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Moulage

Haut aus Wachs

Innsbrucks einzige Sammlung medizinischer Wachsbildwerke – so genannter Moulagen – befindet sich in der Universitätsklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Medizinischen Universität. Auf Anregung des Vereins „Freundeskreis Pesthaus“ sind die 65 mehr als hundert Jahre alten Nachbildungen von Hautkrankheiten einer „Frischekur“ unterzogen worden. Klinikdirektor Matthias Schmuth und Wachs-Restauratorin Johanna Lang sprechen über den Wert, den Moulagen damals wie heute haben.

Ein Scheinwerfer wirft gleißendes Licht auf den nackten Oberkörper, der vor Johanna Lang auf dem mit Seidenpapier abgedeckten Tisch liegt. Der Rumpf ist übersät mit großen und kleinen Blasen, stellenweise schimmert Flüssigkeit verblüffend realitätsnah durch. „Eine Autoimmunerkrankung, bei der sich das Immunsystem gegen die Haut richtet“, diagnostiziert Matthias Schmuth, Direktor der Uniklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie. Sacht streicht Lang mit einem Pinsel aus Fehhaar – dem Bauchfell von Eichhörnchen – über die erkrankten Stellen. Mikrofasertücher, Polyurethanschwämmchen, eingelegt in einer Schale mit entmineralisiertem Wasser, eine Pinzette, Aquarellfarben, eine Lupenbrille und weitere Feh- und Ziegenhaarpinsel in unterschiedlichsten Stärken sind auf dem Tisch verteilt. „Andere Pinsel wären zu hart und würden Kratzer hinterlassen“, schildert Lang.

Wie bereits im Vorjahr ordiniert sie auch heuer im August vier Tage lang im Seminarraum der Hautklinik. In der Zwischenzeit hatte sie sieben PatientInnen die in sehr schlechtem Zustand waren, mit nach München in ihr Atelier genommen, größere Operationen waren notwendig. Frisch versorgt sind sie jetzt in Schachteln aus Archivkarton, die sich seitlich öffnen lassen, im Schrank verstaut. Langs PatientInnen sind über hundert Jahre alte Wachsobjekte, so genannte Moulagen, und sie ist ihre Restauratorin.

Lehrmittel damals und heute
Der medizinhistorische Verein „Freundeskreis Pesthaus“ hatte vor ein paar Jahren in Zusammenarbeit mit Schmuth die Moulagen als „schützenswertes historisches Lehrmittel“ inventarisiert, und ihre Konservierung sowie Restaurierung eingeleitet, wie Obmann Christian Lechner schildert. Die Medizinische Universität Innsbruck sowie die Österreichische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie unterstützen die Maßnahmen.

Die Sammlung der Hautklinik ist die einzige in Innsbruck. Sie umfasst 65 Moulagen. Alle Exemplare wurden in den Jahren 1894 bis 1912 von Karl Henning und dessen Sohn Theodor gefertigt, die in Wien ein Moulagenlaboratorium leiteten. Schmuth zeigt die Signaturen der Mouleure auf der Vorderseite der schwarzlackierten Holztäfelchen auf denen die Wachskörper befestigt sind. An der Vorderseite, auf einem Metallplättchen ist eingraviert, um welche Krankheit es sich handelt. Vermutlich hatten Wladimir von Lukasiewicz, der 1892 als Klinikvorstand nach Innsbruck kam, und Johann Heinrich Rille, der diesem 1898 nachfolgte, die Moulagen aus Wien mitgebracht, wo es eine noch umfangreichere Moulagensammlung im so genannten Narrenturm zu bewundern gibt (www.nhm-wien.ac.at/narrenturm).

Medizinische Moulagen wurden und werden noch immer als Lehrmittel verwendet. „Manche Erkrankungen sind seltener geworden, wie die Hauterscheinungen bei Vitamin-Mangel oder der Hauttuberkulose. Manche gibt es weiterhin häufig, Geschlechtserkrankungen kommen in Wellen. Damals gehörten die Betroffenen zur Hauptkundschaft der Hautkliniken und in den letzten Jahren beobachten wir auch wieder eine Zunahme. Syphilis äußert sich auf der Haut“, schildert Schmuth. Wenn nicht gerade zufällig der „passende“ Patient oder die Patientin im Haus sei, suche er sich die entsprechende Moulage aus, um sie in der Vorlesung den Studierenden zu zeigen. „Man braucht das Beispiel um Hautkrankheiten zu verstehen. Heutzutage behilft man sich mit Fotos, aber die sind eben zweidimensional. Ich denke, anhand der Moulagen kann man sich die Dinge besser merken“, sagt er.

Atelier am Krankenbett
Trotz der vielen Jahre, die sie bereits überdauert haben, wirken die Wachsmoulagen nahezu lebensecht, ihre Herstellung war äußerst aufwändig. „Zunächst wurde auf die krankheitsbedingt veränderte Körperpartie Gips gestrichen und so ein Negativabdruck erstellt, den man dann mit heißem Wachs ausgegossen hat“, schildert Lang. Direkt am Bett der PatientInnen haben die Mouleure den Wachsabguss dann realitätsgetreu bemalt, mit Ölfarbe, die in Terpentin gelöst wurde, oder auf der Innenseite, um den durchscheinenden Effekt, zum Beispiel von feinen Äderchen, zu erzielen. „An einem Wachskörper sind Schuppen aus mit Wachs beschichtetem Papier imitiert und in manche Moulagen sogar echte Haare eingearbeitet. Medizinische Moulagen sind das Sahnehäubchen in der Wiedergabe, so realistisch wie sie sind“, findet Lang. Eine genaue Anleitung zur Herstellung gebe es nicht, denn die Berufsgeheimnisse wurden von Mouleur zu Mouleur bzw. von Mouleuse zu Mouleuse weitergegeben. Aus demselben Grund wisse man auch nicht viel über die PatientInnen, wie sie ausgewählt wurden oder aus welchen sozialen Schichten sie stammten. Es kann nur spekuliert werden, dass es sich dabei eher um weniger betuchte ZeitgenossInnen gehandelt hat, die zum Teil sicherlich unter Schmerzen die Gipsprozedur – auf entzündeten Stellen in verschiedenen Körperlokalisationen, manchmal auch im Gesicht oder im Genitalbereich – über sich ergehen ließen.

Moulagen sind zwar häufig, aber nicht nur an Hautkliniken eingesetzt worden. Lang, die sich 2008 bis 2010 an einem Projekt am Deutschen Hygiene-Museum Dresden beteiligte, das auf die Entwicklung von Standards zur Bewahrung von Wachsmoulagen abzielte, hat auch schon Exemplare von Zahnkliniken und chirurgischen Einrichtungen gesehen. „Im Ersten Weltkrieg ist zum Teil bei chirurgischen Eingriffen, jeweils vor, während und nach der Behandlung eine Moulage angefertigt worden.“ Das Berliner Universitätsklinikum Charité gründete ein Online-Portal für internationale Moulagensammlungen und medizinische Wachsmodelle, auf dem auch Lechners und Schmuths Initiative aus Innsbruck, dem zweitältesten Ordinariat der Dermatologie im deutschsprachigen Sprachraum, vertreten ist.

Um die Schwachstellen der Technik und die Entstehung von Schäden an den historischen Objekten besser verstehen zu können, experimentierte Lang sogar am eigenen Arm. Bei ihren Recherchen hat die Spezialistin etwa erfahren, dass die Gipsform gewässert werden muss, bevor sie mit dem heißen Wachs ausgegossen wird, damit sich die Poren schließen. Sind jedoch die Temperaturunterschiede zwischen Wachs und Form zu groß, entstehen feine Risse, wie sie erklärt. Aus welchem Wachs die Hennings ihre Moulagen gegossen haben, könne sie durch Betrachtung mit bloßem Auge nicht sagen, hierzu wäre eine Materialanalyse erforderlich. „Bienenwachs war sehr teuer, aber gut zu verarbeiten, weil man das warme Wachs nachträglich noch verformen konnte. Um 1850 ist mit der Erdölindustrie das Paraffinwachs aufgekommen, das, sobald es gegossen wurde, hart geworden ist. Manchmal hat man auch noch Harz daruntergemischt“, erzählt sie.

Brüchig wie Glas
Die restliche Tätigkeit der Restauratorin konzentriert sich auf so genannte „sammlungspflegerische Maßnahmen“: sanfte Reinigung der Objekte mit Pinsel und Schwämmchen, stabilisierende Arbeiten an Textileinfassungen, Holzbrettern und Aufhängungen, Retusche von Kratzern. „Sehr selten muss ich Abplatzungen in den kolorierten Partien der Wachskörper ausbessern. Das mache ich dann in Absprache mit Medizinern, damit das Krankheitsbild nicht verfälscht wird.“

Am 13. August ist Langs letzter Tag in Gesellschaft der Innsbrucker Moulagen. Sie hat ihre Arbeit vollendet. Entstaubt und stabilisiert hängen die kleineren Exemplare wieder in den Glasvitrinen im Seminarraum, die schwereren lagern in den erwähnten Spezialkartons, wo sie ihren Auftritten im Hörsaal harren – oder ihrer Ausstellung. Zuletzt hatte die Öffentlichkeit 2018 im Jenbacher Museum die Gelegenheit die Wachsmodelle zu bestaunen, bei einer Ausstellung, die der „Freundeskreis Pesthaus“ organisierte. Im selben Jahr waren einige Exemplare auch bei der Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie in Innsbruck zu bestaunen.

V.l.n.r. Die Mediziner Christian Lechner ("Freundeskreis Pesthaus") und Matthias Schmuth (Direktor Hautklinik) mit Restauratorin Johanna Lang.

 

Steckbrief:
Johanna Lang ist eine von nur wenigen auf Wachsrestaurierung spezialisierten ExpertInnen im deutschsprachigen Raum. Sie hat nach einem zweijährigen Pflichtpraktikum Restaurierung an der Technischen Universität in München studiert. Ihr Interesse konzentriert sich auf Gegenstände der Alltags- und Volkskultur. Objekte zu bewahren, die in Gebrauch sind, empfindet sie als besonders große Herausforderung.

(Innsbruck, 1. Sept. 2021, Text und Fotos: T. Mair)

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