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Gerichtsmedizin Innsbruck erforscht frühe Besiedlung Amerikas

Die Rekonstruktion der Ausbreitung des Menschen über die ganze Erde stellt eines der spannendsten Forschungsgebiete der Genetik dar. Einen eindrucksvollen und international beachteten Beitrag zur Aufklärung der Besiedlungsgeschichte Südamerikas hat eine Forschergruppe des Innsbrucker Instituts für Gerichtliche Medizin geliefert.

Die mitochondriale DNA (mtDNA) wird in mütterlicher Vererbung ohne Einfluss der väterlichen mtDNA weitergegeben. Lediglich spontane Mutationen der mtDNA führen zu Veränderungen der mtDNA Sequenz, die an die darauffolgenden Generationen weitergegeben werden. So können die Ausbreitung dieser „weiblichen" DNA-Linien und damit rezente und weit zurückliegende Wanderungsbewegungen des Menschen nachvollzogen werden. Die Entstehung des Menschen in Afrika, seine Ausbreitung von dort ausgehend nach Europa, Asien und über eine Landbrücke im Gebiet der heutigen Beringstraße nach Amerika sind bahnbrechende Erkenntnisse aus der mtDNA-Forschung der letzten Jahrzehnte und heute allgemein anerkannt. Über den genaueren Ablauf der ersten Besiedlung Amerikas gibt es aber noch keinen Konsens. Besonders die Migration nach und in Südamerika wird hinsichtlich der durch die Anden gebildeten Barriere kontroversiell diskutiert, wobei archäologische Funde auf eine sehr frühe Besiedlung der Westküste im äußersten Süden hindeuten. Hier konnte das Team der Innsbrucker Gerichtsmedizin nun erkenntnisbringende genetische Spuren aufdecken.

Auf Spurensuche an der Spitze Südamerikas

In Zusammenarbeit mit internationalen Forschungspartnern gelang durch spezifische Beprobung, hochqualitative mtDNA-Analyse sowie umfangreiche Datenbankabfragen und Literaturstudien die erste umfassende Beschreibung zweier für die Ureinwohner der südlichsten Spitze Südamerikas spezifischer mtDNA-Linien. Die Auswertung ihrer Verbreitungsmuster, die Berechnung ihres Alters und die fächerübergreifende Betrachtung dieser Ergebnisse legen nahe, dass die ersten Siedler den letzten Kontinent auf der in Afrika begonnenen Reise äußerst schnell in nur wenigen Jahrtausenden an der Pazifikküste entlang besiedelt und das Innere des Kontinents über die südlichen Anden bevölkert haben. Die Erkenntnisse aus der Studie deuten nicht auf die oft vermutete frühe Trennung der ersten nach Süden ziehenden Siedler in eine westlich und eine östlich der Anden lebende Bevölkerungsgruppe hin. Die Ergebnisse der Innsbrucker Studie decken sich mit Erkenntnissen aus Archäologie, Ethnographie, Klimatologie und populationsgenetischen Computersimulationen. „Es wäre unmöglich gewesen, diese Studie ohne die Mitarbeit führender Populationsgenetiker und Probengaben südamerikanischer Kooperationspartner durchzuführen. Hier hat unsere international hervorragende Stellung im Bereich der DNA-Analytik die entscheidenden Impulse gesetzt", so ao.Univ.-Prof. Dr. Walther Parson, Leiter der Forensischen Molekularbiologie am Institut für Gerichtliche Medizin, über die Bedeutung internationaler Kooperation. „Beeindruckend, was aus hochqualitativen DNA-Sequenzdaten, die doch nur aus vier ‚Buchstaben' bestehen, herausgelesen werden kann. Wenn man sie im richtigen Kontext betrachtet, gewähren sie Einblicke in die Geschichte des Menschen und öffnen ein Fenster in die Vergangenheit", zeigt sich der Molekularbiologe Mag. Martin Bodner, Erstautor der Studie, fasziniert. Erste Ergebnisse wurden im September 2011 am 24. Weltkongress der Internationalen Gesellschaft für Forensische Genetik (ISFG) vorgestellt. Dem Forscherteam ist es nun unter Federführung des Innsbrucker Instituts gelungen, die Studie in der renommierten Fachzeitschrift Genome Research zu veröffentlichen. Die Erkenntnisse sollen die Grundlage für weitergehende Forschungen zu spezifischen Fragestellungen der Besiedlung Südamerikas und der Geschichte seiner indigenen Urbevölkerung sein.

Verbindung von Forensik und Populationsgenetik

In der Bearbeitung solcher populationsgenetischer Fragestellungen mithilfe der mitochondrialen DNA liegt ein Hauptfokus der Forschung an der Forensischen Molekularbiologie am Institut für Gerichtliche Medizin. Im Vergleich zur standardisierten Untersuchung der Kern-DNA ist dieses zweite Genom des Menschen ein Spezialgebiet der forensischen DNA-Analytik; aufgrund seiner Stabilität und der weit höheren Kopienzahl bei degradierten und minimalen Spuren ist die Typisierung der mtDNA oft die einzige Möglichkeit für erfolgreiche Analysen. Die Innsbrucker Gerichtsmedizin hat die international gültigen Qualitätsstandards in der forensischen Analyse mitochondrialer DNA hauptverantwortlich mitentwickelt und betreibt die weltweit führende forensische mtDNA-Sequenzdatenbank EMPOP. Diese erfasst die globale Vielfalt mitochondrialer Linien und dient primär zur forensischen Beurteilung der Beweiskraft eines mtDNA-Ergebnisses, kommt aber durch ihre hohe Qualität auch anderen genetischen Disziplinen, die sich mit mtDNA beschäftigen, zu Gute. EMPOP wurde vom Deutschen Bundesgerichtshof anerkannt und die umfassende, durch die Forschergruppe betriebene Qualitätskontrolle ist heute Voraussetzung für die Publikation von mtDNA-Sequenzdaten in den beiden international führenden forensisch-genetischen Zeitschriften.

Hintergrund

Das Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität (Direktor: o.Univ.-Prof. Dr. Richard Scheithauer) deckt das gesamte in Mitteleuropa übliche Spektrum der Gerichtlichen Medizin in Forschung, Lehre und Praxis ab. 1990 wurde die Forensische DNA-Abteilung als eine der ersten im deutschsprachigen Raum eingerichtet. Seit 1991 wird die DNA-Technologie für spurenkundliche Gerichtsgutachten eingesetzt. In den Folgejahren entwickelte sich dieser Bereich zu einem der wissenschaftlichen Schwerpunkte des Instituts, an dem auch das Österreichische DNA-Zentrallabor untergebracht und das als einziges österreichisches Institut in den entscheidenden internationalen Gremien vertreten ist. Darüber hinaus ist das Institut wissenschaftlich in stark zukunftsorientierten Bereichen wie der mitochondrialen DNA engagiert und hier von einer EU-Arbeitsgruppe mit dem Aufbau und Betrieb der mtDNA-Datenbank EMPOP beauftragt. Auch bei Untersuchung Y-chromosomaler DNA-Eigenschaften und der Anwendung dieser Techniken besonders bei der Untersuchung von Sexualdelikten ist das Institut prominent vertreten. Die Innsbrucker Gerichtsmedizin ist das erste Institut im gesamten deutschen Sprachraum in der Forensik, das nach der internationalen Norm ISO EN ÖNORM 17025 akkreditiert ist und die damit verbundene Bezeichnung Prüflabor tragen darf. Die Sachverständigen des Instituts sind bei Gerichten im In- und Ausland tätig.

Mit der Ausrichtung der 6. internationalen Konferenz „DNA in Forensics 2012" vom 6.-8. September 2012 stellt das Institut für Gerichtliche Medizin erneut seine international bedeutende Rolle im Bereich der haploiden DNA-Marker (mitochondriale und Y-chromosomale DNA) unter Beweis.

(red)

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