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Markt, Transparenz und die Würde des Patienten

Hochkarätige Fachleute trafen sich auf Einladung des Arbeitskreises Wissenschaft und Verantwortlichkeit im Haus Marillac in Innsbruck, um über das Menschenbild von Gesundheitsökonomie, Moraltheologie und Sozialversicherung, die menschliche Würde und deren potentielle Gefährdungen zu diskutieren.

Der Schweizer Gesundheitsökonom Stefan Felder, Professor an der Universität Magdeburg, der Wiener Moraltheologe und Mitglied von österreichischen und EU-Ethikkommissionen, Prof. Günther Virt, und der Direktor der Tiroler Gebietskrankenkasse, Dkfm. Heinz Öhler diskutierten Anfang dieser Woche im Haus Marillac. Die Moderation übernahm Prof. Winfried Löffler vom Institut für Christliche Philosophie der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Prof. Felder ging bei der Diskussion, wenig überraschend, vom Menschen als homo oeconomicus aus, der in jeder Situation danach strebt, seinen Nutzen zu maximieren. Knappheit habe in der Medizin immer schon geherrscht, etwa was die Zeit betrifft, die einem Arzt pro Patient zur Verfügung steht. Daher stelle der Arzt eine Kosten-Nutzen-Analyse an: je unsicherer ein Behandlungserfolg, je belastender für den Patienten und je teurer, um so geringer der Nutzen und die Bereitschaft zur Anwendung dieser Behandlung. Das eigentliche Interesse Felders gilt jedoch den Grenzbereichen und Grenzziehungen. Als Beispiel für medizinische Grenzbereiche nannte er die extrem teure Behandlung von sehr frühen Frühgeburten mit derzeit schlechten Überlebenschancen. Zur Grenzziehung forderte er Transparenz und den gesellschaftlichen Diskurs darüber, wo öffentliche Versorgung aufhört und private anfängt. Eine Auswahl sei auf jeden Fall zu treffen, denn die technischen Möglichkeiten sind in den letzten Jahrzehnten so rasant gestiegen, dass man die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit ausgeben müsste, wollte man alles verfügbar machen, was technisch möglich sei.

Gemeinsamer Nenner Transparenz

Die Forderung nach Transparenz, oder Wahrhaftigkeit in der Diktion des Moraltheologen Günther Virt, einte die Podiumsmitglieder untereinander und das Podium mit dem Publikum. Prof. Virt verwies in diesem Zusammenhang auf das Spannungsfeld zwischen der Autonomie (des Patienten) und der Fürsorge (durch das Gesundheitswesen) und warnte davor, bei der auch für ihn unumgänglichen Kosten-Nutzen-Analyse reduktionistische Menschenbilder anzuwenden. Beiträge aus dem Publikum verlagerten die Transparenzdebatte auf den Bereich der medizinischen Forschung. Wie wirksam ein Medikament oder eine Behandlung wirklich ist werde verschleiert, wenn die Ergebnisse von Studien nur teilweise und tendenziös ausgewählt publiziert würden. Kritisiert wurde die Einflussnahme von Drittmittelgebern auf den Umgang mit Forschungsergebnissen und die Abwehr von komplementärmedizinischen Mitteln und Methoden. Prof. Virt meinte, dass sich Grundlagen- und Anwendungsforschung nicht klar trennen ließen und setzte seine Hoffnung in verschärfte Zulassungsbedingungen. Inzwischen sei die Forderung nach Veröffentlichung aller Resultate eines Forschungsprojekts sogar in die Helsinki-Deklaration aufgenommen und damit von EU-weiter Bedeutung, wenn auch die Umsetzung noch dauere.

Der Markt funktioniert nur bei transparenten Informationen, aber er schafft diese nicht

Das zweite Hauptthema des Abends war der Markt im Gesundheitswesen. Ist Gesundheit ein öffentliches oder ein privates Gut? Heinz Öhler sieht sie als öffentliches Gut, das der Markt nicht adäquat regeln kann. Er stellte die Vision der österreichischen gesetzlichen Sozialversicherung vor, allen Menschen, unabhängig von ihren finanziellen Mitteln, eine an ihren Bedürfnissen orientierte, effektive und effiziente medizinische Versorgung zu bieten. Diese Vision werde in der österreichischen Sozialversicherung auch gelebt, in den letzten 20 Jahren jedoch unter immer schwierigeren Rahmenbedingungen: knappere Budgets, die Aufteilung der Zuständigkeit auf zwei Ministerien und der Übergang von einer sozial-fürsorglichen zu einer rechtlich anspruchsorientierten Grundhaltung. In immer mehr Fällen sei es notwendig sich als arm zu outen, um den Anspruch auf eine Versicherungsleistung nachzuweisen. Dies beschädige schon im Vorfeld einer Behandlung die Würde der Patientinnen und Patienten. Der Gesundheitsökonom Felder gab zu bedenken, dass ohne Wettbewerb unter den Versicherungen wenig Veranlassung für eine quasi-monopolistische Organisation bestehe, sich um einzelne Patienten zu bemühen. Er favorisierte das Schweizer Modell mit freier Wahl der Krankenversicherung und Teilabgeltung der Beiträge durch den Kanton für finanzschwache Personen. Daran schloss sich eine heftige Diskussion über Finanzierungsvarianten an. Heinz Oehler und Günther Virt zeigten sich optimistisch: eine medizinisch nützliche und sozial verträgliche Gesundheitsversorgung sei langfristig finanzierbar, allerdings ohne Pflegekosten. Prof. Felder war überzeugt, dass in längstens 20 Jahren nicht mehr alle Leistungen finanzierbar sein würden. Einig waren sich alle drei Experten darin, dass eine öffentliche Debatte darüber nötig sei, welche Leistungen die Sozialversicherung übernimmt und welche nicht. Abschließend erinnerte Prof. Virt an die Hauptursache für gesundheitliche Probleme – die Armut.