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 Alternativen zum Fetalen Kälberserum: Neuer Ansatz, neuer Anlauf, neue Hoffnung ?

 

Gerhard Gstraunthaler und Toni Lindl  

     Zell- und Gewebekultur

     Zell- und Gewebekultur sind definiert als (1) das Wachstum und die Vermehrung tierischer und humaner Zellen in vitro einschließlich der Kultur von Einzelzellen (Zellkultur), bzw. als (2) die Erhaltung und/oder das Wachstum von Geweben in vitro in einer Art und Weise, in der die Differenzierung, die Gewebs- und Zellstruktur und/oder deren Funktion bestmöglich erhalten bleiben (Gewebekultur).

     Für eine erfolgreiche Zellkultur mußten zwei entscheidende Probleme gelöst werden:  (1) homogene Populationen von Zellen mußten aus einigen wenigen Zellen herangezüchtet werden können, und (2) anschließend über mehrere Generationen am Leben erhalten werden. Die Grundsteine der modernen Zell- und Gewebekultur wurden in den späten 1940er-Jahren gelegt. Die Namen Gey, Earle, Hanks, Eagle, Dulbecco oder Ham sind untrennbar damit verbunden. Ihre Pionierarbeiten führten zur Entwicklung definierter Zellkulturmedien, die bis heute die Standardmedien für die Kultivierung tierischer und humaner Zellen darstellen (Primärkulturen wie auch etablierte Zell-Linien). Doch die Medien alleine reichen noch nicht, um Zellen in Kultur zur Proliferation anzuregen. Was fehlt ist ein sog. „mitogener“ Stimulus, der die Zellteilung (Mitose) initiiert. Solche Stimuli sind u. a. das noch nicht vollständig geklärte Zusammenspiel bestimmter Hormone und Wachstumsfaktoren. Dies wird durch die Zugabe von Serum zum Basalmedium erreicht.

 

     Die Rolle des Serum in der Zellkultur

     Die Verwendung von Seren als Zusatz zu Wachstumsmedien ist weltweite Routine in der Zell- und Gewebekultur. Seren, vor allem fetales Kälberserum, versorgen die Kulturen mit Hormonen, Wachstums- und Anheftungsfaktoren, Bindungs- und Transportproteinen, zusätzlichen Aminosäuren, Vitaminen, anorganischen Salzen, Spurenelementen sowie Puffer- und Neutralisationssystemen (z. B. Proteaseinhibitoren). Ferner werden mit dem Serum auch Fettsäuren und Lipide in das Kulturmedium eingebracht.

     Die Verwendung von fetalem Kälberserum birgt aber auch eine Reihe von Nachteilen. Seren können toxische Stoffe (z. B. Umweltgifte), bakterielle Toxine (Endotoxine) und unerwünschte Mikroorganismen wie Bakterien (einschließlich Mycoplasmen), Viren oder Prionen enthalten. Darüberhinaus finden sich enorme jahreszeitliche und geographische Schwankungen in der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung einzelner Serum-Chargen. Deshalb muss jede Charge auf ihre wachstumsfördernden Eigenschaften neu getestet werden.

     Mit dem Serum wird somit ein undefiniertes Gemisch biologisch aktiver Substanzen in ein definiertes Kulturmedium eingebracht. Fetales Kälberserum ist ein Nebenprodukt der Rindfleisch-Industrie. Dadurch ist der Serummarkt von vielen äußeren Faktoren abhängig. Es wird deshalb auch immer öfter die Frage aufgeworfen, ob der weltweite Bedarf an fetalem Kälberserum in Forschung und Biotech-Industrie überhaupt abgedeckt werden kann. Kürzlich publik gewordene Skandale um gepanschtes Kälberserum verstärken noch die Bedenken um Reinheit und Qualität der Seren.

     Der gravierendste Nachteil ist allerdings die Methode der Serumgewinnung. Fetales Kälberserum wird von Feten trächtiger Kühe gewonnen. Es wird angenommen, dass weltweit jährlich ca. 800.000 Liter fetales Kälberserum benötigt werden, was rund 2 Mio. Rinderfeten entspricht.

     Die Herkunftsländer sind vor allem USA, Argentinien, Brasilien, Südafrika, Australien und Neuseeland. Nur dort weiden in den großen Rinderherden Kühe und Stiere gemeinsam, weshalb immer eine entsprechende Anzahl trächtiger Tiere zur Schlachtung kommt. Wird im Schlachthof-Fließband ein trächtiges Tier vorgefunden, wird dieses separiert, der Uterus mitsamt der noch ungeöffneten Fruchtblase aus der Karkasse herausgenommen und das fetale Blut mittels Herzpunktion abgesaugt. Man läßt das Blut gerinnen und trennt anschließend das Rohserum durch Zentrifugation vom Blutkuchen ab. Von besonderer Wichtigkeit für die Qualität des Serums ist der dabei durchlaufende Gerinnungsprozess. Serum enthält eine Vielzahl mitogener Wachstumsfaktoren, die aus aktivierten Thrombozyten freigesetzt werden (siehe unten).

     Nicht immer ist jedoch auf Grund der spezifischen Situation in den Herkunftsländern gewährleistet, dass die Blutgewinnung unter ethisch akzeptablen Bedingungen erfolgt und der Fetus keinen Schmerz empfindet.

     Serumersatz – Verringerung des Leidens der Feten, Reduktion der Tierzahlen.Deshalb stellt die Verwendung fetalen Kälberserums aus wissenschaftlicher wie aus tierschützerischer Sicht keine ideale Lösung dar. In den letzen Jahren sind die ethischen Bedenken gegenüber der Serumgewinnung immer lauter geworden und es wurden eine Reihe von Alternativen aufgezeigt, um durch eine Verringerung im Verbrauch (Reduction) bzw. durch den vollständigen Ersatz (Replacement) von fetalem Kälberserum im Sinne der 3R die jährlichen Verbrauchszahlen an Rinderfeten zu senken.

     In den letzten Jahrzehnten wurde versucht, einzelne Serumbestandteile, wie Hormone oder Wachstumsfaktoren in gereinigter Form oder als rekombinante Produkte einem definierten Kulturmedium zuzusetzen. Dies führte zur Entwicklung von serumfreien, chemisch definierten Medien.

 

     Trotz vieler innovativer Ansätze und der Entwicklung serumfreier Medien für eine Vielzahl von Zellen, ist und bleibt die Zugabe von fetalem Kälberserum immer noch das Mittel der Wahl in der Zellkultur. Die Nachfrage nach Seren ist sogar gestiegen, was sich auch auf die Serum-Preise ausgewirkt hat, die im letzten Jahr zum Teil exorbitant gestiegen sind.

     Wird die Zellkulturgemeinde jemals vom fetalen Kälberserum loskommen?  In all diesen pessimistischen Aussichten gibt es auch Lichtblicke!

 

 

Thrombozytenextrakte – ein Ersatz für fetales Kälberserum in der Zellkultur: Universell einsetzbar durch verbesserte Lysate ?

 

     Auf Grund der Überlegung, dass Serum eine Vielzahl mitogener Wachstumsfaktoren enthält, die im Rahmen des Gerinnungsprozesses aus aktivierten Thrombozyten freigesetzt werden, wurden in den letzten Jahren Lysate humaner Thrombozyten als vollwertiger Ersatz für fetales Kälberserum in einer Vielzahl unterschiedlicher Kultursysteme etabliert.

     Die Anwendung von Thrombozytenlysaten in der Zellkultur ist vor dem Hintergrund der Physiologie der Thrombozyten zu sehen. Thrombozyten (Blutplättchen) produzieren eine Reihe von Wachstumsfaktoren, die sie in ihren α-Granula speichern und nach Aktivierung freisetzen. Diese Faktoren spielen eine entscheidende Rolle bei der Blutstillung und der daran anschließenden Wundheilung.

     Ruhende Thrombozyten sind 1-2 µm große Scheibchen (Blutplättchen) mit glatter Oberfläche. Diese kernlosen Scheibchen besitzen allerdings noch Mitochondrien, Lysosomen und Peroxysomen, sowie Speichergranula, die in α-Granula und elektronendichte Granula (dense granula) unterteilt werden.

     Die in diesen Granula gespeicherten Inhaltsstoffe können nach funktionellen Kategorien geordnet werden: in vasokonstriktorische Faktoren (Serotonin, platelet-derived growth factor = PDGF), aggregationsfördernde Faktoren (ADP, Thrombospondin, Fibrinogen), adhäsionsfördernde Faktoren (Fibronectin, von-Willebrand-Faktor) und wachstumsfördernde Faktoren (PDGF, transforming growth factor-β = TGF-β, fibroblast growth factor = FGF, vascular endothelial growth factor = VEGF).  

     Wie erwähnt, ist der bei der Rohserumgewinnung ablaufende Gerinnungsprozeß von entscheidender Bedeutung für die Qualität des Serums. Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass die im Serum nachgewiesenen und für die Proliferation kultivierter Zellen essentiellen Faktoren, wie PDGF, FGF, TGF-b, VEGF, u. a., thrombozytären Ursprungs sind.

     Der hohe Gehalt an spezifischen Wachstumsfaktoren macht Lysate humaner Thrombozyten damit zu einem hervorragenden Ersatzprodukt für die Zell- und Gewebekultur, besonders für Zellen humanen Ursprungs und in der Stammzellkultur.

 

      Der Einsatz plättchenangereicherten Plasmas (platelet-rich plasma, PRP) ist schon lange klinischer Alltag in der Orthopädie und Kieferchirurgie. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass PRP in der therapiebezogenen Stammzellkultur immer noch zum Einsatz kommt, obwohl sich der hohe Gehalt an Plasmaproteinen nachteilig auf die Kultur auswirken kann. Um Antikörper-mediierte Effekte zu minimieren wurden Thrombozyten der Blutgruppe 0 in AB-Serum resuspendiert und aktiviert. Blutgruppe 0 besitzt keine Blutgruppenantigene, während AB-Blut keine Blutgruppenantikörper enthält. Der hohe Gehalt an Fibrinogen im PRP erfordert jedoch die Zugabe von Heparin, da es ansonsten durch die Ca++-Konzentration im Kulturmedium zur Ablagerung von Fibrinfäden und zum Verklumpen der kultivierten Zellen kommt. Die Wirkung von Heparin auf Zellkulturen ist noch nicht erforscht.

 

     Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn die Plättchenlysate in einer Salzlösung hergestellt werden. Das Endprodukt ist ein protein-armer, hoch angereicherter Extrakt thrombozytärer humaner Wachstumsfaktoren. Als Ausgangsmaterial dienen Thrombozytenkonzentrate, welche durch Apherese gewonnen wurden. Spenderthrombozyten haben eine Lebensdauer von 5 Tagen, innerhalb derer sie klinisch verwendet werden dürfen.

     Thrombapheresen werden in zertifizierten Blutbanken durchgeführt. Damit steht ein nach Ablauf der Verwendungsdauer nach Europäischen Richtlinien hergestelltes, für den therapeutischen Einsatz (Thrombozytenspende) zertifiziertes und qualitätsgetestes Ausgangsprodukt zur Verfügung. Die Spenderthrombozyten werden gewaschen, in einer Salzlösung resuspendiert und in einem einfachen Gefrier-Auftau-Verfahren lysiert. Die Lysate wurden von uns so standardisiert, dass diese zu Basalmedien, wie MEM, DMEM, DMEM/Ham F-12, oder RPMI-1640 in einer Konzentration von 5% (v/v) als Serum-Ersatz zugegeben werden können.

 

Neuer Ansatz, neuer Anlauf, neue Hoffnung ?

 

     Bislang konnten alle von uns getesteten tierischen und humanen Zelllinien, aber auch adulte mesenchymale Stammzellen mit Plättchenlysaten als Serum-Ersatz kultiviert werden. Doch weitere Forschungsarbeit liegt noch vor uns.

     Fetales Kälberserum kann nicht selbst gewonnen bzw. hergestellt werden. Die mögliche Verfügbarkeit von abgelaufenen Spenderthrombozytenkonzentraten jedoch und die Einfachheit der Lysatherstellung geben Anlass zur Hoffnung, dass dieser innovative Ansatz der Serumvermeidung schon bald vermehrt Einzug in die Zellkulturlabors finden wird.

 

 

 

Innsbruck und München, im August 2015