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Gnothi Seauton – Erkenne Dich selbst

Unser Leitbild: Gnothi seauton – Erkenne Dich selbst

Inschrift in der Vorhalle des Apollontempels von Delphi

Dieser Leitspruch steht auch auf einer Steintafel im Eingangsbereich der Universität Innsbruck (Foto).

Diese Inschrift in der Vorhalle des Apollontempels in Delphi gilt im besonderen Maße auch für die genetische Diagnostik: Es kommt nicht nur darauf an, ob eine Vorhersage korrekt ist, sondern vor allem darauf, ob man die richtigen Konsequenzen für sich selber zieht.

Ein Beispiel dafür, dass dies nicht immer gelingt, ist bekanntlich Ödipus. Seinen Eltern Laios und Iokaste, Königspaar in Theben, wurde im Orakel von Delphi prophezeit, dass ein Sohn seinen Vater töten und seine Mutter heiraten würde. Nach Geburt eines Sohnes wurde dieser ausgesetzt, starb aber nicht und wuchs in Sikyon oder Korinth auf der Peloponnes auf, ohne seine „genetische“ Herkunft zu kennen. Als junger Mann befragte Ödipus seinerseits das Orakel und erhielt die gleiche Antwort. Entsetzt wanderte er Richtung Norden, damit sich die Prophezeiung an seinen vermeintlichen Eltern nicht bewahrheite. An einer engen Straßenkreuzung kam es zum Streit mit dem Fahrer eines anderen Wagens – dessen Passagier war Laios, den Ödipus allerdings nicht kannte. Die Eskalation führte dazu, dass am Ende Laios und sein Fahrer von Ödipus getötet wurden, womit sich der erste Teil der Prophezeiung unwissentlich erfüllte. Im weiteren Verlauf befreite Ödipus Theben von der Sphinx, indem er das berühmte Rätsel (…am Morgen vierfüßig, am Mittag zweifüßig, am Abend dreifüßig…) löste. Zur Belohnung wurde er zum König von Theben ernannt und erhielt Iokaste zur Frau, womit sich der zweite Teil der Prophezeiung unwissentlich erfüllte. Erst als viele Jahre später in Theben eine Seuche ausbrach, die vom Delphischen Orakel mit der Tötung von Laios verknüpft wurde, kam durch den blinden Seher Teiresias die Wahrheit ans Licht. Iokaste erhängte sich, Ödipus stach sich die Augen aus und wird auf dem unten dargestellten Bild von seiner Tochter Antigone aus Theben geführt.

Was war passiert? Die Vorhersagen des Orakels in Delphi waren immer korrekt, wurden jedoch nicht richtig verstanden, und Laios, Iokaste und Ödipus zogen aus ihnen jeweils die falschen Konsequenzen. In der medizinischen Genetik versuchen wir, durch eine umfassende genetische Beratung sicherzusstellen, dass die betroffenen Personen die oft komplexen Befunde gut verstehen und die für sie selber richtigen Konsequenzen daraus ziehen.

Charles Jalabert: Ödipus und Antigone, 1842, Musée des Beaux-Arts, Marseille (Wikimedia)