search_icon 

close_icon

search_icon  

search_icon  

home>mypoint>news>758907.html

NEWS_LongCOVID.jpg

Long COVID nach milder Infektion: Krankheitsbild mit vielen Gesichtern

Ein interdisziplinäres Team von ÄrztInnen aus Tirol und Südtirol hat anhand einer Online-Befragung von COVID-19 erkrankten, aber nicht hospitalisierten PatientInnen die komplexen, langanhaltenden Symptome ermittelt und analysiert. Ziel der Studie „Gesundheit nach COVID-19“ war es, das Krankheitsbild Long COVID besser zu charakterisieren. Das Fachjournal Clinical Infectious Diseases berichtet über die ersten Ergebnisse.

Atemnot, Erschöpfung, Geschmacksverlust, Konzentrations- und Schlafstörung oder depressive Verstimmung – das sind nur einige Beschwerden, von denen Genesene auch noch Monate nach COVID-19 berichten. Die Phase der Gesundung nach COVID-19 hat viele Aspekte und stellt das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen.

„Long COVID ist ein PatientInnen-geprägter Begriff, definiert als das Vorhandensein von mindestens einem COVID-19 assoziierten Symptom 28 Tage oder länger nach der akuten Infektphase. Dieser neue Begriff sagt aber nichts über das klinische Erscheinungsbild aus, das sehr heterogen ist.  Um Langzeitfolgen zu charakterisieren und einordnen zu können, bedarf es epidemiologisch valider Daten“, betont Judith Löffler-Ragg von der Innsbrucker Univ.-Klinik für Innere Medizin II an der Medizinischen Universität Innsbruck.  Sie leitet gemeinsam mit Klinikdirektor Günter Weiss, Raimund Helbok von der Univ.-Klinik für Neurologie, Dietmar Ausserhofer und Giuliano Piccoliori vom Institut für Allgemeinmedizin und Public Health an  der Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe Claudiana in Bozen und weiteren ExpertInnen aus den Bereichen Innere Medizin, Neurologie, Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Dermatologie, Pädiatrie,  Rehabilitation, Gesundheitswesen und Statistik, das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Gesundheit nach COVID-19“. An der vom Land Tirol geförderten Online-Befragung haben sich bisher insgesamt 2.065 TirolerInnen und 1075 SüdtirolerInnen beteiligt.

In die aktuelle Auswertung der ersten, zwischen September 2020 und Juli 2021 durchgeführten Online-Umfrage, wurden ausschließlich die Angaben jener Befragten einbezogen, die nicht im Krankenhaus behandelt werden mussten und 28 Tage oder länger nach dem Infekt noch Symptome hatten. „Nahezu die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Tirol: 47,6%, Südtirol: 49,3%) gab an, dass die Symptome über 28 Tage hinaus fortbestanden,“ so die ErstautorInnen Sabina Sahanic (Med Uni Innsbruck), Piotr Tymoszuk (Data Analytics as a Service, Tirol) und Dietmar Ausserhofer (Claudiana, Südtirol). In diesem Zusammenhang weist Studienleiterin Löffler-Ragg jedoch auf eine mögliche Verzerrung durch StudienteilnehmerInnen mit erhöhtem Leidensdruck hin.

Komplexe Symptommuster

Aussagekräftiger sei die vorliegende Arbeit jedoch hinsichtlich Symptommuster und Erscheinungsbilder, sogenannter Phänotypen.  Schon beim Verlauf der akuten COVID-19-Infektion konnten die StudienautorInnen in beiden Studien-Kohorten einen Unterschied zwischen der Gruppe mit vorwiegend “Grippe-ähnlichen“ Symptomen und jener mit zahlreichen neurologischen, kardiopulmonalen (Herz/Lunge) und abdominellen (die Bauchorgane betreffend) Beschwerden feststellen. Für letztere Gruppe prägten die ForscherInnen den Begriff „Multiorgan Phänotyp“ (MOP). „Es war überraschend, dass vor allem Menschen im arbeitsfähigen Alter von 35 bis 55 Jahren einen akuten Infekt mit durchschnittlich 13 Symptomen zu Hause durchmachten, der häufig dieser Multiorgan-Symptomatik zuzuordnen war. Die Anzahl der akuten Symptome sowie die Anzahl spezieller MOP Symptome kristallisierten sich schließlich als Risikofaktoren für eine verzögerte Genesung heraus, wobei Männer ein um 35 bis 55 Prozent vermindertes Risiko für Long COVID hatten“, so Löffler-Ragg. Auch andere internationale Studien belegen, dass von Long COVID mehrheitlich Frauen betroffen sind, wenngleich sie ein geringeres Risiko für einen schweren akuten Verlauf und eine niedrigere Hospitalisierungsrate haben.

Mittels sogenannter „Machine-Learning“-Mustererkennungstools aus den umfangreich erhobenen klinischen Symptomen gelang es schließlich auch bei Long COVID weitere klinische Erscheinungsbilder zu differenzieren, die jeweils in der Tiroler wie auch in der Südtiroler Kohorte konsistent waren: „Neben milderen, vorwiegend mit Riech- und/oder Geschmackstörung assoziierten Phänotypen, zeigte die Hauptgruppe der Betroffenen mit Long COVID (Tirol: 49,3%, Südtirol: 55,6%) zwar keine anhaltende Hyposmie (verminderter Geruchssinn) oder Hypogeusie (Geschmacksstörung), aber eine hohe Anzahl von postakuten Multiorgan-Symptomen wie Erschöpfung, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Kurzatmigkeit, Herzrasen, Engegefühl im Brustkorb, Verdauungsprobleme und Hauterscheinungen sowie eine schlechte, selbst berichtete körperliche Erholung“, schildert Neurologe Raimund Helbok die ersten Erkenntnisse und ergänzt: „Die akute COVID-19 Erkrankung ist als Multi-Organ-Infektion anerkannt, die Spezifität der lang anhaltenden Beschwerdelast muss nun im weiteren Studien untersucht werden“.

BU: Gemeinsames Auftreten von akuten COVID-19 Symptomen (SMD: Simple Matching Distance, rot: hohes gemeinsames Auftreten) und Identifizierung des nicht-spezifischen Infektionsphänotyps (NIP: non-specific infection phenotype) und des Multi-Organphänotyps (MOP: Multi-Organ Phenotype) mittels Clustering Analyse. (Quelle: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.08.05.21261677v1 )

Herausforderung für das Gesundheitssystem

„Anhaltende, postinfektiöse Beschwerden kennen wir auch bei anderen Erregern, aber die Fallzahl der Pandemie wird uns hier herausfordern“, betont Klinikdirektor Günter Weiss. Mit den Ergebnissen dieser Zwei-Kohorten-Studie, die in Tirol fortgesetzt wird, soll es nun in der interdisziplinären Zusammenarbeit gelingen, Versorgungskonzepte zu entwerfen, die der langwierigen Erholung nach COVID-19 entsprechen. „Ein Wissenstransfer zu den HausärztInnen für die individuelle Behandlung und Betreuung von Long COVID PatientInnen, bei der Koordination fachärztlicher Abklärungen und rehabilitativer Maßnahmen spielt hierbei eine zentrale Rolle“, schließt Pflegewissenschafter Dietmar Ausserhofer. Die Entwicklung eines integrierten und wissenschaftlich begleiteten Versorgungsmodells befindet sich in Tirol bereits in Ausarbeitung.

(15.12.2021, Text: D. Heidegger, Bild: D. Bullock, Grafik: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.08.05.21261677v1)

Links:

Forschungsarbeit:

Phenotyping of acute and persistent COVID-19 features in the outpatient setting: exploratory analysis of an international cross-sectional online survey. Clinical Infectious Diseases
https://doi.org/10.1093/cid/ciab978

Univ.-Klinik für Innere Medizin II

Univ.-Klinik für Neurologie

Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe Claudiana

Weitere Informationen im Blog von Piotr Tymoszuk

 

 

 

Aktuell