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Mikrobiota und Krebs: „Eine faszinierende Interaktion“

Die Entzündungsbiologie des Darms hat der Innsbrucker Gastroenterologe und Direktor der Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Herbert Tilg, schon seit vielen Jahren im Visier. Seine Expertise zur komplexen Mikrobenwelt des Darms und deren Relevanz für die Entwicklung von Darmkrebs und anderen Erkrankungen war es auch, die ihm und seinem Team eine Einladung der renommierten Fachzeitschrift Cancer Cell einbrachte, einen entsprechenden Übersichtsartikel zu verfassen.

Darmkrebs zählt in den Industrienationen zu den häufigsten bösartigen Tumorerkrankungen. Noch ist die Pathogenese nicht hinreichend geklärt. Eine genetische Veranlagung gilt in etwa zehn Prozent der Fälle als Ursache. 90 Prozent der Tumoren entstehen hingegen sporadisch und sind mit Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Rauchen und Alkoholkonsum, einem Lebensalter über 50 und ungesunder Ernährung assoziiert.

Schlüsselrolle im Krebsgeschehen
Die Weiterentwicklung technologischer Analyseverfahren in den vergangenen zehn Jahren hat einen verschärften molekularbiologischen Blick auf die Mikrobiota des Darms ermöglicht, der die Ursachenforschung rund um die Entstehung von Darmkrebs einen großen Schritt weitergebracht hat. So wie das Humane Papillomvirus (HPV) als Verursacher von Gebärmutterhalskrebs identifiziert wurde und der Nachweis gelang, dass das Bakterium Helicobacter langfristig zu Magenkrebs führt, kann der intestinalen Mikrobiota heute eine Schlüsselrolle in der Entstehung entzündlicher und bösartiger Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts zugeschrieben werden. Vor dem Hintergrund, dass jede und jeder von uns etwa 1000 Keimfamilien im Darm besitzt, bleibt die Identifikation krebsverursachender Keime jedoch weiterhin eine große Herausforderung. Das weiß auch Herbert Tilg, der mit seinem Team selbst mit wesentlichen Erkenntnissen zum besseren Verständnis im Darmkrebsgeschehen beigetragen hat. „Unser Review in Cancer Cell – der führenden Zeitschrift zum Thema Krebs – basiert im Wesentlichen auf drei unserer Arbeiten, in denen wir jeweils spezifische Darm-Bakterien als Auslöser von chronischer Entzündung und schließlich Krebs entschlüsseln konnten“, erklärt der Gastroenterologe.

Innsbrucker Expertise
So bot eine in Innsbruck, Salzburg und China durchgeführte und 2015 im Fachjournal Nature Communications veröffentlichte  Metagenomstudie neue Einblicke in die Darmflora gesunder und an Darmkrebs erkrankter Menschen. „Wir konnten zeigen, dass sich die Mikrobiota bei kranken Menschen stark von der gesunder Probandinnen und Probanden unterscheidet. Bei den PatientInnen mit Darmkrebs waren bestimmte Schlüsselkeime zu wenig vorhanden, wie beispielsweise Milchsäurebakterien, sogenannte Bifidobaktieren, während andere aggressive Keime überhandgenommen haben “, so Herbert Tilg. In einer 2016 in Cell Host & Microbe veröffentlichten Arbeit konnte Herbert Tilg gemeinsam mit Romana Gerner und Alexander Moschen schließlich den Keim Alistipes als Auslöser von Dickdarmkrebs enttarnen und somit nach klinischen Hinweisen auch den molekularbiologischen Zusammenhang bestätigen.
In ihrem Review verweisen Herbert Tilg und seine MitautorInnen auf weitere Keime, die in der Onkogenese von Darmkrebs eine relevante Rolle spielen. „Fusobakterium nucleatum“ heißt etwa ein Bakterium, das nach Hinweisen aus humanen Daten in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entstehung von Darmpolypen, vor allem solcher mit Entartungsneigung, steht. In einer rezenten Science-Arbeit wurden diese Bakterien kürzlich zudem in Metastasen von Dickdarmtumoren nachgewiesen – „ein erster außerhalb des Darms gefundener Beleg dafür, dass dieses Bakterium bei der Streuung und damit auch außerhalb der Mikrobiota krebsrelevant ist“, kommentiert Tilg.
Aber auch Bakterien, die grundsätzlich zu den normalen Besiedlern des Darms zählen, können im Fall einer Überwucherung anhaltende Entzündungen und ein Wachstum von Tumoren auslösen. Nachgewiesen wurde dieser Zusammenhang für bestimmte Stämme von Escherichia coli und Bacteriodes fragiles. 

Kritisch: Zusammensetzung der Mikrobiota
„Trotz nachgewiesener Krebsrelevanz bestimmter Keime, bleibt die Entstehung von Krebs immer komplex. Doch das Darmkeimmilieu ist und bleibt ein heißer Kandidat für die Forschung. In der Zusammensetzung der individuellen Mikrobiota gibt es nicht nur böse, sondern auch gute Keime, also solche, die schützende Effekte haben“, spricht Herbert Tilg eine Forschungsarbeit seines Mitarbeiters Christoph Grander an, in der die Funktion des Darmkeims „Akkermansia muciniphila“ als Protektor der lebenswichtigen Darmbarriere und damit als Gegengewicht zum Fortschreiten der alkoholbedingten Lebererkrankung beschrieben wird. Neben diesem Wirkmechanismus konnte das Team um Tilg auch einen therapeutischen Effekt zeigen: „Durch die Gabe von Akkermansia muciniphila im Tiermodell konnte sich dieser Keim wieder im Darm ansiedeln und damit auch die Erkrankung der Leber positiv beeinflussen“, so Tilg.
Dass die Zusammensetzung der Mikrobiota und im Speziellen die Rolle von Akkermansia muciniphila nicht nur bei der Krebsentstehung, sondern auch beim Ansprechen auf die Therapie folgenschwer sein kein, zeigt eine weitere Forschungsarbeit im Magazin Science: „Hier wurde nachgewiesen, dass die Wirksamkeit der Immuntherapie beim Melanom wie beim Lungenkrebs von der Zusammensetzung der Keimwelt abhängig ist. Die Forscher konnten zeigen, dass bei niedriger Konzentration von Akkermansia im Darm, das Ansprechen des Patienten auf die Immunthrapie herabgesetzt war“, erklärt Tilg. 

„Die Zukunft liegt in der Mikrobiota“
Diese enorme Implikation auf die Krebstherapie zeige die Bedeutung der Keimwelt in der Onkologie, so Tilg, zumal die Manipulation der Mikrobiota, schon heute keine „Zukunftsmusik“ mehr sei. Auch wenn noch viele Player identifiziert, kultiviert und synthetisiert werden müssen, würden sich damit neue Dimensionen in der Onkologie ergeben. Vor diesem Hintergrund erscheint die Vision vieler Forschungsgruppen weltweit als ein realisierbares Ziel: Die Diagnostik aus einer Stuhlprobe liefert Hinweise für die Prognose wie auch für die Wahl der richtigen Therapie. „Es lohnt sich, in dieser Richtung weiter zu forschen“, ist Herbert Tilg überzeugt.

(D. Heidegger)

Links:

Review: The Intestinal Microbiota in Colorectal Cancer. Herbert Tilg, Timon E. Adolph, Romana R. Gerner, and Alexander R. Moschen. Cancer Cell. 2018 Mar 19. [Epub ahead of print]
https://doi.org/10.1016/j.ccell.2018.03.004

Univ.-Klinik für Innere Medizin I
https://www.i-med.ac.at/patienten/ukl_inneremedizin1.html

NEWS-Archiv:

Innsbrucker ForscherInnen identifizieren Krebskeim
https://www.i-med.ac.at/pr/presse/2016/27.html

Neue Erkenntnisse: Darmkrebs und die Rolle der Mikrobiota
https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/690620.html

Darmbakterium als neuer Hoffnungsträger für schwere Lebererkrankung
https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/710457.html

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