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„Primär ein Alterungsprozess“

Gustav Fraedrich, Direktor der Innsbrucker Uniklinik für Gefäßchirurgie, über Diagnose und Behandlung von Bauchaortenaneurysmen sowie das Innsbrucker Zentrum für Gefäßmedizin. (Interview Magazin Echo 12/2011)

ECHO: Die moderne Gefäßmedizin konnte in den letzten Jahren und Jahrzehnten Zuwachsraten von bis zu 40 Prozent verzeichnen. Warum?
Gustav Fraedrich: Die Erkrankungen der Schlagadern, also der Arterien, sind über wiegend durch einen Alterungsprozess der Gefäße hervorgerufen. Das heißt, je älter wir werden, umso größer ist die Chance, dass es zur Verkalkung der Gefäße, der Arterio sklerose, kommt. Und nachdem die Bevölkerung immer älter wird, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, eine Gefäßerkrankung zu „erleben“. Wenn Menschen vor 100 Jahren mit 65 gestorben sind, haben sie die Krankheiten, die heute mit 65 auftreten, wie etwa Aneurysmen, eben nicht erlebt. Und für den Bedarf an Gefäßmedizin in den kommenden Jahren gibt es Studien, aufgeschlüsselt nach Erkrankungen der Hals-, Bauch- oder Beinschlagadern, die eine Steigerung um 40 vorhersagen.

ECHO: Unsere Arterien können sich krankheitsbedingt verengen bzw. ausweiten ...
Fraedrich: Ja, Ersteres sind die sogenannten Stenosen, die Erweiterungen sind Aneurysmen. Die Mehrzahl der Aneurysmen wird durch den gleichen Prozess verursacht wie Stenosen. Die Ablagerungen von Cholesterin, Kalk etc. in den Gefäßen können sowohl zu Einengungen als auch zu Ausweitungen führen. So haben Patienten mit einem Aneurysma in 60 Prozent der Fälle auch Einengungen in anderen Körperregionen, z. B. in den Herzkranzgefäßen.

ECHO: Gibt es eine medizinische Erklärung, warum Patient A dann ein Aneurysma hat, Patient B eine Arteriosklerose?
Fraedrich: Nein, aber wie gesagt, die Patienten haben häufig beides. Es ist bei einem Patienten eher die Halsschlagader betroffen, beim anderen die Beinschlagader – es ist immer die gleiche Erkrankung, primär als Alterungsprozess. Natürlich wird dieser durch Risikofaktoren gefördert, es gibt genetische Veranlagungen, aber auch Rauchen, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Zucker. Und die Risikokonstellation nimmt einen Einfl uss auf die Regionen, die betroffen sind. Bei Aneurysmen ist das Rauchen ein starker Risikofaktor. Das Bauchaortenaneurysma ist am häufigsten, es gibt auch Aneurysmen an anderen Schlagadern, z. B. im Brustbereich oder in der Kniekehle.

ECHO: Was nicht sehr bekannt ist.
Das ist mit ein Grund für den ös terreichweiten Gefäßtag, der Mitte November stattgefunden hat. Auch in Deutschland, Großbritannien und den USA gibt es dementsprechende Kampagnen. Das Tückische an den Bauchaortenaneurysmen ist ja, dass sie völlig symptomlos sind. Sehr selten führen sie zu Rückenschmerzen, das sind eigentlich die einzigen Beschwerden. In der Regel wach sen sie langsam und wenn sie platzen ...

ECHO:... überlebt das nur ein Viertel der Betroffenen.
Deshalb ist es auch wichtig, die Bevölkerung dazu zu bringen, sich screenen zu lassen, sich einer Vorsorgeuntersuchung zu unterziehen, um zu erkennen, ob ein Aneurysma vorliegt oder nicht. Wenn eines vorliegt, gibt es ganz klare Richtlinien, wann es wie behandelt wird. Jeder über 65-jährige Mann soll einmal einer Ultraschalluntersuchung unterzogen werden, es betrifft vier bis fünf Prozent dieser Altersgruppe. Voruntersuchungen sind aber auch bei jedem Jüngeren oder Frauen mit entsprechendem Risikoprofil oder Erkrankungen in anderen Gefäßregionen ratsam. Das Gleiche gilt auch für Menschen, bei denen in der Verwandtschaft ersten Grades Aneurysmen aufgetreten sind. Die Untersuchung ist eine einfache Ultraschalluntersuchung, die nicht von einem Gefäßchirurgen durchgeführt werden muss. Die Bauchschlagader hat normalerweise einen Durchmesser von zwei Zentimetern, wenn sie einen Durchmesser von drei Zentimetern erreicht, sprechen wir von einem Bauchaortenaneurysma – der Patient sollte dann einem Überwachungsprogramm zugeführt werden.

ECHO: Was heißt die Diagnose Bauchaortenaneurysma für den Patienten?
Fraedrich: Das heißt, dass er ein Risiko hat, dass das Aneur sma wächst und platzen könnte. Wenn ein Aneurysma die Größe von fünf bis fünfeinhalb Zentimeter erreicht oder eine rasche Größenzunahme besteht, ein Zentimeter innerhalb eines Jahres, dann ist die Indikation der Operation gegeben.

ECHO: Wie wird operiert?
Fraedrich: Es gibt zwei Möglichkeiten: Die offene Operation seit über 50 Jahren – nach dem Eröffnen der Bauchhöhle wird in das Aneurysma eine Kunststoffprothese eingenäht. Das zweite Verfahren besteht im Einsetzen einer sog. Stentprothese über die Leisten. Dabei wird ein Stentgraft, ein mit Kunststoff überzogenes Metallgittergerüst über die Leistenschlagader eingeführt, um das Aneurysma von innen auszuschalten. Der Vorteil ist, dassauch dem Wunsch des Patienten Rechnung getragen.

ECHO: Wie viele dieser Operationen im Jahr führt man an der Innsbrucker Uniklinik für Gefäßchirurgie durch?
Fraedrich: Ungefähr 80 bis 100 im Jahr. Wobei ich betonen möchte: Gefäßmedizinische Eingriffe werden heute nicht mehr nur offen chirurgisch vorgenommen, wir arbeiten sehr viel mit der Uniklinik für Radiologie unter der Leitung von Werner Jaschke zusammen, die ja – so wie etwa die Kardiologie – auch interventionell tätig sind. Gefäßchirurgie heute heißt, die gesamte Palette an Behandlungsmöglichkeiten anzubieten. Zudem gehören meiner Meinung nach komplexe arterielle Eingriffe wie Aneurysma-Operationen zentralisiert. In diesen Zentren muss rund um die Uhr ein Gefäßchirurg anwesend sein, aber auch ein interventioneller Radiologe – es ist im medikamentösen  Bereich, die Behandlung mit Statinen etwa. Das sind Cholesterinsenker, die aber auch schützend auf die Gefäßinnenwand wirken. Vor 35 Jahren hat kein Mensch von Statinen gesprochen, heute wäre es nicht zu verantworten, einem Patienten mit einer manifesten Gefäßerkrankung Aspirin und Statine vorzuenthalten. Drittens die bessere Diagnostik, Ultraschall oder Kernspintomografie; vor 35 Jahren hatten wir z. B. auch noch keine Computertomografie.

ECHO: Wie sind Sie eigentlich persönlich zur Gefäßchirurgie gekommen?
Fraedrich: Durch eine gute Vorlesung, die war abends um sechs zwei Stunden lang, von einem Herz- und Gefäßchirurgen, einem Kardiologen und einem Kinderkardiologen, locker gehalten, aber doch spannend. Da musste einem das Fach einfach interessieren.

Interview: Andreas Hauser
Foto: ECHO/Andreas Friedle

Zur Person:
Gustav Fraedrich studierte von 1969 bis 1975 in Strasbourg und Gießen Medizin. Von 1976 bis 1977 war er Medizinalassistent am Universitätsklinikum Gießen, danach arbeitete er bis 1985 in der dortigen Abteilung für Herz- und Gefäßchirurgie. 1983 wurde er Facharzt für Chirurgie, 1985 schloss er die Ausbildung zum Facharzt für Gefäßchirurgie ab, 1987 diejenige für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie. Von 1985 bis 1996 war Fraedrich in der Abteilung für Herz- und Gefäßchirurgie der Universitätsklinik Freiburg tätig, 1988 erhielt er die Venia legendi für Chirurgie. Seit 1996 ist er Professor an der Medizinischen Universität Innsbruck und Direktor der Universitätsklinik für Gefäßchirurgie.

Links:

Univ.-Klinik für Gefäßchirurgie

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