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Neue Erkenntnisse in der Neuropsychopharmakologie

Durch die Verknüpfung von Verhaltensexperimenten mit neurobiochemischen und pharmakologischen Verfahren ist es Forschern um Prof. Christoph Schwarzer vom Institut für Pharmakologie kürzlich gelungen eindeutige Beweise für die angstauslösende Wirkung von Dynorphin - einem endogenen Opioid - zu erbringen. Daraus könnte sich ein neuer therapeutischer Ansatz für die Behandlung neuropsychiatrischer Erkrankungen ergeben.

Neuropsychiatrische Erkrankungen sind eine der großen Herausforderungen der Medizin am Beginn des dritten Jahrtausends. Rund 450 Millionen Menschen leiden weltweit an solchen Störungen, wobei die Anzahl der konstatierten Fälle besonders in Europa hoch ist. Laut Schätzungen der WHO, leiden 100 Millionen von 870 Millionen in der WHO-Europaregion lebenden Menschen mindestens einmal im Leben an Angststörungen oder Depression. Zudem ist bei solchen Erkrankungen die gesellschaftliche Akzeptanz niedrig und damit die Hemmschwelle darüber zu sprechen sehr hoch.

Komplexes Opioidsystem

Angst, Stress und Depression nutzen gemeinsam die Verschaltung von Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde als Signalkette. Für die Regulation dieser Achse spielen weitere Hirnregionen wie etwa die Mandelkerne eine große Rolle. Neben klassischen Transmittern wie Serotonin zählen auch einige Neuropeptide zu den wichtigen Regulatoren unserer Emotionen. Ist die Sachlage für einige, wie Neuropeptid Y oder Corticotropin Releasing Factor, relativ eindeutig, so sind die vorliegenden Daten zum endogenen Opioidsystem recht widersprüchlich. Das liegt vor allem an der Komplexität des Opioidsystems, denn alle körpereigenen Opioide können mit unterschiedlicher Affinität die klassischen Opioidrezeptoren Delta, Kappa und Mu aktivieren. Wichtig für diese Effekte ist nicht nur welcher Rezeptor aktiviert wird, sondern auch, auf welchen Neuronen dieser Rezeptor sitzt. Diese Zusammenhänge machen neuropharmakologische Untersuchungen schwierig.

Eindeutiger Wirkungsnachweis

In Zusammenarbeit mit Prof. Herbert Herzog vom Garvan Institute in Sydney wurden vor einigen Jahren Mäuse generiert, denen eines der endogenen Opioide, nämlich Dynorphin, fehlt. „Mit diesen Mäusen“, so Prof. Schwarzer vom Institut für Pharmakologie, „ist es uns nun gelungen, eindeutige Beweise für die angstauslösende Wirkung von Dynorphin zu erbringen“. Die Daten aus Verhaltensexperimenten, die zum Teil in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Prof. Nicolas Singewald vom Institut für Pharmazie der Leopold Franzens Universität durchgeführt wurden, konnten mit neuropharmakologischen, neurochemischen und metabolischen Daten untermauert werden. Dabei zeigte sich, dass Dynorphin nicht direkt in die Steuerung von Angstverhalten eingreift, sondern vielmehr die Produktion der wichtigen Elemente wie Corticotropin Releasing Factor und Neuropeptid Y, sowie den Corticosteronspiegel im Serum beeinflusst. Diese indirekte Wirkung, vermittelt durch Kappa Opioid Rezeptoren, spiegelt sich auch in der Pharmakologie wider. Kurz nach der Gabe von spezifischen Kappa Rezeptor Antagonisten verhalten sich die Tiere normal. Nach zwei Tagen zeigen sich jedoch Veränderungen im Verhalten, die mit Veränderungen in der Neurochemie (Abnahme des Corticotropin Releasing Factor und Zunahme des Neuropeptid Y) einhergehen. Interessanterweise zeigten sich nur geringe Auswirkungen auf das Stressverhalten der Tiere.

Neue Therapieansätze?

Das endogene Dynorphin-Kappa-Opioid-Rezeptoren-System ist für die Pharmakologen aus mehreren Gesichtspunkten interessant. Schwarzer: „Zum einen unterstützen die gewonnenen Daten die Vermutung, dass die Kappa Rezeptoren für eine der wichtigsten Nebenwirkungen von Opioiden verantwortlich sind, nämlich die Dysphorie, eine affektive Störung, die sich in misslauniger, gereizter Stimmung äußert. Verbesserte Wirkstoffe, die zu einer geringeren Stimulierung von Kappa Rezeptoren führen können also zu einer Verringerung der Nebenwirkungen führen. Zum anderen handelt es sich hier um ein System, das weniger in der akuten Reaktion eine Rolle spielt, als vielmehr die Grundlage für das Angstverhalten beeinflusst“. Aus therapeutischer Sicht scheint eine Modulation der Grundstimmung somit möglich, ohne eine Dämpfung der Reaktionen zu bewirken. Möglicherweise findet sich hier ein neuer therapeutischer Ansatz für die Behandlung neuropsychiatrischer Erkrankungen, der laut Schlussbericht der europäischen WHO Gesundheitsministerkonferenz in Helsinki 2005 (EUR/04/5047810/7; 9 iii) dringend nötig wäre.