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Alternative Testverfahren für gefährliche Chemikalien

REACH, 3R, ECOPA, EVCAM, und EU – wer sich mit der Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe befasst, stößt auf viele Abkürzungen. Dahinter verbergen sich ein Gesetzesvorschlag und ein Netzwerk von Experten, die alternative Methoden zum Testen von Chemikalien suchen und evaluieren. Innsbrucks Beitrag sind die von Prof. Walter Pfaller und seinem Team entwickelten Perfusionskulturen.

Großer Informationsmangel herrscht bezüglich der Wirkung von vielen Tausenden von "Alt-Chemikalien" (Chemikalien, die vor 1982 mit mehr als einer Tonne in den Handel gebracht wurden), die in großen Mengen in verschiedenen Industriezweigen als Vorprodukte verwendet werden und in Konsumgütern enthalten sein können. Nur wenige davon wurden systematisch auf mögliche schädliche Nebenwirkungen getestet und die Ergebnisse der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Über viele Stoffe weiß man noch nicht genug, um abschätzen zu können, ob sie dem menschlichen Organismus oder der Umwelt Schaden zufügen können. Mit dieser Situation soll nun ein Gesetz aufräumen, das EU-weit etwa 40 bestehende Gesetze zu chemischen Stoffen ablösen wird. Unter dem Kürzel REACH hat die Europäische Kommission einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, der wahrscheinlich ab 2006 in den EU-Ländern umgesetzt wird. REACH steht für Registration, Evaluation, Authorization and Restriction of Chemicals und soll für alle in Verwendung stehenden und neuen Chemikalien mit mehr als einer Tonne Handelsvolumen gelten. Die in REACH vorgesehenen Tests sollen Klarheit darüber schaffen, welche Stoffe für Mensch und/oder Umwelt gefährlich sind. Das heißt aber auch, dass in den nächsten Jahren eine riesige Anzahl von Tests, besonders auch Toxizitätstests, durchgeführt werden müssen. Hier kommen die 3R ins Spiel (EU-Richtlinie 609/86 EWG). Sie beziehen sich auf die in diesem Bereich üblichen Tierversuche und benennen drei Ziele: Reduction, Refinement und Replacement, also Versuche an weniger Tieren durch besseres Studiendesign, bessere Tierhaltung in den durchgeführten Tierversuchen und Ersatz der Tierversuche durch alternative Testverfahren. Ein solches Verfahren sind die an der Innsbrucker Sektion für Physiologie im Labor von Prof. Walter Pfaller entwickelten Perfusionskulturen, die helfen sollen, die besonders aufwendigen chronischen Toxizitätsstudien an Versuchtieren zu ersetzen. Prof. Pfaller engagiert sich in mehreren einschlägigen Gremien, so etwa als wissenschaftlicher Vorstand im ZET, dem Zentrum für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen, einer österreichischen NGO, in der Tierschutz, akademische Forschung, Behörden und Industrie zusammenarbeiten. International vernetzt sind derartige Organisationen in der ECOPA, zu deren Gründungsmitgliedern das ZET zählt. Validiert und auf ihre Machbarkeit überprüft werden die neu entwickelten alternativen Methoden durch EVCAM, eine EU-Forschungseinrichtung, die den Auftrag hat, als Koordinations- und Sammelstelle für Informationen aus der Forschung zu fungieren und den Dialog mit Behörden, Industrie, Konsumenten- und Tierschutzorganisationen zu suchen und aufrecht zu erhalten.

Lebensnahe Modelle

„Perfusion“ bedeutet „Durchströmen“ und bezeichnet den Hauptunterschied zwischen dieser Art von Zellkulturen und herkömmlichen, statischen Kulturen. Bei der herkömmlichen Art werden ausgewählte Zellen in Nährlösung entweder in einer Plastik-Petrischale oder einer speziellen Flasche kultiviert. Bei Perfusionskulturen werden Nährstoffe kontinuierlich zu- und Stoffwechselendprodukte kontinuierlich abtransportiert. Diese Form der Zellkultur gewährleistet ein Mikromilieu für Zellen, wie es sich ansonsten nur im intakten Organismus findet. Es werden organotypische Kulturbedingungen erzeugt. Zellen lassen sich wesentlich länger in Kultur erhalten, sie sind besser "differenziert", d.h. sie entsprechen in Struktur und Funktion viel eher den körpereigenen Ursprungszellen wie unter konventionellen, statischen Kulturbedingungen in Petrischalen oder Kulturflaschen. Weiters können leicht einfache, organähnliche Systeme durch Ko-kultivieren verschiedener Zelltypen erzeugt werden. Im Rahmen toxikologischer Tests lassen sich bezüglich Wirkstoffverteilung und Zeitverläufen in vitro Bedingungen erzeugen, wie sie sich sonst nur im Versuchstier oder im Menschen finden. Dieses neuartige, von Prof. Pfaller patentierte, Kulturtechnik lässt sich insbesondere für Zellsysteme einsetzen, die Barrieren zwischen verschieden zusammengesetzten Flüssigkeitsräumen aufbauen (Epithel- und Endothelzellen) oder eine Grenzschicht zur umgebenden Atmosphäre aufbauen (Haut und Atemwegsepithel).

Freier Blick auf einzelne Mechanismen

Diese neuartige Zellkulturtechnik wird laufend verfeinert und soll helfen, Wirk- und Schädigungsmechanismen an einfachen Modellen lebenswichtiger Organsysteme erkennen und verstehen zu lernen. Die Möglichkeit, mittels Perfusionsbedingungen Zellkulturen über lange Zeit stabil erhalten zu können, soll insbesondere dazu dienen, geeignete in vitro Alternativen zu den sehr aufwendigen, teuren und nur bedingt aussagekräftigen Tiermodellen zur Prüfung "chronischer Toxizität" zu entwickeln. Speziell diese Aktivitäten der Arbeitsgruppe um Prof. Pfaller werden vom Wissenschaftsministerium sowie dem Europäischen Zentrum zur Validierung Alternativer Methoden (ECVAM) durch Auftragsforschungsprojekte gefördert. Prof. Pfallers Forschungsprojekte auf dem Gebiet von Alternativmethoden (EU-Projekte im 6. Rahmenprogramm, Predictomics und Pulmonet) sind in ein internationales Netzwerk eingebettet, an dem die Universitäten Dublin, Leiden, Konstanz, Ulm, Paris, Madrid, Valencia und die Firmen Novartis, Johnson und Johnson sowie einige kleinere Firmen aus dem Gebiet der molekularbiologischen Diagnostik und der in vitro Toxizitätsprüfung beteiligt sind.