Silvia Di Maio schafft den Spagat zwischen Labor und Computer
Mit dem Programm „MUI Scientist to watch“ holt die Medizinische Universität Innsbruck ihre herausragenden Wissenschafterinnen und Wissenschafter vor den Vorhang. Alle drei Monate haben ForscherInnen die Möglichkeit, ihre jeweils beste Arbeit einzureichen und von einem unabhängigen Komitee bewerten zu lassen. Im ersten Quartal 2025 machte die Biologin Silvia Di Maio das Rennen.
Literatur oder Naturwissenschaft? Forschen oder Schreiben? Biologie oder Informatik? Silvia Di Maio war schon immer vielfältig interessiert. Sie wollte am liebsten alles machen. Die Italienerin, die in der Nähe von Brescia aufwuchs und im Liceo Classico Altgriechisch und Latein lernte, konnte tatsächlich alles verwirklichen, wenn auch manchmal anders, als sie sich das ursprünglich gedacht hätte. Mittlerweile ist sie Teil der Forschungsgruppe „Computational Genomics“ von Sebastian Schönherr am Institut für Genetische Epidemiologie (Direktor: Florian Kronenberg) und eine Nachwuchswissenschafterin mit vielversprechender Zukunft – ganz offiziell eine „MUI Scientist to Watch“.
„Genomregionen lassen sich besser an der Universität studieren als zuhause. Mit Literatur kann ich mich auch in der Freizeit beschäftigen. Ich habe mir auch überlegt, Sprachen zu studieren, dachte dann aber, dass ich als Forscherin im Ausland sowieso eine neue Sprache lernen werde. Ich bin extrem froh, dass sich das alles so gut gefügt hat“, erklärt sie – in sehr gutem Deutsch – wie sie ihre unterschiedlichen Interessen unter einen Hut bringt. Nach dem Gymnasium entschied sie sich also erstmal für das Biologiestudium in Mailand, Schwerpunkt: angewandte Ernährungswissenschaft. Das Erasmus-Semester absolvierte sie in Wien, das Praktikum während des Masterstudiums bei Stefan Coassin am Institut für Genetische Epidemiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck.
„Viele von meinen Kollegen sind ins Krankenhaus gegangen, um mit Patienten zu arbeiten. Ich wollte aber wissen, wie es sich im Labor anfühlt. Immerhin habe ich Biologie studiert und diese Erfahrung hat mir noch gefehlt. Da fand ich die Website des Instituts für Genetische Epidemiologie in Innsbruck. Lipoprotein(a), an dem in Innsbruck geforscht wird, ist stark genetisch determiniert. Mir war da aber schon klar, dass mich Genetik mehr interessiert als der Ernährungsschwerpunkt“, erzählt sie. Di Maio blieb ein gutes Jahr in Innsbruck und schrieb hier auch ihre Masterarbeit, die sie der Genotypisierung von Mutationen im LPA-Gen widmete, insbesondere in der so genannten Kringle IV-2-Region, die durch viele Wiederholungen gekennzeichnet ist. „Stefan hatte die Mutation G4925A anhand einer neuen Sequenziermethode identifizieren können und wir wollten sie in größere Studien weiterverfolgen. Wir suchten nach einer speziellen Methode, um die Wiederholungsstruktur überwinden zu können und das Vorhandensein der Mutation zu überprüfen. Das kann mit einer normalen PCR nicht gelingen und so entwickelten wir eine Allel-spezifische PCR*. Es war meine erste Erfahrung mit dieser Art der PCR-Technik“, erzählt sie. Damals kam sie auch zum ersten Mal mit Statistik und Informatik in Berührung und fing sofort Feuer. „Es gibt Menschen, die sich lieber auf einen Bereich spezialisieren und dort Experte werden wollen. Für mich fühlt es sich dagegen gut an, beide Welten zu verbinden und immer auch zu verstehen, was die Kolleginnen und Kollegen machen.“
Von der Wissenschaft in die Wissenschaftskommunikation und wieder retour
2018 schloss Di Maio den Master ab und ließ die Wissenschaft erst einmal hinter sich, jedenfalls dachte sie damals noch nicht an ein PhD-Studium – sondern ans Schreiben. Bei der Danone Institute Foundation, einer Stiftung des Joghurtproduzenten, tauschte sie den Laborkittel gegen den Collegeblock ein. Fortan war sie für die Wissenschaftskommunikation zuständig und sorgte dafür, dass die Informationen aus Fachpublikationen des Konzerns laienverständlich ans Licht der Öffentlichkeit kamen. Sie hatte Spaß dabei, merkte aber schon bald, dass sie lieber von ihrer eigenen Forschung erzählen würde, als die Ergebnisse anderer aufzubereiten. Sie kontaktierte erneut Florian Kronenberg und Stefan Coassin – und startete das PhD-Studium im März 2020, zu einem Zeitpunkt, der allen in Erinnerung bleiben wird. Die Pandemie nahm Fahrt auf und Silvia Di Maio schafft es gerade noch über die Grenze nach Österreich.
Im Team entwickelt sie nun Pipelines für genomweite Assoziationsstudien (GWAS), die es möglich machen, genetische Daten in großem Maßstab zu analysieren. Dabei konzentriert sich Di Maio vor allem auf die Untersuchung von VNTRs (Variable Number Tandem Repeats) – im Labor mit Stefan Coassin und informatisch am Computer mit Sebastian Schönherr. Gemeinsam haben sie es geschafft, mit einer von ihnen entwickelten Rechenmethode die so genannte KIV-2 Region zu entschlüsseln, eine VNTR-Sequenz im LPA-Gen, die mit geläufigen Sequenziermethoden nicht lesbar ist, weil sie eine so genannten Dark Region ist. Dafür zogen sie 200.000 Exom-Daten von ProbandInnen aus der UK Biobank heran und konnten rund 300 Varianten entdecken. Die daraus entstandene, im Fachjournal Genome Biology publizierte Arbeit „Resolving intra-repeat variation in medically relevant VNTRs from short-read sequencing data using the cardiovascular risk gene LPA as a model“ (ausführlicher mypoint-Bericht: https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/785188.html) war Teil ihres Doktorats. Nun ist sie dafür von der Medizinischen Universität Innsbruck als “MUI Scientist to Watch” ausgezeichnet worden (Ausschreibung 1. Quartal 2025).
Inzwischen hat sie das PhD-Studium erfolgreich abgeschlossen und arbeitet als Postdoc in der Gruppe von Sebastian Schönherr weiter. Die interdisziplinäre Arbeit, auch über Institutsgrenzen hinweg, liegt Di Maio besonders. Es gefällt ihr, biologische, statistische und bioinformatische Methoden zu erlernen und zu kombinieren, um biologische bzw. klinisch relevante Effekte von genetischen Variationen besser verstehen, analysieren und interpretieren zu können. „Es geht uns eigentlich immer um zwei Dinge. Wir entwickeln Methoden und wollen diese gleich an hunderttausenden Proben anwenden, um zu sehen, was wir damit herausfinden können. Und dann werten wir das, was wir herausgefunden haben, biostatistisch aus. In meinem Fall waren das jetzt Mutationen in der KIV-2 Region von LPA, um zu schauen, ob diese eine Auswirkung auf die Lp(a)-Konzentrationen und in weiterer Folge auf das kardiovaskuläre Risiko haben. Ich mag es, immer den ganzen Weg mitverfolgen zu können, mit Stefan und Sebastian und mit Florian Kronenberg. Diese drei mit ihrer Expertise über LPA sind immer der Anfang und das Ende von einer Geschichte“, sagt sie.
In die Tiefe und in die Breite
Silvia Di Maio möchte sich nun noch weiter in die VNTR-Regionen vertiefen, die bisher im Dunklen gelegen waren. „Jetzt, da ich die Methode habe, bin ich interessiert daran, Assoziationen mit dem Phänotyp zu finden. Ich muss einen Weg finden, die Mutationen besser zu charakterisieren, damit ich herausfinden kann, ob sie nur mit dem Phänotyp assoziiert sind oder eine wirkliche Funktion haben. Das geht dann in die Richtung RNA-Sequencing. Wie genau, weiß ich noch nicht, aber vielleicht findet sich am Campus jemand, mit dem ich darauf hinarbeiten kann. Ich lasse mich gerne überraschen“, sagt sie. Zeit dafür hat sie noch genug, gerade einmal ein Jahr ihres auf vier Jahre angelegten Postdoc ist vergangen. Mit ihrer Offenheit und Kontaktfreude ist sie bereits weit gekommen und so hält sie es auch in ihrer Freizeit. „Ich lese noch immer gerne und ich probiere auch immer etwas Neues aus. Das eine Hobby meines Lebens habe ich nicht. Konzerte besuche ich sehr gerne. Kürzlich habe ich einen Töpferkurs ausprobiert – allerdings bin ich nicht so talentiert – und wieder zu reiten begonnen.“
Die „MUI Scientist to Watch“ Ausschreibungsrunde für das zweite Quartal 2025 läuft noch bis Ende Juni. Interessierte NachwuchsforscherInnen an der Medizinischen Universität Innsbruck sind herzlich eingeladen sich zu bewerben. Alle Informationen finden Sie hier: https://www.i-med.ac.at/forschung/mui_scientist_to_watch.html
*Die Allel-spezifische PCR ist eine spezielle Form der PCR (Polymerase-Kettenreaktion), bei der gezielt nach bestimmten Varianten (Allelen) eines Gens gesucht wird, um z. B. genetische Unterschiede zwischen Individuen oder Krankheitsrisiken zu erkennen. Während die Standard-PCR ein beliebiges DNA-Stück vervielfältigt, ist die Allel-spezifische PCR so angepasst, dass sie nur dann funktioniert, wenn eine ganz bestimmte Genvariante vorhanden ist – sie ist deutlich zielgerichteter.
(Innsbruck, am 20. Juni 2025, Text: T. Mair, Foto: MUI/C. Simon)
Forschungsarbeit:
Di Maio S, Zöscher P, Weissensteiner H, Forer L, Schachtl-Riess JF, Amstler S, Streiter G, Pfurtscheller C, Paulweber B, Kronenberg F, Coassin S, Schönherr S., Resolving intra-repeat variation in medically relevant VNTRs from short-read sequencing data using the cardiovascular risk gene LPA as a model. Genome Biol. 2024 Jun 26;25(1):167. doi: 10.1186/s13059-024-03316-5.
https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-024-03316-5
Links:
Mypoint-Bericht: Tiroler Forschungsteam brachte Licht in dunkle Genregionen (17.7.2024)
Institut für Genetische Epidemiologie
Programm MUI Scientist to Watch