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Leben – von der Gabe zum Produkt?

Das biochemische Kolloquium an der Medizinischen Universität besteht seit langem als Forum, um Spezialthemen der Zellforschung im Kollegenkreis zu diskutieren. Die Biochemikerin Prof. Gabriele Werner-Felmayer erweiterte den Themenkreis um ethische Fragen und lud Prof. Ulrich Körtner ein, über Wissenschaftsethik und Menschenbild zu sprechen.

Prof. Ulrich Körtner leitet das Institut für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien und ist Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzleramts. Er gehört zu den wenigen Geisteswissenschaftlern, die auch die Grundlagen der Life Sciences und sogar die der „converging technologies“ oder NBIC verstehen, also des Zusammenführens von Nano-, Bio-, Informations- und Kommunikationstechnologien, das derzeit fast nur in Fachkreisen diskutiert wird. Er begreift die Biotechnologie als dritte industrielle Revolution und sieht in den NBIC die Grenzen zwischen belebter und unbelebter Materie immer unschärfer werden. Als Beispiel nennt er Forschungsvorhaben, wo Bakterien anstatt Mikrochips als Datenträger verwendet werden sollen. Für ihn ist die öffentliche ethische Debatte stark technologisch geprägt und als Anwendungsethik mit Technikfolgen beschäftigt. Er plädiert dafür, Bioethik zusammen mit Technikethik zu diskutieren. Das heißt auch, das Konzept des „Natürlichen“ zu hinterfragen. Die Natur ist immer ein begriffliches Konstrukt und der Mensch dazu fähig seine Natur zu verändern. Medizinische Interventionen und neue Entwicklungen in der Forschung erweitern laufend das „Natürliche“. Designbabies verändern das Verhältnis zwischen Eltern und Kind und erschweren die wechselseitige Anerkennung. „Design“ im Sinne der Projektion ganz bestimmter Erwartungshaltungen auf ein Kind war jedoch auch bisher schon ganz ohne Gentechnik möglich. Körtner fordert dazu auf, sich mit dem Optimierungsgedanken auseinander zu setzen, bevor man bestimmte Einzeltechniken gestattet oder verbietet. Haben Patientinnen und Patienten nicht nur ein Recht auf Heilung, sondern auch auf Optimierung? Was bedeutet das für die Identität einer Person? Gibt es auch ein Recht auf Unvollkommenheit? Wie weit kann man beim Einfordern dieser Rechte gehen?

Die Kraft der Bilder

In der Medizin sind wir von bildlichen Darstellungen umgeben: Röntgenbilder, Ultraschall, CT-Scans, Gewebeproben und vieles mehr. Körtner ist überzeugt, dass Bilder nicht nur die öffentliche Diskussion stark beeinflussen, sondern auch einzelnen Wissenschaftlern bei der Bewertung ethischer Probleme helfen können. Er plädiert dafür, sich ethische Fragen bildlich vorzustellen und die eigene Wahrnehmung zu schulen. Also nicht nur die Darstellung am Bildschirm zu betrachten, sondern sich auch daran zu erinnern, woher das betrachtete Objekt stammt. Das Durchspielen von typischen Situationen in der Fantasie ist für ihn sehr wichtig und bildet den Kern der von ihm favorisierten „topischen Ethik“. Diese Ethik geht von „topoi“ aus, wörtlich „Gemeinplätze“, hier typische Situationen in einem Forschungsprozess, aus denen gute Verfahrensweisen entwickelt werden.

Persönlichkeitsentwicklung der Forschenden

Voraussetzung dafür ist eine „schlichte intellektuelle Rechtschaffenheit“, wie Max Weber sie in seinem Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ schon 1919 forderte. Für Körtner ist es entscheidend, in die wissenschaftliche Ausbildung Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung und zur Schulung der Wahrnehmung einzubauen und so zur Entwicklung einer Wissenschafts- und Diskussionskultur beizutragen. An der Innsbrucker Medizinuni bietet Prof. Werner-Felmayer ein Ethikseminar an, das Studierenden der Naturwissenschaften ebenso offen steht wie jenen der Medizin. Neben guter Laborpraxis und dem verantwortungsvollen Umgang mit Daten (kein Datenklau, keine Manipulation) werden auch allgemeine ethische Fragen behandelt, wie zum Beispiel überzogene Versprechungen bei der Präsentation von Forschungsergebnissen oder der Umgang mit Heilserwartungen von Patientinnen und Patienten. An dieser Stelle bereits mehrfach berichtet wurde über das Ethik-Begleitseminar für Sezierübungen am Department für Anatomie, Histologie und Embryologie. Am Innsbrucker Biozentrum ist eine Ethikeinheit Teil der Vorlesung über Stammzellen und Klonen von Prof. Lukas Huber. Das Biozentrum strebt eine Erweiterung des Angebots an Veranstaltungen zu ethischen Fragestellungen an. Wie stark das Bedürfnis danach ist, zeigte die Diskussion nach Prof. Körtners Vortrag.