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Univ.-Prof. Matthias Beck, Univ.-Prof. Ludwig Wildt und Dr.in Katharina Winkler-Crepaz diskutierten auf dem Podium. Univ.-Prof. Brezinka moderierte. Foto: MUI.

„Social freezing“ sorgte für lebhafte Diskussion

Kann, darf, soll, muss eine Frau ihren Kinderwunsch um Jahre verschieben lautete der Untertitel einer gut besuchten Podiumsdiskussion, zu der ALUMN-I-MED Präsident em. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Raimund Margreiter vergangenen Dienstag in die Aula der Universität lud. Die Moderation übernahm Reproduktionsmediziner und ALUMN-I-MED Vorstandsmitglied Univ.-Prof. Dr. Christoph Brezinka.

Das „social freezing“, also das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund ist in Österreich bisher verboten, wird aber stark diskutiert, seit bekannt wurde, dass bekannte US-amerikanische Firmen bereit sind, die Kosten für ihre Mitarbeiterinnen in der Höhe von rund € 15.000,- zu übernehmen. Die Verwirklichung des Kinderwunsches solle nicht die volle Konzentration auf den Job behindern, meinen besagte Dienstgeber. Ob dies als Service oder doch als Frauenfeindlichkeit und Erhöhung des sozialen Drucks auf weibliche Bedienstete zu werten ist, war nur ein „heißer“ Diskussionspunkt beim Thema „Planbarkeit des Kinderwunsches“.

Was in Österreich derzeit geltendes Recht ist
Tatsache ist, dass in Österreich die Entnahme und Aufbewahrung von Samen, Eizellen, Hoden- und Eierstockgewebe nur, wenn „ein Leiden bzw. dessen Therapie die ernste Gefahr bewirkt, dass eine Schwangerschaft nicht mehr durch Geschlechtsverkehr herbeigeführt werden kann“. So lautet eine Passage des kürzlich novellierten Fortpflanzungsmedizingesetz, das die rechtliche Grundlage der Reproduktionsmedizin bildet. Seit rund 50 Jahren werden hierzulande Spermien vorsorglich „auf Eis gelegt“, also mittels Kryokonservierung für eine spätere Befruchtung (Insemination) oder für eine in-vitro-fertilisation (IVF) gelagert. Dies kommt bei Männern im Falle von Krebserkrankungen zur Anwendung. Das Thema der „Fertilitätsreserve“ betrifft aber auch junge Frauen, die an Krebsarten erkrankt sind, deren Therapie die Eierstöcke (Ovarien) schädigen kann. Diese Patientinnen haben die Möglichkeit, ihre „Eizellen zu retten“ und für später verfügbar zu machen. „De facto bleibt bei Diagnosestellung oft wenig Zeit, Eizellen zu entnehmen, zumal der Entnahme eine Hormonstimulation der Ovarien vorausgehen muss“. „In diesem Fall besteht auch die Möglichkeit der Kryokonservierung von Ovarialgewebe“ berichtete Dr.in Katharina Winkler-Crepaz, die die Situation junger Krebspatientinnen bei der Diskussion eindringlich darstellte.

Fertilitätsprotektion bei Tumorpatientinnen
Derartige Diagnosen stellten die Betroffenen auch vor die Doppelbelastung einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung und potenzieller Kinderlosigkeit, weil Ovarien durch Chemotherapie und Bestrahlung im unteren Peritoneum oftmals irreversibel geschädigt werden. Neben der Kryokonservierung von Eizellen oder Ovarialgewebe stelle die operative Transposition der Ovarien – im Falle einer Bestrahlung im kleinen Becken - eine dritte Möglichkeit dar, die drohende Kinderlosigkeit abzuwenden. Hierbei wird versucht, die Ovarien in der Bauchhöhle außerhalb des Bestrahlungsfeldes zu fixieren. Schließlich könne man das Ovar auch hormonell „ruhend stellen“, was in etwa der Zeit vor dem Eintritt in die Pubertät entspricht, mit dem Ziel, die Fertilität zu erhalten. Alles in allem hätten Krebspatientinnen bei Kombination der Methoden zwischen 30 und 50 Prozent Erfolgschancen, dass sie nach überstandener Krankheit auch noch Mutterglück erleben dürfen und das sei sehr vielversprechend und gebe vor allem den Patientinnen Hoffnung. Um bestmögliche Aufklärungsarbeit betreiben zu können ist die Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Ludwig Wildt Mitglied des deutschsprachigen Netzwerks für fertilitätsprotektive Maßnahmen bei Chemo- und Strahlentherapie, kurz „FertiProtekt“. Mittels Folder und Gespräch werden Methoden für Mann und Frau ausführlich dargestellt.

Social freezing als Lifestyle-Medizin
So etabliert der Einsatz der Kryokonservierung von Erbgut bei Tumorerkrankten ist, so umstritten ist er als Form der Lifestylemedizin, die den Zeitpunkt der Schwangerschaft scheinbar planbar macht. Die öffentliche Wahrnehmung ist hier auch geprägt von den Medien, die gerne prominente, „späte“ Mütter darstellen und somit ein „Anything goes“ suggerieren meint Univ.-Prof. Dr. Ludwig Wildt, Leiter der Univ.-Klinik für Endokrinologische Gynäkologie und Reproduktionsmedizin und stellt in diesem Zusammenhang klar fest: „Der sicherste Weg zum eigenen Kind ist die Schwangerschaft vor dem 35. Lebensjahr, der unsicherste das „Social Freezing“, aber Verbote seien schlechte Mittel um wichtige Diskussionen abzuwürgen. Tatsache ist, dass das Alter von Erstgebärenden derzeit bei 30 läge und dass die Fertilität mit jedem Lebensjahr abnähme. Die Reproduktionsmedizin leiste im Falle von späterer, ungewollter Kinderlosigkeit gute Dienste, dürfe aber nicht zur Lifestylemedizin verkommen, meint Prof. Wildt und kritisierte in diesem Zusammenhang die veröffentlichte Meinung, die gerne bekannte Mütter jenseits der 40 darstelle. Nicht nur die ovarielle Reserve und die Fertilität, sondern auch die Erfolgsrate von IVF nähme ab 30 rapide ab. Es sei also eine Illusion, dass man Mutterschaft unendlich verschieben oder zeitlich genau festlegen könne. Schließlich erklärte Wildt noch die unterschiedlichen, technischen Möglichkeiten der prophylaktischen Kryokonservierung von Eizellen, die sich erfolgreich weiterentwickeln.

Menschliches Leben als Wert
Die ethisch-moralische Seite der Diskussion skizzierte Univ.-Prof. Dr. med. Dr. theol. Mag. pharm. Matthias Beck, der gleich vorweg die Haltung der katholischen Kirche als „alles ablehnend“ umschrieb. Er selbst feierte 2011 seine Primiz, sprach aber bei der vorherrschenden Diskussion primär als Wissenschafter, der er in umfassendem Maße ist: Er vereint die Sicht der Medizin, Pharmakologie, Moraltheologie und Philosophie in einer Person. Als Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes war er auch an der Novellierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes beteiligt.
„Man müsse sich Gedanken machen, wie einzelne Religionen zum Social freezing stünden und man müsse die Dinge zunächst auch philosophisch betrachten. Der Mensch sei in seiner Individualität einmalig und hätte keinen Wert im Sinne eines Gegenstandes, sondern vielmehr eine Würde im Sinne Kants. Das Konservieren von Eizellen und Embryonen berge viel Potenzial für Missbrauch; in England gäbe es bereits einen Markt für Eizellspende. Man müsse sich auch die Frage stelle, ab wann Leben beginnt und die Autonomie des Menschen berücksichtigen, wenn man Medizinethik betrachten wollte. Buchautor Beck kritisierte auch, dass es in Österreich kein ausreichendes IVF-Register gäbe und dass die „Neben- und Langzeitwirkungen“ der Methode noch nicht ausreichend erfasst seien. Er forderte deshalb begleitende ethische Untersuchungen und zitierte ein Ziel der Ethik im Sinne Aristoteles: Das Glück, gelingendes Leben und dem guten Geist folgen. Ein Land bzw. eine Gesellschaft müsse ihre Werte selbst definieren und sich fragen, ob der Trend zu immer größerer Liberalisierung oberstes Ziel darstelle, meinte Buchautor Beck.

(P. Paur)

 

Weitere Informationen: https://www.i-med.ac.at/alumn-i-med/

 

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