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Schizophrenie: Neue Studienergebnisse versprechen optimierte Therapien

Mit den Ergebnissen zweier neuer, kürzlich im Fachjournal The Lancet Psychiatry erschienener Multicenter Studien, an denen auch Schizophrenie Experte Wolfgang Fleischhacker federführend beteiligt war, soll es gelingen, die medikamentöse Therapie für Schizophrenie PatientInnen zu optimieren. Schizophrenie ist heute gut behandelbar, die komplexe, meist chronische Symptomatik ist jedoch nach wie vor eine große Herausforderung.

Neben der Positiv- und Negativsymptomatik – Wahnideen oder Halluzinationen aufgrund gesteigerter Dopamin Ausschüttung – einerseits, sowie Antriebslosigkeit und Schwierigkeiten, sozial zu interagieren oder zu kommunizieren, andererseits, stellen kognitive Dysfunktionen einen zentralen Symptomkomplex der Schizophrenie dar. „Das Fehlen dieser kognitiven Kompetenzen führt oftmals zu Problemen im Arbeitsleben oder in der Ausbildung, was die psychosoziale Wiedereingliederung der PatientInnen erschwert, aber auch zu Compliance Einschränkungen“, weiß Wolfgang Fleischhacker. Vor seiner Amtszeit als Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck leitete er bis 2017 die Univ.-Klinik für Psychiatrie I und war in seinem Forschungsschwerpunkt Schizophrenie federführend an vielen klinischen Studien beteiligt.

Neues Molekül – neue Hoffnung

So auch an der jüngst publizierten, randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Phase 2 Parallelgruppenstudie, die auf kognitive Defizite fokussierte und damit auf einen wesentlichen Prädiktor für die Alltagsfunktionalität bzw. die Langzeitprognose schizophrener PatientInnen. Obgleich kognitive Störungen bei diesen PatientInnen bereits seit 100 Jahren bekannt sind und mit dem Begriff „Dementia praecox“ („vorzeitige Demenz“) durch den Erstbeschreiber Emil Kraepelin Eingang in die medizinische Literatur fanden, hielten sich Fortschritte bei der Etablierung therapeutischer Interventionen in Grenzen. Erst seit rund 15 Jahren gibt es Bemühungen, neben dem Dopaminsystem, das klassischerweise medikamentöser Angriffspunkt war, auch das Glutamatsystem pharmakologisch zu beeinflussen; Erfolge blieben jedoch bis dato aus.

BI 425809 lautet die Bezeichnung für ein neues Molekül, das die glutamaterge Übertragung über einen Umweg – die Verfügbarkeit von Glycin, das am NMDA Rezeptor als Co-Agonist wirkt,  wird erhöht – steigert, und nun Anlass zur Hoffnung gibtoffH. Eine internationale state of the art Multicenterstudie unter der Leitung von Wolfgang Fleischhacker und Jana Podhorna von Boehringer Ingelheim kann diesem neuen Glyzin Wiederaufnahmehemmer nun erstmals einen positiven Befund für eine Verbesserung der kognitiven Leistung bei chronisch Schizophreniekranken ausstellen – und das bei guter Verträglichkeit. In die Studie waren knapp 500 Schizophrenie PatientInnen aus der Innsbrucker Klinik, sowie aus deutschen, US-amerikanischen und japanischen Psychiatriezentren eingeschlossen. Mittels standardisierter, neuropsychologischer Testverfahren (MATRICS - Measurement and Treatment Research to Improve Cognition in Schizophrenia) in Bezug auf Aufmerksamkeit, Gedächtnis, strategisches Planen und abstraktes Denkvermögen war es möglich, einen positiven Effekt auf die kognitiven Leistungen nachzuweisen. Nach dem vielversprechenden Ergebnis dieser großen Phase 2 Studie sind weitere Replikationsstudien bereits in Vorbereitung.


BU: „Die Bedeutung dieser spezifischen kognitiven Symptome wurde lange unterschätzt. Mit den Ergebnissen unserer Studie kommen wir einer modernen Schizophrenie-Behandlung näher“. ©MUI/F.Lechner

„Praxistest“: Amisulprid wirkt am besten

Eine zweite, ebenfalls in Lancet Psychiatry publizierte Untersuchung darf als gelungener Versuch zur Optimierung einer bereits seit vielen Jahren etablierten Therapie zur Behandlung schizophrener Spektrum-Störungen gewertet werden. Die, randomisierte kontrollierte Studie zur vergleichenden Prüfung von Wirksamkeit und Sicherheit von Amisulprid, Aripiprazol und Olanzapin – drei Erstlinientherapie Antipsychotika der neuen Generation – punktet mit ihrem pragmatischen Design, das erstmals den direkten Vergleich dreier Antipsychotika der neuen Generation unter praxisnahen Bedingungen vorsah. Schon seit vielen Jahren gibt es in der Psychiatrie einen Diskurs um die Validität und Generalisierbarkeit von Befunden, die sich aus klassischen, randomisierten, oft placebo-kontrollierten Studien mit sehr engen Ein- und Ausschlusskriterien ableiten. Derlei Untersuchungen erproben die Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten gleichsam unter Idealbedingungen, die Rekrutierung der PatientInnen ist stark eingeschränkt, um möglichst homogene Gruppen zu generieren. Das bedeutet allerdings auch, dass viele PatientInnen mit Begleitdiagnosen, wie z.B. Diabetes oder Suchterkrankungen, in derlei Studien ausgeschlossen werden. In der an drei norwegischen akademischen Psychiatrie-zentren sowie am Innsbrucker Referenzzentrum gemeinsam durchgeführten Studie waren, dem pragmatischen Studiendesign entsprechend, insgesamt 144 PatientInnen mit Störungen aus dem Schizophrenie Spektrum und Symptomen einer akuten Psychose eingeschlossen. Das Ergebnis: Amisulprid war im Sinne der beabsichtigten Senkung der bei Schizophrenie auftretenden Positiv- und Negativsymptome (PANSS-Gesamtscore, Positive and Negative Syndrome Scale) nach 52 Wochen signifikant wirksamer als Aripiprazol oder Olanzapin. „Dieser Wirksamkeitsnachweis ist neu und auch deshalb interessant, weil Amisulprid in den USA – wo zahlreiche klassische Medikamentenstudien durchgeführt werden – nicht am Markt ist, und deshalb in Vergleichsstudien kaum vorkommt“, so Fleischhacker, dessen Studie auch den therapeutischen Zugang für schizophrene Spektrumstörungen an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Psychiatrie I (Direktor: Alex Hofer) bestätigt, an der das Antipsychotikum Amisulprid bereits seit vielen Jahren als Erstlinientherapie verschrieben und mit Erfolg eingesetzt wird.

Hintergrundinformation

Als Schizophrenien werden psychische Erkrankungen mit ähnlichem Symptommuster bezeichnet, die zur Gruppe der Schizophrenen Spektrumstörungen gehören. Schizophrenie zeigt unterschiedliche Symptome. Zum einen die bekannten, sogenannten Positivsymptome, wie etwa Wahnideen oder Halluzinationen, die auf eine gesteigerte Dopaminausschüttung zurückzuführen sind. Zum anderen leiden an Schizophrenie Erkrankte neben diesen besser bekannten Symptomen sehr häufig auch an sogenannten Negativsymptomen, die von Antriebslosigkeit und Schwierigkeiten, sozial zu interagieren oder zu kommunizieren, gekennzeichnet sind, sowie an kognitiven Einschränkungen. Die Erkrankung verläuft bei einem Großteil der PatientInnen chronisch und erfordert somit eine Langzeitbehandlung, bei der neben Antipsychotika auch psychosoziale Therapien angezeigt sind und guter Erfolge zeigen. Etwa 0,5 % bis 1 % der Bevölkerung erkrankt mindestens einmal im Verlauf des Lebens an Schizophrenie.

(01.03.2021, Text: D. Heidegger, Bilder: Alexander Ozerov/AdobeStock, MUI/Lechner)

Links:

Efficacy and safety of the novel glycine transporter inhibitor BI 425809 once daily in patients with schizophrenia: a double-blind, randomised, placebo-controlled phase 2 study. The Lancet Psychiatry, Volume 8, Issue 3, March 2021, Pages 191-201.
https://doi.org/10.1016/S2215-0366(20)30513-7

Amisulpride, aripiprazole, and olanzapine in patients with schizophrenia-spectrum disorders (BeSt InTro): a pragmatic, rater-blind, semi-randomised trial. The Lancet Psychiatry, Volume 7, Issue 11, November 2020, Pages 945-954
https://doi.org/10.1016/S2215-0366(20)30341-2

Univ.-Klinik für Psychiatrie I
https://www.i-med.ac.at/patienten/ukl_psychiatrie1.html

 

 

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