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Wie kommt Gender in die Medizin?

Aus Anlass des Europäischen Jahres der Chancengleichheit lud die Vizerektorin für Personal, Personalentwicklung und Gleichstellung, Prof.in Margarethe Hochleitner, Ende November erstmals zu einem interdisziplinären Symposium über das Verhältnis von Gender und Medizin. Dabei diskutierten die TeilnehmerInnen intensiv über bestehende Machtstrukturen und die richtigen Strategien im Umgang damit.

Vorletzten Donnerstag kamen MitarbeiterInnen aus allen Bereichen der Medizinischen Universität Innsbruck, Studierende sowie Interessierte der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck zum Symposium über das Verhältnis von Gender und Medizin in den kleinen Hörsaal der Chirurgie. Ziel dieser Veranstaltung, die im Rahmen des Projekts Frauen-Empowerment erstmals an der Medizinischen Universität stattfand, war es heraus zu arbeiten, dass Wissenschaft und Geschlechterfragen untrennbar zusammenhängen. Ganz besonders, wenn man dies mit Blick auf die aktuellen Exzellenzinitiativen betrachtet. „Das innovative Potenzial hochqualifizierter Forscherinnen verstärkt zu nutzen, bringt Universitäten klare Wettbewerbsvorteile“, so Vizerektorin Hochleitner, „denn Gleichstellung in der akademischen Welt bedeutet nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch qualitativen Gewinn und ökonomischen Mehrwert. Wobei die Integration von Gender-Aspekten in die (medizinische) Forschung nicht nur Forschung von Frauen bedeutet. Es heißt auch, dass Forschung spezifische Erkenntnisse über Frauen und Männer von Anfang an berücksichtigt. Bestes Beispiel ist hier die Medizin, die schwere Behandlungsfehler riskiert, solange sie paradigmatisch am männlichen Patienten orientiert arbeitet.“ Dieses spezifische Thema wurde und wird im Detail im Rahmen der Ringvorlesung „Geschlechterforschung in der Medizin“ behandelt.

Der Biologismus boomt

Prominente Referentinnen waren geladen, um aus sehr unterschiedlichen Perspektiven über die Situation der Frauen in den medizinischen Wissenschaften zu sprechen. Den Anfang machte die Wiener Journalistin und Autorin Elfriede Hammerl, die zunächst fragte, was ist Gender und wozu Gender. Es müsse über Gender gesprochen werden, weil der Biologismus in der Gesellschaft boomt. Kategorisierungen aufgrund des Geschlechts seien der Alltag und allzu oft würden die Gründe für soziale Benachteiligungen der Natur in die Schuhe geschoben. Weiters kritisierte Hammerl die Fixierung der Medizin auf den Mann als Norm, die in vielen Bereichen zu beobachten sei. Gesundheitliche Probleme von Frauen würden wesentlich öfter psychologisiert als bei Männern. Es sei Aufgabe der Medizin auf die Benachteilung der Frauen in vielen Lebensbereichen aufmerksam zu machen und die Politik zu einer Änderung zu motivieren. Die Mitinitiatorin des österreichischen Frauenvolksbegehrens und vielfach ausgezeichnete Publizistin unternahm zum Schluss ihrer Ausführungen eine satirische Bestandsaufnahme zur Frage der Frauenquote, der Erziehung von Kindern und der Legende vom Gegensatz von Frauenkarrieren und erfülltem Privatleben.

Die Frage nach den richtigen Handlungsstrategien

Prof.in Margarethe Hochleitner warnte davor, die erreichten Ziele als gesichert anzusehen. Die Frauen hätten vor einigen Jahren die Mehrheit unter den Medizinstudierenden übernommen. Doch sei dieser Trend inzwischen wieder rückläufig. „Aber wir kämpfen weiter!“ so die Vizerektorin. Welche Strategien Frauen anwenden können, um ihre Ziele speziell in hierarchischen Systemen (besser) zu erreichen, zeigte dann die Wiener Psychotherapeutin und Leiterin des Instituts für Macht-Kompetenz Christine Bauer-Jelinek. Bei ihr stehen die einzelne Frau und ihre Ziele im Mittelpunkt. „Man muss die Spielregeln der Macht kennen und sie spielen wollen“, so die renommierte Beraterin. Hinter der Macht-Kompetenz verbergen sich die Fähigkeiten, eigene und fremde Ziele zu (er)kennen, Widerstände zu bewerten, Legitimationen zu klären, Machtinstrumente einzusetzen, Eskalationsstufen zu beachten und nachhaltige Beziehungen herzustellen. Den anwesenden Frauen gab Bauer-Jelinek eine ganze Reihe von Strategien für den Alltag in großen, hierarchisch organisierten Strukturen mit auf den Weg. „Frauen brauchen nicht nur inhaltliche Kompetenz – da sind wir schon sehr gut, oft besser als die Männer – Frauen brauchen auch Macht-Kompetenz“, so ihr Resümee.

Strukturen verändern

Die Frage nach den richtigen Handlungsstrategien zog sich durch das gesamte Symposium. Dipl.-Ing.in Dr.in Bente Knoll, Landschaftsplanerin und Gender-Expertin, erläuterte theoretisch und am Beispielprojekt einer österreichischen Universität die Integration von Gender Mainstreaming in Organisations- und Personalentwicklungsprozesse. Sie betonte, dass es sich dabei um einen langfristigen und umfassenden Entwicklungs- und Veränderungsprozess handelt, der „aktiv handelnde Personen, Ressourcen und viel Geduld“ brauche: Denn Organisationsentwicklung zielt vor allem auf Verhaltens- und Einstellungsänderungen von Individuen und Gruppen im Kontext von Organisationsveränderungen ab. Neben verschiedenen Qualitätskriterien von Gender Mainstreaming Prozessen ging Knoll auch auf den Nutzen sowie auf Erfolgsfaktoren und Barrieren solcher Veränderungsprozesse ein.

Sprachlich sichtbar machen

Die deutsche Sprachwissenschafterin, Schriftstellerin und Publizistin Prof.in Luise F. Pusch sprach im letzten Beitrag des Symposiums über die Grammatik der Macht und die Macht der Grammatik. Ihrer Erfahrung nach werden Frauen gerne sprachlich unsichtbar gemacht, wie sie auch gleich anlassbezogen anhand einiger Textpassagen aus der Broschüre einer Fluggesellschaft aufzeigte. Die feministische Sprachkritik hat zur sexistischen Grammatik das Wesentliche schon vor einem Vierteljahrhundert gesagt, so Pusch, es ging in den letzten Jahren nicht mehr um theoretische Fundierung, sondern um die Durchsetzung feministisch-linguistischer Forderungen in der Praxis. Diese Forderungen lassen sich für Pusch in einem handlichen Spruch zusammenfassen: „Frauen wollen sprachlich gewürdigt werden und sprachlich sichtbar sein.“ Für einen heiteren Abschluss sorgten dann noch einige ihrer pointierten und mit viel Sprachwitz gewürzten Glossen wie „Gender – wer braucht es und wozu“, „Der Anästhesist“, „Kopftuchverbot für Referendare“ und „Titelei“. Sowohl zwischen den einzelnen Beiträgen als auch in der von Mag.a Beyer moderierten Podiumsdiskussion boten die vorgestellten Inhalte und Handlungsstrategien reichlich Stoff für angeregte Diskussionen zwischen TeilnehmerInnen und Referentinnen. Der interdisziplinäre Charakter der Veranstaltung und die unterschiedlichen Herangehensweisen wurden insgesamt sehr positiv bewertet.