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Lawinenstudie in Vent abgebrochen

Das internationale Forschungsteam der Lawinenstudie in Vent im Ötztal gibt bekannt, dass die Versuche in Vent auf Eigeninitiative abgebrochen wurden, da durch die äußeren Umstände ein reibungsloser Ablauf der Versuche nicht mehr gewährleistet werden kann.

Das Forschungsteam der Studie besteht aus Mitarbeitern aus Österreich (Medizinische Universität Innsbruck), Deutschland (Charitè Berlin), Norwegen (Universität Tromsö) und Südtirol (Eurac, Bozen) mit Kontakten zur USA (Mayo Clinic, Rochester). In der Berichterstattung über den Tierversuch ist die medizinisch wissenschaftliche Angemessenheit dieses Experiments nicht klar zum Ausdruck gekommen. Das Forschungsteam hat sich seit acht Jahren bemüht, den erwarteten „Gewinn“ für die medizinische Forschung in Form einer Reduktion der Sterberate des Lawinenunfalls durch Verbesserung der notfallmedizinischen Behandlung und durch Entwicklung von Sicherheitsausrüstungen mit dem Schaden der einem Versuchstier zugefügt wird, sorgfältig abzuwägen.

Zur wissenschaftlichen Fragestellung des Versuchs

„Wir haben in den letzten 20 Jahren in einer weltweit führenden Position Untersuchungen auf dem Gebiet der Lawinenmedizin durchgeführt, sei es mit Auswertungen von Unfallprotokollen als auch Experimenten mit Probanden. Diese Untersuchungen haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass sich sowohl die notfallmedizinische als auch die klinische Behandlung verbessert hat und eine ganze Reihe von Notfallausrüstungen (Airbag, AvaLung, Verbesserung der LVS Geräte) neu entwickelt und verbessert wurden. Diese Untersuchungen haben die Grundlage dazu geliefert, dass die Sterberate des Lawinenunfalls in den letzten 25 Jahren auf circa ein Viertel reduziert werden konnte“, unterstreichen Dr. Paal und Dr. Brugger.

Bei diesen Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass die Mehrzahl der Verschütteten in der Lawine erstickt und circa 5% an tödlichen Verletzungen verstirbt. Vor allem aber wurde festgestellt, dass etwa zwanzig Prozent aller Verschütteten in der Lawine nicht sofort ersticken, sondern ein bis zwei Stunden überleben und, falls sie optimal versorgt und an einer Herzlungenmaschine wiedererwärmt werden, keinen Dauerschaden durch Sauerstoffmangel erleiden. Die Pathophysiologie dieses in der Medizin einzigartigen Phänomens (Triple H Syndrom) ist bis heute ungeklärt, das heißt, es ist nicht bekannt welche Faktoren dieses Überleben ermöglichen. Es wird vermutet, dass das rasche Eintreten der Abkühlung entscheidend ist, noch bevor es zum Ersticken kommt. Wer das Rennen gewinnt, ob Ersticken oder Unterkühlung, ist entscheidend für die Prognose. Eine rasche Abkühlung bei der Lawinenverschüttung wird in europäischen Ländern und in Nordamerika zwar teilweise bestritten, doch die Vermutung der Studienautoren wird andererseits durch Unfallberichte unterstützt. „Erweist sich unsere Theorie als stichhaltig, ist das der Beweis dafür, dass Verschüttete mit freien Atemwegen und einer Atemhöhle in Zukunft nicht mehr für tot erklärt sondern stattdessen wiedererwärmt werden müssen. Dies würde zu einem Paradigmenwechsel in der Therapie führen und zahlreiche Todesfälle könnten vermieden werden“, so die Projektleiter.

Zusammenfassend lautet die Fragestellung somit: Wie rasch tritt die Abkühlung ein und welche Faktoren schützen den Organismus vor dem gefürchteten Sauerstoffmangel und ermöglichen dadurch ein stundenlanges Überleben?

„Die Beantwortung dieser Fragen würde bei uns, aber auch in allen Ländern der Welt in denen es Lawinentote gibt, zu einer besseren Diagnose und zur Optimierung der Behandlung führen. Wir sind davon überzeugt, dass dadurch fälschliche Todesfeststellungen vermieden und die Sterberate verringert werden könnten“, sagen Pal und Brugger.

Zur Notwendigkeit des Tierversuchs

Es ist aus ethischen Gründen (Helsinki Deklaration) nicht erlaubt, Experimente am unterkühlten Menschen durchzuführen. Es gibt auch keine Möglichkeit, pathophysiologische Veränderungen in einem virtuellen Testfeld zu simulieren. Um die oben genannten Fragen zu beantworten, gibt es somit bis heute keine Alternative zu einem Tierversuch. Es ist den Verantwortlichen bewusst, dass ein Tierversuch nur die allerletzte Möglichkeit sein darf, um ein Experiment anzuwenden, auch wenn dies dem Menschen zugute kommen soll. Aus diesem Grund wurde das Studiendesign jahrelang vorbereitet und so optimiert, dass mit einem einzigen Versuch und der statistisch notwendigen Mindestanzahl (Fallzahlanalyse) an Versuchstieren in einem realistischen Umfeld alle Daten erhalten werden, die für die Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung notwendig sind, um nicht unnötig Tierleben aufs Spiel zu setzen. Aus diesem Grund wurde auch von Anfang an die oben erwähnte internationale Zusammenarbeit angestrebt, um Doppelversuche in anderen Ländern zu vermeiden. Ziel war es, mit dem Minimum an Versuchtieren in einem einzigen Versuch alle Fragen zu beantworten, was bei einer Vollendung der Testserie auch gelungen wäre.

„Natürlich hätten wir auch, wie bei anderen Versuchen, im Tier-Op einer Klinik bleiben können und es hätte mit Sicherheit keine öffentliche Reaktion gegeben. Damit hätten wir aber die Aussagekraft der Studie in Frage gestellt, und wir hätten vor allem mehr Versuchsreihen gebraucht.“

Zur Behandlung der Tiere

Als weitere Grundvoraussetzung, einen Tierversuch durchführen zu dürfen gilt, dass die getesteten Tiere nicht leiden dürfen. Die Tiere erhielten deshalb noch vor dem Transport ein Beruhigungsmittel (was beispielsweise bei einem Transport in den Schlachthof nicht erlaubt ist) und wurden am Versuchsort auf schonende Weise in den Tiefschlaf gesetzt. Während des gesamten Testverlaufs konnte mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Tiere das Bewusstsein wiedererlangt haben.

Durch den Abbruch der Testserie ist es leider nicht gelungen, ein aussagekräftiges Resultat zu erzielen.