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Ethische Konflikte bei der Stammzellenforschung

Das Biochemische Kolloquium an der Medizinischen Universität Innsbruck diente ursprünglich als Diskussionsforum für Spezialthemen der Zellforschung. Die Biochemikerin Prof. Gabriele Werner-Felmayer erweiterte es um den Themenkreis Wissenschaftsethik und lud Prof. Wolfgang Frühwald ein, über ethische Konflikte bei der Stammzellenforschung an menschlichen Embryonen zu sprechen.

Der emeritierte Germanist Prof. Frühwald ist der erste geisteswissenschaftliche Präsident der Alexander von Humboldt Stiftung in Bonn. In den 1990er-Jahren war er Präsident der Deutschen Forschungsgesellschaft. Bekannt ist er für sein Engagement in Fragen der Wissenschaftsethik und Interdisziplinarität. Er beklagt die Beschleunigung der Wissenschaft durch immer größere und schnellere Forschungsschritte und verweist auf den lebenssichernden Vorteil eines tastenden Fortschritts in vielen kleinen, einzeln reflektierten Schritten, denn: Eine irrtumslose Wissenschaft ist undenkbar. Wenn Irrtümer nicht irreversible Folgen nach sich ziehen sollen, muss der Forschungsprozess an die Zeitperspektive des Irrtums angepasst werden. Als Beispiel für einen übereilten Forschungsfortschritt nannte Frühwald die Tatsache, dass die Tierversuche noch nicht abgeschlossen waren, als die Stammzellenforschung am menschlichen Embryo begann. Als Hauptursachen für die Beschleunigung sieht er steigenden Verwertungsdruck und globalen Wettbewerb. Ohne Reflexion der Teilergebnisse bestehe jedoch die Gefahr, dass die Unheilsprognosen der Kritiker eher einträfen als die Heilsversprechen der Befürworter.

Rohmaterial Mensch?

Stammzellen werden aus verschiedenen Substanzen gewonnen, die vor kurzem als medizinischer Abfall galten: aus Blut, Knochenmark, abgesaugtem Körperfett, Milchzähnen, aus Nabelschnurblut und sogar aus dem Fruchtwasser. Ethisch umstritten ist vor allem die „verbrauchende“ Stammzellenforschung an der menschlichen Eizelle in den ersten 14 Tagen nach der Befruchtung. Das entspricht der Zeitspanne bis zur Einnistung in der Gebärmutter bei der natürlichen Entwicklung in utero. Voraussetzung für eine Verwendung zu Forschungszwecken ist immer die Zerstörung dieses Embryos, das je nach Entstehungstheorie als Zellhaufen oder als Mensch eingestuft wird. In Europa hat Großbritannien die liberalste Gesetzgebung in diesem Bereich. In den USA wie auch in Deutschland gilt eine Stichtagsregelung. Vor dem Stichtag bei der IVF entstandene „überzählige“, eingefrorene Embryonen dürfen verwendet werden, doch gelten diese für die Forschung als unbrauchbar. In verschiedenen Ländern, z.B. in Osteuropa, Israel und Singapur, werden daher befruchtete Eizellen gezielt für die Forschung produziert und in alle Welt exportiert. Die Eizellenspenderinnen unterziehen sich dafür gegen Bezahlung einer unangenehmen und nicht risikolosen Behandlung. Sie und die befruchtete Eizelle werden somit zu Rohmaterial instrumentalisiert.

Ganzheitstheorie, Teilungstheorie und die deutsche Verfassung

Frühwald selbst ist bekennender Vertreter der Ganzheitstheorie, wonach der Mensch an sich und ab der Befruchtung des Eies in Bezug auf etwas Höheres außerhalb des Individuums geschaffen ist. Diese Theorie basiert auf christlichen Ideen und Kants Konzept der Menschenwürde. Ihr Gegenstück ist die Teilungstheorie, die eine Ethik des Heilens vertritt: Um bestehendes Leben zu heilen, darf werdendes menschliches Leben in den ersten 14 Tagen nach der Befruchtung „geopfert“ werden. Anhänger dieser beiden Grundpositionen finden sich in allen weltanschaulichen Gruppierungen. In Deutschland wird das Thema derzeit außerdem verfassungsrechtlich debattiert. Welcher Verfassungsparagraph hat Vorrang? Der, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt oder der, der die Freiheit der Wissenschaft schützt? Prof. Frühwald sieht für Europa eine globale Vorreiterrolle in verantwortungsvoller gesetzlicher Beschränkung der Stammzellenforschung und im Ausbau der Risiko- und Sicherheitsforschung, um den Gefahren der Forschungsbeschleunigung entgegenzuwirken.

Organisiert wurde die Veranstaltung vom Spezialforschungsbereich „Zellproliferation und Zelltod in Tumoren“, der Österreichischen Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie und der Österreichischen Gesellschaft für Genetik und Gentechnik. Am Innsbrucker Biozentrum ist eine Ethikeinheit Teil der Vorlesung über Stammzellen und Klonen von Prof. Lukas Huber. Das Biozentrum ist bestrebt, laufend Veranstaltungen zu ethischen Fragestellungen anzubieten. Wie stark das Bedürfnis danach ist, zeigte die Diskussion nach Prof. Frühwalds Vortrag.