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Gemeinsame Pressemitteilung der tirol kliniken und der Medizinischen Universität Innsbruck

GLUT1-Defizienzsyndrom – jedes Gramm wird abgewogen

Die seltene angeborene Stoffwechselstörung, an der Emilia seit ihrer Geburt leidet, heißt: GLUT1-Defizienzsyndrom. In der Innsbrucker Kinderklinik werden derzeit sechs Kinder und Jugendliche mit dieser angeborenen Stoffwechselstörung betreut, in Österreich sind ungefähr 15 Patient:innen bekannt.

Pressebilder zum Downloaden (Fotos: tirol kliniken/Johannes Schwamberger):

von links: Sabine Scholl-Bürgi, Emilia Ölz, Teresa Ölz, Johannes Zschocke und Coco (Assistenzhund)

Emilia Ölz (Patientin), Teresa Ölz (Mutter)

Coco, Signalhund

Johannes Zschocke, Direktor des Instituts für Humangenetik, Medizinische Universität Innsbruck

Sabine Scholl-Bürgi, Geschäftsführende Oberärztin der Kinderklinik (Pädiatrie I)

GLUT1-Defizienzsyndrom

Bei dem GLUT1-Defizienzsyndrom fehlt wegen genetischer Veränderungen der Glukose-Transporter Typ 1 (=GLUT1), der Traubenzucker (=Glukose) aus dem Blut ins Gehirn transportiert. Als Folge hat das Gehirn letztendlich nicht genügend Energie zur Verfügung. Das führt bei den Betroffenen zu zerebralen Krampfanfällen, einer verzögerten Entwicklung und Bewegungsstörungen. Die Krampfanfälle treten besonders am Morgen nach einer langen Nahrungspause auf.

Therapie

Um den Energiemangel im Gehirn auszugleichen, erhalten die Patient:innen eine ketogene Ernährungstherapie, die sie bestenfalls das ganze Leben, aber mindestens bis ins junge Erwachsenenalter eisern durchhalten müssen. Manchmal haben Patient:innen trotz aller Bemühungen und einer konsequent eingehaltenen ketogenen Ernährungstherapie weiterhin Symptome. Der Grund dafür ist nicht bekannt und noch Gegenstand der Forschung.

Die ketogene Ernährungstherapie (eine Ernährung mit kaum oder nur sehr wenigen Kohlenhydraten, dafür sehr fettreich) hat in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit erhalten. Allerdings wird sie in den meisten Fällen als Lifestyle-Maßnahme eingesetzt, während sie bei den Patient:innen mit GLUT1-Defizienzsyndrom lebensnotwendig ist. „Die ketogene Ernährungstherapie ist in diesem Fall einem Medikament gleichzusetzen“, so Sabine Scholl-Bürgi, Geschäftsführende Oberärztin der Kinderklinik (Pädiatrie I) und behandelnde Ärztin. Die Ketonkörperkonzentration im Blut muss täglich kontrolliert werden, ähnlich wie bei Diabetikern. Unterschreiten die Ketonkörper einen bestimmten Wert, können innerhalb kürzester Zeit die ersten Symptome auftreten.

Selbsthilfegruppe

Um das GLUT1-Defizienzsyndrom bekannter zu machen und Betroffene zu unterstützen, haben zwei betroffene Mütter (eine davon ist Emilias Mutter Teresa Ölz) den Verein „GLUT1-Austria“ (Über uns — GLUT1 Austria) gegründet. „Ich empfehle jeder Familie, in der ein GLUT1-Defizienzsyndrom diagnostiziert wurde, Kontakt mit dem Verein aufzunehmen“ so Sabine Scholl-Bürgi. „Wir Ärzte können die Diagnose vermitteln und eine Therapie beginnen. Die eigentlichen Probleme beginnen aber oft erst zu Hause, gerade bei einer Ernährungstherapie. Dabei geht es beispielsweise um den Austausch von Rezepten und die Frage, wie die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden. Die Familien unterstützen sich gegenseitig und sind damit stärker als jeder Einzelne.“, so die Ärztin.

Emilia

Emilia ist heute 14 Jahre alt. Nach dem Abstillen haben ihre Eltern die ersten Auffälligkeiten beobachtet. Es gab viele epileptische Anfälle und als Emilia älter wurde zusätzlich Gangstörungen. Nach einigen Fehldiagnosen wurde die Krankheitsursache schließlich in Innsbruck bestätigt. „Endlich hatte die Krankheit einen Namen. Endlich wussten wir, was los ist“, erzählt Teresa Ölz, die Mutter von Emilia.

Die Jugendliche kann im Alltag überall dabei sein, braucht aber immer ihr eigenes Essen mit dabei. „Ich wiege jede einzelne Mahlzeit von Emilia genau ab. Alles muss in einem ganz genauen Verhältnis sein. Jeder Bissen, den sie zu sich nimmt, muss vorher kontrolliert worden sein“, erzählt Teresa Ölz. Brot, Reis, Kartoffeln und Nudeln sind absolut tabu. „Im Grunde darf Emilia so viel Kohlenhydrate am Tag essen, wie in 100g Karotten vorhanden sind. Alles andere hat für sie einen starken Anfall zur Folge, der meist mit Notarzt im Krankenhaus endet.“, verdeutlicht die zweifache Mutter.

Seit fast fünf Jahren ist Coco, ein Pudel, an der Seite von Emilia. Die Familie hat sie unter professioneller Anleitung zum Signalhund (er erkennt ein Absinken der Ketonkörper und macht Emilia darauf aufmerksam) ausgebildet. Seither hatte Emilia nie wieder einen Anfall. Als ausgewiesene Assistenzhündin darf Coco auch zu den ambulanten Kontrollen in den tirol kliniken mitkommen.

Seltene Krankheiten

Ein Krankheitsbild gilt dann als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Einwohner:innen an dieser Krankheit leiden. Hinter dem Begriff „Seltene Erkrankungen“ verbergen sich ca. 7.000 unterschiedliche Krankheiten, die in ihrer Gesamtheit etwa 7 Prozent der Bevölkerung betreffen. In Österreich ist also von rund 500.000 Patient:innen auszugehen. Aufgrund der Seltenheit der Krankheitsbilder sind Betroffene und ihre Angehörigen häufig mit besonderen Problemlagen konfrontiert. Der Nationale Aktionsplan für Seltene Erkrankungen (NAP.se) soll für die Betroffenen eine bessere Versorgung ermöglichen. Am Tag der Seltenen Erkrankungen (Ende Februar) wird auf diese Problematik aufmerksam gemacht.
„Die Mehrheit der seltenen Krankheiten, darunter auch das GLUT1-Defizienzsyndrom, werden durch genetische Veränderungen verursacht. Die Erforschung dieser Veränderungen, ihre Vererbbarkeit und ihre Folgen, stehen derzeit im Mittelpunkt der Forschung des Innsbrucker Instituts für Humangenetik“, so Johannes Zschocke, Direktor des Instituts.
Zentrum für Seltene Krankheiten in Innsbruck (ZSKI)
Das ZSKI ist eine Anlaufstelle für Menschen mit Seltenen Erkrankungen oder solchen mit unklarer Diagnose und dem Verdacht, dass eine Seltene Erkrankung vorliegt. Ein interdisziplinäres Team trifft sich einmal im Monat, um sich über schwer diagnostizierbare Fälle auszutauschen und auch mal über den Tellerrand zu blicken.
Erkenntnisse über die Ursachen der zu 80 Prozent genetisch bedingten Erkrankungen sind ein wichtiger Schritt für die Verbesserung von Therapiemöglichkeiten und Prognosen.

(Innsbruck, 27. Februar 2024, Text: tirol kliniken / Iris Schirmer, Fotos: tirol kliniken / Johannes Schwamberger)