hier die Prävalenz an. Das Erfreuliche ist, dass es in der Therapie sowohl des Typ 2 als auch des Typ 1 Diabetes große Fortschritte gegeben hat. Nicht nur durch die Therapie selbst, sondern auch durch Aufklärung und gezielte Ausbildung von PädagogInnen konnte die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen mit Typ 1 Diabetes in den letzten Jahren deutlich verbessert werden. Besonders erwähnen möchte ich hier ein online Seminar für PädagogInnen an der Pädagogischen Hochschule Salzburg, das Sabine Hofer von der Innsbrucker Univ. Klinik für Pädiatrie I ganz wesentlich mitgestaltet hat.

Würden Sie sagen, dass Diabetes immer noch unterschätzt wird?

Kaser: Es ist wichtig, die Risikofaktoren speziell für Typ 2 Diabetes zu kennen. Beginnende Glukosestoffwechselstörungen bzw. eine Insulinresistenz sind typischerweise nicht mit Symptomen verbunden, weshalb bei der Diagnosestellung oft schon Folgeschäden aufgetreten sein können. Ist ein oder eine erstgradig Verwandte von Typ 2 Diabetes betroffen, ist das eigene Risiko, an Typ 2 Diabetes zu erkranken, stark erhöht. Kommen Übergewicht, Nikotinkonsum und mangelnde Bewegung dazu, steigt das Risiko nochmals an. Daneben gibt es noch Erkrankungen, die mit einem erhöhten Diabetesrisiko einhergehen, dazu zählen arterielle Hypertonie, Fettlebererkrankungen, Prädiabetes, das Polyzystische Ovarsyndrom, Gestationsdiabetes und Fettstoffwechselstörungen, also niedriges HDL-Cholesterin. Bei Personen mit Risikoprofil sollte eine Abklärung hinsichtlich Glukosestoffwechselstörung erfolgen. Als Fachgesellschaft freuen wir uns, dass der HbA1c Wert als wichtiger diagnostischer Parameter nun von der ÖGK in ganz Österreich im niedergelassenen kassenärztlichen Bereich refundiert wird. Die Behandlungsoptionen für Diabetes haben sich massiv verbessert in den letzten Jahren. Um diese Chance nützen zu können, benötigt es eine frühzeitige Diagnose, deswegen hat die ÖDG anlässlich des Weltdiabetestages auch eine Informationskampagne gestartet (www.oedg.at, www.facediabetes.at).

*) Neben dem durch eine Autoimmunreaktion ausgelösten Typ I und dem durch Lebensstil- und erbliche Faktoren bedingten Typ II, werden der Schwangerschafts-Diabetes und weitere Formen unterschieden.

Steckbrief:

Susanne Kaser ist stellvertretende Direktorin der Innsbrucker Univ.-Klinik für Innere Medizin I und ausgewiesene Expertin für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen.  Noch bis Ende des Jahres fungiert sie als Präsidentin der Österreichischen Diabetesgesellschaft. An der Medizinischen Universität Innsbruck forscht die gebürtige Linzerin seit vielen Jahren im Bereich der Insulinresistenz und der Fettlebererkrankung, die eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Typ 2 Diabetes spielen.