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Millimetergenau

In der ersten Nummer einer neuen Life-Science-Beilage in der Tageszeitung ‚Die Presse’ wird über eine neue Operationsmethode der Innsbrucker Radiologen berichtet. Sie ermöglicht millimetergenaues Operieren: von Kopf bis Fuß. Die ab nun in regelmäßigen Abständen erscheinende Beilage mit aktuellen Beiträgen aus der Welt der Life Sciences entsteht in Kooperation mit den Medizinischen Universitäten Innsbruck und Graz sowie der Universität für Bodenkultur in Wien. Alle Uniangehörigen erhalten daher mit der Hauspost ein persönliches Exemplar der Zeitung.

Eine winzige Garage 1994 in der Tiroler Landeshauptstadt voll geräumt mit Computern und merkwürdigen Plastikteilen: Reto Bale und sein Kollege Michael Vogele hantieren an einer Werkbank. Auf ihr liegen luftdurchlässige Kunststoffpolster. Bale fährt mit einem Staubsauger über die Kissen. Durch den Unterdruck saugen sich die Plastikteile an der Werkbank fest. 2005: im CT-Interventionsraum der Innsbrucker Klinik liegt ein 17jähriger Patient in Vollnarkose. Bedeckt ist er für den kurzen Eingriff mit einem „Raumanzug“ aus Kunststoff. Aus diesem High-Tech-Operationshemd wird mit einer Pumpe die Luft gesaugt. Der Patient ist schonend auf dem OP-Tisch stabilisiert. Bale führt über die Haut eine Spezialsonde in den Unterschenkel des jungen Tirolers ein und entfernt einen gutartigen Knochentumor (Osteoid-Osteom). Während des Eingriffs sieht der Chirurg auf einem Bildschirm über sich exakt die Lage der Sonde und trifft den Tumor präzise. Der Patient wird nur eine winzige, Zwei-Millimeter-Narbe davontragen. Spätestens am Folgetag kann er die Klinik verlassen.

Zwischen beiden Szenarios liegen elf Jahre Tüftelei. Bale und Vogele stellten sich Anfang der 1990er Jahre als Studenten zwei Fragen: wie können die damals gebräuchlichen computerunterstützten 3-D-Navigationssysteme für die millimetergenaue Ansteuerung von Tumoren ohne Operationsnarbe eingesetzt werden? Das zweite Problem: wie gelingt es, den Patienten beim Eingriff in der exakt selben Lage zu fixieren, wie vor der Operation im Computertomographen? Diese Kopfnuss hat das Team in einem Zuge geknackt. „Einfach erklärt, haben wir eigene Fixierungssysteme und Zielvorrichtungen entwickelt, die die üblichen Navigationssysteme in ihrer Funktion deutlich erweitern. Jeder Punkt im Körper kann von außen durch die Haut genau angepeilt und getroffen werden. Krankes Gewebe, wie zum Beispiel bei einem Tumor wird zielsicher zerstört; Nerven oder Blutgefäße werden durch die Punktion nicht verletzt“, erklärt Bale.

Erfolgreich im Einsatz

Die neue Methode im Detail: der Patient wird im Computertomographen schonend fixiert. Auf der Hautoberfläche werden in Form winziger Metallkugeln Marker im jeweiligen Operationsareal angebracht. Diese Bilddaten der jeweiligen CT-Untersuchungen werden in das computerunterstützte Navigationssystem eingespeist. Der Operationsweg wird im Vorhinein „pixelgenau“ geplant und ist durch die Marker während des Eingriffs genau kontrollierbar. Bei der Operation folgt der Arzt auf einem Bildschirm über ihm exakt dieser „Wegbeschreibung“. Dabei wird eine Spezialsonde – eine dünne Nadel – durch die Zielvorrichtung exakt bis zur berechneten Tiefe vorgeschoben. Immer dann, wenn sich zwei kleine gelbe Kreise auf diesem Bildschirm überlagern, heißt dies für den Operateur: er ist exakt auf dem richtigen vorgeplanten Pfad, kann in die Sonde hochfrequenten Wechselstrom leiten. Der Tumor wird durch diese Thermoablation zerstört – ein Vorgang, den Mediziner auch „Verkochen“ nennen.

Eingesetzt wird das neue System bisher unter anderem beim Osteoid-Osteom. Das ist ein sehr schmerzhafter, gutartiger Knochentumor. Er greift vor allem den Unterschenkelknochen, aber auch Oberschenkel, Handwurzel, und Wirbelsäule an. Häufig sind junge Patienten betroffen. Diese Tumorart konnte bisher nur durch eine aufwändige Operation, bei der auch ein Stück Knochen entfernt werden musste, herausgeschnitten werden. Die Betroffenen trugen deshalb meist eine große Narbe davon und waren längere Zeit auf Krücken angewiesen. Da der Tumor häufig nicht vollständig herausoperiert werden konnte, wuchs er wieder nach. Mit dem neuen Verfahren wird er komplett entfernt. „Die Methode wird auch zum Entfernen von Tumoren in der Leber und in vielen anderen Organen, zur Verschraubung von Beckenfrakturen und zur Behandlung von Trigeminusneuralgie eingesetzt. Erfolgreich operiert wurden insgesamt bisher 220 Patienten“, so Bale. Der 36jährige leitet inzwischen an der Innsbrucker Universitätsklinik für Radiodiagnostik (Vorstand Prof. Werner Jaschke) ein Speziallabor. Resultat der ursprünglichen Privatforschungen in der Innsbrucker Garage sind seit 1995 mehrere Weltpatente für Zielvorrichtungen sowie für spezielle Körper-Fixierungssysteme.