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Inhalt

 

In Diskussion: Triazolam (Halcion)

In der Pharmainfo V/3/1990 hatten wir für diese Substanz u. a. festgestellt: "Auf jeden Fall wurden aufgrund solcher Nebenwirkungen (Angstzustände, Verwirrtheit, Depression und anterograde Amnesie) die 0,5-mg Tabletten von Halcion vom Markt genommen, die obgenannten Probleme sprechen aber auch für eine zurückhaltende Verwendung, wenn überhaupt, von 0,25-mg-Halcion-Tabletten." Inzwischen ist deutlich geworden, daß auch bei niedrigen Dosen schwerwiegende zentralnervöse Nebenwirkungen auftreten. Es stehen Vorwürfe im Raum, daß bereits in den ersten Studien für diese Substanz schwere Nebenwirkungen zu beobachten waren, aber dies in den Unterlagen nicht genügend klar wurde. Auf jeden Fall wurde das Präparat in England bereits verboten, in Deutschland ein Ruhen der Zulassung angeordnet, während in den USA noch keine Entscheidung erfolgt ist. Noch immer nicht klar ist, ob diesen Nebenwirkungen dieses speziellen Benzodiazepins die chemische Struktur (eine ähnliche hat auch Alprazolam: Xanor) oder die sehr kurze Halbwertszeit (2) zugrundeliegt, oder ob chemische Struktur und kurze Halbwertszeit zusammen verantwortlich sind. Dies würde erklären, daß für Alprazolam mit längerer HWZ vergleichbar schwere Probleme offensichtlich nicht, oder zumindest bis jetzt nicht, berichtet wurden. Es standen immer Alternativen für Halcion zur Verfügung, wir können daher die damalige Empfehlung "...einer zurückhaltenden Verwendung von Halcion, wenn überhaupt" nur wiederholen.

Literatur:
(1) Arzneitelegramm 1991, S. 86
(2) Clin. Pharmacocin. 8, 233, 1983

 

Neu registriert: Triazol - Antimykotika

In der Pharmainfo IV/1/989 hatten wir das oral einsetzbare Imidazolpräparat Ketoconazol (Nizoral) besprochen und festgestellt: Aufgrund der seltenen, aber gefährlichen Leberschädigungen ist Nizoral kein Medikament für banale Pilzinfektionen, und dementsprechend hatten wir vor einem breiten, kritiklosen Einsatz dieses ersten zur Verfügung stehenden oralen breit wirksamen Antimykotikums abgeraten. In der Zwischenzeit hat sich bestätigt, daß insbesondere die längere Behandlung im oberen Dosisbereich mit ernsten Nebenwirkungen einhergehen kann (Hemmung der Steroidsynthese mit Senkung des Cortisol- und Testosteronspiegels, Hepatotoxizität).Die breite Anwendung von Ketoconazol- z. B. zur Behandlung von Onychomykosen - ist heute nicht mehr zu vertreten. (1). Zur Behandlung von Systemmykosen, chronisch-mukokutaner Candidiasis und den seltenen Fällen massiver, trotz fachgerechter Lokaltherapie rezidivierender Pityriasis versicolor wird Ketoconazol wahrscheinlich in Zukunft durch Substanzen aus der Gruppe der Triazole abgelöst werden. Triazole entstanden durch N-Substitution der Imidazole und sind eine neue antimykotische Substanzklasse mit stark verbessertem Wirkungs-/Nebenwirkungsverhältnis. Triazole wirken selektiver als Ketoconazol, sie hemmen zwar die Ergosterolsynthese der Pilze, aber kaum die Steroidsynthese der Patienten. Zwei Substanzen dieser Klasse sind derzeit in Österreich zugelassen: Itraconazol (Sporanox)und Fluconazol (Diflucan).

 

Itraconazol (Sporanox)

Die Substanz ist lipophil, und die Einnahme mit bzw. nach Mahlzeiten erhöht daher die Resorption wesentlich. Hypo- oder Anazidität (H2-Blocker!) verringert die Absorption (1). Infolge der Lipophilie verlagert sich die Substanz stark ins Gewebe, und dies bewirkt eine lange Halbwertszeit (20 bis 30 Stunden) trotz extensiver Metabolisierung in der Leber. Niereninsuffizienz, Hämo- sowie Peridonealdialyse ändern die Pharmakokinetik kaum. Die Spiegel im Harn in der Zerebrospinal-flüssigkeit sind niedrig. Itraconazol hat eine stärkere antifungale Wirksamkeit als Ketoconazol und scheint auch gegen Aspergillus wirksam. Itraconazol ist bei diversen Systemmykosen (z. B. Histoplasmose, Paracoccidioidomykose, Sporotrichose, Aspergillose) effektiv (1, 2, 2a), und überdies ist es für die Behandlung von Haut- und Schleimhautmykosen und der Pityriasis versicolor zugelassen. Bei diesen nicht-invasiven Mykosen sollte aber der Einsatz von Itraconazol trotz der anscheinend weit geringeren Gefahr von Nebenwirkungen wie bei Ketoconazol kritisch und überlegt erfolgen. Für Candidamykosen (Erreger: Sproßpilze) gilt das Gleiche wie das unten für Fluconazol Gesagte. Bei Pityriasis versicolor steht die Lokaltherapie im Vordergrund, bei Dermatomykosen (Erreger: Dermatophyten bzw. Fadenpilze) ist Griseofulvin (Fulcin, Griseomed, Grisovin) Mittel erster Wahl, für diese Fälle stellt Itraconazol ein Reservetherapeuticum dar. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Nausea und Kopfschmerzen. Soweit absehbar, ist die Hepatotoxizität geringer (2a) als die von Ketoconazol, eine Kombination mit leberschädigenden Medikamenten sollte aber vermieden werden. Es muß überdies betont werden, daß aufgrund der zum jetzigen Zeitpunkt vergleichsweise geringen Erfahrung sich die Risiken noch nicht endgültig abschätzen lassen. Bei den bislang verwendeten Dosen trat kein Effekt auf Serumspiegel von Testosteron oder Cortisol auf.

 

Fluconazol (Diflucan)

Dieses floursubstituierte Bis-Triazol zeigt stark von Ketoconazol und auch von Itraconazol abweichende phamakologische Eigenschaften (3). Fluconazol ist als orale und als intravenöse Präparation erhältlich. Die Substanz wird nach oraler Gabe - auch bei Hypacidität - fast zu 100 % resorbiert, so daß orale und i. v. Gabe als äquivalent angesehen werden können. Fluconazol ist nur zu 11 % an Serumproteine gebunden und verteilt sich in allen Geweben. In der Zerebrospinalflüssigkeit werden 70 % der Serumspiegel erreicht (vgl. Ketoconazol ca. 10 %, Itraconazol 20 bis 40 %), daher ist die Substanz auch bei Kryptokokken-Meningitis effektiv (siehe unten). Fluconazol wird fast nicht metabolisiert und größtenteils unverändert über die Nieren ausgeschieden, wodurch einerseits im Harn therapeutisch wirksame Spiegel erreicht werden, andererseits aber bei Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung angezeigt 
ist. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 25-30 Stunden: Diese lange Halbwertszeit ermöglicht die einmal tägliche Einnahme, bei Auftreten von Nebenwirkungen ist die längere Verweildauer natürlich von Nachteil. Die Wirksamkeit von Fluconazol ist für Candida- und Kryptokokkeninfektionen belegen: Als besonders nützlich hat sich die Substanz bei der Behandlung oropharyngealer und ösophagealer Candidamykosen bei immunsupprimierten Patienten erwiesen. Die endgültige Rolle von Fluconazol (Gabe anstatt Amphotericin B?) zur Behandlung von tiefen und systemischen Candidamykosen muß noch durch weitere klinische Studien geklärt werden. Dies gilt auch für den prophylaktischen Einsatz bei immunsupprimierten Patienten. Fluconazol ist weiters zugelassen zur Therapie chronisch-atropher oraler Candidose bei Prothesenträgern sowie bronchopulmonaler Candidose und stellt hier eine zweckmäßige Therapie dar. Außerdem ist Fluconazol unter dem Warenzeichen Fungata zur Eindosis-Behandlung der vaginalen Candida-Infektion erhältlich. Allerdings kann ein vergleichbarer therapeutischer Effekt kostengünstiger auch mit lokalen Antimykotika erreicht werden (4). Trotz seiner bequemen oralen Anwendungsform sollte daher - auch wegen des noch nicht endgültig abschätzbaren Nebenwirkungspotentials der Triazole - Fluconazol (ebenso wie Itraconazol, siehe oben) für diese Indikation nicht routinemäßig verwendet werden. Es sollte ein Reservetherapeutikum sein, insbesondere für Frauen mit massivem, rezidivierendem vaginalem Soorbefall (siehe hiezu auch Pharmainfo 4,1,1989). Bei AIDS-Patienten mit Kryptokokken-Meningitis müssen weitere Studien klären, ob Fluconazol hier möglicherweise als Primärtherapeutikum (statt Amphotericin B plus Flucytosin) verwendet werden kann. Festzustehen scheint heute bereits, daß Fluconazol für die Rezidivprophylaxe der Kryptokokken-Meningitis Mittel der Wahl ist . Bei Fluconazol wurden Anstiege von Leberenzymen und Hinweise auf Leberschäden (Nekrosen) beobachtet. Eine sorgfältige Überwachung des Patienten ist daher zweckmäßig. Wie für Itraconazol festgestellt, ist eine endgültige Bewertung der Nebenwirkungen derzeit noch nicht möglich. Ergänzend anzuführen ist, daß bei Diflucan bei mehreren AIDS-Patienten, bis jetzt allerdings nur bei diesen, schwere Hautreaktionen (Steven-Johnson-Syndrom bzw. Toxische epidermale Nekrolysis) beobachtet wurden.

Literatur:
(1) J.E. Bennett, in Principles and Practice of Infectious Disease, eds. Mandell, Douglas, Bennett. Churchill Livingstone, 3rd Ed., 1990
(2) Ann. Intern. Med. 112, 108, 1990
(2a) Drugs 37, 310, 1989
(3) Rev. Infect. Dis. 12 (suppl 3), 263, 1990
(4) Drugs 39, 877, 1990

 

Pharmakologie der Raucherentwöhnung

Es sollte heute nicht mehr notwendig sein zu betonen, daß es eine der wichtigsten Maßnahmen der Präventivmedizin ist, die Zahl der Raucher/innen zu reduzieren. In Österreich sterben jedes Jahr ca. 10.000 Menschen an den Folgen des Rauchens: z. B. durch die bis zu 30fache Erhöhung des Lungencarcinomrisikos oder durch die bis zu 10fache Erhöhung des Herzinfarktrisikos bei Personen unter 45 Jahren. Besonders eindrucksvoll ausgedrückt: Jeder fünfte (1) Raucher verstirbt an Lungencarcinom. Andererseits hat die Österreichische Tabakregie beim Staat 1990 14,6 Milliarden Schilling abgeliefert; laut Tagespresse: diese "erfreuliche Umsatzentwicklung stellt das beste Betriebsergebnis aller Zeiten dar". Wirklich ein so erfreuliches Geschäft für Österreich? In den USA haben aufgrund des bekannten Gesundheitsrisikos bereits 40 Mio. Menschen das Rauchen aufgegeben (1). Befragungen ergaben, daß ein wesentlicher Faktor zu diesem Entschluß Beratung durch den Arzt war. Dies legt der ärztlichen Tätigkeit auch in Österreich eine wichtige Verantwortung auf. In den USA gibt es kaum mehr Raucher (1a) unter den Ärzt(inn)en. 
Welchen Beitrag kann die Pharmakologie zum Aufgeben des Rauchens leisten?
 Nachdem jahrzehntelang alle möglichen wirkungslosen Mittelchen und Mixturen angeboten wurden, schien mit der Einführung von Nikotinkaugummi (Nicorette 2 und 4 mg Kaugummi) zum ersten Mal eine wirksame Hilfe zur Raucherentwöhnung gegeben: beim Kauen dieses Präparates wird Nikotin über die Schleimhaut des Mundes resorbiert, und es werden im Blut wirksame Nikotinspiegel erzielt, die aber nicht so schnell wie beim Rauchen einer Zigarette ansteigen und auch eher geringer sind. Beim Aufgeben des Rauchens reduziert der Kaugummi Enzugssymptome wie Irritation, Konzentrationsschwäche, Rastlosigkeit und gesteigerten Hunger. Die psychische Komponente, die "Lust" (craving) auf die Zigarette, wird aber kaum reduziert (2). Offensichtlich ist für die Psyche der wesentlich schnellere Anstieg des Nikotinspiegels beim Zigarettenraucher besonders angenehm. Auf jeden Fall kann aber der Nikotinkaugummi einen gewissen Ersatz für das Rauchen darstellen, und dies ist es ja auch, was man sich von einem Ersatzstoff wünscht. Wie bewährt sich nun diese Alternative für das Rauchen in objektivierbaren Studien? Auch hier sind natürlich wieder Placebostudien (Vergleich mit Kaugummi ohne Nikotin) notwendig: Weiters ist die Dauererfolgsrate (also nach ca. einem Jahr und nicht nach einigen Wochen ) entscheidend. 
Studien, bei denen Raucher im Rahmen von Entwöhnungskliniken zusätzlich zu verschiedenen psychologischen Hilfen noch Nikotinkaugummi erhielten, zeigten recht eindrucksvolle Erfolge. So war bei 3 Studien (460 Personen gesamt) die Erfolgsrate nach einem Jahr bei Placebo 16 bis 21 %, mit Kaugummi aber immerhin 29-47%(2, siehe auch 2a). Leider dürften solche intensive Entwöhnungskuren nur einen geringen Teil der Raucher erfassen, da - zumindest nach amerikanischen Studien - nur wenige Prozent der Raucher bereit sind (3), sich einem solchen Verfahren zu unterziehen. Was bringt nun der Nikotinkaugummi bei Verwendung in der allgemeinen Praxis (siehe auch 2a)? Hier sind die Resultate, wenn keine speziellen Methoden verwendet wurden, nach einem Jahr zwar etwas widersprüchlich, aber letztendlich enttäuschend (3, 6). Eine Studie der letzten Jahr sei besprochen (3): In einer Praxis erhielten 315 Raucher, die das Rauchen aufgeben wollten, eine kurze mündliche und schriftliche Beratung und dann entweder Nikotinkaugummi oder Placebokaugummi. Nach 11 Monaten waren nur 10 % der Verum- und 7 % der Placebogruppe abstinent, nach 6 Monaten war der Unterschied noch besser, nämlich 29 % zu 19 %, was auch typisch für andere Studien ist. Wenn hingegen die Ärzte in der Praxis zusätzlich zu Nikotinkaugummi noch spezielle Nachvisiten durchführten oder eine einfache Gruppentherapie organisierten, waren die Resultate besser (7, 8). So waren bei starken Rauchern (mit Gruppentherapie) nach 2 Jahren mit dem 4-mg-Gummi 33,3 % abstinent, mit 2 mg allerdings nur 6,1 %. Bei mittelstarken Rauchern waren mit 2-mg-Gummi 28,3 % abstinent mit Placobogummi nur 9,4 % (8).
Inzwischen wurde zusätzlich zu Nikotinkaugummi ein transdermales Nikotinsystem (Nicotinell TTS Depotpflaster) registriert, bei dem Nikotin aus einem Hauptpflaster gleichmäßig abgegeben und durch die Haut resorbiert wird. Für dieses Pflaster scheinen klinische Studien zu ähnlichen Resultaten wie bei Kaugummi zu kommen. Nach einem Jahr waren in einer Studie (9) mit dem Pflaster nur 17% abstinent, allerdings mehr als bei der Placebogruppe mit 4 %. Ob weitere Studien diese an sich geringe "Erfolgsrate" bestätigen, wird sich zeigen. Auf jeden Fall kann man auch für das Pflaster schon jetzt feststellen, daß nur in Zusammenhang mit einer intensiven psychologischen Betreuung mit Gruppentherapie wirkliche Erfolge zu erzielen sind. 
Nebenwirkungen des Nikotinkaugummis sind Brennen in Mund und Kehle, Übelkeit, Erbrechen und Aufstoßen (2). Da durch den Kaugummi etwas geringere Blutspiegel (bei 2 mg, bei 4 mg ungefähr gleich) als durch eine Zigarette erreicht werden, sind an sich keine besonderen toxischen Effekte zu erwarten. Kontraindikation für Raucherkaugummi sind Angina pectoris, durchgemachter Herzinfarkt und Schwangerschaft. 
Der Kaugummi sollte nur mit völligem Aufhören des Rauchens gekoppelt sein, da andernfalls sehr hohe Nikotinspiegel im Blut erreicht werden können. Paralleles Trinken von Kaffee oder Cola reduziert die Resorption durch die Mundschleimhaut (5) und macht damit den Kaugummi ineffektiv.
Einige Kurzzeitstudien (2) berichten über einen positiven Effekt von Clonidin (Catapresan: aber nicht für diese Indikation registriert) bei der Raucherentwöhnung. Da aber nur bis zu 6 Wochen getestet wurde und die Daten widersprüchlich sind, kann über eine solche Wirkung dieser Substanz derzeit noch kein abschließendes Urteil gefällt werden.
Zusammenfassend können wir feststellen:
 Mit dem Nikotinkaugummi (und auch -pflaster) ist zum ersten Mal eine pharmakologische Möglichkeit eröffnet worden, zum wichtigen Problem der Raucherentwöhnung beizutragen. Im Rahmen von Raucherentwöhnungsprogrammen, z. B. in Entwöhnungskliniken, wurden höhere Erfolgsraten als mit Placebo erzielt. In der Praxis sind die Effekte widersprüchlich und gegenüber Placebo gering, wenn überhaupt vorhanden, aber zusammen mit zusätzlichen Maßnahmen (einfache Gruppentherapie, intensive Kontrolle der Patienten im Rahmen von fixen Ordinationsbesuchen etc.) dürfte diese Substanz die Erfolgsraten erhöhen. Ein reines Verschreiben ohne diese dürfte nur eine Alibihandlung darstellen. Der praktizierende Arzt kann aber zusammen mit den erwähnten Maßnahmen einen entscheidenden Beitrag zu dieser wichtigsten Aufgabe der Präventivmedizin, nämlich der Reduktion des Rauchens, leisten. Trainigsprogramme für Ärzte (von einigen Ärztekammern durchgeführt) können die notwendige Basis dafür schaffen, daß neben psychologischen Verfahren auch pharmakologische Hilfen bei Raucherentwöhnung erfolgreich sein können.

Literatur:
(1) JAMA 236, 2795 (1990)
(1a) Brit. med. J. 286, 1102 (1983)
(2) Drugs 40, 1 (1990)
(2a) Lancet 1, 27 (1987)
(3) JAMA 261, 1300 (1989)
(4) JAMA 260, 1565 (1988)
(5) JAMA 264, 1560 (1990)
(6) Pharmakritik S 33 (1987)
(7) JAMA 260, 1570 (1988)
(8) NEJ. Med. 318, 15 (1988)
(9) NEJ. Med. 325, 311 (1991)

 

Geriatrica und Nootropica

Wir besprechen dieses Mal noch eine Substanz ausführlicher, bringen für weitere Substanzen aber nur fundierte Meinungen aus anderen Publikationen, da unsere längeren Besprechungen bereits aufgezeigt haben dürften, wo die Problematik bei all diesen Substanzen liegt. Wir konnten für all diese Substanzen keine zusätzlichen Daten finden, die die übernommenen Schlußfolgerungen widerlegen. Das nächste Mal schließen wir diese Substanzgruppen mit einer Besprechung von Nimodipin (Nimotop) und einer Gesamtwertung ab.

 

Pyritinol (Encephabol)

Pyritinol ist eine chemische Verbindung, in der zwei Moleküle des Vitamin B6 durch eine Disulfidbrücke verknüpft sind. Die Substanz besitzt aber keine Vitamin- oder Antivitamin-B-Aktivität. Als Indikationen sind im Austria-Kodex angeführt: zerebrale Abbauerscheinungen infolge Stoffwechsel- und Durchblutungsstörungen des Gehirn, psychische Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen, Zustände nach Schädel-Hirn-Traumen, apoplektischen Insulten, Intoxikationen, Encephalitiden.
Eine Reihe von Tierexperimenten, pharmakologischen Untersuchungen am Menschen sowie klinisch-therapeutischen Studien brachte auf jeder der angeführten Ebenen schwer interpretierbare und widersprüchliche Ergebnisse. Pyritinol verbessert bei Tieren, die von Geburt an mit einer Proteinmangeldiät ernährt worden sind, die Leistung in einem Klettertest und erhöht die exploratorische Aktivität. An Ratten führten Metaboliten des Pyritinol zu einer Freisetzung von radioaktiv markiertem Acetylcholin aus Cortexschnitten (3) und zu einer Erhöhung von Glukoseverbrauch und Cholinaufnahme (4). Auf weitere Beispiele soll verzichtet werden, da die Aufzählung derartiger Befunde mangels einer gesicherten Modellfähigkeit keine Aussagen über eine klinische Wirksamkeit beim Menschen beinhaltet.
Die Studien am Menschen sind - wie so oft für Nootropica - dadurch gekennzeichnet, daß einzelne Parameter positiv verändert werden, andere nicht und daß dies von Studie zu Studie wechselt. Dazu zwei Beispiele: Bei 87 Patienten wurde die Hirndurchblutung nach der Methode von Kety und Schmidt, der cerebrale Verbrauch an Sauerstoff und Glukose sowie die Abgabe von CO2 und Laktat aus dem Gehirn unter Pyritinol gemessen (1). Pyritinol verbesserte nur einen Parameter, und zwar den zuvor gestörten Glukosestoffwechsel. Ein Einfluß auf eine gestörte Hirndurchblutung oder einen pathologisch veränderten cerebralen Sauerstoffverbrauch (O-Aufnahme und Milchsäurestoffwechsel) konnte nicht nachgewiesen werden. In einer anderen Studie (2) wurden mit der intraarteriellen 133-Xenon-Clearance-Methode bei 14 Patienten mit akuter oder subakuter cerebraler Mangeldurchblutung Veränderungen der globalen und regionalen Hirndurchblutung nach i.v.-Gabe von Pyritinol gemessen. In Hirnregionen mit pathologisch verminderter Durchblutung kam es zu einem signifikanten Anstieg der Durchblutung, und zwar sowohl der weißen wie auch der grauen Substanz. In Regionen mit initial normaler Durchblutung kam es nur in der grauen Substanz ebenfalls zu einer Mehrdurchblutung. Eine Reihe von EEG-Untersuchungen wurden unter Pyritinol durchgeführt (5, 6, 7, 8, 8a). Die Befunde wurden insgesamt in Richtung einer Erhöhung des Vigilanzniveaus gedeutet. Damit unterliegen sie aber den wissenschaftstheoretischen und praktischen Unsicherheiten der Messung desselben.
Obwohl nicht einheitlich und nicht unwidersprochen, scheint Pyritinol pharmakologische Wirkungen am Gehirn zu haben. Damit ist aber noch keineswegs ein therapeutischer, nootroper Effekt, der eine klinische Anwendung rechtfertigen würde, gesichert. Klinische Studien sind diesbezüglich entscheidend. Wegen methodischer Unterschiede und inhomogenen Patienenkollektiven sind sie schwer vergleichbar. Häufig sind keine Details über Validierung, Sensitivität und Verläßlichkeit der verwendeten Testmethoden angegeben. Auch die verwendeten statistischen Methoden waren nicht immer überprüfbar.
Einige doppelblinde und placebokontrollierte klinische Studien untersuchten die Wirksamkeit an geriatrischen Patienten mit einem hirnorganischem Psychosyndrom (9, 10, 11, 12, 13). Aufgrund methodischer Unzulänglichkeiten sind die Studien oft nicht auswertbar: So hat z. B. in einer Studie die Pyritinol-Gruppe deutlich bessere Ausgangswerte (9), oder es waren nur einzelne (zufällig?) Parameter verbessert (z. B. 2 von 12: siehe 10), oder es wurde keine durchgehende Randomisierung (12) vorgenommen. Auf jeden Fall war bei allen Untersuchungen der Placebo-Effekt sehr ausgeprägt. Eine Wirkung von Pyritinol zeigte sich vor allem in der Globaleinschätzung. Verbesserungen betrafen eher psychische Funktionen, weniger neurologische Ausfälle. Ein einheitlicher Trend in allen verwendeten Tests war nicht feststellbar, psychometrisch validierbare Besserungen, die ähnlich auch unter Placebo zu beobachten waren, ergaben sich immer nur in einzelnen Tests. In einer neueren Studie (14) wurden 107 geriatrische Patienten placebokontrolliert, randomisiert zugeordnet und doppelblind untersucht. In der Beurteilungsskala durch die Ärzte und Schwestern war kein Effekt zu beobachten. Bei einer Testskala für geriatrische Patienten war nur ein Wert nach 14 Wochen besser (kein Unterschied nach 8 und 11 Wochen).
Insgesamt genügen die klinischen Untersuchungen nicht, um einen therapeutischen Effekt von Pyritinol bei organischem Psychosyndrom zu belegen. Kontrollierte Studien mit sorgfältig ausgewählten Patientengruppen wären notwendig (15).
Einige Arbeiten (16, 16a) beschäftigen sich auch mit dem Einfluß von Pyritinol auf Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma. In einer Arbeit (16) wurden 68 Patienten im posttraumatischen Koma untersucht. Während des komatösen Zustandes erhielten die Patienten eine Pyritinol-Präparation intravenös verabreicht. Die behandelten Patienten wurden mit einer Kontrollgruppe verglichen. In der Behandlungsgruppe starben 35,3 % der Patienten, in der Kontrollgruppe 54,2 %. Die Autoren halten dies für eine Pyritinolwirkung, haben aber keine Erklärungsmöglichkeit. Es wurde allerdings keine Randomisierung vorgenommen und auch keine Placebogruppe als Vergleich einbezogen. In einer anderen Studie (16a) waren nach 4 Wochen 63 % der Patienten unter Pyritinol versus 51 % nach Placebo gebessert. In beiden Studien wird über allergische Hautreaktionen berichtet;in einer sogar von einem "extrem hohen Vorkommen solcher" (16).
Weitere Nebenwirkungen sind Schlafstörungen bis hin zu Agitiertheit, Störungen der Geschmacksempfindungen, Leberschäden und Dehydrierung. Ob schwerere Nebenwirkungen nur bei der Verwendung von Pyritinol bei Rheumakranken auftreten, ist umstritten (17).
In den Niederlanden wurde Encephabol auf jeden Fall aus dem Handel gezogen (17).
Zusammenfassung: Die nootrope Wirkung von Pyritinol ist nicht in methodisch unangreifbarer Weise belegt. Überdies besteht die Möglichkeit des Auftretens erster Nebenwirkungen. Die Entscheidung über den therapeutischen Einsatz dürfte daher leicht fallen.

Literatur:
(1) Arzneim. Forschung/Drug Res. 27, 689 (1977)
(2) Münchn. Med. Wschr. 120, 26 (1978)
(3 Pharmakopsychiat. 21, 33 (1988)
(4) Pharmakopsychiat. 21, 26 (1988)
(5) Activ. Nerv. Sup. (Praha) 15, 121 (1973)
(6) Neuropsychopharmakol. 12, 155 (1979)
(7) Psychiatrie 72, 14 (1976)
(8) Meth. Find. Exptl. Clin. Pharmacol. 9, 385 (1987)
(9) Pharmatherapeutica 2, 317 (1980)
(10) Med. Welt 30, 494 (1979)
(11) Pharmacotherapeutica 1, 398 (1977)
(12) Therapiewoche 30, 1126 (1980)
(13) J. Int. Med. Res. 8, 118 (1980)
(13a) Ärztliche Praxis 1977, 3959
(14) Pharmakopsychiat. 19, 383 (1986)
(15) AMI-Hefte 1/1986
(16) J. Neurosurg. Sci. 24, 1 (1980)
(16a) J. Int. Med. Res. 9, 215 (1989)
(17) Arzneimitteltelegramm 11, 99 (1987)

 

Ginkgoextrakte (Tebonin-Ampullen, Teboninretard-Dragees)

Dieser Extrakt aus den Blättern des Ginkgobaumes ist in Österreich für folgende Indikationen zugelassen: periphere arterielle Durchblutungsstörungen, cerebrale Mangeldurchblutung.
In der BRD wurden im Jahre 1988 5,2 Mio. Verordnungen im Wert von 377 Mio. DM getätigt (1). Gibt es klinische Studien, die eine Wirkung dieser vielfach verschriebenen Substanz beweisen? In einer ausführlich dokumentierten und kritischen Analyse haben Schönhöfer und Mitarbeiter (2) die vorliegenden klinischen Studien analysiert. Aus ihrer Arbeit seien die wesentlichen Schlußfolgerungen zitiert, da sie ein klares Urteil erlauben: "Keine der klinischen Studien (über Extrakte des Ginkgobaumes) erreicht von Design, Planung, Durchführung und Auswertung her die Qualität, die eine klinische Studie erfüllen muß, um als Wirkungsnachweis anerkannt zu werden. Auch die präklinischen pharmakologischen Untersuchungen ermöglichen keinen Rückschluß auf mögliche therapeutische Wirkungen und verfehlen das Ziel, einen möglichen Wirkungsmechanismus anzudeuten oder gar plausibel zu machen. Aufgrund der Auswertung und Beurteilung von 23 praktischen und 25 klinischen Studien lassen sich aber keine wissenschaftlich begründeten Belege für eine Wirksamkeit bei Hirnleistungsstörungen im Alter und bei der peripheren arteriellen Verschlußerkrankung auffinden." Nebenwirkungen sind nicht dokumentiert. Die in diesen Extrakten enthaltenen Flavonoide sind allerdings immunogene Substanzen, so daß Reaktionen nicht auszuschließen sind (2).

Literatur:
(1) Lancet II, 1513 (1989)
(2 ) Intern. Praxis 29, 585 (1989)

 

Naftidrofuryl (Dusodril)

Diese Substanz soll u. a. die Durchblutung und Ernährungslage im Gehirn bessern und einer herabgesetzten Gedächtnisleistung und verminderten Konzentrationsfähigkeit entgegenwirken. Das Drug and Medical Ther. Bulletin stellt fest (Vol. 26, 25, 1988; siehe auch 1): " Die Daten sind nicht ausreichend, um eine kritische Wertung dieser Substanz vorzunehmen. Die Substanz kann bei Patienten mit Demenz nicht empfohlen werden, wenn nicht Resultate vorgelegt werden, daß eine Behandlung zu einer signifikanten Langzeit-Verbesserung der täglichen Aktivitäten führt."

Literatur:
(1) Drugs 26, 44, 1983

 

Vincamin (Aethroma, Cetal Retard)

Das Transparenztelegramm 1990/91, S.471, stellt fest: "Zweifelhaftes Therapieprinzip bei der Behandlung von Stoffwechsel- und Durchblutungsstörungen des Gehirns. Therapeutischer Nutzen bei der beanspruchten Indikation unzureichend belegt. Schlecht dokumentierte Substanz."

 

Intergen

Dieses Präparat enthält Thyreoidea siccata, Cholinbitartrat und Knoblauch. 
Im Austria-Codex heißt es: "Die hier in äußerst günstiger Kombination zusammengefaßten Wirkstoffe erzielen durch ihre entgiftenden und den Zellstoffwechsel aktivierenden Eigenschaften im Organismus eine Umstimmung, die geeignet erscheint, die biologischen Alterungsvorgänge zu mildern." Inwieweit dieser Text ("äußert günstig") als Fachinformation im Austria-Codex vertretbar ist, sei dahingestellt. Die Wirkung bei den Indikationen Alterskrankheiten und Altersschwäche ist nicht belegt. Für Cholingabe stellt das Standardlehrbuch Goodman & Gilman (Pharmacology, 8. Auflage) fest: "In keiner dieser Erkrankungen (Alzheimer etc.) wurde die therapeutische Rolle von Cholin sichergestellt." Viel bedenklicher erscheint die Gabe von Schilddrüsenhormon als Geriatricum. Bei festgestellter (!) Schilddrüsenunterfunktion kann dieses Hormon natürlich als Substitution gegeben werden, als Geriatricum ist dies aber nicht zu vertreten, und mehr als bedenklich wird es, "wenn 2 bis 4 Tabletten (3,6 mg Thyreoidea siccata) täglich genommen werden sollten, aber eine Beobachtung hinsichtlich des Auftretens sympathikotoner Erscheinungen empfohlen wird." Bei Intergen forte (25 mg Thyreoidea siccata) wird dann empfohlen: Besonders bei Übergewichtigen und Patienten, bei denen keine Zeichen einer Sympathikustonussteigerung beobachtet wurde, sollten 2-4 Tabletten forte täglich gegeben werden. Bei alten Menschen, bei denen das Herz oft bereits überlastet und geschädigt ist, kann eine solche "Titrierung" bis zur Toxizität nicht vertreten werden. Eine Verwendung von Thyroxin zur Abmagerung bei Übergewicht ist nicht verantwortbar. Es ist unverständlich, daß ein Geriatricum dieser Zusammensetzung am Arzneimittelmarkt zugelassen ist.

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Mittwoch, 27. November 1996

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