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Inhalt

 

Therapie von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

Herbert Tilg, Timon E. Adolph, Department für Innere Medizin I, Gastroenterologie, Hepatologie & Endokrinologie, Medizinische Universität Innsbruck, Österreich

Die klinische Präsentation chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) variiert in ihrer Lokalisation und systemischen Ausbreitung, beinhaltet meist (jedoch nicht immer) Durchfall und Bauchschmerzen (1). Während die Diagnose Morbus Crohn (MC) unverändert oft mit starker zeitlicher Verzögerung erfolgt, erlaubt das klinische Leitsymptom „blutige Diarrhoe“ bei Colitis ulcerosa (CU) in der Regel eine raschere Diagnose. Bei klinischem Verdacht ist der Goldstandard der CED-Diagnostik die Gastro- und Ileokolonoskopie in Zusammenschau mit der Histologie. Eine qualitativ hochwertige Sonographie des Abdomens ist diagnostisch oft hilfreich. Zudem hilft die Magnetresonanztomographie (MR-Enterographie) entzündliche Läsionen, und vor allem Stenosen im Dünndarm zu identifizieren (2). In ausgewählten klinischen Situationen ist in der Diagnostik des Dünndarmbefalls auch die Kapselendoskopie bedeutsam. Genetische und serologische Untersuchungen spielen momentan in der Diagnostik keine Rolle. Eine positive Familienanamnese und nächtliche Symptomatik sollte uns sehr rasch an solche Erkrankungen denken lassen. Im Krankheitsverlauf spielen Laboruntersuchungen (Blutbild, C-reaktives Protein) und vor allem auch die Calprotectinbestimmung aus dem Stuhl eine immer wichtigere Rolle.

Chronische Darmentzündung ist eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung mit einer großen interindividuellen Heterogenität (Genetik, Umwelteinflüsse, Darmflora) zwischen PatientInnen mit der gleichen Diagnose. Daher stellt die Aufklärung der Pathophysiologie der Erkrankung die Herausforderung der Grundlagenforschung dar, um aus dem biologischen Verständnis ursächliche Behandlungsstrategien zu entwickeln. Etablierte Therapien zielen vorderhand auf die selektive oder unselektive Hemmung von inflammatorischen Signalwegen ab, ohne die Ursache der Entzündung zu behandeln.

Therapeutische Konzepte bei CED

Unabhängig vom wachsenden Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen von CED belegen groß angelegte klinische Studien den Nutzen neuer Therapien für CED-PatientInnen. Das therapeutische Ziel ist den natürlichen Krankheitsverlauf zu beeinflussen und die Lebensqualität zu verbessern. Dies beinhaltet die klinische Remission, mukosale Heilung sowie Vermeidung von Komplikationen (Reduktion chirurgischer Eingriffe). Die Wahl der Therapie basiert vor allem auf der Einschätzung des Schweregrads der Erkrankung, wie z.B. durch die gastrointestinale Ausdehnung, die Häufigkeit von Schüben oder das Auftreten von extra-intestinalen Manifestationen, wie z.B. Gelenksbeteiligung. Zudem unterscheiden sich die Therapieansätze hinsichtlich ihrer Art/Dauer der Anwendung, da nicht alle Medikamente für die Induktion der Remission sowie den Remissionserhalt geeignet sind.

Therapie bei Morbus Crohn

Remissionsinduktion

Im Falle einer begrenzten Entzündungsaktivität, wie z.B. bei rein ileozökaler Lokalisation, findet ein lokales Corticosteroid (Budesonid: Budosan, Entocort) Anwendung, welches auf Grund eines hohen präsystemischen Metabolismus vor allem lokal im Darm bzw. ileozökal wirkt. Bei Versagen dieser lokalen Therapieoptionen oder diffuser Entzündungsaktivität ist der Goldstandard zur Remissionsinduktion das systemische Steroid mit stufenweiser Dosisreduktion nach klinischem Ansprechen (I: Besserungsrate: 60-83%, NNT: 3). Die systemische Cortisontherapie wie auch die Budesonidtherapie muss zeitlich begrenzt werden (8-10 Wochen). Eine Cortisontherapie über diese Zeit hinaus ist mit einem inadäquaten Nutzen/Risikoprofil assoziiert und zahlreiche Studien haben belegt, dass eine Cortisondauertherapie keine bessere Wirkung als Placebo aufweist.

Wenn kein klinisches Ansprechen unter diesen Maßnahmen erzielt wird (Steroidresistenz) oder bei einem neuerlichen Schub (innerhalb eines Jahres), finden Thiopurine (Azathioprin: Generika, Imurek; 6-Mercaptopurin: Puri-Nethol, Xaluprine) und vor allem anti-TNFα-Antikörper (z.B. Infliximab: Flixabi, Inflectra, Remicade, Remsima; Adalimumab: Humira) breite Anwendung in der Induktion bei PatientInnen mit MC. Eine Azathioprintherapie führt in 48% (Vergleich Placebo 36%) der PatientInnen zur Remissionsinduktion (3). Eine anti-TNFα-Therapie hat im Vergleich zu einer Azathioprintherapie den entscheidenden Vorteil eines raschen Wirkungseintritts, da dieser bei Azathioprin bis zu 4 Monate dauern kann (1). Daher ist vor allem bei schwer erkrankten PatientInnen heute eine anti-TNFα-Therapie gegenüber einer Azathioprintherapie zu bevorzugen. Anti-TNF-α - Therapien zeigen initial eine Wirksamkeit bei bis zu 80% aller PatientInnen (1).

Bei Nichtwirksamkeit einer anti-TNFα-Therapie oder bei Wirkungsverlust stehen nun alternativ auch Integrin-Inhibitoren (Vedolizumab: Entyvio) zur Verfügung. Zur endoskopisch gesteuerten Therapieeskalation fehlen derzeit hinreichende Studien, d.h. die Step-Up-Therapie richtet sich hauptsächlich nach der klinischen Präsentation bzw. den Beschwerden der PatientInnen. Bei den meisten PatientInnen wird heute eine akzelerierte Step-Up-Therapie verfolgt, d.h. es wird rasch eine wirksame Therapie angewandt.

Remissionserhaltung

Nur in Ausnahmefällen und bei sehr milder Krankheitspräsentation ist eine remissionserhaltende Therapie nicht notwendig. Viele MC-PatientInnen (ca. 60-70%) benötigen zur Remissionserhaltung eine Therapie mit Thiopurinen (Azathioprin oder einem Metaboliten von Azathioprin: 6-Mercaptopurin) oder einem anti-TNFα-Präparat. Die Wirksamkeit einer Azathioprintherapie liegt bei 73% der PatientInnen versus 62% für Placebo (NNT 9: siehe Metaanalyse: 4).

Eine Azathioprintherapie muss ca. bei jedem/r 10. Patienten/in wegen Nebenwirkungen abgebrochen werden (Übelkeit, Leukopenie, erhöhte Leberwerte, Pankreatitis: 4). Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für Lymphome und Nicht-Melanom-Hautkrebs (5,6).

Die anti-TNFα-Therapie hat einen hohen Stellenwert für den Remissionserhalt bei kompliziertem Verlauf und/oder rezidivierenden Schüben, bei Pancolitis mit deutlich erhöhten systemischen Entzündungszeichen, bei ausgedehntem Dünndarmbefall und bei fehlendem Ansprechen auf eine initiale Corticosteroidtherapie. Bei schweren Formen ist eine anti-TNF-α - Therapie zum Remissionserhalt in Kombination mit Azathioprin in Erwägung zu ziehen (7). Dabei ist jedoch ein beträchtliches Infektionsrisiko bzw. erhöhtes Risiko lymphoproliferativer Erkrankungen und Nicht-Melanom-Hautkrebs zu berücksichtigen (8), weshalb prinzipiell eine Remissionserhaltung mit einer Monotherapie (Azathioprin oder anti-TNF) bevorzugt wird.

Zunehmend finden anti-TNFα-Biosimilars (Flixabi, Inflectra, Remsima) den Weg in die Behandlung von CED-PatientInnen, nachdem die Patente für z.B. Remicade (Infliximab) abgelaufen sind. Diese sind als wirkungsäquivalent zu betrachten.

Eine Alternative bei Nichtwirksamkeit einer anti-TNFα-Therapie stellt Vedolizumab (Entyvio) dar (9). Bei therapierefraktärem MC (TNFα-Inhibitor-Resistenz) stellt die Remissionsinduktion und Erhaltung durch Interleukin-12/23-Blockade mit Ustekinumab (Stelara) zukünftig eine weitere Alternative dar (10).

Keinen Stellenwert in der Remissionserhaltung haben wie bereits betont Corticosteroide. Bei Vorliegen einer zusätzlichen fistulierenden Erkrankung sind anti-TNFα-Präparate zu bevorzugen, nachdem in dieser Situation klassische Immunsuppressiva wie Azathioprin keine Wirkung zeigen. Weiters ist zu bemerken, dass in seltenen Situationen bei luminaler Erkrankung und Gelenksbeteiligung auch Methotrexat (Generika) versucht werden kann.

Probiotika spielen in der Therapie bei MC keine Rolle (siehe Pharmainfo XXI/2/2006; 11). Antibiotika wie Ciprofloxacin und Metronidazol werden vor allem bei fistulierender Erkrankung kurzzeitig angewendet.

Wirksamkeitsverlust von Medikamenten unter Therapie

Dieses Phänomen wird bei verschiedenen Medikamenten beginnend bei Corticosteroiden bis hin zu Biologika beobachtet. Vor allem bei einem Wirkungsverlust von Biologika werden Immunphänomene (Entwicklung von Antikörpern gegen das Therapeutikum) vermutet, auch wenn zusätzlich andere Faktoren dafür auch verantwortlich sein dürften. In solchen Situationen wird vor allem bei Biologika eine Verkürzung des Dosisintervalls empfohlen, z.B. bei Infliximab von 8 auf 6 oder 4 Wochen und bei Adalimumab die wöchentliche Gabe. Falls die PatientInnen dann weiterhin keinen Therapienutzen zeigen, wird die Umstellung auf Vedolizumab oder ein anderes anti-TNFα-Präparat empfohlen.

 Therapie der Colitis ulcerosa

Induktion

Bei der CU spielen Aminosalizylate (Mesalazin: Claversal, Mesagran, Mezavant, Pentasa, Salofalk) eine überragende Rolle und sollten bei den meisten PatientInnen versucht werden. Hier spielt auch die lokale Applikation eine wichtige Rolle. Dafür ist es essentiell, dass das proximale Ausmaß der Erkrankung klar definiert ist (mittels Endoskopie): eine Zäpfchentherapie wirkt bis ca. 10 cm ab ano, eine Schaumtherapie bis ins mittlere Sigma und eine Klysmentherapie richtig appliziert bis zur linken Flexur. Die Proctitis ulcerosa wird topisch mit Mesalazinzäpfchen, eine Proctosigmoiditis mit Schaum oder Klysmen behandelt. Generell wird eine Zäpfchentherapie besser toleriert als eine Klysmentherapie. Die lokale Aminosalizylattherapie ist wirksamer (50% der PatientInnen erfahren Schleimhautheilung) als lokales Steroid und sollte initial versucht werden (12).

Die meisten PatientInnen profitieren von einer zusätzlichen oralen Therapie mit einem Aminosalizylat, d.h. eine kombinierte rektale und orale Aminosalizylattherapie ist wirksamer und zu bevorzugen (Remission 57,9% versus 18,2% Placebo: 13). Bei keinem Therapieansprechen erfolgt die systemische Steroidgabe. Treten pro Jahr mindestens zwei cortisonbedürftige Schübe auf oder besteht ein cortisonabhängiges oder –refraktäres Krankheitsgeschehen, werden konsekutiv Thiopurine, anti-TNFα-Antikörper und/oder Vedolizumab angewendet (14). Zur Behandlung der CU stehen uns neben Infliximab, Adalimumab auch Golimumab (Simponi) und der Anti-Integrin-Antikörper Vedolizumab zur Verfügung. Bei schwerer Colitis ulcerosa und fehlender Besserung auf Steroide (zunächst intravenöse Gabe über 3-5 Tage) erfolgt eine anti-TNFα-Therapie oder Immunsuppression mit Calcineurininhibitoren (Ciclosporin: Neoimmun, Sandimmun, Vanquoral oder Tacrolimus: Adport, Advagraf, Envarsus, Modigraf, Prograf, Tacni Transplant). In dieser Situation ist immer auch ein chirurgisches Vorgehen anzudenken. Eine Kombination von Calcineurininhibitoren und anti-TNFα-Therapie ist kontraindiziert. PatientInnen mit > 6 blutigen Stühlen/24 Stunden, Tachykardie, Fieber, Hb < 10 g/dl oder einer BSG > 30 mm/h gelten als schwer krank und sollten ins Krankenhaus überwiesen werden.

Remissionserhaltung

Die klinische Einschätzung des Schweregrades der Erkrankung spielt in der Therapieentscheidung die zentrale Rolle. Mittel der Wahl für den Remissionserhalt einer Colitis ulcerosa sind Aminosalizylate (aus Gründen der Compliance bevorzugt orales Mesalazin). Manche PatientInnen können auch mit einer Lokaltherapie remissionserhaltend behandelt werden, z.B. mit 3 x wöchentlicher Gabe eines Zäpfchens oder Klysma. Aminosalizylate können in der Dauertherapie das Risiko, an einem Colitis-assoziierten Colonkarzinom zu erkranken, reduzieren.

Alternativ zu einer Aminosalizylat-Erhaltungstherapie ist das Probiotikum E.coli Nissle (Mutaflor) gleichwertig (15,16), und wird in internationalen Guidelines empfohlen. Es wurden jedoch nie placebo-kontrollierte Studien für dieses Präparat durchgeführt. Auch für das Probiotikum VSL#3 (Gemisch aus 8 Bakterienstämmen, in Österreich nicht registriert) liegen positive Daten vor (17). Für verlässliche Aussagen über die Wirksamkeit von Probiotika sind weitere Studien notwendig (17).

Bei schwereren Verläufen (häufige Schübe, schwerer Schub oder Steroidabhängigkeit) werden für den Remissionserhalt neben Mesalazin auch Thiopurine (Azathioprin oder 6-Mercaptopurin) verwendet. Eine Thiopurintherapie ist vor allem bei cortisonabhängigen PatientInnen sinnvoll und wirksam, ein Remissionserhalt tritt bei 56% versus 35% bei Placebo auf (18).

Anti-TNFα-Therapien zeigen eine ähnliche Wirkung wie bei MC und spielen damit in der Remissionserhaltung dieser Erkrankung heute eine wichtige Rolle, und können bei schwerem Verlauf auch in Kombination mit Thiopurinen angewendet werden (cave: erhöhtes Lymphom- und Infektionsrisiko). Eine anti-TNFα-Therapie ist primär bei Nichtansprechen auf Corticosteroide indiziert. Alternativ steht nun auch Vedolizumab zur Remissionsinduktion und Remissionserhaltung zur Verfügung (14). Keinen Stellenwert haben hier wiederum Corticosteroide. Generell benötigen ca. 20-25% der an MC und CU Erkrankten heute eine Biologikatherapie.

Therapiemonitoring

Im Zusammenhang neuer Therapiekonzepte könnte sich ein Paradigmenwechsel der CED-Therapie anbahnen, in dem das Step-Up-Konzept der Therapieeskalation herausgefordert wird (19). Derzeit fehlen robuste Daten für eine frühe aggressive Therapie bei CED (Top-Down-Therapiekonzept). Ein Verwerfen des Step-Up-Schemas bedeutet aber gleichzeitig auch eine Übertherapie mancher PatientInnen, die unter konventioneller Therapie (oder spontan) in Remission gehen. Eine heutige klinische Herausforderung ist die Identifikation jener PatientInnen, die von einer frühen oder gezielten Therapie profitieren. Bis dahin erscheint eine enge Anbindung und Verlaufskontrolle mit rascher Therapieeskalation (akzelerierte Step-Up-Therapie, d.h. frühe Anwendung von Biologika) zur Vermeidung von Komplikationen erstrebenswert, da bis heute das Therapieansprechen nicht vorhersagbar ist.

Häufige Fallgruben in der medikamentösen Therapie und Tipps

Eine gute Betreuung von CED-PatientInnen erfordert viel Wissen, Erfahrung und vor allem auch genaue Kenntnis über das Ausmaß und das entsprechende Befallsmuster der Erkrankung. Gerade bei der CU kann sich das Befallsmuster der Erkrankung über die Jahre oft ändern, z.B. entsteht aus einer Proctitis ulcerosa eine Pancolitis ulcerosa. CED stellen chronische Erkrankungen dar und damit sind kurzzeitige Therapien sinnlos. Fast alle PatientInnen benötigen eine remissionserhaltende Therapie über Jahre. Gerade Aminosalizylate werden leider in der klinischen Praxis oft nur kurzzeitig angewendet und verlieren in Folge dann oft bei neuerlicher Anwendung ihre Wirkung. Bei einer Aminosalizylat-Dauertherapie ist mindestens 1 x jährlich eine Untersuchung der Nierenfunktion erforderlich. Eine einmal tägliche orale Dosierung des Aminosalizylats ist möglich und empfohlen.

Jede Cortisontherapie muss auf Grund der ohnehin erhöhten Rate von Osteoporose bei CED-PatientInnen von einer Vitamin D/Kalziumtherapie und bei entsprechend verringerter Knochendichte von Bisphosphonaten begleitet sein (1). Bei Corticosteroiden müssen Dosis und Therapiedauer (8-10 Wochen, ausschleichend) adäquat sein, eine Minidosis kurzzeitig angewendet ist abzulehnen und bringt keinen Nutzen. Eine Corticosteroid-Dauertherapie wird leider auch bei uns immer wieder beobachtet, ist jedoch ineffektiv und nebenwirkungsreich. Eine Azathioprintherapie benötigt über die gesamte Therapiezeit Laborkontrollen in regelmäßigen Intervallen, da z.B. Leukopenien jederzeit auftreten können. Generell ist bei allen CED-Therapien (Corticosteroide, Immunsuppressiva, anti-TNFα-Therapie) ein erhöhtes Infektionsrisiko vorliegend. PatientInnen sind in diese Richtung zu instruieren und bei klinischem Verdacht eine sofortige anti-infektiöse Therapie einzuleiten. Diesbezüglich ist eine Superinfektion mit Clostridium difficile bei CED-PatientInnen besonders häufig und erfordert Wachsamkeit und Therapiebereitschaft.

Eine Azathioprintherapie ist über die Zeit mit einem erhöhten Risiko für Lymphome, Nicht-Melanom-Hautkrebs und cervikale Dysplasie assoziiert; daraus ergibt sich bei Dauertherapie die Notwendigkeit von regelmässigen dermatologischen und gynäkologischen Kontrollen. Eine anti-TNFα-Therapie zeigt ein leicht erhöhtes Risiko an einem (Nicht-)Melanom zu erkranken. Die Dauer aller Therapien ist am klinischen Verlauf zu orientieren, üblicherweise wird heute nach 4 bis 5-jähriger Therapiedauer evaluiert, ob eine Therapiepause möglich erscheint. Viele PatientInnen benötigen solche Therapien heute allerdings 10 Jahre und länger. Die Komplexität dieser Erkrankungen erfordert die Einbindung von entsprechend spezialisierten Zentren. Es ist auch besonders zu betonen, dass die meisten CED-PatientInnen von einer intensiven und fachübergreifenden Betreuung profitieren, d.h. viele PatientInnen sollten von Internisten/Gastroenterologen in engem Dialog mit Chirurgen und umgekehrt betreut werden.

Zusammenfassung

Die Inzidenz von CED wie MC und CU nimmt weltweit zu. In der letzten Dekade haben genetische Studien die Komplexität der Erkrankung untermauert und potentielle Signalwege identifiziert, die Darmentzündung modulieren könnten. Weitgehend unabhängig vom wachsenden Verständnis der Ursache von CED haben zahlreiche robuste klinische Studien mit entzündungsspezifischen Biologika das Spektrum der Therapiemöglichkeiten von MC und CU erweitert. Die Wahl der Therapie richtet sich nach der klinischen Präsentation der PatientInnen. Auch wenn Corticosteroide bei schwerem Verlauf nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Induktion der Remission haben, sind sie auf Grund des Nebenwirkungsprofils nicht zum Erhalt der Remission geeignet.

Das Nicht-Ansprechen auf Biologika (primär oder sekundär) stellt eine Herausforderung im klinischen Alltag dar, welche durch neue therapeutische Optionen Lösungsansätze bietet. Zahlreiche neue erfolgversprechende Ansätze befinden sich in klinischer Testung, wodurch wir eine Ausweitung des medikamentösen Arsenals bei CED erfahren werden. Dies bedeutet jedoch auch, dass neue Studien notwendig sind um zu verstehen, welche/r Patient/in zu einem definierten Zeitpunkt von einer selektiven immunmodulatorischen Therapie profitiert. 

Literatur
(1)   Kalla R. et al. BMJ 349,g6670,2014
(2)   Nikolaus S. and S. Schreiber. Gastroenterology 133,1670,2007
(3)   Chande N. et al. Cochrane Database Syst Rev 10,CD000545,2016
(4)   Chande N. et al. Cochrane Database Syst Rev,CD000067,2015
(5)   Peyrin-Biroulet L. et al. Gastroenterology 141,1621,2011
(6)   Pasternak B. et al. Am J Epidemiol 177,1296,2013
(7)   Colombel J.F. et al. NEJM 362,1383,2010
(8)   Osterman M.T. et al. Gastroenterology 146,941,2014
(9)   Sandborn W.J. et al. NEJM 369,711,2013
(10) Sandborn W.J. et al. NEJM 367,1519,2012
(11) Shen J. et al. Inflamm Bowel Dis 20, 21,2014
(12) Römkens T.E. et al. Inflamm Bowel Dis 18, 2190,2012
(13) Sandborn W.J. et al. Aliment Pharmacol Ther 34,747,2011
(14) Feagan B.G. et al. NEJM 369,699,2013
(15) Kruis W. et al. Gut 53,1617,2004
(16) Losurdo G. et al. J Gastrointestin Liver Dis 24,499,2015
(17) Chibbar R. and L.A. Dieleman. J Clin Gastroenterol 49 Suppl 1,50,2015
(18) Timmer A. et al. Cochrane Database Syst Rev,CD000478,2016
(19) D'Haens G.R. et al. J Crohns Colitis 8,726,2014

 

Biologika bei CED: Wirkung und Nebenwirkungen

Zur Therapie von CED (chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen) sind TNFα-Inhibitoren und Vedolizumab (Entyvio) zugelassen: Im vorangehenden Artikel wurde der Platz in den Therapieschemata bei CED für diese Substanzen besprochen. Im Folgenden sollen noch die klinischen Studien analysiert werden, die die Basis für diese Therapie darstellen.

TNFα- Inhibitoren

Diese Substanzen schalten das Cytokin TNFα aus, das als entzündungsfördernder Faktor in der Pathogenese der CED relevant ist (siehe auch Psoriasis-Therapie, Pharmainfo XXXI/3/2016). In Österreich sind für die Behandlung der CED drei Substanzen zugelassen: Infliximab (Flixabi, Inflectra, Remicade, Remsima), Adalimumab (Humira) und Golimumab (Simponi: nur für Colitis ulcerosa). Repräsentative Daten zur Wirkung dieser Substanzen bei CED aus Zulassungsstudien, rezenten Reviews und Metaanalysen seien besprochen.

Wirkung bei Colitis ulcerosa

Unter Infliximab kommt es bei 69,4% (Placebo: 37,2%) zur Induktion (klinische Besserung gemessen an Parametern wie rektale Blutungen), bei 38,8% (versus 14%) zur Remission (deutliche Verbesserung klinisch signifikanter Parameter), bei PatientInnen in Remission bei 38,8% (versus 14%) zur Remissionserhaltung nach 52 Wochen (1) und zur Schleimhautheilung bei 49,4% (versus 21%: 2). Für Adalimumab sind die Werte für Induktion 50,4% (versus 34,6%), Remission 16,5% (versus 9,3%) und für Remissionserhaltung 17,3% (versus 8,5%), für Schleimhautheilung für TNFα-Inhibitor-naive PatientInnen 31% (versus 9%: 2).

Für Golimumab sind die Werte (1) für Induktion 51,0% (versus 30,3%), Remission 17,8% (versus 6,4%), Remissionserhaltung 27,8% (versus 15,6%) und für Schleimhautheilung 42% (versus 27%).

Es gibt keine direkten Vergleiche zwischen den Substanzen und die Daten der Studien sind wegen unterschiedlicher Vorbehandlung (z.B. auch primäre Gabe eines anderen TNFα-Inhibitors) heterogen. Eine Netzwerk-Analyse (3, siehe auch 4) von 7 Studien fand nur für Infliximab versus Adalimumab für Induktion und Schleimhautheilung ein signifikant besseres Resultat, wobei dies auch mit den oben zitierten Daten übereinzustimmen scheint. Ein weiterer Review (5) gibt für Schleimhautheilung für Adalimumab eine NNT von 9, für Golimumab eine von 7 und für Infliximab eine von 4 an.

Wirkung bei Morbus Crohn

Für diese Erkrankung werden für Infliximab zur Induktion Werte von 81% versus 17% (Placebo) angegeben (1), für Adalimumab 39% zu 21%, zur Remissionserhaltung für Infliximab 39% zu 21% (Woche 30) und für Adalimumab 36% zu 12% (Woche 52).

Nebenwirkungen

An schweren Nebenwirkungen sind vor allem Infektionen und Malignome in Diskussion, was nicht überraschend war, wenn man die wichtige Rolle von TNFα in der Immunabwehr bedenkt. Reaktivierung von TBC und insbesondere auch das Auftreten opportunistischer Infektionen mit Pilzen, Listerien und Clostridien sind belegt (6,6a,7). Bezüglich Inzidenz sind die Daten widersprüchlich (siehe 8). Für Tuberkulose wurden, bevor ein Prescreening eingeführt wurde, Werte von 24 bis zu 173 pro 100.000 PatientInnenjahren angegeben (siehe 8a,8b). In einer rezenten Analyse von randomisierten Studien (7) waren schwere Infektionen nicht erhöht, aber opportunistische schon (OR 1,9; CI 1,2 – 3,0). In einer relativ verlässlichen „Nation-wide (Dänemark) Cohort Study“ (8) ergab sich eine Inzidenz von 5 zusätzlichen Infektionen (mit Hospitalisierung) pro 100 PatientInnenjahren mit einer HR von 1,63 (CI 1,01 bis 2,63), die aber nur für die ersten 90 Tage signifikant war.

Für die Frage des Karzinomrisikos sind wir insbesondere auf Beobachtungsstudien angewiesen, da prospektive randomisierte Studien keine ausreichenden PatientInnenzahlen und eine relativ zu kurze Dauer haben. Ein weiteres Problem ist, dass Immunsuppressiva wie Azathioprin, die oft vor oder zusammen mit TNFα-Inhibitoren gegeben werden, selbst das Risiko für Malignome erhöhen. Eine gewisse Klärung sollten die folgenden repräsentativen Studien geben, in denen auch widersprüchliche Daten diskutiert werden. Eine Nation-wide (Dänemark) Cohort Study (9) von derselben AutorInnengruppe, die auch, wie oben zitiert (8), die Infektionsfrequenz untersuchte, fand für Karzinome unter TNFα-Inhibitor-Therapie (Beobachtung über 9,3 Jahre) kein erhöhtes Risiko (RR 1,07). Die Tumorzahlen waren allerdings zu gering, um für einzelne Karzinome Aussagen zu machen. Tatsächlich wurde in einer Nested Case-Control Study (10: über 160.000 CED-PatientInnen über 12 Jahre) für TNFα-Inhibitoren ein erhöhtes Risiko (OR 1,88; CI 1,08 – 3,29) für Melanome gefunden, aber nicht unter Thiopurin-Therapie, für Nicht-Melanom-Hautkrebs war das Risiko bei einer Therapie über 1 Jahr 1,58 (CI 1,16 – 2,14) für TNFα-Inhibitoren, bei kombinierter Verwendung mit Thiopurinen 3,89 (CI 2,37 – 6,46). Die Inzidenz von Melanomen wird damit von 57 per 100.000 Personenjahre durch TNFα-Inhibitoren nahezu verdoppelt (für Nicht-Melanom-Hautkrebs von 912/100.000 auf mehr als 1.400). Eine rezente europäische „Registry“ Study fand hingegen für Rheumatismus-PatientInnen unter TNFα-Inhibitor-Behandlung kein erhöhtes Risiko für Melanome (10a).

Für Lymphome ergab eine Cancer Registry Study (11: 16.000 PatientInnen mit CED, 24% mit Thiopurinen und 4% mit TNFα-Inhibitoren behandelt, 43 Lymphome) nur für die Kombination ein deutlich erhöhtes Risiko (OR 6,6; CI 4,4 – 8,8), für die Monotherapie mit TNFα-Inhibitoren waren aufgrund weniger Fälle keine Aussagen möglich. Die Inzidenz für die Kombination war 114 Fälle/100.000 Personenjahre. Eine Metaanalyse (11a) von randomisierten und Beobachtungsstudien fand für die Kombination ein erhöhtes Risiko (61 pro 100.000 PatientInnenjahre) gegenüber Immunmodulatoren alleine (40 pro 100.000).

Für die Kombinationstherapie wurde auch für das sehr seltene hepato-splenale T-Zell-Lymphom ein Zusammenhang mit Thiopurinen zusammen mit TNFα-Inhibitoren, aber nicht für Letztere alleine, gefunden (12).

Insgesamt kann man aufgrund der erst widersprüchlichen Literatur (siehe Zitate in den hier zitierten Arbeiten und ECCO Guideline: 13a) nur feststellen, dass TNFα-Inhibitoren das Karzinomrisiko nicht generell erhöhen, für Nicht-Melanom-Hautkrebs ist ein Risiko wahrscheinlich, für Melanome und für Lymphome kann ein gering erhöhtes Risiko nicht ausgeschlossen werden (siehe auch 13).

 Vedolizumab (Entyvio)

Wir haben diese Substanz noch nicht besprochen. Entyvio ist zugelassen zur Behandlung von erwachsenen PatientInnen mit mittelschwerer bis schwerer Colitis ulcerosa (und Morbus Crohn), die entweder auf konventionelle Therapie oder einen der TNFα-Inhibitoren unzureichend angesprochen haben, nicht mehr darauf ansprechen oder eine Unverträglichkeit gegen eine entsprechende Behandlung aufweisen.

Entyvio ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen α4ß7-Integrin, einem Molekül an der Oberfläche von Lymphozyten, der die Einwanderung dieser Zellen im Darm blockiert, aber nicht im ZNS (siehe 14). Dies ist ein Gegensatz zu Natalizumab (Tysabri), das Integrin auch im ZNS blockiert, was als Ursache  für das Auftreten von PML (progressive multifokale Leukenzephalopathie) bei diesem Mittel angesehen wird.

Wirkung bei Colitis ulcerosa

In der Zulassungsstudie Gemini 1 (15, siehe auch EPAR, EMA, London) wurden PatientInnen mit Colitis ulcerosa entweder mit Vedolizumab (n = 225) oder Placebo (n = 149) behandelt. 68,4% der PatientInnen hatten vorher Glucocorticoide und/oder Immunsuppressiva erhalten. Bei einem Teil der PatientInnen (36,4%) war eine TNFα-Inhibitor-Therapie nicht erfolgreich. Nach 6 Wochen kam es bei 47,1% der Vedolizumab-PatientInnen versus 25,5% in der Placebogruppe zur Induktion (clinical response gemessen mit einem Mayo Clinic Score), zur Remission (ebenfalls Mayo Clinic Score) kam es bei 16,9% versus 5,4%. Für PatientInnen, die vorher TNFα-Inhibitoren erhielten, wurde eine vergleichbare Besserung erzielt.

Zur Bestimmung der Remissionserhaltung wurden PatientInnen, die eine Induktion zeigten, entweder auf Vedolizumab (alle 8 Wochen) oder auf Placebo randomisiert. Nach 52 Wochen war die Remission bei 41,8% versus 15,9% erhalten, die Schleimhautabheilung bei 51,6% versus 19,8%.

In dieser Studie wurde keine über Placebo hinausgehende Nebenwirkung beobachtet.

Wirkung bei Morbus Crohn

In der Gemini 2 Study (16) kam es nach 6 Wochen unter Vedolizumab bei 31,4% von 220 PatientInnen zur Induktion versus 25,7% in der Placebogruppe (n = 148), kein signifikanter Unterschied. Für Remission waren die Zahlen 14,5% versus 6,86%. Eine Remissionserhaltung nach 52 Wochen war bei 59% versus 21,6% ebenfalls gegeben. 62% der PatientInnen hatten bereits vorher TNFα-Inhibitoren erhalten, und bei 50% dieser PatientInnen war die Besserung mit diesen Substanzen adäquat oder verloren gegangen.

Infektionen waren unter Vedolizumab häufiger (44,1% versus 40,2%), auch schwere Infektionen (5,5% versus 3,0%).

Die Resultate für Induktion und Remission sind im Vergleich zu TNFα-Inhibitoren eher enttäuschend. Die Autoren sehen einen möglichen Grund darin, dass viele PatientInnen mit TNFα-Inhibitoren vorbehandelt wurden, zum Teil mit nicht erfolgreicher Wirkung. Tatsächlich zeigt eine weitere Studie (17), dass bei PatientInnen nach „TNFα inhibitor failure“ nach 6 Wochen eine Remission nur bei 15,2% (versus 12,1%) auftrat, und erst nach 10 Wochen dann verbessert wurde (26,6% versus 12,1%; p = 0,01). Bei für TNFα-Inhibitor-naiven PatientInnen war schon nach 6 Wochen die Remission 31,4% versus 12%, nach 10 Wochen 35,3% versus 16%.

Direkte Wirkungsvergleiche zwischen TNFα-Inhibitoren und Vedolizumab liegen nicht vor. Die bis jetzt zitierten Effizienzzahlen zeigen für Vedolizumab eher schwächere Resultate. Ob dies mit einem höheren Grad der Vorbehandlung mit TNFα-Inhibitoren zu erklären ist, ist unklar, da auch in TNFα-Inhibitor-Studien ein Teil der PatientInnen bereits andere TNFα-Inhibitoren erhalten hatte.

Nebenwirkungen

Die Zulassungsstudien haben keine bedenklichen Signale ergeben, bei Infektionen ist ein erhöhtes Risiko möglich. Dementsprechend stellt die EMA im EPAR fest: “The safety profile does not raise major objections and can be considered reassuring”. Offensichtlich können aber erst klinische Langzeitdaten das Risiko genauer definieren.

Zusammenfassung

TNFα-Inhibitoren haben bei CED eine relevante Wirkung, die gut belegt ist. Direkte Vergleichsstudien fehlen. Im indirekten Vergleich erscheint Adalimumab etwas schwächer wirksam. Auch nach Vorbehandlung mit Immunsuppressiva sind die TNFα-Inhibitoren wirksam, genaue Daten, inwieweit nach Versagen eines TNFα-Präparates ein anderes noch wirkt, fehlen.

Als Nebenwirkungen sind auch schwere Infektionen belegt, ein Prescreening für TBC ist durchzuführen. Ein generell erhöhtes Risiko für Karzinome ist nicht gegeben, aber möglicherweise für einzelne Tumorarten (insbesondere Nicht-Melanom-Hautkrebs).

Vedolizumab (Entyvio), das über Hemmung von Integrin an Lymphozyten deren Einwanderung im Darm hemmt, hat ebenfalls eine gut belegte Wirkung bei CED. Direkte Vergleiche mit TNFα-Inhibitoren fehlen. Es zeigt auch nach Versagen einer TNFα-Inhibitor-Therapie eine Wirkung, weitere Studien müssen diesen therapeutischen Nutzen genauer quantifizieren.

Das Nebenwirkungspotential ist derzeit günstig, kann aber erst nach längerer Verwendung genauer definiert werden.

Literatur
(1)     Cotè-Daigneault J.C. et al. United Eur Gastroent J 3,419,2015
(2)     Carvalho P.R. et al. Drugs 77,159,2017
(3)     Danese S. et al. Ann int Med 160,704,2014
(4)     Vickers A.D. et al. PLOS One DOI: 10.1371,2016
(5)     Lopez A. et al. Dig Liver Dis 47,356,2015
(6)     Connor V. Rheumatol Int 31,327,2011
(6a)   Rahier J.F. et al. J Crohn Col 8,443,2014
(7)     Bonovas S. et al. Clin Gastroent Hep 14,1385,2016
(8)     Andersen N.N. et al. BMJ 350,h2809,2015
(8a)   Garcia-Vidal C. et al. Eur J Clin Micro Inf Dis 28,331,2009
(8b)   Gardam M.A. et al. Lancet Inf Dis 3,148,2003
(9)     Andersen N.N. et al. JAMA 311,2406,2014
(10)   Long M.D. et al. Gastroent 143,390,2012
(10a) Mercer L.K. et al. Ann Rheum Dis 76,386,2017
(11)   Harrington L.J. et al. Am J Gastroent 106,2146,2011
(11a) Siegel C.A. et al. Clin Gastroent Hepatol 7,874,2009
(12)   Kotlyar D.S. et al. Clin Gastroent Hepatol 9,36,2011
(13)   Chen Y. et al. Cytokine online 2016
(13
a) Gomollòn F. et al. J Crohn Colitis 11,3,2017
(14)   Fedyk E.R. et al. Infl Bowel Dis 18,2107,2012
(15)   Feagan B.G. et al. NEJM 369,699,2013
(16)  Sandborn W.J. et al. NEJM 369,711,2013
(17)   Sands B.E. et al. Gastroent 147,618,2014

Neue Asthma-Medikamente

Mit inhalativen Corticosteroiden, lang wirksamen ß2-Agonisten und/oder Leukotrienrezeptor-Antagonisten können ca. 90% der PatientInnen mit Asthma bronchiale hinsichtlich Symptomenkontrolle und Exazerbationsprophylaxe zufriedenstellend behandelt werden. Für die verbleibende Subgruppe mit „schwerem“, d.h. mittels der genannten Standardpräparate nicht ausreichend behandelbarem Asthma (1) standen lange Zeit nur systemische Corticosteroide als wirksame Alternative zur Verfügung. Mittlerweile können für diese Asthmaform weitere Therapieoptionen angeboten werden.

 Interleukin-5-Antagonisten: Mepolizumab (Nucala) und Reslizumab (Cinqaero)

Interleukin-5 (IL-5) wird von aktivierten T-Lymphozyten freigesetzt und fördert die Differenzierung und Aktivierung von eosinophilen Granulozyten und verlängert deren Überlebenszeit (siehe Pharmainfo XXIX/1/2014). Eosinophile Granulozyten sind wesentlich an der dem Asthma bronchiale - eigenen Entzündungsreaktion in den Atemwegen beteiligt und führen dort zu Schleimhautschäden und zur Hypertrophie der glatten Bronchialmuskulatur. Eine Bluteosinophilie von > 400/µl gilt als Risikofaktor für gehäufte Asthmaanfälle (2). Die Inhibierung der Wirkung von IL-5 an eosinophilen Granulozyten verringert deren Überlebenszeit und Neuproduktion und soll zur Hemmung der asthmatypischen Entzündung in den Atemwegen beitragen.

Mepolizumab (Nucala)

Diese Substanz erhielt eine europäische Zulassung als „Add-on-Therapie für schweres, refraktäres eosinophiles Asthma bei Erwachsenen“. Es handelt sich um einen humanisierten, monoklonalen Antikörper gegen menschliches IL-5, der die Bindung von IL-5 an die α-Kette des IL-5-Rezeptors inhibiert. Die Substanz wird als subcutane Injektion in einer fixen Dosis von 100 mg alle vier Wochen verabreicht.

In zwei Zulassungsstudien (n=1192 [3,4]; siehe EPAR, EMA, London) wurde subcutan oder i.v. verabreichtes Mepolizumab bei PatientInnen mit Asthma bronchiale mit > 2 Exazerbationen pro Jahr und einer Eosinophilie im peripheren Blut (> 150/µl bei Studieneinschluss oder > 300/µl zu früherem Zeitpunkt) untersucht. Von den PatientInnen hatten 54% schon über 15 Jahre Asthma, 55% hatten mehr als 2 Exazerbationen (mit systemischem Corticosteroidbedarf) im vergangenen Jahr, und ca. ein Drittel nahm dauernd orales Cortison (mittlere Prednisolon-Dosis von 10 mg/Tag). Der Primärparameter, i.e. Exazerbationen pro Jahr, wurde in einem Jahr durch Mepolizumab um ca. 50% reduziert, in der einen Studie von 2,4 auf 1,24, in der anderen von 1,74 auf 0,88. Eine Subgruppenanalyse (4, siehe EPAR) zeigte für PatientInnen mit mehr als 3 Exazerbationen im vorausgehenden Jahr eine stärkere Senkung (56-70%) als für PatientInnen mit nur 2 (47% Senkung). PatientInnen mit > 500/µl Eosinophilen im Blut hatten eine 73%-ige Reduktion der Exazerbationen (2,49/Jahr in der Placebogruppe, 0,67/Jahr mit Mepolizumab), bei PatientInnen mit < 300/µl lag die Reduktion nur bei 30%.  

Resultate für Sekundärparameter (Lungenfunktion und Lebensqualität) waren inkonsistent (siehe EPAR). In der ersten Studie (3) wurden für FEV1, Asthma Control Questionnaire (ACQ; 5-teiliger Fragebogen zu Asthmakontrolle und Therapiebedarf) und Asthma Quality of Life Questionnaire (AQLQ; 32-teiliger Fragebogen zu asthmabezogenen Symptomen, psychischer Beeinträchtigung und Umweltfaktoren) keine signifikanten Resultate erhalten, in zwei anderen Studien (4,5) zumindest signifikante Daten für FEV1 und den St. George’s Respiratory Questionnaire (SGRQ; 16-teiliger Fragebogen zur Asthmakontrolle und Lebensqualität). 

In der dritten, allerdings sehr kleinen (n=195) Zulassungsstudie (5) wurde der Einfluss von Mepolizumab auf den oralen Corticosteroidverbrauch getestet. Dieser wurde insgesamt um 50% gesenkt; in der Placebogruppe kam es zu keiner Reduktion. Ein gänzliches Absetzen der oralen Corticosteroide war aber nur bei 14% in der Mepolizumab-Gruppe (gegenüber 8% unter Placebo: Unterschied nicht signifikant) zu sehen.

Unerwünschte Wirkungen von Mepolizumab umfassen Schmerzen an der Injektionsstelle, Kopf- und Rückenschmerzen sowie Überempfindlichkeitsreaktionen, z.T. erst nach Tagen.

Reslizumab (Cinqaero)

Dieser IL-5-Antikörper erhielt ebenfalls eine europäische Zulassung mit der Indikation „Add-on-Therapie bei Erwachsenen mit schwerem, eosinophilen Asthma, das trotz hochdosierter inhalativer Corticosteroide plus einem weiteren Medikament nicht ausreichend behandelbar ist“. Im Gegensatz zu Mepolizumab wird er intravenös in einer dem Körpergewicht angepassten Dosis von 3 mg/kg alle 4 Wochen verabreicht. In zwei Zulassungsstudien (6) wurden insgesamt 953 PatientInnen mit schwerem Asthma und mindestens einer Exazerbation im vorausgehenden Jahr und mit > 400/µl Eosinophilen im Blut für 12 Monate mit Reslizumab behandelt. Der Primärparameter „Exazerbationen“ wurde durch Reslizumab um 54% reduziert (von 1,81 auf 0,84 pro Jahr). Das FEV1 stieg signifikant um 110 ml. Für den ACQ war kein signifikanter Unterschied gegeben, für den AQLQ-Score zwar eine signifikante Differenz, aber unter 0,5, dem klinisch relevanten Wert.

In einer weiteren Studie (7) über 16 Wochen an 315 PatientInnen mit schlecht kontrollierbarem Asthma mit Bluteosinophilen von > 400/µl, aber nur zum Teil mit   vorhergehenden Exazerbationen (um 50% der Gruppen), bewirkte Reslizumab eine Erhöhung des FEV1 um 115 ml, für den AQLQ-Score wurde eine signifikante Verbesserung gefunden (aber weniger als 0,5, somit nicht klinisch relevant), für den ACQ war der Unterschied nicht signifikant. Eine weitere Studie (8) zeigte, dass bei PatientInnen mit Eosinophilen < 400/µl diese funktionellen Verbesserungen nicht zu beobachten waren.

Nebenwirkungen: Anaphylaktische Reaktionen traten bei 0,3% der Verabreichungen auf, weitere häufige, unerwünschte Wirkungen waren Myalgien und Erhöhung der CPK. Bemerkenswert war ein vermehrtes Auftreten von Tumoren (0,6% gegenüber 0,3% bei Placebo: „A drug-related causality is considered unlikely but will be considered in future studies“; siehe EPAR).

Zwei Metaanalysen von 10 bzw. 12 Studien erbrachten keinen Wirkunterschied zwischen Mepolizumab, Reslizumab und dem IL-5-Rezeptor-Antagonisten Benralizumab, der in Österreich noch nicht zugelassen ist (9,10). Eine Senkung der Exazerbationen um 40 – 50% fand sich in allen Studien, das FEV1 stieg nur gering, gerade noch signifikant, der AQLQ-Score war im Durchschnitt verbessert, aber weniger als 0,5 (MCID: minimal clinically important difference), und dies gilt auch für den ACQ-Score.

Zusammenfassend stehen mit Mepolizumab und Reslizumab zwei neue Medikamente gegen schweres Asthma bronchiale mit erhöhter Eosinophilenzahl im peripheren Blut zur Verfügung. Die PatientInnenpopulationen, bei denen die besten Ergebnisse zu erzielen sind (genaues Ausmaß der Bluteosinophilie; Zahl der Exazerbationen vor Therapiebeginn; Atopiestatus; Alter), müssen noch besser definiert werden, da die Zulassungsstudien ein uneinheitliches Design aufwiesen. Die Studien belegen eine deutliche (ca. 50%) Senkung von Exazerbationen, die Wirkungen auf die Lungenfunktion sind gering und inkonsistent. Eine geringe Wirkung (ca. + 100 ml) auf das FEV1 ist gegeben, die ACQ- und AQLQ-Scores verbessern sich, wenn überhaupt, nur um ein klinisch nicht relevantes Ausmaß. Am ehesten profitieren PatientInnen mit mehr als 3 Exazerbationen/Jahr und höheren (> 400-500/µl) Bluteosinophilen. Die optimale Dauer der Verabreichung ist unbekannt („lebenslang?“), daher sollte in regelmäßigen Abständen, z.B. jährlich, die Indikation in jedem Einzelfall re-evaluiert werden. Wie immer bei neuen (und teuren) Präparaten, deren Nebenwirkungsprofil und Langzeiteffekte noch nicht ausreichend bekannt sind, ist die Indikation streng nach den gültigen Zulassungsrichtlinien zu stellen und die PatientInnenaufklärung besonders ausführlich zu gestalten.

Update Omalizumab (Xolair)

Für schweres, Atopie-assoziiertes Asthma bronchiale mit hohem Gesamt-IgE im Serum und Sensibilisierung gegen perenniale Allergene ist der Anti-IgE-Antikörper Omalizumab (Xolair) schon seit längerem zugelassen (siehe Pharmainfo XXI/4/2006). In der Zwischenzeit ist eine Cochrane-Analyse (10a) erschienen, in der 25 Studien mit PatientInnen mit leichtem bis schwerem Asthma unter Omalizumab-Therapie analysiert wurden. Im Durchschnitt reduzierte diese Substanz Exazerbationen von 26 pro 100 Personen auf 16. Für PatientInnen mit schwerem Asthma (für die die Zulassung erfolgte) wurde allerdings keine Reduktion erzielt („evidence for efficacy in this group is poor“). Hospitalisierung wurde von 3% auf 0,5% gesenkt. Unter Omalizumab kam es zu einer Reduktion von Cortisoninhalationen mit völligem Absetzen bei 40 von 100 versus 20 von 100 PatientInnen in der Placebogruppe, für ein Absetzen der oralen Therapie wurde kein signifikantes Resultat erhalten.

Für die Lungenfunktion (FEV1) wurde nur eine geringe Verbesserung erzielt („but very modest improvements“). Für den AQLQ-Parameter wurde kein klinisch relevantes Ergebnis erhalten.

Zur Frage (siehe Pharmainfo XXI/4/2006), ob die Anwendung von Omalizumab mit einer erhöhten Inzidenz von Tumoren einhergehen könnte, wurde inzwischen eine fünfjährige Beobachtungsstudie durchgeführt (11), wobei kein erhöhtes Tumorrisiko unter Omalizumab im Vergleich zu anderen Asthmatherapien gefunden wurde. Das Studiendesign wurde jedoch kritisiert (12), da PatientInnen mit Tumoren in der Vorgeschichte ausgeschlossen wurden, die Beobachtungsphase der Studie bei einem Teil der PatientInnen unter schon laufender Omalizumab-Therapie begann und die Drop-out-Rate sowohl in der Omalizumab-Gruppe (43,5%) als auch in der Vergleichsgruppe (35,2%) sehr hoch war.

Auch für kardiovaskuläre Risiken ist die Datenlage nicht klar. In einer Metaanalyse von 25 Studien (13) wurde unter Omalizumab keine erhöhte Frequenz von arteriellen thromboembolischen Ereignissen (einschließlich kardiovaskulärer Mortalität, Herzinfarkte und Schlaganfälle) gefunden, wobei allerdings die geringen Fallzahlen keine verlässlichen Schlüsse erlaubten. In einer Beobachtungsstudie (14) über 5 Jahre war dieser Parameter hingegen erhöht (13,4 per 1.000 Personen/Jahr versus 8,1 in der Kontrollgruppe), möglicherweise, laut AutorInnen, bedingt durch eine höhere Zahl von PatientInnen mit schwerem Asthma in der Omalizumab-Gruppe.

Der Einsatz von Omalizumab bei intrinsischem Asthma mit hohem Gesamt-IgE, bei allergischer Rhinitis, allergischer bronchopulmonaler Aspergillose, vor Hyposensibilisierung oder zeitlich beschränkt während der Pollensaison entspricht einer off-label-Anwendung; die Zulassung wurde trotz günstiger Erfahrungen bei den oben genannten (experimentellen) Einsatzgebieten bislang nicht geändert. Für andere Anti-IgE-Antikörper (Quilizumab, Ligelizumab) wurde kein klinisch relevanter Benefit gefunden, eine Zulassung dieser Substanzen für den klinischen Einsatz ist nicht geplant.

Zusammenfassung

Wir haben 2006 (Pharmainfo XXI/4) berichtet, dass Omalizumab in der Zulassung „sehr kritisch bewertet“ wurde – mit der Folge einer sehr eingeschränkten Indikation. Mehr als 10 Jahre später zeigt die obige Diskussion, dass für diese Substanz die Datenlage nicht optimal ist. Wir haben damals festgestellt „die strenge Indikation ist einzuhalten und diese Substanz ist nur für sehr wenige PatientInnen zu verwenden“. Dies gilt heute noch immer.

Vergleich der beiden Substanzgruppen

Bei schwerem, allergischen Asthma mit hohem Gesamt-IgE und Bluteosinophilie kämen grundsätzlich sowohl der Anti-IgE-Antikörper Omalizumab als auch die oben diskutierten IL-5-Antikörper in Frage. Die derzeitige Studienlage – es gibt keinen direkten Vergleich zwischen den beiden Wirkprinzipien – erlaubt keine verlässliche Aussage darüber, welcher Substanz in dieser klinischen Situation der Vorzug zu geben wäre (15).

Allerdings sprechen die zitierten Daten für Omalizumab dafür, dass bei PatientInnen mit schwerem Asthma und häufigen Exazerbationen die IL-5-Antikörper diese besser reduzieren.

Literatur
(1)     Chung K.F. et al. Eur Respir J 43,343,2014
(2)     Price D.B. et al. Lancet Respir Med 3,849,2015
(3)     Pavord I.D. et al. Lancet 380,651,2012
(4)     Ortega H.G. et al. NEJM 371,1198,2014
(5)     Bel E.H. et al. NEJM 371,1189,2014
(6)     Castro M. et al. Lancet Respir Med 3,355,2015
(7)     Bjermer L. et al. Chest 150,789,2016
(8)     Corren J. et al. Chest 150,799,2016
(9)     Cabon Y. et al. Clin Exp Allergy 47,129,2017
(10)   Wang F.P. et al. PLoS ONE doi:10.1371,2016
(10a) Walker N.R. et al. Cochrane Review,issue 1,2014
(11)   Long A. et al. J Allergy Clin Immunol 134,560,2014
(12)   Li J. et al. J Allergy Clin Immunol 135,289,2015
(13)   Iribarren C. et al. J All Clin Immunol 139,1678,2017
(14)   Iribarren C. et al. J All Clin Immunol 139,1489,2017
(15)   Papathanassiou E et al. Eur Clin Respir J 3,31813,2016 

Roflumilast (Daxas): neue Studie belegt mangelnden Nutzen als Zusatztherapie bei COPD

Wir haben über diese Substanz mehrfach berichtet (Pharmainfo XXVI/4/2011, XXVII/2/2012, XXVIII/3/2013, XXX/2/2015). Bei der umstrittenen (Mehrheitsentscheidung im CHMP) europäischen Zulassung wurde vor allem kritisiert, dass Roflumilast nur als Zusatztherapie zu Bronchialerweiterern untersucht wurde, aber keine Daten im Vergleich zu inhalativem Cortison bzw. als Zusatz zur etablierten COPD-Therapie bei schwerer Erkrankung, nämlich Bronchodilatatoren plus Cortison, vorlagen.

Hierzu wurden vom CHMP Studien nach Zulassung verlangt. In der React-Studie (1, siehe Pharmainfo XXX/2/2015) wurde dann Roflumilast als Zugabe zu Bronchialerweiterern (ß2-Mimetika und bei einem Teil der PatientInnen auch Anticholinergikum) und Cortison getestet. Der Primärparameter, i.e. moderate und schwere Exazerbationen, war in der Roflumilast-Gruppe um 13,2% niedriger, dies war aber mit der primären Statistik (Poisson regression) nicht signifikant, mit einer zweiten Methode (negative binomial regression) schon. Bei PatientInnen, die auch Anticholinergikum erhielten, war der Effekt mit 11,9% geringer. Wir haben bei dieser Studie bemängelt, dass in der Publikation keine genauen Angaben über die Präparate und Dosen der Basaltherapie enthalten waren (und auch nach Anfragen bei den AutorInnen nicht mitgeteilt wurden). Eine Zusatztherapie kann man natürlich nur seriös bewerten, wenn die Basaltherapie optimal und für alle weitgehend konstant ist. Wie dem auch sei, eine neue Studie ähnlicher Art ist inzwischen publiziert (Respond Study: 2) und gibt nun eine klare Antwort.

In dieser Doppelblindstudie erhielten PatientInnen mit COPD (2-3 Exazerbationen im Jahr vorher) für 52 Wochen Roflumilast (n = 1.178) bzw. Placebo (n = 1.174).

Als Basaltherapie erhielten 65% der PatientInnen Fluticason/Salmeterol (250/50 µg, 1 Inhalation 2x täglich) oder 35% Budesonid/Formoterol (160/4,5 µg, 2 Inhalationen 2x täglich). 47% erhielten auch Tiotropium. Der Primärparameter, i.e. moderate bis schwere Exazerbationen pro Jahr wurde durch Roflumilast nicht verändert (RR 0,92; CI 0,81 – 1,04), es trat auch kein Unterschied in der Zeit bis zur ersten Exazerbation auf. Bei PatientInnen, die zusätzlich Tiotropium erhielten, war die RR 0,94 (CI 0,79 – 1,11). FEV1 war unter Roflumilast um 0,053 L signifikant höher, dies ist aber mit ca. 5% des Gesamtvolumens von fraglicher Relevanz.

Aufschlussreich ist eine Analyse der Daten je nach Basaltherapie. In der Fluticason/Salmeterol-Gruppe wurde der Primärparameter um 15% (RR 0,85; CI 0,74 – 0,99) reduziert, in der Budesonid/Formoterol-Gruppe war er sogar numerisch höher (RR 1,05; CI 0,84 – 1,32). Für letztere Kombination entsprach die Dosis der für COPD empfohlenen, für Fluticason/Salmeterol ist die in Europa empfohlene Dosis 500/50 µg, 2x täglich und nicht wie in dieser Studie nur 250/50 µg 2x täglich. Dies spricht dafür, dass für die PatientInnen dieser Gruppe die Cortisondosis nicht optimal war. Tatsächlich führte nur bei dieser Gruppe Roflumilast zu einer Reduktion der Exazerbationen, aber nicht in der Budesonid/Formoterol-Gruppe, in der die optimale Cortisondosis offensichtlich keinen zusätzlichen Effekt von Roflumilast mehr erlaubte.

Als Nebenwirkungen standen in dieser Studie, wie bereits bekannt, Diarrhoen und Gewichtsverlust im Vordergrund und führten bei 11,7% der PatientInnen (5,4% in Placebogruppe) zu Studienabbruch. Eine Nebenwirkung, die gerade bei COPD-PatientInnen, die zu Gewichtsverlusten neigen, problematisch ist.

In der Roflumilast-Gruppe kam es zu einem Suizid („considered treatment related by the investigator“: 2). Wir haben bereits berichtet (Pharmainfo XXVIII/3/2013), dass die englischen Behörden vor Suizidtendenzen bei Roflumilast gewarnt haben.

Zusammenfassung

Aufgrund der Respond-Studie dürfte nun klargestellt sein, dass Roflumilast bei Zugabe zu einer optimal dosierten Kombinationstherapie (ein oder zwei Bronchialerweiterer + Cortison) bei COPD-PatientInnen keinen zusätzlichen Nutzen (insbesondere Reduktion der Exazerbationen) bringt. Zusätzlich ist Roflumilast durch relevante Nebenwirkungen (Diarrhoen, Gewichtsverlust: mehr als 10% bei 7,1% der PatientInnen: siehe Pharmainfo XXVIII/3/2013) und einem Suizidrisiko belastet.

Literatur
(1) Martinez F.J. et al. Lancet 385,857,2015
(2) Martinez J.M. et al. Am J Resp Crit Care Med 194,559,2016

 

Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen

Wir haben berichtet (Pharmainfo XXX/3/2015), dass bei dieser PatientInnengruppe eine antidepressive Wirkung nur für Fluoxetin (Generika, Fluctine) belegt erscheint. Eine umfassende Network-Metaanalyse (Lancet 388, 881, 2016) von 34 Studien mit 5.260 PatientInnen findet bei 14 untersuchten Antidepressiva nur für Fluoxetin eine signifikant von Placebo unterschiedliche Wirkung. Dies unterstützt daher die Sachlage, dass nur dieses Antidepressivum für Kinder und Jugendliche zugelassen ist, wenn eine psychologische Behandlung nicht effektiv ist.

 

Marktrücknahmen

Im Laufe der Jahre sind viele obsolete Kombinationspräparate, die wir kritisiert haben, vom Markt verschwunden. Dies gilt nun auch für die Tranquilizerkombination mit Antidepressiva (siehe Pharmainfo XXVIII/2/2013), schon länger für Limbitrol und seit 2016 für Harmomed (Dosulepin, Diazepam).

Auch die Kälberblutdialysate Solcoseryl und Actovegin sind nun nicht mehr am Markt. Wir haben sie schon vor langem (siehe Pharmainfo XVII/1/2002) als obsolete Präparate kritisiert, die Bezug auf das alte Therapieprinzip „Animalia“ (siehe Ludwig Winkler, Pharmakozoologie, Hdb. der Pharmakognosie, Tauchnitz, Leipzig, 1931) nahmen.

Die erfolgreichen Bemühungen der Arzneimittelagentur in der AGES, obsolete Pharmaka vom Markt zu bringen, sind anzuerkennen.

 

 

Vitamin D-Kontroverse: a further comment

Wir haben über dieses Thema vor 3 Jahren (siehe Pharmainfo XXIX/4/2014) referiert, aus einem rezenten Artikel („Should adults take vitamin D supplements to prevent disease?“) mit AutorInnen aus Schottland und Neuseeland sei im Vergleich dazu zitiert (1).

Wir haben festgestellt, dass „laut randomisierten Studien Vitamin D Supplementierung ohne positiven Effekt bei kardiovaskulären und zerebralen (z.B. Multiple Sklerose, Abnahme kognitiver Fähigkeiten) Erkrankungen bei Diabetes, Infektionen und Krebs ist“.

Hierzu (1): „We can be reasonable certain that for the most common or important conditions (e.g. cardiovascular disease, cancer and Diabetes) these results (randomized studies) exclude beneficial effects of vitamin D supplementation”.

Wir haben festgestellt, dass “rezente Metaanalysen keinen signifikanten Effekt von Vitamin D zur Verhütung von Knochenbrüchen fanden” und “dass nur bei Personen mit höherem Risiko, das sind z.B. HeimbewohnerInnen mit meist niedrigen Vitamin D-Blutspiegeln, ein signifikanter Effekt zu beobachten war“.

Hierzu (1): „Meta-analysis report that co-administered Vitamin D and calcium prevented fractures in two trials of severely Vitamin D deficient (mean baseline 25-hydroxy-vitamin D 20 nmol/l, 8 ng/ml), frail and elderly women in residential care, but not in seven trials of community dwelling older people”.

Wir haben festgestellt: “Die neuesten Analysen zeigen keinen Nutzen von Vitamin D bei den zahlreichen propagierten Erkrankungen. Nur bei Personen mit einem hohen Risiko für einen Mangel ist eine prophylaktische Gabe zweckmäßig“.

Hierzu (1):Current evidence does not support Vitamin D supplementation to prevent disease. High risk individuals should be offered low dose vitamin D of 400 – 800 IU/day (to prevent fall of 25-hydroxy-vitamin D levels in blood below 25 nmol/l (10 ng/ml)”.

Diese Schlussfolgerungen entsprechen auch den neuesten, sehr ausführlichen (289 Seiten) Empfehlungen des englischen Scientific Advisory Committee of Nutrition (SACN, Vitamin D and health, report 2016, im Internet abrufbar): „The serum 25(OH)D concentration in the UK should not fall below 25 nmol/l (10 ng/ml) at any time of the year. Population groups at increased risk of having a 25(OH)D <25 nmol/l are those with minimal sunshine exposure as a result of not spending time outdoors (e.g. frail and institutionalized people) and those from minority ethnic groups with dark skin”.

In einer rezenten (2) Europa-weiten Studie (n = 55.844) wurden bei 13% der Population 25(OH)D-Blutspiegel von <30 nmol/l gefunden (<50 nmol/l bei 40,4%). Für den oben zitierten Blutspiegel von 25 nmol/l dürfte der Prozentsatz noch niedriger liegen.

Fazit: Alle Daten bestätigen, dass keine breitgestreute oder gar generelle Vitamin D-Prophylaxe notwendig ist, sondern eine gezielte Gabe bei Personen mit hohem Mangelrisiko. Dabei sollte auch eine ausreichende Versorgung mit Kalzium (am besten durch entsprechende Ernährung) sichergestellt sein.

Literatur
(1) Bolland M.J. et al. BMJ 355,c6201,2016
(2) Cashman K.D. et al. Am J Clin Nutr 103,1033,2016

 

 

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Montag, 12. Juni 2017

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