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Tabuthema Sterben

Im Wandel der Zeit hat sich die Nuklearmedizin nicht nur im Bereich der Diagnostik durch den technologischen Fortschritt der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) verändert, sondern es wurden auch neue, hochspezifische Therapieformen etabliert. Die meist an Krebs erkrankten Patienten konfrontieren die Nuklearmediziner und das Pflegepersonal praktisch täglich mit Fragen zu Leben, Sterben und Tod. Kürzlich wurde im Rahmen des 1. Nuklearmedizinischen Pflegetreffens darüber diskutiert.

Das Nuklearmedizinische Pflegetreffen war Anlass für eine wissenschaftliche Debatte über das Tabuthema Sterben und Tod. Daran teilgenommen haben Experten der Medizinischen Universität und der Theologischen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität. Am Anfang stand der Erfahrungsbericht von Josef Atzmüller, der 1964 im Alter von 16 Jahren nach einem Blinddarmdurchbruch von den behandelnden Ärzten nach zweiwöchigem Überlebenskampf für „tot“ erklärt wurde. Organisiert wurde die Veranstaltung, die Ende Februar im Haus Marillac in Innsbruck stattfand, von Fabienne Wallasch von der Nuklearmedizinischen Bettenstation G1 Süd.

Beeindruckender Erfahrungsbericht

Unter dem Titel „Frei von Zeit und Raum“ berichtete Josef Atzmüller über sein Nah-Tod-Erlebnis. Ähnlich den Berichten von Elisabeth Kübler-Ross über Nah-Tod-Patienten, erfuhr Josef Atzmüller eine Trennung vom Körper und konnte in dieser Nah-Tod-Zeit die Gespräche von Verwandten und Ärzten hören. Er erlebte sein Leben als ablaufenden Film und konnte sich frei in der Zeit und frei im Raum bewegen. Im Nah-Tod ging Atzmüller dem „Licht“ entgegen, das er als Jesus Christus bezeichnet. Wie auch in Berichten anderer Nah-Tod-Patienten wollte Josef Atzmüller nicht mehr in die Welt „zurückkehren“. Die Rückkehr in den Körper war sehr schmerzhaft, und er konnte jahrelang nicht über diese Nah-Tod-Erlebnisse sprechen. Inzwischen machte Atzmüller eine beachtenswerte Karriere in der Wirtschaft und ist heute im Finanz- und Marketingmanagement tätig.

„Nur wenige bestätige Fälle“

In der anschließenden, interdisziplinären Podiumsdiskussion wies Prof. Hans Goller vom Institut für Christliche Philosophie auf die geringe Zahl der tatsächlich bestätigten Nah-Tod-Erlebnisse hin, und setzt diese in Zusammenhang mit kulturellen und religiösen Aspekten. Prof. Erich Schmutzhard, Leiter der Intensivstation der Neurologie und Vorsitzender der Kommission zur Neuetablierung der Hirntod-Kriterien in Österreich, definierte den Hirntod als irreversible Hirnschädigung mit mehreren objektivierbaren Kriterien wie „schwerste strukturelle Schädigung des Gehirns“. Eine Nah-Tod-Erfahrung wird definiert als „sehr tief greifende subjektive Erfahrung, die in den allermeisten Fällen nach Reanimation bei Herz-Kreislaufstillstand, Beinahe-Ertrinken oder anderen Ursachen für eine akute lebensbedrohliche Erkrankung auftritt. Diese Erfahrung geht ohne ärztliches Eingreifen mit einer unmittelbar zum Tode führenden, meist hypoxischen Schädigung des Gehirns einher. Die Diagnose wird anhand einer von Bruce Greyson publizierten Skala definiert und beinhaltet kognitive, neuropsychologische Inhalte, affektive, emotionale Inhalte, paranormale Erfahrungen und so genannte transzendentale Inhalte.

Intensive Betreuung

Dr. Elisabeth Medicus, die ärztliche Leiterin des Innsbrucker Hospiz, berichtet vom täglichen Umgang mit Sterbenden. Sie sieht den Tod als letzte, oft mühevolle Aufgabe, aber auch als individuell gestaltbaren Lebensabschluss. Auch Prof. Günther Gastl, Vorstand der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Onkologie, wies darauf hin wie wichtig es ist, das Tabuthema Sterben zu diskutieren und legte klar, dass es sich beim onkologischen Patienten in der Regel um einen länger andauernden Sterbeprozess handelt, der durch persönliche Zuwendung und Aufmerksamkeit wesentlich erleichtert werden kann. Insbesondere die intensive Betreuung durch das Pflegepersonal steht im Mittelpunkt einer guten Sterbebegleitung. Dies bestätigt auch Dr. Christine Schaubmayr, Pflegedirektorin am Landeskrankenhaus Innsbruck, die auf die häufige Unsicherheit des Pflegepersonals im Umgang mit dem Sterben einging und aus dem Bericht des Nah-Tod-Erlebnisses von Josef Atzmüller Anregungen für das Pflegepersonal zog. Atzmüller wies auf das Gewicht des gesprochenen Wortes in dieser sensiblen Situation hin und auf die wohltuende Kraft von Berührungen und körperlicher Nähe.

Fortlaufend neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Laut Prof. Stephan Leher, Arzt und Theologe vom Institut für Systematische Theologie, sind besonders Frauen für die Sterbebegleitung geeignet, da sie offener wären und weniger Berührungsängste hätten. Man sehe das schon an der auffallenden weiblichen Präsenz im Leben Jesu. Aus theologischer Sicht beleuchtete Prof. Leher die untrennbare Dualität von Körper und Geist und stellt die „Befreiung der Seele“ beim Verlassen des Körpers in Frage. Elisabeth Medicus resümierte, dass das erlebte Geschehen erst in Zusammenhang mit der Erfahrung und Persönlichkeit eines Menschen seinen Sinn bekomme. Prof. Irene Virgolini, Vorstand der Univ.-Klinik für Nuklearmedizin und Initiatorin der Veranstaltung, verglich das menschliche Gehirn mit einem Fußballfeld, in dem „radioaktive Bälle“ (Neurotransmitter, Peptidhormone, etc.) zwischen den Spielern verschiedener Mannschaften (Hirnareale mit definierten Eigenschaften) zirkulieren und heute durch die PET-Technologie sichtbar gemacht werden können. Sie erwarte sich fortlaufend neue wissenschaftliche Erkenntnisse durch den Einsatz solcher radioaktiver Tracer auch im psychiatrischen Bereich und wies auf den neurologischen Schwerpunkt der Univ.-Klinik für Nuklearmedizin hin.