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Die Neurobiologie der Psychotherapie als Kontroverse

Die Neurobiologie der Psychotherapie war Anfang Juli Thema eines Kongresses, der unter maßgeblicher Mitorganisation der Innsbrucker Univ.-Klinik für Medizinische Psychologie in Salzburg abgehalten wurde. Mit der Einbindung der Neurobiologie in die Behandlung psychischer Erkrankungen wurde in den letzten Jahren ein viel versprechendes Forschungsfeld erschlossen. Die Beziehung zwischen Neurobiologie und Psychotherapie wurde im Rahmen der hochkarätig besetzten Tagung aber durchaus kontrovers behandelt.

Aufbau und Funktionsweise des Gehirns und die Erforschung von Ursachen und Heilungsmöglichkeiten von Nervenkrankheiten sind Gegenstand der Neurowissenschaften. Die Hirnforschung liefert damit aber auch wichtige Anstöße für die wissenschaftliche Untersuchung von Begriffen wie Bewusstsein, Gedächtnis, Seele und Emotionen. Zahlreiche Interaktionen zwischen den Neurowissenschaften und anderen Fachbereichen, etwa der Kognitionswissenschaft, der Psychologie und der Philosophie, basieren auf neuen Erkenntnissen über neurale Verbindungen. So kann seit dem Einsatz bildgebender Verfahren (PET, fMRT) sowohl auf kognitive Vorgänge als auch auf die Effekte von Psychotherapie im lebenden Gehirn zugegriffen werden. Neben der kognitiven haben auch die affektive wie die soziale Neurowissenschaft einen Fixplatz in der umfassenden bio-psycho-sozialen Sicht des Menschen. Die Zusammenschau von Kognitionen, Emotionen und sozialen Prozessen aus psychologischer und neurobiologischer Sicht eröffnet einen umfassenderen und transdisziplinären Blick auf die Psychotherapie. Auch theoretische Entwicklungen, welche das Gehirn als komplexes, hochdynamisches und selbstorganisierendes System zu begreifen versuchen, tragen zu Vernetzung und Interdisziplinarität bei.

Spannungsfeld Neurobiologie-Psychotherapie sichtbar machen

Vom Anspruch des modernen Blickwinkels, in dem biologische, psychische und soziale Prozesse in einem Systemzusammenhang gesehen werden und der in Verbindung mit enger, disziplinärer Zusammenarbeit zu neuen, effektiven Therapieerkenntnissen führen soll, bleibt für Christian Schubert, Professor an der Univ.-Klinik für Medizinische Psychologie (Leitung Prof. Gerhard Schüßler) und Mitglied der wissenschaftlichen Kongressleitung, in der Realität aber oft nur die Worthülse. „Die Psychotherapie liegt in einem Grenzbereich zwischen Medizin und Beziehungsarbeit und ist deshalb aus rein wissenschaftlicher Sicht oft nur unbefriedigend abzugrenzen“. Trotzdem müssten auch aus neurobiologischer Erkenntnisperspektive die richtigen Schlüsse gezogen werden. „Der Effektivitätsnachweis der Psychotherapie gründet sich nicht ausschließlich auf neurowissenschaftliche Methoden. Auch die Neurowissenschaften sollten von psychotherapeutischen Erkenntnismethoden lernen und profitieren“, plädiert Schubert für einen Paradigmenwechsel und dafür, dass Therapeuten wie Neurowissenschafter „über den Tellerrand schauen“.

In zahlreichen Plenumsvorträgen, unter anderem von Prof. Marianne Leuzinger-Bohleber vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt, Prof. Wolf Singer vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung und vom renommierten deutschen Psychologen Günter Schiepeck, aber auch in Symposien, Workshops und einer Podiumsdiskussion wurde den rund 400 Kongressteilnehmern in Salzburg ein breites, multidimensionales Informationsspektrum angeboten. „In der Diskussion“, so Schubert, „wurde die Neurobiologie der Psychotherapie durchaus als erkenntnistheoretisches Problem thematisiert, das nicht unter den Teppich gekehrt, sondern offen auf den Tische gelegt werden muss. Im Sichtbar-Machen der Kontroverse findet das Verhältnis Neurobiologie und Psychotherapie erst zu neuer Identität“.

Nach Innsbruck und München soll sich Salzburg als Veranstaltungsort des alle zwei Jahre stattfindenden Kongresses etablieren.